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Krankenhaus-Streiks gefährden die Gesundheit der Patienten

Mitarbeiter der Berliner Charité beim Warnstreik von Verdi Mitarbeiter der Berliner Charité beim Warnstreik von Verdi
Mitarbeiter der Berliner Charité beim Warnstreik von Verdi
Quelle: dpa/Fabian Sommer
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Streiks beeinträchtigen die Funktionsweise von Krankenhäusern – und führen immer auch zu einer Gefährdung von Patienten. Andere Länder haben daher gesetzlich vorgebeugt. In Deutschland jedoch fehlt der politische Mut dazu. Ein Gastbeitrag.

Es wird wieder gestreikt. Auch in Krankenhäusern. Das ist kein Arbeitskampf wie andere auch. Denn es geht hier immer auch um die Versorgung von Patienten, um Gesundheit und Leben, die beeinträchtigt sind. Das ist nicht immer auszuschließen. Aber das Streikrecht ist ein Grundrecht. Wer die Koalitionsfreiheit ernst nimmt, der wird Eingriffe in dieses notwendige Mittel zur Erreichung angemessener Tarifverträge nicht leichtfertig fordern. Zu berücksichtigen ist aber auch: Wie jedes Grundrecht ist auch die Koalitionsfreiheit eingebettet in ein System anderer Grundrechte. Ein solches Grundrecht ist der Schutz des Lebens und der Gesundheit.

Mehr noch: Es ist – wie das Bundesverfassungsgericht es einmal ausgedrückt hat – Basis für die Wahrnehmung aller anderen Grundrechte. Die Sozialpartner handeln nicht im luftleeren Raum, und so ist das Gemeinwohl stets in den Blick zu nehmen. Der Konflikt dieser Grundrechtsposition ist deutlich geworden in den Arbeitskämpfen im Gesundheitsbereich im letzten Jahr, z. B. dem zwölfwöchigen Streik von ver:di an den sechs Universitätsklinika von NRW.

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Diese Krankenhäuser der Maximalversorgung wurden bestreikt, um angemessene Arbeitsbedingungen von Pflegerinnen und Pflegern zu erreichen. Dies beeinträchtigte, mit jedem Streiktag mehr, notwendig die Aufgabe dieser Krankenhäuser – und gerade dies war ja auch von der Gewerkschaft gewollt, fehlt es doch sonst am Druck auf den Arbeitgeber.

Der Druck auf das Krankenhaus führt aber zum Druck auf Patienten und unvermeidbar mit zunehmender Warteliste im Hinblick auf Operationen und andere Behandlungen immer auch zu einer fortschreitenden Gefährdung und – es ist hart, aber wahr – eben auch in einigen Fällen zur ernsten Gefährdung von Gesundheit oder Leben.

Hilferufe von Patientenvertretern

Dies hat sich eindrücklich auch im Streik an den Universitätsklinika vom vergangenen Jahr gezeigt, bei dem kurz vor Ende des Streiks über 2000 Patienten auf Wartelisten für Operationen alleine im Universitätsklinikum Bonn standen. Da dieses den dritthöchsten durchschnittlichen Fallschweregrad (Case-Mix-Index) in Deutschland hat, waren die Operationen der Patienten auf der Warteliste nicht nur zu 100 Prozent ärztlich geboten, sondern sehr häufig auch wirklich dringlich, auch bei nicht akuten Notfällen.

Es gab Hilferufe von Patientenvertretern. Der Spiegel titelte plastisch: „Im Moment leiden beide. Die Patienten und das Personal.“ Es gibt eben nicht nur auf der einen Seite diejenigen Notfälle, bei denen die medizinischen Eingriffe sofort stattfinden müssen, und auf der anderen Seite die sogenannten elektiven Eingriffe, die sozusagen jederzeit nach Feststellung des Behandlungsbedarfs stattfinden können.

Der weitaus größte Prozentsatz der Patienten auf der Warteliste für Operationen hat eine fortschreitende Gefährdung, sodass vor dem geplanten aber verschobenen Eingriff eine unwiderrufliche Gefährdung eintritt – oder sogar, und das ist eben nicht auszuschließen, der vermeidbar gewesene Tod.

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Auch die Verschiebung planbarer Eingriffe kann verschiedene Gesundheitsrisiken verursachen. Deswegen wurden vom Universitätsklinikum Bonn im letzten Jahr gegen die Arbeitsniederlegungen einstweilige Verfügungen beantragt. Und das Gericht erhöhte die Zahl der arbeitsfähig zu haltenden Operationssäle gegenüber der Zahl, die die Gewerkschaften in der Notdienstvereinbarung zugestanden hatten. Eine solche Ausweitung wurde als erforderlich gewertet, um den Streik verhältnismäßig werden zu lassen. Nicht jeder Richter wird sich wohl dabei gefühlt haben, hier als Hilfsmediator im Gemeinwohlinteresse agieren zu müssen.

