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Hunderttausende zittern um ihre Jobs Wie Regierungsberater die kleinen Kliniken retten wollen

Weniger Notaufnahmen auf dem Land durch die Klinik-Reform? Das ist in den Augen der Monopolkommission eine reale Gefahr
Weniger Notaufnahmen auf dem Land durch die Klinik-Reform? Das ist in den Augen der Monopolkommission eine reale Gefahr
© Hauke-Christian Dittrich / DPA
Die Monopolkommission der Bundesregierung stellt sich gegen Pläne von Gesundheitsminister Lauterbach für eine Krankenhaus-Reform. Sie fürchtet den Ausverkauf der medizinischen Grundversorgung und will stattdessen Kliniken auf dem Land mehr helfen.
Es ist eines der schwierigsten Vorhaben der Ampel-Koalition. Hunderttausende Beschäftigte zittern um ihre Jobs, Millionen Deutsche um ihre medizinische Behandlung. Die Reform der Kliniken geht alle an. Werden auf dem Land bald die Krankenhäuser sterben? Müssen Ärzte und Pfleger immer mehr schuften? Gilt Profit mehr als Gesundheit?
Eine Expertenrunde von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat vor kurzem Ideen vorgestellt, wie die Kliniken fit für die Zukunft werden sollen. Sie wollen die Behandlung auf große Einrichtungen konzentrieren und kleinere Häuser in ambulante Versorgungszentren mit angeschlossenen Fachärzten verwandeln. Kritiker befürchten einen Kahlschlag, hunderte Kliniken vor allem auf dem Land könnten für immer geschlossen werden. Nun springt die Monopolkommission, ebenfalls ein Gremium der Regierung, den kleinen Kliniken bei. In einer Stellungnahme fordern sie "Krankenhäuser vorzuhalten, auch wenn diese wegen ihrer Rahmenbedingungen weniger effizient betrieben werden können". Die Berater wollen dazu die Geldströme im Gesundheitswesen umleiten, Mittel aus dicht besiedelten Regionen wie Berlin könnten so in dünn besiedelte Gegenden wie die Uckermark in Brandenburg fließen.

Lauterbach will Ende der Gesundheitsfabriken

Deutschlands Krankenhäuser sind im vergangenen Jahrzehnt zu Gesundheitsfabriken geworden, in denen die Ärzte am Fließband operieren. Schuld sind die "Fallpauschalen", feste Geldbeträge, die für eine Operation fällig werden. Für eine Herzkatheter-Untersuchung fließt 6000 Euro, für ein neues Hüftgelenk 7500 Euro. Die Klinik-Manager treiben deshalb die Mediziner an, möglichst oft zum Skalpell zu greifen, lukrative Fälle geben sie ungern an andere Häuser ab, obwohl sie dort manchmal besser behandelt werden könnten. Chirurgen in Großkliniken haben oft mehr Erfahrung, weil sie häufiger operieren.
Corona, Krieg und Inflation haben die Lage in den Kliniken verschärft. Die Ausgaben für Strom, Medizinprodukte und Lebensmittel sind gestiegen, die Einnahmen gesunken, weil sich in der Pandemie weniger Menschen operieren ließen (2021 waren es 14 Prozent weniger als vor der Seuche). Drei von fünf Kliniken schreiben inzwischen rote Zahlen. Ärzte und Pflegekräften fühlen sich immer mehr überlastet, fallen aus oder kündigen, so dass die Häuser mehr Stationen dicht machen. "Die Insolvenzgefahr für viele Kliniken steigt", hatten vor kurzem Ärzteverbände in einem Brief an Lauterbach geklagt.
Dessen Klinik-Experten wollen nun das System der Gesundheitsfabrik lahmlegen. Die Krankenhäuser sollen weniger Geld fürs Operieren bekommen, sondern mehr dafür, dass sie Betten, Geräte, Ärzte und Pfleger vorhalten. Das Prinzip Feuerwehr ist Vorbild. Feuerwehrleute werden auch nicht dafür bezahlt, wie oft sie einen Brand löschen, sondern dafür, dass sie da sind und im Notfall zum Brandherd eilen.

Fallpauschalen sollen um 60 Prozent sinken

Konkret fordern Lauterbachs Fachleute die Fallpauschalen, um bis zu 60 Prozent zu senken und sogenannte "Vorhaltepauschalen" einzuführen. Die Häuser sollten dadurch stabiler finanziert werden. Der Monopolkommission bezweifelt das. Sie fürchtet, dass je mehr Patienten eine Klinik operiert, desto mehr Gelder würde sie auch in dem neuen System erhalten. "Die Verteilung der Finanzmittel wird sich nur wenig von der Finanzierung durch Fallpauschalen unterscheiden", heißt es in der Stellungnahme.
In ländlichen Regionen, wo die Kliniken oft weniger Patienten betreuen und die Häuser häufig rote Zahlen schreiben, könnte die geplante Reform die Lage verschlimmern. Denn die "Sicherung der notwendigen Bedarfe in Regionen mit geringer Fallzahl wird dadurch nicht oder nur schwer erreicht", heißt es in der Stellungnahme. Dies sei aber nötig. In manchen Gegenden gebe es Notfallstationen, die pro Nacht nur zwei Fälle betreuen und kaum rentabel betrieben werden könnten, heißt es in der Kommission. Dennoch bräuchten auch diese Gebiete eine Notfallstation.
Als Ausweg schlägt die Monopolkommission vor, die geplante Reform zu überarbeiten. Lauterbachs Klinikexperten sollten auch berücksichtigen, wie viele Menschen im Umkreis einer Klinik leben, wie schwer es ist, dort den Betrieb aufrecht zu erhalten, und wie teuer manche Gegenden geworden sind. Ein sogenannter "Regionalausgleich" zwischen dicht- und dünnbesiedelten Gegenden könnte dabei helfen.

Was aus den Ideen wird, ist unklar

Was aus den Ideen der Monopolkommission wird, ist unklar. Bund und Länder wollen bis zum Sommer eine Klinikreform vorlegen. Basis sollen die Pläne von Lauterbachs Expertengremium sein. Viele Länder lehnen deren Vorschläge ab. Der bayrische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte, Bayern werde sich "mit Händen und Füßen wehren gegen diese Reform". Die Länder fordern vor allem zusätzliche Milliarden für das Vorhaben, wogegen sich aber Lauterbach sträubt. Er will die Reform finanzieren, in dem er die vorhandenen Gelder umverteilt. Jährlich fließen hierzulande 100 Milliarden Euro in die Krankenhäuser, pro 1000 Einwohner gibt es sechs Klinikbetten, mehr haben weltweit nur Japan und Südkorea.

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