L 10 KR 30/18

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Abteilung
10.
1. Instanz
SG Schleswig (SHS)
Aktenzeichen
S 11 KR 130/14
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 10 KR 30/18
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Die Behandlung leichter bis mittelschwerer depressiver Störungen erfolgt regelhaft in der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung.

2. Wird ein Patient mit einer leichten bis mittelschweren depressiven Störung dennoch stationär behandelt, müssen seitens des Krankenhausträgers - um die Erforderlichkeit der Krankenhausbehandlung zu belegen - Angaben zu Begleiterkrankungen oder zu sonstigen Gründen gemacht werden, die Anlass für die stationäre Versorgung des Patienten gegeben haben.

3. Die Abrechnung von Krankenhausleistungen auf der Grundlage eines fiktiven wirtschaftlichen Alternativverhaltens besteht nur innerhalb des gesetzlich nach § 39 Abs. 1 Satz 3 SGB V zugewiesenen Versorgungsauftrags der Krankenhäuser in Form von stationären Krankenhausbehandlungen (vollstationär, stationsäquivalent, teilstationär, vor- und nachstationär) und ist dementsprechend auf die einzelnen stationären Behandlungsalternativen beschränkt (entgegen BSG, Urteil vom 26.04.2022 = SozR 4-2500 § 39 Nr. 34).

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Schleswig vom 8. Februar 2018 wird zurückgewiesen.

 

Die Klägerin trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.

 

Die Revision wird zugelassen.

 

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 18.222 Euro festgesetzt.

 

 

 

 

Tatbestand

 

Streitig ist die Vergütung für eine stationäre Krankenhausbehandlung.

 

Die Klägerin behandelte als Träger des nach § 108 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) in S_______ zugelassenen H____ Klinikums den bei der beklagten Kranken­kasse (KK) versich­erten und 1960 geborenen V____ E____ ua wegen einer kombinierten Persönlichkeitsstörung (ICD 10 = F61), einer mittelgradigen rezidivierenden depressiven Störung (ICD 10 = F33.1) und einer Alkoholabhängigkeit (ICD 10 = F10.2) vom 22. Februar 2011 bis 16. Mai 2011 vollstationär und stellte der Beklagten dafür insgesamt 18.222,56 Euro in Rechnung. Die KK beglich die Forde­rung zunächst, rechnete den gesamten Betrag am 15. Juni 2012 jedoch mit anderen (unstreiti­gen) Behandlungsfällen der Klägerin auf. Nach einem Sozialmedizinischen Gutachten des Medi­zi­nischen Dienstes der Krankenversich­erung (MDK Nord vom 19. April 2012) hätte der Versicherte entweder ambulant im Rahmen einer Psychotherapie oder einer erneuten Entwöhnungsbehandlung behandelt werden können; hinsichtlich der durchgeführten stationären Behandlung sei deshalb in vollem Umfang von einer primären Fehlbelegung auszugehen.

 

Am 16. Juni 2014 hat die Klägerin vor dem Sozialgericht (SG) Schleswig eine Klage gerichtet auf die Zahlung des verrechneten Betrags nebst Zinsen iHv 2 Pro­zentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15. Juni 2012 erhoben. Zur Begründung hat sie darauf hingewiesen, dass bei dem Versicherten schon im Zeitraum einer vorangegangenen stationären Behandlung im H____ Klinikum (vom 23. November 2010 bis 14. Januar 2011) die Indikation für eine Fortsetzung der Krankenhausbehandlung in Form einer vorwiegend psychosomatisch/psychotherapeutisch ausgerichteten Therapie bestanden habe. Außerdem sei nach diesem stationären Aufenthalt bei dem Versicherten noch eine Dekompensation seiner psychischen Erkrankung in Form einer schweren depressiven Episode eingetreten, sodass schon die Schwere der Symptomatik die hier streitbefangene Behandlung in einem Krankenhaus rechtfertige. Daneben habe bei dem Versicherten in dem hier maßgeblichen Zeitraum zusätzlich noch eine schwere und damit kombinierte Persönlichkeitsstörung vorgelegen, wobei die Kombination dieser beiden Erkrankungen eine nur ambulante oder teilstationäre Behandlung nicht zugelassen habe. Ferner habe der Versicherte unmittelbar vor der stationären Aufnahme auf Grund von Impulsstörungen Dritte gefährdet; der Umstand der Fremdgefährdung rechtfertige ebenfalls eine stationäre Behandlung. Schließlich sei das Umfeld des Versicherten zum Aufnahmezeitpunkt hoch problematisch gewesen, sodass ein dauerhafter Behandlungserfolg nur durch die Herausnahme des Patienten aus dessen sozialen Umfeld habe erzielt werden können.

 

Das SG hat zu dem Verfahren die Patientenunterlagen des Versicherten – auch zu der vorangegangenen stationären Behandlung vom 23. November 2010 bis 14. Januar 2011 in der allgemeinen psychiatrischen Abteilung des H____ Klinikums – beige­zogen und gemäß § 103 Sozialgerichtsgesetz (SGG) als Sachverständigen den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie sowie Psychosomatische Medizin und Psychotherapie S1­­­­­­______ gehört. Der Sachverständige ist zu dem Ergebnis gekommen, dass bei dem Versich­erten im hier maßgeblichen Behandlungszeitraum im Vordergrund eine Alkoholabhängigkeit gegenüber einer allenfalls leichten bis mittelschweren depressiven Symptomatik bestanden habe. Nach den vorliegenden medizinischen Befunden sei dabei eine stationäre psychiatrisch-psychosomatisch-psychotherapeutische Behandlung nicht zwingend erforderlich gewesen, sondern eine stationäre Suchtbehandlung in Form einer Entwöhnungstherapie (Gutachten vom 9. März 2016 nebst ergänzender Stellungnahme vom 12. Januar 2017).

 

Im Anschluss hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 8. Februar 2018 abgewiesen. Die Beklagte habe die abgerechnete Kran­kenhausbe­handlung zu Recht mit anderen Forderungen der Klägerin verrechnet. Mit dem gehörten Sachverständigen ist dabei die Kammer davon ausgegangen, dass bei dem Versicherten das Erkrankungsbild einer Alkoholabhängigkeit im Vordergrund gestanden habe und zunächst hätte behandelt werden müssen. Insofern sei bezogen auf die tatsächlich durchgeführte (psychotherapeutisch ausgerichtete) Behandlung auch von einer primären Fehlbelegung auszugehen.

