Krankenhausreform:Der Kampf um die Kliniken hat begonnen

Krankenhausreform: Wer weitsichtig planen will, betrachtet die Dinge am besten mal von oben. Die Geschäftsführer Jürgen Winter (links, Leopoldina) und Martin Stapper (St. Josef) auf dem Dach des Leopoldina Krankenhauses in Schweinfurt.

Wer weitsichtig planen will, betrachtet die Dinge am besten mal von oben. Die Geschäftsführer Jürgen Winter (links, Leopoldina) und Martin Stapper (St. Josef) auf dem Dach des Leopoldina Krankenhauses in Schweinfurt.

(Foto: Nina Hardenberg)

Personalnot, Finanznot und jetzt auch noch Lauterbachs radikale Reformpläne: Es sind schwere Zeiten für Bayerns Kliniken. In Schweinfurt wagen zwei ungleiche Kliniken die Kooperation.

Von Nina von Hardenberg, Schweinfurt

In der Geburtsstation des St. Josef Krankenhauses in Schweinfurt herrscht bedrückende Stille. Eine einsame Hebamme sitzt hinter dem Empfangstresen. Sie zeigt bereitwillig die Kreißsäle, einer davon mit Badewanne und Sternenhimmel. Aber man hört kein Baby schreien. Keine Schwangere schlurft über die Gänge und es telefoniert auch kein aufgeregter Vater. 500 bis 600 Babys sind hier jedes Jahr zur Welt gekommen. Im März aber schließt die Geburtsstation wegen Ärztemangel. Das hat sich rumgesprochen, schon jetzt kommen nur noch etwa 20 Schwangere im Monat. "Das ist schon schmerzhaft", sagt Geschäftsführer Martin Stapper.

Es gab die guten Zeiten, als sich fünf niedergelassene Gynäkologen als Belegärzte bei den Geburten abwechselten. Ein Foto von ihnen hängt noch an der Wand. Stolz halten sie in gelbe Schlafsäcke gewickelte Neugeborene in die Kamera. Heute sind nur noch zwei dieser Ärzte im Haus. Der eine geht in den Ruhestand, die andere will mit 60 Jahren keine Nachtschichten mehr machen.

Händeringend habe man deshalb schon seit 2021 nach Nachfolgern gesucht. Habe Anzeigen geschaltet und sogar bei der Kassenärztlichen Vereinigung eine Sonderzulassung erwirkt. Ein neuer Arzt hätte sich so beim Medizinischen Versorgungszentrum des Klinikums anstellen lassen können. Die teuren Versicherungen und das Haftungsrisiko hätte dann die Klinik getragen. Es half nichts. Deutschlandweit wollen immer weniger niedergelassene Ärzte als Geburtshelfer arbeiten und zu jeder Nachtzeit geweckt werden. "Wir haben einfach niemanden gefunden", sagt Stapper.

So wie bisher konnten sie nicht weitermachen. Am St. Josef war das schon 2021 überdeutlich. Im Krankenhaus standen damals Sanierungen an. Der Freistaat hatte das Geld dafür schon zugesagt, aber Geschäftsführer Stapper kamen Zweifel. "Betonieren wir hier alte Strukturen?", habe er sich gefragt. Und: "Ist es nicht an der Zeit neu zu denken?"

Zwei Jahre später gibt es in Bayern kaum ein Krankenhaus, das nicht neu denken muss. Grund dafür ist eine radikale Reform, die Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) den Krankenhäusern verordnen will. Wie die Kliniklandschaft künftig aussehen könnte, skizzierte im Dezember eine von ihm eingesetzte Kommission: Viele der kleinen Krankenhäuser sollen demnach nur noch die Basisversorgung und ambulante Eingriffe übernehmen. In Bayern würden 53 der etwa 400 Krankenhäuser auf dieses Niveau herabgestuft. Das zeigte eine vom bayerischen Gesundheitsminister Klaus Holetschek beauftragte Studie.

