Kaum ein anderes Thema erhitzt derzeit die Gemüter mehr als die durch Bundesgesundheitsminister Professor Karl Lauterbach einberufene Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung. Diese sogenannte Krankenhauskommission wurde im Mai 2022 eingerichtet und sollte Expertinnen und Experten aus der Versorgung (Pflege und Medizin), der Ökonomie sowie der Rechtswissenschaften durch einen an das Bundesgesundheitsministerium angebundenen Koordinator vereinen. Notwendige Reformen im Krankenhausbereich sollten dabei angegangen werden und das durch den Bundesgesundheitsminister erklärte Ziel war die Verringerung der im internationalen Vergleich überdurchschnittlich hohen Anzahl an vollstationären Behandlungen in Deutschland. In dem hochrangig besetzten Expertengremium finden sich überwiegend universitäre Vertreterinnen und Vertreter aus den Fachbereichen Notfall- und Intensivmedizin, Kinder- und Jugendmedizin sowie innere Medizin. Mittlerweile stehen drei Stellungnahmen zur Verfügung, die sich mit verschiedenen Themenbereichen beschäftigen. Die erste Stellungnahme fasst die Empfehlungen der Arbeitsgruppe Pädiatrie und Geburtshilfe für eine kurzfristige Reform der stationären Vergütung für Pädiatrie, Kinderchirurgie und Geburtshilfe zusammen. In der zweiten Stellungnahme ging es um Tagesbehandlungen im Krankenhaus zur kurzfristigen Entlastung der Krankenhäuser und des Gesundheitswesens. Spätestens bei der Lektüre der dritten Stellungnahme wird es dann allerdings auch für die Gefäßmedizin interessant: Die grundlegende Reform der Krankenhausvergütung. Hierin kritisiert die Expertenkommission die im Diagnosis-Related-Groups- (DRG-)System abgebildete, „rein leistungs- und mengenorientierte Vergütung“, die „erhebliche Fehlanreize“ erzeuge. Als Lösungsansatz, der wissenschaftlich begleitet werden müsse, wird eine Vorhaltefinanzierung beschrieben, die neben der leistungsabhängigen Vergütung an Versorgungslevel und Leistungsgruppen gekoppelt sei.

Die rein leistungs- und mengenorientierte Vergütung führe laut der Expertenkommission zu Fehlanreizen

Besonderer Knackpunkt und Zündstoff für kontroverse Diskussionen ist außerdem die geplante Definition „bundesweit einheitlicher und klar definierter Krankenhaus-Level“. Hierbei sollen Krankenhäuser in die Level I bis III eingeteilt werden, wobei das niedrigste Level für Einrichtungen der integrierten ambulant/stationären Versorgung (Level Ii) und das höchste Level für Maximalversorger (Level III) und die Universitätsmedizin (Level IIIu) vorgesehen sei [18]. Besonders spannend ist vor diesem Hintergrund die geforderte „enge Vernetzung der Krankenhäuser“ und die in der Universitätsmedizin beheimatete „Koordination der regionalen Versorgung und der Unterstützung der anderen Krankenhäuser über Zentren und Telemedizin“. Bei einem genaueren Blick auf die Beschreibung der Leistungsgruppen fällt außerdem auf, dass explizit gefäßchirurgische Leistungsbereiche definiert wurden. Mehr noch: Der nicht weiter spezifizierte Leistungsbereich „Bauchaortenaneurysma“ ist analog zur „Herzchirurgie“ und „minimalinvasiven Herzklappenintervention“ exklusiv dem höchsten Krankenhauslevel III zugeteilt worden.

Die schematische Berechnung und beispielhafte Erläuterung der Vorhaltung passt dabei allerdings nicht komplett zur Versorgungsrealität in Deutschland. Dort wird eine fiktive Leistungsgruppe mit je 500 Fällen an 160 Standorten beschrieben, die im Rahmen der stufenweisen Anpassung auf 100 Standorte mit je 800 Fällen reduziert werden.