 

Gegen den Gerichtsbescheid (zugestellt am 21. Februar 2018) wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung vom 21. März 2018. Ergänzend macht sie geltend, die Vorinstanz habe verkannt, dass sogar der gehörte Sachverständige im Fall des Versicherten von einer Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit – wenn auch in Form einer stationären Suchtbehandlung – ausgegangen sei. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung seien bei einer solchen Konstellation von der beklagten KK zumindest die entsprechenden Behandlungskosten zu erstatten. Unabhängig davon wiesen die Ausführungen des Sachverständigen gravierende Fehler auf und ließen nicht erkennen, auf welche Leitlinien oder wissenschaftlich-medizinische Literatur er sich dabei gestützt habe. Im Übrigen seien die beiden stationären Aufenthalte des Versicherten im H_____ Klinikum vom 23. No­vember 2010 bis 14. Januar 2011 (Allgemeine Psychiatrie und Psychotherapie) und vom 22. Februar 2011 bis 16. Mai 2011 (Bereich Psychosomatische Medizin und Psychotherapie) voneinander zu trennen. Der erste Aufenthalt habe vor allem die Behandlung der Alkoholerkrankung und die Entwöhnung zum Ziel gehabt; demgegenüber habe während des zweiten Aufenthalts die Behandlung der depressiven Episode im Vordergrund gestanden. Dabei ergebe sich die Indikation zu der zweiten stationären Aufnahme des Versicherten aus den beiden vorliegenden Entlassungsberichten sowie einer ergänzenden ärztlichen Stellungnahme vom 10. Juli 2012. 

 

 

Die Klägerin beantragt,                                  

 

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Schleswig vom 8. Februar 2018 auf­zuheben und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 18.222,56 Euro nebst Zinsen in Höhe von zwei Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 15. Juni 2012 zu zahlen.

 

Die Beklagte beantragt,

 

                         die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und weist zusammengefasst darauf hin, dass sich aus den vorgelegten Patientenunterlagen keine Symptome oder Beschwerden des Versicherten ergäben, die die Annahme einer weiteren Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit nach dem ersten stationären Aufenthalt rechtfertigen könnten.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts­akte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Die Akten sind Gegenstand der münd­lichen Verhandlung gewesen.

 

 

 

Entscheidungsgründe

 

Die Berufung der Klägerin ist zulässig, aber unbegründet. Das SG hat ihre Klage zu Recht abgewiesen.

 

1. Die (vorliegend im Gleichordnungsverhältnis erhobene und damit nach stRspr) statthafte und auch im Übrigen zulässige Leistungsklage (§ 54 Abs 5 SGG) kann – wie das SG zutreffend erkannt hat – in der Sache keinen Erfolg haben. Der ursprünglich gegenüber der Beklagten entstandene Anspruch der Klägerin auf die Vergütung von Krankenhausbehandlung für andere Versicherte (dazu 2.) ist dadurch in Höhe der hier streitbefangenen Forderung erloschen, dass die KK wirksam mit ihrem Erstattungsanspruch wegen der Zahlung der Vergütung für die Krankenhausbehandlung des Versicherten aufgerechnet hat (dazu 3.). Maßgeblich ist insoweit, dass der Klägerin wegen der zurückliegenden stationären Behandlung des Versicherten kein Vergütungsanspruch zusteht. Ein derartiger Anspruch ergibt sich auch nicht aus anderen Gründen (dazu 4.).

 

2. Zunächst ist zwischen den Verfahrensbeteiligten nicht streitig, dass die Klägerin wegen der stationären Behandlung anderer Versicherter der Beklagten Anspruch auf die dafür abge­rech­nete Vergütung im Umfang der hier geltend gemachten Klagforderung über 18.222,56 Euro gehabt hat; eine nähere Prüfung dieser Vergü­tungsforderungen erübrigt sich daher (vgl zur Zulässigkeit dieses Vorgehens ua Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 19. No­vember 2019 – B 1 KR 33/18 R – juris Rn 8 mwN)

 

3. Allerdings hat die Beklagte diese Vergütungsforderung vorliegend da­durch erfüllt, dass sie mit einem aus der streitbefangenen stationären Behandlung des Ver­sich­erten V____ E____ resultierenden Erstattungsanspruch nach § 69 Abs 1 Satz 3 SGB V iVm den §§ 387 ff des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) wirksam aufgerechnet hat. So hat die Beklagte für die stationäre Behandlung des Versicherten in der Zeit vom 22. Februar 2011 bis 16. Mai 2011 die von der Klägerin geforderte Vergütung iHv 18.222,56 Euro ohne Rechtsgrund gezahlt, weil für die im H_____ Klinikum erbrachten Leistungen mangels einer Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit des Versicherten kein Vergütungsanspruch bestanden hat (dazu a bis d). Damit hat der Beklagten hier auch eine aufrechenbare Gegenforderung zugestanden.

 

a) Rechtsgrundlage für die von der Klägerin wegen der stationären Behandlung des Versicher­ten V____ E_____ vom 22. Februar 2011 bis 16. Mai 2011 geltend gemachten Vergütungsforderung ist § 109 Abs 4 Satz 3 SGB V iVm § 7 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) und § 17b Kranken­haus­finan­zierungsgesetz (KHG). In diesen Vorschriften hat der Gesetzgeber die Höhe der Vergütung der zugelassenen Krankenhäuser bei stationärer Behandlung gesetzlich Kranken­versicherter geregelt und dabei das Bestehen des Vergütungsanspruchs als Gegen­leistung für die Erfüllung der Pflicht des zugelassenen Krankenhauses, erforderliche Krankenhausbe­handlung nach § 39 SGB V zu gewähren, dem Grunde nach als Selbstverständlichkeit voraus­gesetzt. Der Anspruch wird auf Bun­desebene durch Normsetzungsverträge (Normen­verträge, Fallpauschalenvereinba­rungen <FPV>) konkretisiert. Der Spitzenverband Bund der KKn und der Verband der privaten Krankenversicherung gemeinsam vereinbaren nach § 9 Abs 1 Satz 1 Nr 1 KHEntgG mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft als "Vertragsparteien auf Bun­desebene" mit Wirkung für die Vertragsparteien nach § 11 KHEntgG einen Fallpauschalen-Katalog einschließlich der Be­wertungsrelationen sowie Regelungen zur Grenzverweildauer und der in Abhängigkeit von diesen zusätzlich zu zahlenden Entgelten oder vorzunehmenden Abschlägen. Ferner vereinba­ren sie insoweit Abrechnungsbestimmungen in den FPV auf der Grundlage des § 9 Abs 1 Satz 1 Nr 3 KHEntgG (vgl zu alledem BSG, Urteil vom 8. November 2011 – B 1 KR 8/11 R – juris; stRspr). Maßgebend für die Behandlung des Versicherten V____ E____ ist vorliegend die FPV 2011.

