Krankenhausreform :
„Fallpauschalen setzen Fehlanreize“

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Wille zur Veränderung: Hessens Sozialminister Kai Klose (Die Grünen).
Deutschland steht vor einer großen Krankenhausreform. Warum die Bundesländer trotzdem auf eigene Regelungen bestehen, erklärt Hessens Gesundheitsminister Kai Klose im Gespräch.
Es heißt oft, das Gesundheitssystem sei krank. Heilung soll nun die Krankenhausreform bringen. Sprechen wir hier von einem kleinen Eingriff oder von einer Operation am offenen Herzen?

Wenn wir weitermachen in der Struktur, die wir im Moment haben, würde dies das eine oder andere Krankenhaus ohne einen Eingriff nicht überstehen. Damit wir die Qualität unseres hochwertigen Gesundheitssystems aufrechterhalten können, müssen wir Dinge ändern. Der Ansatz der Bundesregierung, gemeinsam mit den Ländern eine große Krankenhausstrukturreform auf den Weg zu bringen, ist genau der richtige. Die Basis bildet das Konzept der Expertenkommission. Das ist eine vernünftige Diskussionsgrundlage, auch wenn klar ist, dass das nicht eins zu eins umgesetzt wird.

Wird am Ende wieder jedes Land seine eigene Agenda durchsetzen?

Es ist für alle Länder wichtig, dass es eng definierte Öffnungsklauseln und Ausnahmetatbestände gibt, um notwendige regionale Besonderheiten zu berücksichtigen. Es muss aber eine einheitliche und funktionierende Reform sein.

War das nicht eine Lektion aus Corona, dass man mit einer Ausnahme wieder einen Flickenteppich an Regelungen ermöglicht?

Es kommt darauf an, die richtige Balance zu finden. Es ist richtig, bundeseinheitlich Kriterien zu definieren und die Korridore der Öffnungsmöglichkeiten eng zu belassen. Es kann am Ende ja nicht so sein, dass wir 16 verschiedene Systeme haben.

Darin, dass eine Reform notwendig ist, sind sich alle einig. Wie stellt sich aus Ihrer Sicht die aktuelle Situation in den Krankenhäusern dar?

Seit etwa 20 Jahren funktioniert die Krankenhausfinanzierung primär über Fallpauschalen. Das wiederum setzt Kliniken unter enormen ökonomischen Druck. Wir müssen stärker dahin kommen, die Versorgungsstruktur neu zu sortieren. Das heißt, eine stärkere Konzentration auf spezialisierte Kliniken und gleichzeitig eine Krankenhauslandschaft, die kurze Wege für die Notfallversorgung bietet.

Die Fallpauschalen wurden ja nicht ohne Grund eingeführt. Sie sollten verhindern, dass Patienten länger in den Kliniken liegen müssen, als unbedingt notwendig. Ist jetzt alles schlecht, was einst gut war?

Die Fallpauschalen setzen Fehlanreize zur Masse. Bevor sie eingeführt wurden, war die Einsicht, dass es in Deutschland zu viele Krankenhausbetten gibt und die Menschen zu lange im Krankenhaus bleiben mussten. Man ist vor etwa 20 Jahren dazu übergegangen, pro Fall zu bezahlen. Der Effekt, den man sich damals versprochen hatte, ist eingetreten. Nämlich, dass Menschen wesentlich schneller aus Krankenhäusern entlassen werden. Aber die Pauschale hat auch dazu geführt, dass Krankenhäuser, die wir auch brauchen, weil sie die Notfallversorgung im ländlichen Raum sicherstellen, sich allein über die Fallzahl nicht mehr finanzieren können.

Ist die Fallpauschale das einzige Problem?

Nein. Wir sind in einer Situation, in der wir aufgrund der demographischen Entwicklung immer mehr Menschen haben, die auf medizinische Dienstleistungen angewiesen sind, gleichzeitig aber immer weniger Personal dort zur Verfügung steht, weil die geburtenstarken Jahrgänge zunehmend aus den medizinischen und pflegerischen Jobs herausgehen. Alle diese Faktoren kommen jetzt zusammen und wirken auf die Krankenhäuser ein.

