Personal-Abwanderung im Gesundheitssystem stellt EU vor Herausforderungen

Laut einem Bericht der Kommission aus dem Jahr 2021 sind die Gesundheitssysteme der EU-Mitgliedstaaten aufgrund eines gravierenden Personalmangels im Gesundheitswesen unter Druck. [Shutterstock/Yavdat]

Die zunehmend unverhältnismäßige Abwanderung von Gesundheitspersonal innerhalb der EU führt vielerorts zu Personalmangel und gefährdet die Nachhaltigkeit von Gesundheitssystemen. Die Rolle der EU ist begrenzt, trotzdem könnte Brüssel Maßnahmen ergreifen.

Laut einem Bericht der Kommission aus dem Jahr 2021 sind die Gesundheitssysteme der EU-Mitgliedstaaten aufgrund gravierenden Personalmangels im Gesundheitswesen unter Druck.

Entgegen der von der EU angestrebten „Konvergenz nach oben“ zeigt der Bericht, dass die Gesundheitsversorgung in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich ist.

So haben Rumänien und Polen eine geringere Dichte an Ärzten und Krankenschwestern als Deutschland und Schweden, was zum Teil auf die Migration innerhalb der EU zurückzuführen ist.

Dadurch, dass auf dem gemeinsamen Binnenmarkt alle Mitgliedstaaten um dieselben Arbeitskräfte buhlen, haben reichere Länder die Oberhand und ärmere geraten ins Hintertreffen, so die Argumentation der Kritiker.

„Rumänien, Italien, Griechenland und alle osteuropäischen Länder sind die am stärksten betroffenen Länder, denen qualifizierte Arbeitskräfte und brillante Köpfe entzogen werden“, sagte Gugliemo Trovato, Kommunikationsdirektor der European Medical Association, gegenüber EURACTIV.

Aus Trovatos Sicht gehören Gehälter, Einrichtungen und Ausbildungsmöglichkeiten zu den Hauptgründen, aus denen sich Gesundheitspersonal für die Abwanderung entscheidet.

Auch der Europäische Verband der Krankenpfleger betont, dass der Personalmangel ein ernstes Problem sei, das die gesamte EU betreffe, nicht nur die östlichen und südlichen Mitgliedsstaaten.

„Die Situation ist überall schlecht […] Alle EU-Mitgliedsstaaten leiden unter Personalmangel“, sagte EFN-Generalsekretär Paul de Raeve gegenüber EURACTIV. Er fügte hinzu, dass „Krankenhäuser Abteilungen schließen, weil es kein Pflegepersonal gibt.“

De Vries nannte den Mangel an Pflegepersonal eine „tickende Bombe.“

Mehrere EU-Abgeordnete argumentieren, dass sich die EU stärker an der Suche nach einer Lösung beteiligen sollte – keine leichte Aufgabe, wenn man bedenkt, dass die EU nur begrenzte Kompetenzen im Gesundheitsbereich hat.

Aus Kommissionskreisen heißt es gegenüber EURACTIV, dass der Handlungsspielraum der Kommission laut EU-Vertrag begrenzt sei, da die Mitgliedstaaten für die Verwaltung der Gesundheitsdienste und die medizinische Versorgung verantwortlich seien.

Die Kommission sei sich jedoch des Fachkräftemangels im Gesundheitswesen bewusst, ebenso wie der Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten und der Schwierigkeit einiger Länder, Fachkräfte zu halten.

Die Quelle betonte, dass die Kommission bereits Maßnahmen ergreife, um im Rahmen des EU4Health-Programms die vielschichtigen Probleme des Gesundheitspersonals anzugehen.

Europaabgeordnete fordern zum Handeln auf

„Es ist Aufgabe der EU und ihrer Institutionen, die Maßnahmen der einzelnen europäischen Länder zu flankieren und zu ergänzen“, sagte die Lega-Abgeordnete Annalisa Tardino gegenüber EURACTIV. Ihrer Meinung nach sollten die Institutionen die Zusammenarbeit fördern und die Maßnahmen und Interventionen der Mitgliedstaaten unterstützen.