 

b) Das SG ist in dem hier angefochtenen Gerichtsbescheid zutreffend davon ausge­gan­gen, dass die Klägerin vorliegend aber schon nicht die Grundvoraussetzungen eines Anspruchs auf Krankenhausvergü­tung durch die vollstationäre Behandlung des Versicherten V____ E_____ erfüllt hat. Dabei entsteht die Zahlungs­verpflichtung einer KK – unabhängig von einer Kostenzusage – un­mittelbar mit Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten kraft Gesetzes, wenn die Versor­gung – wie hier – in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und iSv § 39 Abs 1 Satz 2 SGB V erforderlich und wirtschaftlich ist (hierzu auch BSG aaO; ebenfalls stRspr). Entgegen der Annahme der Klägerin ist die stationäre Behandlung der psychiatrischen Erkrankung des Versicherten aber nicht idS erforderlich gewesen.

 

aa) Ob und ggf in welchem Umfang die stationäre Behandlung eines Versicherten iS der vorangestellt dargelegten Vorgaben erforder­lich ist, ist nach der sozialgerichtlichen Recht­sprechung vor dem Hintergrund des Beschlusses des Großen Senats am BSG (Beschluss vom 25. September 2007 – GS 1/06GesR 2008, 83) von der KK und im Streitfall von den Gerichten selbstständig zu prüfen und zu entscheiden, ohne dass den behandelnden Kranken­hausärzten dabei eine Einschätzungsprärogative zu­kommt. Zu klären ist bei der Kran­kenhaus­behand­lungs­bedürftigkeit, ob nach den objektiven medizinischen Befunden und wissenschaft­lichen Erkenntnissen zum Zeitpunkt der stationären Behandlung und dem damals verfügbaren Wissens- und Kenntnisstand des Krankenhausarztes
– ex ante – eine medizinische Behand­lung mit den besonderen Mitteln eines Krankenhauses erfor­derlich gewesen ist, die stationäre Aufnahme des Versicherten also den medizinischen Richtlinien, Leitlinien und Standards entsprochen und nicht im Widerspruch zur allgemeinen oder beson­deren ärztlichen Erfahrung gestanden hat (vgl hierzu BSG, Urteil vom 22. April 2009 – BRa 3 KR 24/07 R – juris mwN).

 

bb) Besonders problematisch kann dabei die grundsätzliche Abgrenzung zwischen stationär und ambulant im Bereich der psychiatrischen Erkrankungen sein. Denn Versicherte mit einem schweren psychiatrischen Leiden haben nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung Anspruch auf stationäre Krankenhausbehandlung, wenn nur auf diese Weise ein erforderlicher komplexer Behandlungsansatz durch das Zusammenwirken eines multiprofessionellen Teams unter fachärztlicher Leitung Erfolg versprechend verwirklicht werden kann (vgl hierzu BSG, Urteil vom 16. Februar 2005 – B 1 KR 18/03 R – juris mwN).  Maßgeblich ist dafür, dass vor allem bei psychiatrischen Behandlungen der Einsatz von krankenhausspezifischen Gerätschaften in den Hintergrund treten und allein schon die Notwendigkeit des kombinierten Einsatzes von Ärzten, therapeutischen Hilfskräften und Pflegepersonal sowie die Art der Medikation die Möglichkeit einer ambulanten Behandlung ausschließen und eine (teil-)stationäre Behandlung erforderlich machen kann (vgl hierzu BSG, Urteil vom 10. April 2008 – B 3 KR 19/05 – juris).

 

cc) Zusammengefasst folgt daraus, dass die Beurteilung der Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit durch den verantwortlichen Krankenhausarzt (nach der ausdrücklichen Regelung in § 39 Abs 1 Satz 2 SGB V) in einem Abrechnungsstreit zwischen Krankenhausträger und KK immer daraufhin zu überprüfen ist, ob nach den objektiven medizinischen Befunden und wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Zeitpunkt der Behandlung und dem damals verfügbaren Wissens- und Kenntnisstand des Krankenhausarztes – ex ante – eine Krankenhausbehandlung erforderlich gewesen ist, seine Beurteilung also den medizinischen Richtlinien, Leitlinien und Standards entsprochen und nicht im Widerspruch zur allgemeinen oder besonderen ärztlichen Erfahrung gestanden hat. Das gilt sowohl für die erstmalige Beurteilung der Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit als auch für die jeweiligen Folgeentscheidungen, wenn es um die Verlängerung eines Krankenhausaufenthaltes geht, wobei sich der Wissens- und Kenntnisstand des Krankenhausarztes im Laufe einer Krankenhausbehandlung naturgemäß verändern wird. Vor allem bei der erstmaligen Beurteilung der Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit ist jedoch zu beachten, dass der Krankenhausarzt eine (medizinische) Prognose abgeben muss, er also eine konkrete Diagnose stellen und dabei zukunftsorientiert zu beurteilen hat, ob die besonderen Mittel eines Krankenhauses erforderlich sind, um eine Krankheit zu erkennen, sie zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern (so ausdrücklich BSG, Urteil vom 10. April 2008 – B 3 KR 19/05 R – juris Rn 39).

 

c) Bei Berücksichtigung dieser Maßgaben kann aber nicht davon ausgegangen werden, dass für die psychiatrische Behandlung des Versicherten V_____ E____ vom 22. Februar 2011 bis 16. Mai 2011 die besonderen Mittel eines Krankenhauses erforderlich gewesen sind. Insbesondere lässt sich die (weitere) stationäre Aufnahme des Versicherten nicht mit der im Behandlungszeitraum gültigen S3-Leitlinie „Unipolare Depression“ von November 2009 in Übereinstimmung bringen.