Für etwas kompliziertere Eingriffe oder auch bei einem Herzinfarkt müssten viele Patienten künftig weiter fahren. Hierfür wäre eine kleinere Zahl von Level-II-Kliniken der regionalen Regel- und Schwerpunktversorgung zuständig. Eine dritte Kategorie bildeten große Häuser wie die Uniklinken. Die Spezialisierung kann die Qualität der Medizin verbessern, glaubt Lauterbach. In Zeiten von Fachkräftemangel soll sie aber auch die vorhandenen Ärzte und Pfleger an wenigen, aber dafür gut ausgestatteten Stationen bündeln.

Welches Haus Regionalversorger werden dürfte, ist derzeit in Bayern die große Frage. "Jetzt kämpft jeder Landkreis, dass er ein Level-II-Krankenhaus kriegt", erklärt Andrea Jochner-Weiß, Landrätin von Weilheim-Schongau. Auch sie hatte zuletzt versucht, die zwei kleineren Häuser in ihrem Landkreis zu einem solchen größeren Klinikum zusammenzuführen. Das scheiterte per Bürgerentscheid.

In Schweinfurt haben sie diesen Weg längst eingeschlagen: "Könnt ihr 500 bis 600 Geburten übernehmen?", fragte Martin Stapper 2021 den großen Nachbarn, das Leopoldina-Krankenhaus der Stadt Schweinfurt. Den Geschäftsführer Jürgen Winter kannte er aus einem bayerischen Klinikverbund. Man schätze und vertraute sich. Das half. Die Antwort aber war Nein. Zwar arbeiten am Leopoldina genügend Ärzte in der Geburtshilfe. Die Kreißsäle aber wären überlastet. Gemeinsam überzeugten die beiden Männer deshalb den Freistaat, Geld für zwei neue Kreißsäle lockerzumachen.

Krankenhausreform: Ein neuer Kreißsaal am Leopoldina Krankenhaus

Ein neuer Kreißsaal am Leopoldina Krankenhaus

(Foto: Nina Hardenberg)

An diesem Montag öffnen sie am Leopoldina ihre Türen, noch bevor die Kreißsaal-Pforte am St. Josef schließt. Längst aber haben die zwei Geschäftsführer weitergedacht. Ihre Häuser sollen künftig eng kooperieren.

Das Ergebnis nennen sie das Schweinfurter Modell. Um es zu erklären, bittet Leopoldina-Geschäftsführer Winter in ein Café im siebten Stock des städtischen Klinikums. Tief unten streckt sich die Stadt mit dem Josef-Krankenhaus nur 1,5 Kilometer Luftlinie entfernt. Braucht es wirklich zwei Kliniken so nah bei einander? "Das sind zwei Häuser, die beide gut ausgelastet waren und solide dastehen", sagt Winter. Ihm ist diese Message wichtig. Hier schluckt nicht ein großes Haus ein kleines.

Krankenhausreform: Im größeren Leopoldina-Krankenhaus könnten künftig die großen Eingriffe gemacht werden.

Im größeren Leopoldina-Krankenhaus könnten künftig die großen Eingriffe gemacht werden.

(Foto: vm.photodesign)

Sie wollen die Arbeit nur sinnvoller aufteilen. Hier oben im großen Haus die großen Eingriffe. Unten in der Stadt die tägliche Versorgung der Menschen. Für manche Behandlungen ist das St. Josef schon jetzt zu klein. Bauchspeicheldrüsen-Operationen etwa mussten sie dort aufgeben, weil sie die Mindestzahl von zehn OPs im Jahr unterschritten.

Krankenhausreform: Fast schon gemütlich wirkt das St.-Josef-Krankenhaus im Vergleich zum großen Nachbarn.

Fast schon gemütlich wirkt das St.-Josef-Krankenhaus im Vergleich zum großen Nachbarn.