Das Bauchaortenaneurysma soll exklusiv dem Level III zugeteilt werden

In Deutschland nehmen derzeit etwa 700 der insgesamt 2000 registrierten Krankenhäuser, darunter auch 36 Universitätskliniken (größtenteils mit eingegliederten oder eigenständigen Sektionen für Gefäßchirurgie) an der invasiven Behandlung peripherer Gefäßerkrankungen teil, wobei hierzulande mehr als 500 Krankenhäuser auch das Bauchaortenaneurysma invasiv behandeln [1,2,3]. Rein zahlenmäßig machen diese knapp 12.000 jährlichen Behandlungen des Bauchaortenaneurysmas im stationären Sektor, darunter etwas mehr als 1200 Rupturen, allerdings einen vergleichsweise geringen Anteil der alltäglichen gefäßmedizinischen Arbeitsbelastung aus: Etwa 35.000 Karotisrevaskularisationen und 300.000 periphere Revaskularisationen illustrieren das tatsächliche Leistungsgeschehen. Extern sektorenübergreifend qualitätsgesichert wird dabei bisher nur die Karotisrevaskularisation durch das Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG).

Auf der Basis der bundesweiten Abrechnungsdaten des Statistischen Bundesamtes (Destatis) wurden im Median jährlich nur etwa 7 invasive Behandlungen des Bauchaortenaneurysmas pro teilnehmender Klinik durchgeführt und nur 11 % der Krankenhäuser erreichten mindestens 13 Fälle pro Jahr. Etwa 31 Krankenhäuser gehören dabei zum oberen Tertial mit mehr als 41 Fällen pro Jahr. Überraschende Zahlen, die sowohl mit der Versorgungsrealität in den USA und Australien (beides ebenfalls DRG-Systeme) vergleichbar sind als auch illustrieren, wie dezentralisiert die Gesundheitsversorgung von Gefäßkrankheiten in Deutschland stattfindet [2, 4,5,6,7]. Zum Vergleich: In bevölkerungsschwächeren und hochzentralisierten Gesundheitssystemen, wie Schweden, Dänemark oder Norwegen existieren nur wenige Krankenhäuser, die überhaupt gefäßchirurgische Leistungen anbieten und die jährliche Krankenhausfallzahl dieser Länder fällt dementsprechend deutlich geringer aus.

Gesundheitsversorgung von Gefäßkrankheiten in Deutschland findet vergleichsweise dezentralisiert statt

Einen aktuellen Einblick in die deutschlandweite Versorgungsrealität von Patient:innen mit der ICD-Hauptdiagnose I71, die sich natürlich nicht nur aus „Bauchaortenaneurysmen“, und darüber hinaus auch aus konservativen Fällen (z. B. Überwachung bei Typ-B-Aortendissektion) zusammensetzt, geben übrigens die einschlägigen Gesundheitsnavigatoren und Klinikfinder der großen Krankenkassen, sofern kein Direktzugriff auf die Qualitätsberichte des Deutschen Instituts für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) besteht. Eine bundesweite Suche nach „Aussackungen der Aorta oder Aorteneinriss“ liefert dementsprechend gar 1112 Treffer für das Jahr 2020, wobei vor allem die sichtbaren und etablierten Zentren insbesondere auf komplexe endovaskuläre Prozeduren spezialisiert sind und hierüber einen substanziellen Teil ihrer Leistungszahlen generieren.

Im Übrigen stellen sich folgende Fragen:

  • Wie passt die durchaus berechtigte Kritik des Bundesgesundheitsministers an einer im internationalen Vergleich überdurchschnittlich hohen Anzahl an vollstationären Behandlungen in Deutschland mit der Auswahl einer eher seltenen medizinischen Leistung zusammen?

  • Begründet die beschriebene dezentralisierte Versorgungsrealität alleine, dass diese unklar definierte Leistungsgruppe „Bauchaortenaneurysma“ in der Stellungnahme der Krankenhauskommission einer so eindeutigen Regulation unterworfen wird, die sogar noch weiter reicht als die 2008 eingeführte Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) zur Behandlung des Bauchaortenaneurysmas?

Angesichts der bis heute auf dem Boden zahlreicher nationaler und internationaler Beobachtungsstudien weiterhin heterogenen Evidenzbasis und weiterhin nicht eindeutig festzulegenden Mindestmengen bei der Behandlung des Bauchaortenaneurysmas erscheint es zumindest diskussionswürdig, dass hier offensichtlich noch keine umfassende wissenschaftliche Betrachtung durch ein repräsentatives Expertengremium unter Führung durch die Gefäßchirurgie erfolgt ist. Immerhin: Etwa 160 durch die Deutsche Gesellschaft für Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin (DGG) zertifizierte Gefäßzentren nahmen 2021 freiwillig an dem Qualitätssicherungsregister des Deutschen Instituts für Gefäßmedizinische Gesundheitsforschung (DIGG) zur Behandlung des Bauchaortenaneurysmas teil. Die Qualität der Indikationsstellung (z. B. maximaler Diameter) und Behandlung (z. B. Krankenhaussterblichkeit) dieser prophylaktischen Prozeduren ergab dabei keinerlei Anlass zur Sorge und entsprach zuletzt durchgehend den international publizierten Daten.