 

aa) Nach den Darlegungen der Klägerin soll bei dem Versicherten V_____ E____ schon im Zeitraum der ersten – hier aber nicht streitbefangenen – stationären Behandlung im H____ Klinikum (vom 23. November 2010 bis 14. Januar 2011) die Indikation für eine Fortsetzung der Krankenhausbehandlung in Form einer vorwiegend psychosomatisch/psy­cho­therapeutisch ausgerichteten Therapie bestanden haben. Allerdings kann die Klägerin weder den Krankenhausarzt benennen, der insoweit nach § 39 Abs 1 Satz 2 SGB V („<…> wenn die Aufnahme <…> nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist <...>“) über die (weitere) Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit des Versicherten entschieden hat, noch hat sie zu der nach dem Gesetzeswortlaut durchzuführenden Prüfung über die Erforderlichkeit einer stationären Folgebehandlung dokumentierte Unterlagen aus der Patientenakte vorlegen können. Insoweit kann der Senat die Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit hinsichtlich der weiteren – hier alleine streitbefangenen – stationären Behandlung des Versicherten im H_____ Klinikum (vom 22. Februar 2011 bis 16. Mai 2011) im Wesentlichen zunächst nur anhand der objektiven medizinischen Befunde bewerten, die sich aus den entsprechenden (und auch zur Gerichtsakte gereichten) Behandlungsunterlagen über die erste stationäre Behandlung vom 23. November 2010 bis 14. Ja­nuar 2011 ergeben.

 

In dem Zeitraum der ersten stationären Behandlung hat bei dem Versicherten nach den vorgelegten Behandlungsunterlagen eine mittelgradige rezidivierende Depression (ICD 10 = F33.1) und eine Alkoholabhängigkeit (ICD 10 = F10.2) bestanden. Eine kombinierte Persönlichkeitsstörung haben die den Versicherten während des ersten stationären Aufenthalts im H_____ Klinikum behandelnden Fachärzte hingegen nicht erkennen können. Im Übrigen ist der Versicherte nicht den ganzen Zeitraum über vollstationär behandelt worden; vielmehr ist insoweit vom 9. De­zember 2010 bis 14. Januar 2011 lediglich eine teilstationäre Behandlung erforderlich gewesen. Bei der Entlassung aus dem Klinikum Mitte Januar 2011 ist dem Versicherten zudem ausdrücklich eine ambulante (und keine stationäre) Weiterbehandlung in Form einer Psychotherapie empfohlen worden. Aus alledem schließt der Sachverständige S1________ überzeugend, dass vor diesem Hintergrund der Hinweis in dem ärztlichen Bericht des H_____ Klinikums vom 26. Januar 2011 – wonach der Versicherte „im Vorfeld Kontakt zur Klinik für Psychotherapeutische Medizin aufgenommen“ habe und dort „die klare Indikation für eine stat. Psychotherapie“ gesehen worden sei – nicht nachvollziehbar ist.

 

Bestätigt wird diese Einschätzung des Sachverständigen vorliegend durch die im Behandlungszeitraum (seit 2009) gültige S3-Leitlinie „Unipolare Depression“. Danach bestehen bei der psychiatrischen Behandlung depressiver Störungen folgende Schnittstellen: Bei leichten bis mittelschweren depressiven Störungen kann eine alleinige ambulante Behandlung nach lege artis durchgeführter somatischer, psychopathologischer und psychologischer Diagnostik, von allen relevanten Behandlungsgruppen – dh Haus- oder Fachärzten für Psychiatrie und Psychotherapie sowie für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie oder Nervenärzte, Ärzten mit dem Zusatztitel Psychotherapie und Psychoanalyse oder Psychologischen Psychotherapeuten – erfolgen. Bei hausärztlicher Behandlung ist nach spätestens sechs Wochen bei nicht ausreichender Besserung die Konsultation bei einem Facharzt oder einem Ärztlichen bzw Psychologischen Psychotherapeuten zu erwägen. Bei psychotherapeutischer Behandlung ist bei fehlender Besserung nach spätestens drei Monaten die Konsultation eines Facharztes zu empfehlen. Empfohlen wird die Überweisung oder Mitbehandlung durch einen Fach- bzw Nervenarzt insbesondere bei einer schweren Symptomatik oder einer Komorbidität der depressiven Störung mit einer anderen schweren psychischen Störung. Erst bei der Notwendigkeit zur Be­handlung durch ein multiprofessionelles Team soll eine Überweisung zu einer psychiatrischen Institutsambulanz (PIA), wo komplexe Behandlungsprogramme vorgehalten werden, geprüft werden (vgl hierzu die S3-Leitlinie „Unipolare Depression“ vom November 2009 auf Seite 86). Ergänzend dazu sieht die hier einschlägige und seit dem 1. Juli 2010 gültige Vereinbarung zu Psychiatrischen Institutsambulanzen gemäß § 118 Abs 2 SGB V in der Anlage 1 als (eines von mehreren) Einschlusskriterium für die Behandlung Erwachsener in einer PIA ua vor, dass bei dem Patienten entweder eine schwere depressive Episode mit oder ohne psychotische Symptome (ICD 10 = F32.2 sowie F32.3) bzw eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode, mit oder ohne psychotische Symptome (ICD 10 = F33.2 sowie F33.3) besteht (vgl hierzu die Anlage 1 zu der entsprechenden Vereinbarung nach § 118 Abs 2 SGB V vom 30. April 2010).   

 

Deutlich wird an den vorangestellten Ausführungen, dass die Behandlung leichter bis mittelschwerer depressiver Störungen – zumindest in dem hier zu berücksichtigenden Zeitraum – re­gelhaft in der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung erfolgt. Das gilt selbst dann, wenn zu deren Behandlung komplexe (und im Bereich der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung häufig nicht vorhandene) Behandlungsprogramme durch ein multiprofessionelles Team in einer PIA nach § 118 SGB V erforderlich sind. Maßgeblich ist insoweit aus Sicht des Senats, dass es sich bei derartigen Institutsambulanzen um „ermächtigte Einrichtungen“ iS von § 95 Abs 1 Satz 1 SGB V handelt, die nach dem Gesetzeswortlaut ausdrücklich an der vertragsärztlichen und damit an der ambulanten Versorgung der Versicherten teilnehmen.