(Foto: St. Josef)

Was das St. Josef besser kann als der große Nachbar, wird klar, sobald man durch die Pforte tritt. Drüben im städtischen Haus kämpfte man sich mühsam mit überlasteten Aufzügen sieben Stockwerke nach unten und suchte in der großen Garage das Auto. Hier parkt Geschäftsführer Stapper kurzerhand auf dem kleinen Rondell vorm Haupteingang.

Drinnen ist die kleine Eingangshalle mit einem Kreuz geschmückt, daneben befindet sich eine Kapelle. Das St.-Josef-Krankenhaus wird von einem katholischen Frauenorden getragen, der Kongregation der Schwestern des Erlösers. Der Fokus lag hier schon immer auf der kümmernden Medizin. Es gibt eine große geriatrische Abteilung für alte und vielfach erkrankte Patienten. Künftig könnten sie im St. Josef auch frisch operierte Patienten des Leopoldina übernehmen, wenn diese noch Pflege brauchen.

Krankenhausreform: Ein Kreuz schmückt die Eingangshalle des St.-Josef-Krankenhauses.

Ein Kreuz schmückt die Eingangshalle des St.-Josef-Krankenhauses.

(Foto: Nina Hardenberg)

Solche und andere Ideen sponnen die beiden Geschäftsführer und sie kamen dabei nah an das heran, was Lauterbachs Experten jetzt empfehlen. Ihre jeweiligen Träger und das Land Bayern hatten sie schnell überzeugt. Der Knackpunkt bei solchen Veränderungen aber ist die Belegschaft. Das hatten sie unterschätzt.

Von einer Kündigungswelle im St. Josef berichtete der Bayerische Rundfunk im Dezember. Genaugenommen hätten bis heute zehn Mitarbeiter wegen der Kooperationspläne gekündigt, beschwichtigt Geschäftsführer Stapper. Sie hätten auch schon wieder eingestellt. Für die Belegschaft waren die Pläne trotzdem ein Schock: Ein Großteil habe sich gewünscht, das alles so bleibt, wie es ist, sagt Mitarbeitervertreter Klaus Riegler. Es träfen hier eben nicht nur zwei Kliniken, sondern auch zwei verschiedene Träger und Kulturen aufeinander: Im St. Josef hätten sich viele bewusst für das kleine kirchliche Haus entschieden. Was nutzt ihnen da ein Jobangebot im Verbund? "Die Leute hängen an ihrem Josef."

Was auf dem Papier sinnvoll aussieht, kann in der Realität schnell am Widerstand der Belegschaft oder auch der Bevölkerung scheitern. Im Landkreis Weilheim-Schongau musste die Landrätin das schmerzhaft erleben, als eine satte Mehrheit der Bevölkerung ihre Pläne für ein Zentralklinikum per Bürgerentscheid kippte. Auch Lauterbachs Idee, Pfleger und Fachkräfte in wenigen größeren Abteilungen zusammenzuziehen, werde sich kaum so umsetzen lassen, warnt der Geschäftsführer der Bayerischen Krankenhausgesellschaft (BKG) Roland Engehausen. "Wir kriegen die Pflegefachpersonen nicht dazu, zwangsweise in ein anderes Krankenhaus zu wechseln", sagt er. Viele würden dann eher ganz aus dem Beruf ausscheiden.

Krankenhausreform: Trotz seiner Ablehnung gegenüber den Plänen aus Berlin räumt auch Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) ein, dass es eine Krankenhausreform brauche.

Trotz seiner Ablehnung gegenüber den Plänen aus Berlin räumt auch Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) ein, dass es eine Krankenhausreform brauche.

(Foto: Sven Hoppe/dpa)

Widerstand gegen die Pläne aus Berlin hat auch Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) angekündigt. Mit dem Konzept würden "bewährte Strukturen zerstört, die wir weiterhin dringend benötigen". Dabei ist allen klar, dass sich die Kliniklandschaft in Bayern verändern muss. Ohne eine Reform werde es erst recht zu Schließungen kommen, sagte etwa die SPD-Landtagsabgeordnete Ruth Waldmann.