160 Gefäßzentren nahmen 2021 freiwillig am Qualitätssicherungsregister teil

Bei der Einbeziehung eines repräsentativen Fachgremiums, etwa der DGG als wissenschaftliche Vertretung der für die stationäre Behandlung zentralen Fachdisziplin, wäre dann vermutlich auch eine Würdigung der unterschiedlichen Komplexität dieser Behandlungen (z. B. Aortenhalsanatomie, endovaskuläre Techniken), der Trennung in infra- vs. suprarenale Aneurysmen, der heterogenen Leitlinienerwägungen (z. B. zu Mindestmengen und Zentren) sowie der immanenten Unterschiede bei der offen-chirurgischen vs. endovaskulären Versorgung erfolgt. So hat sich beispielsweise die Society for Vascular Surgery (SVS) auf dem Boden der Vascular-Quality-Initiative- (VQI-)Registerdaten und Medicare-Routinedaten in den USA auf eine Mindestmenge von zehn offen-chirurgischen Prozeduren [8] und die European Society for Vascular Surgery (ESVS) auf dem Boden internationaler Versorgungsdaten auf 20 entweder offen-chirurgische oder endovaskuläre Prozeduren zur Behandlung infrarenaler Aortenaneurysmen geeinigt [9], während die deutschsprachige S3-Leitlinie der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V. (AWMF) eine Behandlung in „spezialisierten Zentren“ empfiehlt – allesamt schwache Empfehlungen auf dem Boden einer moderaten Evidenzbasis. Hintergrund dafür war unter anderem, dass zwar für offen-chirurgische Prozeduren eine Assoziation zwischen Fallzahl und kurzfristigem Behandlungsergebnis vorlag, nicht jedoch für endovaskuläre Prozeduren [5,6,7].

Die operateur- und einrichtungsspezifischen Erfahrungen sowie vorhandene Infrastrukturen bei der Behandlung komplexer Prozeduren zur Behandlung thorakoabdomineller Aneurysmen und Dissektionen oder bei den Behandlungen der Aorta bei aortoiliakalen Verschlussprozessen wurden in der verfügbaren Beobachtungsstudienbasis leider ebenfalls nicht berücksichtigt. Ähnliches Erstaunen erzeugte vor Jahren bereits die willkürliche Einführung des außergewöhnlich hohen Pflegeschlüssels für fachweitergebildete Intensivpflegekräfte in der G‑BA-Richtlinie zur Behandlung des Bauchaortenaneurysmas ohne hierfür erkennbare Evidenzbasis (2008). Bedenkt man, dass nicht alle behandelten Patientinnen und Patienten überhaupt auf eine entsprechende Intensivstation verlegt werden und in manchen Ländern sogar ambulant behandelt werden, erscheint dieser Grenzwert eher arbiträr. Interessanterweise wurde erst dieses Jahr der Evaluationsbericht zu dieser Qualitätssicherungsrichtlinie des G‑BA veröffentlicht. Demnach wurde die Qualität der Versorgung insgesamt als gut bezeichnet, die Anzahl der beteiligten Kliniken nahm über die Zeit ab und die Befragten gaben an, dass die Zusammenarbeit der verschiedenen Versorger insgesamt gut sei. Wenn also sowohl die Ergebnisqualität und die Zusammenarbeit der Versorger als gut beschrieben wurde, kann es nur die Sorge der Kommission um die Indikationsqualität und konsekutive Überbehandlung gewesen sein, die zu dieser rigorosen Maßnahme geführt haben. Doch auf welcher Grundlage und warum sollte eine Verschiebung des Leistungsgeschehens zu Level-III-Krankenhäusern den Anreizen standhalten bzw. zu weniger prophylaktischen Prozeduren führen?

Wäre nicht eher eine verpflichtende externe sektorenübergreifende Qualitätssicherung, wie bei der Karotisrevaskularisation, ein erster Schritt gewesen, um den Status quo zu erheben?