 

Im Übrigen zeigt die Einführung der ambulanten Komplexversorgung zum 1. Oktober 2022 (vgl hierzu die Regelung in § 92 Abs 6b SGB V sowie die daraufhin erlassene Richtlinie „Koordinierte Versorgung schwer psychisch Kranker“ <KSVPsych-RL> des G-BA vom 2. September 2021), dass sich an dem Umstand – leichte bis mittelschwere depressive Störungen werden regelhaft in der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung behandelt – seit der S3-Leitlinie „Unipolare Depression“ von 2009 nichts Wesentliches geändert hat. So richtet sich das neue Versorgungsangebot im SGB V insbesondere an „schwer psychisch erkrankte Versicherte“ mit einem komplexen ärztlichen wie therapeutischen Be­handlungsbedarf und bezieht dabei auch Hilfen mit ein, wenn die Patienten er­kran­kungs­bedingt zwischen der ambulanten und der stationären Versorgung hin und her wechseln (vgl hierzu die Vorgaben in § 11 der KSVPsych-RL zur Erleichterung des Sektorenübergangs). Eine entsprechende Regelung für Erkrankte mit einer leichten bis mittelschweren depressiven Störung besteht hingegen nicht. Unabhängig davon kommt auch nach der aktuell gültigen VersorgungsLeitlinie „Unipolare Depression“ – die der Senat bei seiner Entscheidung noch nicht hat berücksichtigen können und auf die deshalb nur ergänzend hingewiesen wird – eine stationäre Behandlung psychisch Erkrankter weiterhin nur unter bestimmten Voraussetzungen in Betracht: Zwar bestehen danach „neben eindeutigen Notfallindikationen, die mit akuter Lebensgefahr einhergehen, (…) weitere Indikationen, bei denen eine stationäre Behandlung hilfreich sein kann, aber nicht zwingend notwendig ist.“ Das ist aber erst dann der Fall, „wenn eine ambulante Behandlung nicht die in der individuellen Situation erforderliche multidisziplinäre und engmaschige Betreuung gewährleisten kann, um eine (weitere) Dekompensation hin zur Notfallsituation zu verhindern.“ Daneben können „auch schwerwiegende psychosoziale Faktoren können Anlass sein, eine stationäre Einweisung zu prüfen, beispielsweise wenn die äußeren Lebensumstände (z. B. massive familiäre Konflikte, häusliche Gewalt, drohender Verlust von Arbeitsplatz und Wohnung) eine weitere psychische Destabilisierung zur Folge haben und den Erfolg einer ambulanten Behandlung massiv behindern oder wenn die Gefahr einer depressionsbedingten Isolation besteht“ (vgl hierzu die Nationale VersorgungsLeitlinie „Unipolare Depression“ vom 29. September 2022 auf Seite 208).

 

Hinzu kommt, dass nach der mittlerweile ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung ein Krankenhaus in Fällen, in denen – wie hier bei einer „nur“ mittelschweren depressiven Störung des Versicherten – regelhaft eine ambulante Behandlung ausreichend ist, Angaben zu Begleiterkrankungen oder zu sonstigen Grün­den machen muss, die Anlass für die stationäre Versorgung der Versicherten gegeben haben, um die Anspruchsvoraussetzung der "Erforderlichkeit" der Krankenhausbehandlung zu belegen. Ohne solche Angaben darüber, warum ausnahmsweise eine stationäre Behandlung erforderlich ist, fehlen Informationen über den "Grund der Aufnahme" und damit eine der zentralen Angaben, die eine KK für die ordnungsgemäße Abrechnungsprüfung benötigt (vgl hierzu BSG, Urteil vom 23. Juni 2015 – B 1 KR 26/14 R – juris mwN). Nach den Angaben der Klägerin (vgl hierzu den Schriftsatz vom 16. November 2021) ist die weitere stationäre Aufnahme des Versicherten V_____ E_____ vom 22. Februar 2011 bis 16. Mai 2011 aber nicht auf eine Be­gleiterkrankung oder andere Gründe außerhalb oder neben seiner psychiatrischen Erkrankung zurückzuführen, sondern ua auf den im (ersten) Entlassungsbericht vom 26. Januar 2011 dargelegten psychopathologischen Befund des Patienten, aus dem sich aber nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen S1______ kein Anhaltspunkt für das Vorliegen eines schweren psychiatrischen Leidens – das uU eine stationäre Krankenhausbehandlung erforderlich gemacht hätte – ergibt.

 

bb) Nach den weiteren Darlegungen der Klägerin soll bei dem Versicherten V_____ E____ aber spätestens im Zeitraum der zweiten stationären Behandlung im H_____ Klinikum (vom 22. Februar 2011 bis 16. Mai 2011) die Indikation für eine Fortsetzung der Krankenhausbehandlung in Form einer vorwiegend psychosomatisch/psychotherapeutisch ausgerichteten Therapie bestanden haben. Zwischen dem ersten und dem zweiten stationären Aufenthalt sei es zu einer Dekompensation der depressiven Erkrankung des Patienten gekommen, sodass die zunehmende Schwere der Symptomatik dessen weitere Behandlung in einem Krankenhaus gerechtfertigt habe. Außerdem sei zu der psychiatrischen Erkrankung des Versicherten eine schwere und damit kombinierte Persönlichkeitsstörung hinzugetreten, die einer ambulanten oder teilstationären Behandlung entgegengestanden habe. Daneben sei es aus mehreren Gründen erforderlich gewesen, den Versicherten aus seinem damaligen sozialen Umfeld herauszunehmen.

 

Tatsächlich hat bei dem Versicherten im Zeitraum der zweiten stationären Behandlung nach den vorgelegten Behandlungsunterlagen weiterhin eine mittelgradige rezidivierende Depression (ICD 10 = F33.1) sowie eine Alkoholabhängigkeit (ICD 10 = F10.2) und darüber hinaus eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit emotional instabilen und narzisstischen Zügen (ICD 10 = F61) diagnostiziert werden können. Ferner ist der Versicherte den gesamten (zweiten) Zeitraum über vollstationär behandelt worden. Auch vor diesem Hintergrund kommt der gehörte Sachverständige S1_______ jedoch überzeugend zu dem Ergebnis, dass insoweit keine psychotherapeutisch ausgerichtete Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit bestanden hat; insbesondere – so der Sachverständige – hat bei dem Versicherten keine schwere (eine stationäre Behandlung uU rechtfertigende) psychiatrische Erkrankung bestanden.