Ihr Kollege von der S&D, Tudor Ciuhodaru, ebenfalls Mediziner, sagte, es würden mehr Mittel benötigt.

„Die gesunde Lösung, die ich vorschlage, nach dem Modell des prozentualen Beitrags jedes Staates zur NATO, sollten wir auch bei der Finanzierung des Gesundheitswesens anwenden“, sagte Ciuhodaru gegenüber EURACTIV und fügte hinzu, dass es eine „Revolution im Gesundheitswesen“ geben müsse.

Der Europaabgeordnete István Ujhelyi ist der Meinung, dass die EU eine aktivere Rolle bei der Förderung des Wachstums der Gesundheitssysteme in allen Mitgliedstaaten spielen sollte, was durch eine echte Europäische Gesundheitsunion erreicht werden könnte.

„Seit Beginn meiner Amtszeit habe ich mich für eine europäische Gesundheitsunion und eine einheitliche Gesundheit eingesetzt, angefangen bei der Entwicklung europäischer Qualitätsstandards im Gesundheitswesen bis hin zu einer Finanzierungspolitik, die einen fairen Zugang zur Gesundheit gewährleistet. Einheit in Vielfalt, das Motto der Europäischen Union, muss auch gleichen Zugang zur Gesundheit bedeuten“, so der ungarische Politiker.

Was die EU tun könnte

Für die gesundheitspolitische Nichtregierungsorganisation WEMOS wird das wichtigste „Versprechen“ Europas gebrochen.

„Wir halten das Versprechen nicht ein, das wir den Mitgliedsstaaten und den Menschen in den Mitgliedsstaaten gegeben haben, dass wir in der EU gemeinsam und solidarisch gedeihen werden“, sagte Corinne Hinlopen, Forscherin für globale Gesundheitspolitik bei WEMOS.

Die NGO ist der Ansicht, dass die EU trotz ihrer begrenzten Zuständigkeit konkrete Schritte zur Verbesserung der Situation unternehmen könnte. Allerdings muss die EU zunächst vollständig verstehen, was auf dem Gesundheitsarbeitsmarkt geschieht.

Diese Maßnahmen könnten von der ausdrücklichen Behandlung von Fragen des Gesundheitspersonals auf den Tagungen der EU-Gesundheitsminister bis hin zur Erörterung des Themas in den verschiedenen Generaldirektionen der Europäischen Kommission und nicht nur in der für Gesundheit zuständigen Generaldirektion (GD SANTE) reichen.

Eine weitere politische Maßnahme ist die Erhebung geeigneter Daten auf EU-Ebene, denn derzeit gibt es zwar viele Quellen, aber noch kein klares Bild der Situation.

Diese Daten könnten zum Beispiel im Rahmen des Europäischen Semesters übermittelt werden: ein Instrument, das die Kommission nutzt, um den Mitgliedstaaten politische Empfehlungen in verschiedenen Wirtschaftsbereichen zu geben.

WEMOS schlägt eine obligatorische Berichterstattung über die Dichte des Gesundheitspersonals in den Mitgliedstaaten, die Autarkie der Länder bei der Aus- und Weiterbildung von Gesundheitspersonal oder die Abhängigkeit von im Ausland ausgebildeten und geborenen Fachkräften vor.

Nach Ansicht der NGO könnte die Datenerhebung entweder durch die Gründung einer neuen Einrichtung oder durch bestehende Einrichtungen, wie das Europäische Observatorium für Gesundheitssysteme und Gesundheitspolitik oder das ECDC, erfolgen.

Hinsichtlich der Finanzierung besteht WEMOS darauf, dass die EU die Mitgliedstaaten ermutigen sollte, verschiedene Instrumente zu nutzen, vom Konjunkturfonds über den Kohäsionsfonds bis hin zur Europäischen Investitionsbank.

„Die Kosten der Untätigkeit sind enorm […] wir sollten uns darüber im Klaren sein, dass in Ländern wie Rumänien, Estland, der Slowakei und Ungarn in den letzten 12 Jahren so viele Ärzte abgewandert sind, dass sie 20 bis 25 Prozent des derzeitigen Personalbestands im Gesundheitswesen ausmachen würden“, so Hinlopen.

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