Alten- und Krankenpflege:46 Prozent mehr Zeitarbeitskräfte in der Pflege

Alten- und Krankenpflege: Es kann schnell für Unruhe sorgen, wenn ein Teil der Belegschaft Leiharbeitskräfte sind, die bessere Arbeitsbedingungen haben.

Es kann schnell für Unruhe sorgen, wenn ein Teil der Belegschaft Leiharbeitskräfte sind, die bessere Arbeitsbedingungen haben.

(Foto: DGLimages/imago/Panthermedia)

Eine Auswertung aktueller Arbeitsmarktdaten durch die Linksfraktion im Bundestag zeigt, wie stark die Zahl externer Kräfte in der Pflege zuletzt zugenommen hat. Ein Problem, für das es bisher keine Lösung gibt.

Von Rainer Stadler

Der jüngste Warnruf zur Leiharbeit in der Pflege kam von der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG). Diese Beschäftigungsform entwickle sich "von der Ausnahme zum Regelfall", beklagte kürzlich der Vorsitzende Gerald Gaß. "Wir registrieren, dass die Belegschaften durch Leiharbeit mehr und mehr gespalten werden." Die externen Kräfte, so der Vorwurf, können sich ihre Arbeitszeiten weitgehend frei einteilen, ungeliebte Wochenend-, Feiertags- und Nachtschichten bleiben an den Stammbelegschaften in den Kliniken hängen. Deshalb wandern immer mehr Pflegekräfte in die Leiharbeit ab, wo sie obendrein oft mehr Geld verdienen. Auch in dieser Hinsicht nimmt die Pflege eine Sonderstellung ein, in allen anderen Branchen sind Zeitarbeitskräfte eher Mitarbeiter zweiter Klasse. DKG-Chef Gaß fordert, Leiharbeit in der Pflege zu beschränken - Ähnliches war zuletzt auch von SPD und Grünen zu hören. Notfalls will sie der Kliniklobbyist sogar ganz verbieten.

Die Leiharbeitsbranche fühlt sich zu Unrecht angegriffen. Die Einrichtungen, argumentieren deren Vertreter, seien selbst dafür verantwortlich, wenn langjährige Beschäftigte wegen der oft unzumutbaren Arbeitsbedingungen ihren festen Job aufgeben. Zudem werde niemand gezwungen, Leiharbeitskräfte einzustellen. Sie böten den Einrichtungen vielmehr die Möglichkeit, Arbeitsspitzen oder den Ausfall von Mitarbeitern etwa durch Krankheit schnell auszugleichen. Zur Panik bestehe kein Anlass, der Anteil der Leiharbeitskräfte an der Gesamtzahl der Pflegekräfte sei verhältnismäßig gering. Doch wie hoch ist er genau?

In manchen Bundesländern stieg die Zahl der Leiharbeitskräfte um 80 Prozent und mehr

Die Linksfraktion im Bundestag hat nun Zahlen der Bundesagentur für Arbeit aus den Jahren 2017 bis 2022 ausgewertet. Ergebnis: Während die Gesamtzahl aller Leiharbeitskräfte in diesem Zeitraum um 209 000 zurückging, was einem Minus von 20 Prozent entspricht, stieg sie in der Pflege um knapp 14 000, das heißt um 46 Prozent. In einigen Bundesländern war der Anstieg noch größer, etwa in Nordrhein-Westfalen. 2017 waren dort noch 6500 Leiharbeitskräfte beschäftigt, 2022 schon mehr als 12 000 - eine Zunahme von 80 Prozent. In Baden-Württemberg stieg die Zahl sogar um mehr als 100 Prozent auf 6200. Bundesweit gab es insbesondere im Jahr 2022 einen sprunghaften Anstieg: in der Krankenpflege um fast zehn Prozent, in der Altenpflege sogar um 23 Prozent.

Gemessen an der Gesamtzahl der Pflegekräfte ist der Anteil der Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter trotz des jüngsten Zuwachses noch gering: 2,2 Prozent in Krankenpflege, 2,6 Prozent in der Altenpflege. In Berlin und Bremen liegt der Anteil in der Pflege allerdings schon bei fünf Prozent. Die Auswertung ergab übrigens auch, dass anteilsmäßig mehr Männer in der Zeitarbeit vertreten sind, nämlich 4,4 Prozent. Bei den Frauen sind es nur 2,2 Prozent.

Susanne Ferschl, stellvertretende Vorsitzende und Arbeitsmarktexpertin der Linken, sieht die Entwicklung mit Sorge. Zwar sei der Anteil der Leiharbeitskräfte nicht überdurchschnittlich, "aber wenn man die Steigerungsraten anschaut, ist klar: Da kommt ein Problem auf uns zu". Ferschl bewertet Leiharbeit generell kritisch, sie führe immer zur Spaltung in der Belegschaft. In der Pflege seien die Arbeitsbedingungen eben vielfach so prekär, dass auch ein geringer Anteil externer Kräfte reicht, um Unruhe zu erzeugen.

Warum die Zahlen zuletzt so stark anstiegen? Darüber könne sie nur mutmaßen, sagt Ferschl. Womöglich hätten einige Beschäftigte während der Corona-Zeit, in der ja die Nöte der Pflege oft thematisiert wurden, noch gehofft, dass sich in ihrem Arbeitsalltag etwas verbessert. Und seien nun ernüchtert, weil sich die Hoffnung nicht erfüllt hat. Für diese Beschäftigten sei Zeitarbeit der letzte Anker, um überhaupt in der Pflege zu bleiben. Ein schnelles Verbot der Zeitarbeit würde den Personalmangel in den Krankenhäusern und Altenheimen deshalb eher verschärfen, fürchtet Ferschl. Perspektivisch hält sie den Schritt dennoch für unumgänglich - "allerdings nicht nur in der Pflege, wo Zeitarbeitskräfte tatsächlich bessergestellt sind als die Stammbelegschaft, sondern in allen Branchen".

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