 

Bestätigt wird diese Einschätzung des Sachverständigen bereits durch die vorgelegten Behandlungsunterlagen. Danach ist der Versicherte V_____ E_____ am 14. Januar 2011 aus der ersten stationären Behandlung im H_____ Klinikum mit der Diagnose einer mittelgradigen rezidivierenden Depression und der ausdrücklichen Empfehlung zu einer ambulanten psychotherapeutischen Weiterbehandlung entlassen worden. Auch bei der (Wieder-)Auf­nahme des Patienten zu der zweiten stationären Behandlung im H_____ Klinikum hat ausweislich der vorgelegten Unterlagen „nur“ eine „rez. depressive St., mittelgradig“ (vgl hierzu das Stammblatt FKSL aus den Behandlungsunterlagen) sowie bei dessen Entlassung am 16. Mai 2011 wiederum eine „rezidivierende depressive Störung, derzeit mittelgradige Episode“ (vgl hierzu den Arztbrief vom 29. Juli 2011 aus den Behandlungsunterlagen) vorgelegen. Zwar behauptet die Klägerin, dass es bei dem Versicherten zwischen der ersten und der zweiten stationären Behandlung zu einer Dekompensation (psychische Reaktion auf eine akute oder permanente Belastungssituation) gekommen sein soll; bis zuletzt ist aber unklar geblieben, welche besondere Belastungssituation des Versicherten die behauptete Dekompensation ausgelöst haben soll und weshalb gleichwohl bei der (Wieder-)Aufnahme des Patienten zu der zweiten stationären Behandlung lediglich eine mittelgradige rezidivierende depressive Störung festgestellt worden ist.

 

Unabhängig davon kann auch nach der im zweiten Behandlungszeitraum hier gültigen S3-Leitlinie „Unipolare Depression“ nicht von einer schweren depressiven Erkrankung des Versicherten ausgegangen werden. Ausweislich der Leitlinie ist die – bei dem Versicherten dem Grunde nach diagnostizierte – rezidivierende depressive Störung in leichte, mittelschwere und schwere Episoden mit oder ohne psychotische Symptome zu unterteilen gewesen. Der Schweregrad der Störung ist dabei anhand konkreter Haupt- (gedrückte, depressive Stimmung/Interessenverlust, Freudlosigkeit/Antriebsman­gel, erhöhte Ermüdbarkeit) und Zusatzkriterien (ua Gefühle von Schuld und Wertlosigkeit/Suizid­gedan­ken oder -handlungen/Schlafstörungen/verminderter Appetit) zu bestimmen gewesen (vgl hierzu die S3-Leitlinie „Unipolare Depression“ vom November 2009 auf den Seiten 62 bis 64). Bei der Anwendung dieser Kriterien zeigt sich, dass der Sachverständige S1_______ zutreffend von einer allenfalls mittelgradigen depressiven Erkrankung des Versicherten V____ E____ auch während des zweiten stationären Behandlungszeitraums ausgegangen ist. So hat der Versicherte bei der Aufnahme am 22. Februar 2011 zwar eine gedrückte, depressive Stimmung (hier: in Form von Lustlosigkeit und dem Gefühl, keine Fähigkeit zum Leben zu haben) sowie einen Antriebsmangel mit erhöhter Ermüdbarkeit beschrieben (vgl hierzu die Seite 2 des Arztbriefs vom 29. Juli 2011 aus den Behandlungsunterlagen). Damit haben zu diesem Zeitpunkt aber nur zwei von drei Hauptsymptomen einer rezidivierenden depressiven Störung vorgelegen, was nach der S3-Leitlinie bereits die Einstufung als eine „schwere Episode“ ausschließt. Außerdem hat der Versicherte bei der Aufnahme am 22. Februar 2011 lediglich noch zwei Zusatzsymptome beschrieben (hier: in Form von Schuldgefühlen und Schlafstörungen), sodass im Ergebnis zu diesem Zeitpunkt nach den Kriterien der S3-Leitlinie sogar „nur“ der Schweregrad einer leichten depressiven Episode vorgelegen hat.

 

Wie bereits vorangestellt ausgeführt, erfolgt die Behandlung leichter bis mittelschwerer depressiver Störungen aber re­gelhaft in der ambulanten Versorgung. Das gilt im Übrigen selbst dann, wenn es sich dabei (wie von der Klägerin vorliegend aufgrund einer nicht belegten Dekompensation behauptet) um eine schwere Symptomatik handelt oder (wie bei dem Versicherten tatsächlich diagnostiziert) eine Komorbidität mit einer anderen psychischen Störung (zB einer Persönlichkeitsstörung mit emotional instabilen und narzisstischen Zügen) besteht. Die Indikation zu einer psychiatrisch-psychotherapeutischen stationären Behandlung kann demgegenüber erst angenom­men werden bei der Gefahr der depressionsbedingten Isolation und anderen schwer­wie­genden psychosozialen Faktoren, bei den Therapieerfolg massiv behindernden äußeren Lebensumständen, bei einer Therapieresistenz gegenüber ambulanten Therapien und bei der starken Gefahr einer (weiteren) Chronifizierung sowie bei so schweren Krankheitsbildern, dass die ambulanten Therapiemöglichkeiten nicht ausreichen (vgl zu alledem die S3-Leitlinie „Unipolare Depression“ vom November 2009 auf den Seiten 86 und 87). Anhaltspunkte dafür, dass bei dem Versicherten V______ E_____ eine dieser Indikationen im Zeitraum der zweiten stationären Behandlung im H_____ Klinikum vorgelegen haben könnte, lassen sich den vorgelegten Behandlungsunterlagen aber nicht entnehmen. Danach hat bei ihm – wie dargelegt – weder ein besonders schweres Krankheitsbild bestanden noch sind bei ihm Anzeichen für eine Chronifizierung oder eine Therapieresistenz gegenüber einer ambulanten Behandlung ersichtlich gewesen. Vielmehr ist im Anschluss an den ersten stationären Aufenthalt des Versicherten eine Weiterbehandlung in Form einer ambulanten Psychotherapie ausdrücklich von den behandelnden Ärzten einer anderen (Fach-)Abteilung des H_____ Klinikums angeraten worden. Ebenso wenig lassen sich den vorgelegten Behandlungsunterlagen Anzeichen für eine depressionsbedingte Isolation des Versicherten oder den Therapieerfolg massiv behindernde äußere Lebensumstände entnehmen. Ergänzend ist insoweit zu berücksichtigen, dass die äußeren Lebensumstände bzw das soziale Umfeld des Versicherten schon während der ersten stationären Behandlung in Form einer problematischen Beziehung zu einer Tochter erfolgreich thematisiert werden konnten (vgl hierzu die letzte Seite des Arztbriefs vom 26. Ja­nuar 2011 aus den Behandlungsunterlagen). Außerdem hatte der Versicherte bereits vor Aufnahme der beiden stationären Behandlungen begonnen, sich aus dem Rockermilieu zu lösen (vgl hierzu die Seiten 2/3 des Arztbriefs vom 29. Juli 2011 aus den Behandlungsunterlagen). Von daher kann der Senat insgesamt auch kein zwingendes Erfordernis dafür erkennen, den Versicherten während der zweiten stationären Behandlung aus seinem damaligen sozialen Umfeld herausnehmen zu müssen. 