Dass die Durchmessergrenzen und kurzfristige Krankenhaussterblichkeit bei der Behandlung im breiten Versorgungsspektrum eingehalten wurden, ließe sich damit unabhängig überprüfen. Weniger einfach zu überprüfen ist die bemerkenswerte Abnahme der bevölkerungsbezogenen Prävalenzen, die auch Implikationen für Screeningerwägungen hätte.

Auf dem Boden repräsentativer Daten einer epidemiologischen Kohortenstudie, der Hamburg City Health Study, ist heute erstmals von einer Prävalenz des Bauchaortenaneurysmas in Deutschland von nur etwa 1,3 % unter im Median 63-jährigen Männern und nur 0,2 % unter gleichaltrigen Frauen auszugehen [10]. In den historischen Studiendaten aus den 1990er-Jahren waren es noch 4–8 % der älteren Männer, während Daten aktueller populationsbasierter Screeningprogramme in Skandinavien bereits ähnlich niedrige Prävalenzen ergeben hatten [11,12,13,14]. Bereits bei den 2017 durch den G‑BA eingeführten Screeningmaßnahmen kann also davon ausgegangen werden, dass deutlich mehr Männer gescreent werden müssten, um ein behandlungsbedürftiges Bauchaortenaneurysma zu erkennen.

Etwa 70 % aller intakten und 30 % aller rupturierten Bauchaortenaneurysmen werden heutzutage in Deutschland endovaskulär mit Stentprothesen (EVAR) behandelt. Allen kontroversen Diskussionen über die Langzeitstandhaftigkeit dieses Verfahrens zum Trotz, lässt sich das bessere kurzfristige Überleben nicht wegdiskutieren [15].

70 % aller intakten Bauchaortenaneurysmen werden heutzutage mit EVAR behandelt

Die hierfür notwendige Infrastruktur liegt in vielen Kliniken bereits vor, da diese auch für andere interventionelle Behandlungen genutzt wird, was Implikationen für Vorhaltekosten haben dürfte.

Anders sieht die Situation bei komplexen endovaskulären Prozeduren an der thorakoabdominellen Aorta aus. Die hierbei notwendigen gefensterten Prothesen oder Stentgrafts mit Seitenarmen bzw. weitere erforderliche Techniken und Medizinprodukte erfordern einen ungleich höheren Aufwand und gehen mit zahlreichen Komplikationsrisiken einher, die eine Behandlung an spezialisierten Zentren mit weiteren Fachdisziplinen ohne Zweifel erforderlich machen. So ist die Rate an spinalen Ischämien mit ca. 6 %, die Rate an Blutungskomplikationen mit bis zu 40 % und die Gesamtsterblichkeit mit bis zu 14 % deutlich höher als bei den infrarenalen Prozeduren, deren perioperative Sterblichkeit nur etwa 1 % (EVAR) und 5 % bei offen-chirurgischen Prozeduren ausmacht [16, 17].

Die jetzt erkennbare Entfernung von einer mindestmengen- oder qualitätsindikatorenspezifischen Diskussion ist eine besonders weitreichende regulatorische Maßnahme, die zahlreiche Konsequenzen für Gefäßmediziner:innen in der stationären Versorgung in Deutschland haben wird. Davon unmittelbar betroffen wäre nicht nur das fachliche Training für die flächendeckende Notfallversorgung (Aortenruptur), die ärztliche Weiterbildung und Zertifizierung, sondern auch die registerbasierte Qualitätssicherung der wissenschaftlichen Fachgesellschaft, die Rekrutierung in laufende und zukünftige Studien und die Rekrutierung von Mitarbeiter:innen.

In Deutschland existiert bis heute interessanterweise noch keine externe sektorenübergreifende Datenerfassung zur Qualitätssicherung dieser Behandlung und des eingeführten Screenings, wohl aber eine entsprechende Richtlinie des G‑BA zur Sicherung der Prozess- und Strukturqualität.

Die nun vorliegenden Stellungnahmen der Krankenhauskommission und die klaren Statements des Bundesgesundheitsministers zeigen, dass rasche, umfassende und konstruktive Diskussionen in unserer Fachgesellschaft unvermeidbar sind. Trotz der verständlichen Emotionen und Partialinteressen auf allen Seiten können und dürfen wir eine wissenschaftsorientierte Debatte nicht mehr aufschieben.