Diese Erfahrungen haben deutlich gemacht: Solche Lösungen verbindlicher und angemessener Notdienste muss es bereits vor dem Streik geben. Deshalb bedarf es besserer Regelungen, die einerseits Streiks auch im Gesundheitswesen weiterhin möglich machen, jedoch die Interessen der Patienten – nur um diese geht es – angemessen berücksichtigen.

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Der Streik ist eine „scharfe Waffe“ (Bundesarbeitsgericht), und sie sollte nur dann gezückt werden, wenn sie tatsächlich erforderlich ist. Vorschläge, hier zu einem angemessenen Interessenausgleich zu kommen, liegen seit vielen Jahren auf dem Tisch. Bislang fehlt der Mut, sie zu sichten, zu wägen und gegebenenfalls umzusetzen.

Richterliche Mediation, bevor es zum Streik kommt

Sinnvoll erscheint insbesondere eine verpflichtende Einigung auf Notdienstarbeiten – notfalls unter richterlicher Mediation, bevor es zu einem Streik kommen darf. Praktisch heißt das: Es braucht so etwas wie eine Schlichtungsstelle für die Vereinbarung von adäquaten Notdiensten.

Ebenso wäre es wünschenswert, den Streik möglichst weit nach hinten zu schieben: Bevor Patienten in Mitleidenschaft gezogen werden dürfen, müssen die Kontrahenten versucht haben, in einer Schlichtung zu einer Einigung zu kommen – und wenn der Schlichtungsspruch dann als unangemessen empfunden wird, dann mag die Gewerkschaft zum Streik aufrufen. Aber eben erst dann.

All das wäre kein deutscher Sonderweg. Auch andere Länder haben gerade im Gesundheitswesen eigenständige Regelungen zum Schutze der Patienten gefunden – teilweise als Gesetz, teilweise als Selbstverpflichtung der Tarifpartner, die dann durch Gesetz allgemeine Verbindlichkeit bekommen hat (wie in Irland). Hieran kann sich der deutsche Gesetzgeber ein Vorbild nehmen.

Das Ausland macht es vor

Es braucht bessere Regeln für alle. Und hierzu braucht es sicherlich auch politischen Mut, aber auch Dialogbereitschaft und die Bereitschaft, die legitimen Interessen aller zu berücksichtigen. Die Politik muss also nicht bei Null anfangen. Das Ausland macht es vor, welche Instrumente genutzt werden können, schonendere Wege zu angemessenen Tarifverträgen zu finden.

In Frankreich etwa müssen die Angehörigen der Gesundheitsberufe in öffentlichen oder privaten Einrichtungen des Gesundheitsdienstes einen Streik fünf Tage im Voraus ankündigen. Andere Länder – z.B. Belgien – haben längere Fristen von bis zu zwei Wochen. Ebenfalls in Belgien muss im Gesundheitssektor im Falle eines Streiks ein Notdienst bereitgestellt werden ähnlich wie in Deutschland. Der Vorteil aber: Gemeinsame Ausschüsse von Arbeitgebern und Arbeitnehmern entscheiden über den Bedarf an kritischen Diensten und wie dieser während des Streiks gedeckt werden kann. Der Staat greift nur ein, wenn sich die Parteien nicht einigen können. Erst nachdem hier ein adäquater Notdienst feststeht, darf gestreikt werden.

Vieles ist also denkbar. Was am Ende der beste Weg ist, das sollte im Dialog mit allen Beteiligten geprüft werden. Scheuklappen und Denkverbote stören. Der Schutz von Leben und Gesundheit ist jede Anstrengung wert.

Streik in Krankenhäusern v.l.: Prof. Wolfgang Holzgreve Hermann Gröhe Gregor Thüsing
Streik in Krankenhäusern v.l.: Prof. Wolfgang Holzgreve Hermann Gröhe Gregor Thüsing
Quelle: UKKlinik Bonn; Tobias Koch; Michael Bahlo
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Von links: Prof. Wolfgang Holzgreve ist Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender am Universitätsklinikum Bonn. Hermann Gröhe ist stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Prof. Gregor Thüsing ist Direktor des Instituts für Arbeitsrecht und Recht der sozialen Sicherung an der Universität Bonn.


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