 

Insoweit gilt auch an dieser Stelle, dass ein Krankenhaus in den Fällen, in denen – wie hier – regelhaft eine ambulante Behandlung ausreichend gewesen ist, Angaben zu Begleiterkrankungen oder zu sonstigen Gründen machen muss, die Anlass für die stationäre Versorgung der Versicherten gegeben haben, um die Anspruchsvoraussetzung der "Erforderlichkeit" der Krankenhausbehandlung zu belegen. Ohne solche Angaben darüber, warum ausnahmsweise eine stationäre Behandlung erforderlich ist, fehlen Informationen über den "Grund der Aufnahme" und damit eine der zentralen Angaben, die eine KK für die ordnungsgemäße Abrechnungsprüfung benötigt (vgl hierzu BSG, Urteil vom 23. Juni 2015 – B 1 KR 26/14 R – juris mwN). Nach den Angaben der Klägerin (vgl hierzu den Schriftsatz vom 16. November 2021) ist die weitere stationäre Aufnahme des Versicherten V_____ E____ vom 22. Februar 2011 bis 16. Mai 2011 aber nicht auf eine Begleiterkrankung oder andere Gründe außerhalb oder neben seiner psychiatrischen Erkrankung zurückzuführen, sondern auf den in den beiden vorliegenden Entlassungsberichten sowie dem ergänzenden Schreiben des behandelnden Arztes vom 10. Juli 2012 dargelegten psychopathologischen Befund des Patienten, aus denen sich aber nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen S1______ auch in dieser Kombination kein Anhaltspunkt für das Vorliegen eines schweren psychiatrischen Leidens – das uU eine stationäre Krankenhausbehandlung erforderlich gemacht hätte – ergibt.

 

d) Schließlich folgt ein Vergütungsanspruch zugunsten der Klägerin für die zweite stationäre Behandlung des Versicherten V____ E_____ auch nicht aus anderen Gesichtspunkten heraus. Zwar ist es ohne Zweifel erforderlich gewesen, den Versicherten in diesem Zeitraum ambulant weiter psychotherapeutisch zu behandeln; die Voraussetzungen für einen Vergütungsanspruch nach den höchstrichterlich entwickelten Grund­sätzen des fiktiven wirtschaftlichen Alternativverhaltens liegen hier aber nicht vor.

 

aa) Zur Klarstellung weist der Senat zunächst darauf hin, dass aus dem Umstand, dass der gehörte Sachverständige anstelle einer stationären Psychotherapie von der Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit für eine stationäre Suchttherapie in Form einer Entwöhnungsbehandlung ausgegangen ist, sich kein bereicherungsrechtlicher Vergütungsanspruch zugunsten der Klägerin (mehr) ergibt. An der entsprechenden Rechtsprechung des 3. Senats am BSG (vgl hierzu BSG, Urteil vom 4. März 2004 – B 3 KR 4/03 R – juris) hat der mittlerweile allein zuständige 1. Senat am BSG nicht länger festgehalten (vgl hierzu BSG, Urteil vom 17. November 2015 – B 1 KR 12/15 R – juris Rn 23 mwN)

 

bb) Aber auch nach den Grundsätzen des fiktiven wirtschaftlichen Alternativverhaltens steht der Klägerin kein weiterer Vergütungsanspruch für die stationäre Behandlung des Versicherten V_____ E_____ zu.

 

aaa) Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung kann selbst bei einer – wie hier – unwirtschaftlichen (weil vollstationär nicht erforderlichen) Krankenhausbehandlung noch ein Vergütungsanspruch zugunsten des Krankenhausträgers in dem Umfang bestehen, der bei einem fiktiven wirtschaftlichen Alternativverhalten angefallen wäre. Das gilt sowohl für das Verhältnis von vollstationärer oder stationsäquivalenter zu teilstationärer Krankenhausbehandlung als auch für das Verhältnis von stationärer zu ambulanter Krankenhausbehandlung. In Betracht kommt eine derartige Alternativabrechnung aber nur dann, wenn die beiden Behandlungsmöglichkeiten in dem konkreten Behandlungsfall zur Erreichung des Behandlungsziels auch gleichermaßen geeignet und zweckmäßig waren. Daneben setzt eine Abrechnung auf der Grundlage eines fiktiven wirtschaftlichen Alternativverhaltens voraus, dass das Krankenhaus berechtigt gewesen wäre, die fiktive wirtschaftliche Leistung selbst zu erbringen und unmittelbar gegenüber der Krankenkasse abzurechnen. Hintergrund ist, dass eine derartige Alternativabrechnung im Ergebnis nicht dazu führen darf, dass das Krankenhaus außerhalb seines Versorgungsauftrags tätig wird oder das zwingende Vorgaben des Leistungserbringerrechts unterlaufen werden (vgl zu alledem BSG, Urteil vom 26. April 2022 – B 1 KR 5/21 R – juris Rn 16 ff mwN).

 

bbb) Bei Berücksichtigung dieser Maßgaben kommt eine Vergütung der Klägerin anhand einer fiktiven Abrechnung der aus Sicht des gehörten Sachverständigen S1______ bei dem Versicherten im Zeitraum der zweiten stationären Behandlung erforderlichen stationären Suchtbehandlung in Form einer Entwöhnungstherapie nicht in Betracht. Eine derartige Entzugsbehandlung ist (wie die Klägerin im Schriftsatz vom 16. November 2021 zutreffend dargelegt hat) vor allem auf die Behandlung einer Alkoholerkrankung ausgerichtet und zielt auf eine Alkohol­entwöhnung des betroffenen Patienten ab (vgl hierzu auch das Urteil des erkennenden Senats vom 25. Januar 2022 – L 10 KR 128/17 – juris). Demgegenüber steht bei einer stationären Psychotherapie die gezielte Behandlung der psychiatrischen Erkrankung eines Patienten im Vordergrund. Insofern sind die beiden Behandlungsformen – ohne weiteres erkennbar – nicht auf dasselbe Behandlungsziel ausgerichtet und können daher schon dem Grunde nach nicht gleichermaßen geeignet und zweckmäßig iS einer fiktiven wirtschaftlichen Alternativabrechnung sein.

