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OP am offenen Klinik-Herzen: Bad Nauheimer Geschäftsführer über Reformpläne

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Matthias Müller, kaufmännischer Geschäftsführer der Bad Nauheimer Kerckhoff-Klinik, blickt skeptisch auf die aktuellen Pläne für eine Reform des Krankenhauswesens in Deutschland. ARCHIV © pv

Eine Reform soll Krankenhäuser in Deutschland auf sichere Füße stellen. Doch es regt sich Kritik. Die Befürchtungen sind, dass Kliniken schließen und Patienten Nachteile in Kauf nehmen müssen.

Noch feilt eine Expertenkommission an der Krankenhausreform für Deutschland, 2024 soll sie in Kraft treten. Schon regt sich Kritik aus dieser Branche, deren Verwundbarkeit die Pandemie offensichtlich gemacht hat. Die Reform soll die Versorgung der Patienten und die Finanzierung optimieren. Es geht unter anderem um eine Einteilung der Kliniken in Level. Wer es in ein höheres Level schafft, bekommt mehr Geld (siehe unten).

Ein Effekt könnte sein, dass Leistungen nach der Reform in einem großen statt in mehreren kleinen Krankenhäusern angeboten werden. Matthias Müller, kaufmännischer Geschäftsführer der Bad Nauheimer Kerckhoff-Klinik, hielte das für wenig sinnvoll. Viele Leute würden denken, dass sich die Fachkräfte auf die anderen Krankenhäuser verteilten, wenn Krankenhäuser geschlossen würden, sagt Müller. Aber: »Wenn Sie heute ein Krankenhaus mit 100 Fachkräften schließen, ist meine These, dass rund ein Drittel dieser Fachkräfte nicht automatisch in einem anderen Krankenhaus seine Tätigkeit fortsetzt.« Denn nicht jeder wolle beispielsweise die 30 Kilometer weiter zum neuen Arbeitsplatz fahren. »Es gibt eine große Identifikation im Pflegebereich mit dem Arbeitgeber«, sagt Müller.

Die Wetterau als Vorbild

Die Reform habe eine flächendeckende qualitativ hochwertige Versorgung zum Ziel. Doch führt sie auch dorthin? »Die Wetterau könnte eine Blaupause sein«, findet Müller. Hier sei die Abstimmung zwischen Kliniken und anderen Akteuren im Gesundheitssektor sehr gut. Die beiden großen Klinikträger Gesundheitszentrum Wetterau (GZW) und Kerckhoff-Klinik hätten Schwerpunkte, die über den Landkreis hinausstrahlten. »Die Berliner Ideen hängen auch damit zusammen, dass sie aus Berlin kommen. In Berlin gibt es weit über einhundert Krankenhäuser, da würden sie sich wahrscheinlich eine Abstimmung wie hier und in anderen Regionen in Hessen wünschen.«

Ein Beispiel für funktionierende Kooperationen ist in Müllers Augen die Notaufnahme, für die GZW und Kerckhoff zuständig sind. Gewachsene Kooperationen und Absprachen könnten durch die Reform zerschlagen werden, befürchtet Müller. »Das gilt es zu vermeiden.«

Weiterer Kritikpunkt: Um in eine höhere Stufe zu gelangen, könnten sich Klinik-Träger gezwungen sehen, bestimmte Geräte zu kaufen, um zusätzliche Leistungen erbringen zu können, ohne dies am Bedarf auszurichten. Vielleicht gibt es diese Leistung aber schon in der Klinik um die Ecke. Stimmen sich die Kliniken ab und ergänzen einander, hätte dies - nach den aktuellen Reformplänen - im Zweifelsfall zur Folge, dass keines der beiden Krankenhäuser im zweiten Level landen und dadurch auch keines von beiden von einer ausreichenden Finanzierung profitieren würde. Müller: »Wenn das Stufenmodell dazu führt, dass Kliniken sanktioniert werden, wenn sie sich abstimmen, dann ist es doch kontraproduktiv. Das ist meine wesentliche Kritik an dem System.«

Auswirkungen auf Patienten

Sollte die Reform Krankenhäusern schaden, dann würden das die Patienten spüren. Etwa dann, wenn eine Klinik ein Leistungsspektrum nicht mehr anbietet, weil sie es sich nicht leisten kann oder die Fachkräfte fehlen. Die Wege zum nächsten Krankenhaus könnten sich verlängern. Oder wenn durch Klinikschließungen Fachkräfte der Branche verloren gingen - auch das wäre aus Sicht der Patienten eine fatale Fehlentwicklung.

»Stand heute kann, glaube ich, keiner der Krankenhaus-Geschäftsführer mit dieser Reform richtig gut schlafen«, sagt Müller. Wie groß sind die Sorgen um seine Klinik? »Wir sind optimistisch und sehr sicher, dass wir am Markt bleiben werden. Wir wissen aber auch, dass wir stabile und verlässliche Kooperationspartner brauchen, mit denen wir die Zukunft gestalten möchten.« Das könnte auch für Reha-Kliniken gelten. Wenn in der Nähe die Rücken-OP wegfällt, kommen von dort auch keine Patienten mehr für die Rücken-Reha. »Wir sind schon selbstbewusst und werden auch diese Reform überstehen«, sagt Müller mit Blick auf die Kerckhoff-Klinik. Die Klinik ist eines der größten Herzzentren Deutschlands. Gleichzeitig zählt sie zu den renommiertesten Schwerpunktzentren für die Behandlung von Erkrankungen der Lunge, der Gefäße und rheumatischer Krankheitsbilder. Aber es gebe diese Unsicherheit in der Branche. »Durch die Pandemie sind Fachkräfte und Patienten extrem sensibilisiert, was ihr Gesundheitsumfeld angeht.«

Level und Leistungsgruppen

Neben der Einführung von Vorhaltepauschalen ist in der geplanten Reform die Einteilung der Krankenhäuser in Leistungsgruppen und Level geplant. Eine Aufteilung ist in drei Ebenen vorgesehen. Die Spitze bilden sogenannte Maximalversorger wie zum Beispiel eine Uni-Klinik (Level 3). Danach folgen Häuser mit Spezialisierung auf bestimmte Fachbereiche (Level 2). Level 1 soll aktuell in zwei Typen eingeteilt werden: Kliniken der Basisversorgung in Chirurgie mit einigen Intensivbetten und einer Notaufnahme sowie Krankenhäuser mit Allgemeinmedizin und Pflege im Vordergrund. Welches Krankenhaus welchem Level zugeordnet wird, hängt von den Leistungsgruppen ab, die es vorhält - zum Beispiel eine Stroke Unit für Schlaganfall-Patienten oder eine Geburtshilfe-Station. Die Regierungskommission empfehle »ein System von 128 Leistungsgruppen mit Strukturvorgaben und detaillierten Definitionen«, heißt es in der »Dritten Stellungnahme und Empfehlung der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung«. Die Behandlung der Patienten solle innerhalb einer Gruppe ähnliche Qualifikationen, Kompetenzen und Erfahrungen sowie gleichartige technische Ausstattung erfordern. Medizinische Leistungen sollen nur noch dort erbracht werden dürfen, wo geeignetes Fachpersonal und die medizinisch notwendige Ausstattung vorhanden sind. »Die Leistungsgruppen sollen eine bedarfsgerechtere Behandlung der Patientinnen und Patienten ermöglichen. Um die Qualität der medizinischen Versorgung zu sichern, werden die Mindeststrukturvoraussetzungen auf Ebene der Leistungsgruppen genau benannt.«

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