Tatsächlich stehen die Kliniken massiv unter Druck. In Bayern schrieben nach Angaben der BKG bereits 2021 zwei Drittel aller Häuser rote Zahlen. Seither sei es nur schlimmer geworden. Den Kliniken machen dabei einerseits die gestiegenen Kosten zu schaffen. Strom und Heizung und andere Materialien sind teurer geworden. Und Ärzte und Pfleger fordern kräftige Lohnerhöhungen.

Langfristig gravierender sind aber die strukturellen Veränderungen. Seit Corona kommen deutlich weniger Patienten in die Krankenhäuser - und damit gibt es auch weniger Einkünfte. Mit der Vorsicht der Patienten während der Pandemie lässt sich das nicht mehr erklären. Laut Experten liegt der Patientenschwund am Personalmangel und daran, dass zuletzt Pflegekräfte viel häufiger krankgeschrieben waren. Wo Ärzte oder Pfleger fehlen, können schlicht weniger Patienten behandelt werden.

Zudem macht manchem Haus ein eigentlich positiver Trend zu schaffen: Immer mehr Behandlungen werden ambulant ausgeführt. Wer früher für eine OP wegen eines Leistenbruchs zwei bis drei Tage auf Station lag, geht heute noch am selben Tag nach Hause. Die Station aber muss trotzdem weiter rund um die Uhr betrieben werden. Gerade in kleineren Häusern wird das schnell unwirtschaftlich. Zumal die Patienten für planbare Eingriffe wie Hüft-Operationen vielfach längst an ihren Heimatkliniken vorbei in die renommierten Zentren fahren.

Im Landkreis Eichstätt beispielsweise prognostizieren die zwei Krankenhäuser in Eichstätt und Kösching für das Jahr 2023 ein Defizit von 25 Millionen Euro. Der oberbayerische Landkreis wird sich deshalb zum ersten Mal seit 30 Jahren verschulden müssen. "Es ist dramatisch, da gibt es nichts zu beschönigen", sagt Landrat Alexander Anetsberger. Man plant dort jetzt eine Kooperation mit dem Klinikum Ingolstadt. Sogar eine Fusion will der Landrat nicht mehr ausschließen. "Ohne Kooperation geht es nicht."

Auch anderswo reißen die Nöte der Kliniken Löcher in die Haushalte der Landkreise. Der Wirtschaftsplan des Klinikverbands Anregiomed im Landkreis Ansbach weist für 2023 sogar ein Defizit in Höhe von 27,95 Millionen Euro aus. Im Landkreis Weilheim-Schongau könnten es bis zu 13 Millionen werden. Auch in Schweinfurt prognostizieren sie ein Minus von 4,5 Millionen Euro im Leopoldina und etwa eine Million im St. Josef.

Es brauche eine Krankenhausreform, sagt deshalb auch Gesundheitsminister Holetschek. Er wirbt aber auch für einen 100 Milliarden Euro schweren Strukturfonds. Ohne finanzielle Unterstützung könnten die Krankenhäuser die Veränderung gar nicht bewältigen.

Mindestens so wichtig wie Geld wird indes Überzeugungsarbeit sein. In Schweinfurt haben die Geschäftsführer jetzt alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingeladen, ihre Fragen und Zweifel vorzubringen. Ein unabhängiger Gutachter soll sie beantworten und die Sinnhaftigkeit der Kooperation noch einmal prüfen.

Sie wisse noch nicht, wie es mit ihr weitergeht, sagt die Hebamme auf der menschenleeren Geburtsstation. Die Gespräche liefen noch. Sie kann im St. Josef in der Pflege arbeiten oder als Hebamme ans Leopoldina wechseln. Dort allerdings arbeiten die Hebammen als Freiberuflerinnen. Die Stelle der angestellten Hebamme, die sie bislang hatte, gibt es im neuen Verbund nicht mehr.

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