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Ungewisse Zukunft

Krankenhausreform bedroht Tuttlinger Klinikum - auch das Aus ist möglich

Landkreis Tuttlingen / Lesedauer: 5 min

Das Krankenhaus könnte zum Grundversorger herabgestuft werden. Das hätte weitreichende Folgen.
Veröffentlicht:26.02.2023, 11:50

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Eine Autofahrt von Tuttlingen bis ins Schwarzwald–Baar–Klinikum nach Villingen–Schwenningen dauert 32 Minuten, je nach Verkehrslage manchmal auch mehr. Zeit, die Patienten unerträglich lang vorkommen kann. Zeit, die aber möglicherweise den Bestand des Tuttlinger Krankenhauses sichert.

Ein Gutachten zur vom Bundesgesundheitsministerium angepeilten Krankenhausreform dürfte für 73 Prozent der baden–württembergischen Kliniken — in ihrer jetzigen Form — das Aus bedeuten. Zu dem Ergebnis kommt eine von der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) beauftragte Analyse.

Gutachten teilt Kliniken in Level ein

Um die in Deutschland regional höchst unterschiedliche Krankenhauslandschaft zu ordnen, schlägt das Gutachten zur Krankenhausreform vor, die Kliniken in Stufen zu ordnen und damit Versorgungsaufträge zuzuweisen.

Unterhalb der Universitätsmedizin (Level III U) soll es dann den Maximalversorger (Level III), den Regel– und Schwerpunktversorger (Level II) sowie den Grundversorger geben (Level I), der noch einmal in die Bereiche I n und I i aufgeteilt ist. Während die Häuser der Stufe I n die stationäre chrirurgische und internistische Basis– sowie eine Notfallversorgung behalten dürfen, sind Level I i-Krankenhäuser nur noch dafür vorgesehen, die aus Krankenhäusern überwiesenen Patienten zu überwachen und zu pflegen.

Abstufung hätte schwere Folgen

Ein Kriterium, um ein Krankenhaus in das Level I n herabzustufen, ist die Entfernung von mindestens 30 Minuten Fahrtzeit zum nächsten Krankenhaus der Stufen II und III. Sollte das Klinikum in Tuttlingen davon betroffen sein, hätte das schwere Folgen, erklärt Sebastian Freytag, Geschäftsführer des Klinikums Landkreis Tuttlingen (KLT).

Es gäbe keine Kardiologie mehr, keine Gastronenterologie, keine Unfallchirurgie in ihrer jetzigen Form, keine Frauenheilkunde, keine Geburtshilfe.

Sebastian Freytag

„Die Stufe I — unabhängig ob n oder i — bedeutet, dass das Klinikum in seiner jetzigen Struktur im Wesentlichen abgewickelt würde.“ Schließlich sehe das Versorgungskonzept des Landkreises das Gesundheitszentrum Spaichingen für den pflegerischen Bereich vor. „Im Fall einer Rückstufung des Klinikums Tuttlingen wäre ein Standort auf dieser Versorgungsstufe überflüssig“, sagt Freytag.

Zahlreiche Abteilungen müssten weg

Aber auch wenn das Klinikum weiter für die Notfallversorgung vorgesehen wäre — also Stufe 1n –, würde es deutliche Veränderungen geben. Dann, so Freytag, würden zahlreiche Abteilungen geschlossen.

„Es gäbe keine Kardiologie mehr, keine Gastronenterologie, keine Unfallchirurgie in ihrer jetzigen Form, keine Frauenheilkunde, keine Geburtshilfe ...“, zählt der Geschäftsführer auf. Dadurch wäre ein „Großteil der ärztlichen Mitarbeiter nicht zu halten.“ Auch im Funktionsdienst und der Pflege fände eine Reduzierung der Mitarbeiter statt.

Bund ist nicht unmittelbar zuständig

Doch so weit will Freytag nicht denken. Schließlich sei es ein Gutachten einer Kommission des Bundesgesundheitsministeriums, „der im Bereich der Krankenhausplanung im föderalen System zunächst keine unmittelbare Zuständigkeit hat.