 

ccc) Die Klägerin ist abschließend aber auch nicht berechtigt gewesen, die zweite stationäre Behandlung des Versicherten V____ E______ ggf fiktiv selbst als ambulante psychiatrische Behandlung zu erbringen und gegenüber der Beklagten abzurechnen. Zwar verfügt die Klägerin über eine PIA und kann dort auch Patienten ambulant psychotherapeutisch therapieren und anschließend die idZ erbrachten Leistungen nach § 120 Abs 2 SGB V unmittelbar gegenüber den KKen abrechnen. Allerdings würde die Klägerin bei einer derartigen Alternativabrechnung zum einen außerhalb ihres Versorgungsauftrags nach § 39 Abs 1 Satz 3 SGB V tätig werden. Zum anderen können in den Institutsambulanzen nach § 118 SGB V (zur Vermeidung von Doppelstrukturen und damit auch zu möglichen Interessenkonflikten mit den niedergelassenen Vertragsärzten; vgl hierzu BT-Drucks 14/1977 auf Seite 168) nur solche Patienten ambulant behandelt werden, die „wegen ihrer Art, Schwere oder Dauer der Erkrankung der ambulanten Behandlung durch die Einrichtungen bedürfen“ (§ 118 Abs 2 Satz 2 SGB V). Diese Voraussetzung liegt hier nicht vor.

 

Zunächst teilt der Senat nicht die Auffassung der Revisionsinstanz, dass in die Prüfung des fiktiven wirtschaftlichen Alternativverhaltens – schnittstellenübergreifend – auch vertragsärztliche Ver­sorgungsformen (wie zB die Behandlung im Rahmen einer ambulanten Ermächtigung) einzubeziehen sind. Zur Begründung hat das BSG auf die zum 1. Januar 2020 neu gefasste Regelung in § 8 Abs 3 KHEntgG und der idZ abgegebenen Gesetzesbegründung abgestellt, wonach für den Fall, dass nach dem Ergebnis einer Prüfung nach § 275c Abs 1 SGB V eine vollstationäre Behandlungsbedürftigkeit nicht vorgelegen hat, die vom Krankenhaus erbrachten Leistungen nach den für vorstationäre Behandlungen nach § 115a SGB V getroffenen Vereinbarungen zu vergüten ist, soweit keine andere Möglichkeit zur Abrechnung der erbrachten Leistung besteht. Hieraus und aus dem Umstand, dass nach der Gesetzbegründung bestehende anderweitige Abrechnungsmöglichkeiten für die erbrachten Krankenhausleistungen (zB der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung nach § 116b SGB V) von dieser Neuregelung unberührt bleiben sollen, schließt das BSG, dass für den Fall, dass anstelle einer durchgeführten vollstationären Behandlung eine ambulante Behandlung ausreichend gewesen wäre, die Krankenkasse die erbrachten Leistungen auch ohne eine gesonderte gesetzliche Regelung so zu vergüten hat, als wären sie von dem Krankenhaus ambulant erbracht worden. Dieser Rückschluss ist aus Sicht des Senats aber nicht zwingend, weil der in § 39 Abs 1 Satz 3 SGB V geregelte und in § 8 KHEntgG aufgegriffene Begriff des Versorgungsauftrags der Krankenhäuser – der nach dem Gesetzeswortlaut ausdrücklich die me­dizinische Versorgung der Versicherten „im Krankenhaus“ betrifft – sich weiterhin nur auf die einzelnen Formen einer stationären Krankenhausbehandlung (also vollstationär, stationsäquivalent, teilstationär, vor- und nachstationär) bezieht (so im Ergebnis auch Wahl in: Engelmann/Schlegel, jurisPK-SGB V, 4. Aufl 2020, § 39 Rn 45 ff mwN). Die mit dem SGB V einhergehende Be­schränkung des (stationären) Versorgungsauftrags von Krankenhäusern aber kann ge­setzestechnisch nicht durch die Begründung zu einer Neuregelung im KHEntgG auf ambulante Behandlungsformen aus einem anderen (hier dem vertragsärztlichen) Versorgungsbereich erweitert werden. Daher geht der Senat auch anders als das BSG davon aus, dass die Abrechnungsmöglichkeit von Krankenhausleistungen auf der Grundlage eines fiktiven wirtschaftlichen Alternativverhaltens weiterhin nur innerhalb des gesetzlich nach § 39 Abs 1 Satz 3 SGB V zugewiesenen Versorgungsauftrags der Krankenhäuser in Form von stationären Krankenhausbehandlungen besteht und dementsprechend auf die einzelnen stationären Behandlungs­alternativen beschränkt ist.  

 

Unabhängig davon hat bei dem Versicherten V____ E_____ in dem Zeitraum der zweiten stationären Behandlung am H____ Klinikum aber auch keine psychiatrische Erkrankung in einem Umfang bestanden, die die (ambulante) Behandlung in einer PIA mit einem komplexen Behandlungsangebot in einem multiprofessionellen Team (vgl hierzu die S3-Leitlinie „Unipolare Depression“ vom November 2009 auf Seite 83 unten) gerechtfertigt hätte. Wie bereits vorangestellt dargelegt, sieht die hier einschlägige und seit dem 1. Juli 2010 gültige Vereinbarung zu Psychiatrischen Institutsambulanzen gemäß § 118 Abs 2 SGB V in der Anlage 1 als Einschlusskriterium für die Behandlung Erwachsener in einer PIA ua vor, dass bei dem Patienten insoweit entweder eine schwere depressive Episode mit oder ohne psychotische Symptome (ICD 10 = F32.2 sowie F32.3) bzw eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode, mit oder ohne psychotische Symptome (ICD 10 = F33.2 sowie F33.3) besteht (vgl hierzu die Anlage 1 zu der entsprechenden Vereinbarung nach § 118 Abs 2 SGB V vom 30. April 2010). Da nach den vorangestellten Ausführungen bei dem Versicherten in dem Behandlungszeitraum aber „nur“ eine leichte bis mittelschwere rezidivierende Depression bestanden hat, kann vorliegend von einer schweren psychiatrischen Erkrankung und damit im Ergebnis von einer ambulanten Behandlungs- und Abrechnungsberechtigung der Klägerin über die von ihr betriebene PIA nicht ausgegangen werden.  

 

Vor diesem Hintergrund hat die Berufung der Klägerin gegen das klagabweisende Urteil des SG insgesamt keinen Erfolg haben können.

 

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs 2 Verwal­tungsgerichtsordnung (VwGO).

 

Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) zugelassen.

 

Die Streitwertfestsetzung richtet sich nach § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm den §§ 47 Abs 1, 52 Abs 1 Gerichtskostengesetz (GKG) und orientiert sich an der in dem Verfah­ren geltend gemachten Vergütungsforderung.

Rechtskraft
Aus
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