Insoweit bleibt abzuwarten, inwieweit sich das Sozialministerium (von Baden–Württemberg/Anm. d. Red.) beziehungsweise die Landesregierung den Vorschlag zu eigen macht und welche Konsequenzen es daraus zieht“, meint Freytag. Eine Stellungnahme aus Stuttgart gebe es dazu noch nicht.

Vorgaben aus Berlin der Fehler im Konzept?

In die gleiche Kerbe schlägt auch Heiner Scheffold, Vorstandsvorsitzender der Baden–Württembergischen Krankenhausgesellschaft (BWKG) und Landrat des Alb–Donau–Kreises.

„Der wesentliche Konstruktionsfehler des Konzepts ist aus meiner Sicht, dass zentralistisch aus Berlin vorgegeben werden soll, wie viele Krankenhäuser es am Bodensee, im Schwarzwald, in Freiburg und in Stuttgart geben darf“, erklärt der parteilose Politiker in einer Pressemitteilung. Diese kleinteilige Planung sei zum Scheitern verurteilt. Viel mehr müsse man die „unmittelbare Versorgungssituation“ beachten.

Entfernungen sind kritisch

Das stellt auch Freytag in den Vordergrund. Ganz gleich, aus welcher Perspektive das Gutachten zu lesen sei, das Klinikum Landkreis Tuttlingen habe „seine Existenzberechtigung auf der Stufe Level II“. Anders als in anderen Regionen Deutschlands sei keine Strukturbereinigung nötig, weil in der Region Tuttlingen nur 300 bis 400 anstelle von andernorts 800 Betten vorgehalten würden. Und obwohl das Schwarzwald–Baar–Klinikum als „Maximalversorger“ in der Nähe sei, sei es wichtig, die Notfallversorgung in der Region Tuttlingen zu betrachten.

„Da sind die Entfernungen kritisch. Nicht unbedingt für Tuttlingen, aber für den Heuberg und die Baar“, so Freytag, der sein Haus aktuell in die zweite Stufe des Konzeptes einsortieren würde. „Das Klinikum sichert die Grund– und Regelversorgung inklusive der damit verbundenen Aufgaben bei der Notfallversorgung für den Landkreis und erfüllt wichtige, überregionale Versorgungsfunktionen in ausgewählten Schwerpunktbereichen.“

Die Anforderungen des Konzeptes nach Stufe II erfülle das Klinikum noch nicht ganz, „wäre aber dazu in der Lage.“

Für Klinik–Geschäftsführer stimmt die Kernbotschaft

Aus Sicht von Freytag dreht es sich in der Diskussion um die Krankenhausreform zu sehr um Details, die später erst konkretisiert werden müssen. „Die wichtigste und aus unserer Sicht politisch richtige Kernbotschaft des Gutachtens tritt in den Hintergrund: Das Gutachten bekennt sich eindeutig dazu, dass die Sicherstellung der Gesundheitsversorgung eine staatliche Aufgabe ist“, sagt der Klinik–Geschäftsführer. Dazu gehöre die Kooperation und nicht der Wettbewerb zwischen Krankenhäusern.

„Träger und Geschäftsführung des Klinikums Landkreis Tuttlingen halten den Weg der Zusammenarbeit und der Abstimmung (...) zwischen benachbarten Kliniken in einer Region für notwendig“, erklärte Freytag. Dazu gehöre die Frage der Schwerpunktbildung, die Aufgaben eines übergeordneten Zentrums wie dem Schwarzwald–Baar–Klinikum, die Zusammenarbeit mit der Universitätsmedizin in Freiburg und den niedergelassenen Ärzten und Pflegeeinrichtungen vor Ort.

Es sei jetzt schon eine Herausforderung, eine „flächendeckende und qualitativ gute Versorgung in der Region sicherzustellen“. Gelingt dies in Zukunft nicht, meint Freytag, fehlt ein Baustein zur Zukunftssicherung der Region von Heuberg, Baar und Oberer Donau.