Wo setzen denn die Reformvorschläge an?

Das, worüber Bund und Länder jetzt reden, betrifft zunächst die Betriebskostenfinanzierung. Hier ist es wichtig, dass der Bund bei den kleineren Häusern, die auch die Notfallversorgung sicherstellen, stärker in die Vorhaltefinanzierung geht. Dadurch werden sie unabhängiger von den Fallzahlen, um ihren Betrieb weiter zu gewährleisten. Das ist ein grundsätzlich kluger Gedanke. Am Ende geht es immer darum, eine möglichst gute Patientenversorgung hinzubekommen – bei insgesamt immer weniger Personal.

Wo sehen Sie die Chancen für die Krankenhauslandschaft in Hessen?

Die Krankenhäuser, wie in den Reformplänen vorgesehen, nach Leistungsgruppen zu definieren, aus denen sich Versorgungsstufen ableiten, ist gut. In Versorgungsstufe III finden sich dann die Maximalversorger, die der Stufe II sind etwas kleinere Häuser, die durchaus ihre Spezialgebiete haben, und die Versorgungsstufe I bilden sowohl Krankenhäuser, die eine Notfallversorgung übernehmen, als auch diejenigen, die eher in Richtung eines Gesundheitszentrums gehen. Das ähnelt der Einteilung, die wir während Corona so erfolgreich vorgenommen haben. Damals gab es die koordinierenden Krankenhäuser, das waren die Maximalversorger, und die kooperierenden. Das waren die kleineren Häuser im gleichen Versorgungsgebiet.

Was sind genau Leistungsgruppen?

Ich mache es mal an einem Beispiel deutlich. Ein Krankenhaus hat heute beispielsweise einen Versorgungsauftrag für den Bereich der Inneren Medizin. Nun ist gerade dieses Feld unheimlich weit und umfasst eine Vielzahl von Behandlungen von der einfachen Infektion bis hin zur komplexen Krebsbehandlung. In Zukunft soll es so sein, dass die Leistungsgruppen enger definiert werden. So kann es dann beispielsweise eine Konzentration auf den speziellen Leistungsbereich der Kardiologie geben – und nicht mehr automatisch auf den großen Bereich der Inneren Medizin. Nordrhein-Westfalen hat hier bereits sehr gute Vorarbeit geleistet. Am Donnerstag haben Länder und Bund sich verständigt, dass daran angeknüpft werden soll.

Wird also eine Spezialisierung der Krankenhäuser gefördert?

Ja, alles wird stärker ausdifferenziert. Es ist außerdem notwendig, dass wir noch besser sektorenübergreifend arbeiten. Man kann nach meiner festen Überzeugung die stationäre Versorgung nicht ohne die ambulante Versorgung denken.

Die Forderung nach einer besseren Verzahnung haben wir schon oft gehört. Zuletzt während der Corona-Pandemie.

In Corona war unser oberstes Ziel, dass die Krankenhäuser nicht überlastet werden. Das hätten wir nie geschafft, wenn wir nicht die Schutzmauer der ambulanten Praxen gehabt hätten. So ähnlich müssen wir jetzt auch denken. Es gibt auch viele Krankheitsbilder, die ambulant versorgt werden können und keine stationäre Behandlung benötigen. Wir müssen stärker sortieren.

Und dann?

Das hat auch Auswirkungen auf den Rettungsdienst. Wenn der Rettungsdienst gerufen wird, ist er in der Regel gehalten, Leute ins Krankenhaus zu bringen. Auch dann, wenn sie vielleicht gar keine stationäre Versorgung brauchen. Wenn die Reform dazu führt, dass sich Wege zum nächstgelegenen Krankenhaus verändern, dann ist auch der Rettungsdienst davon betroffen. Wir müssen also Krankenhäuser, versorgende Ärzte und Rettungsdienst zusammendenken — gerade was die Versorgung im ländlichen Raum betrifft. Das haben wir aus Hessen als Verantwortliche für die ambulante und stationäre Versorgung und den Rettungsdienst besonders stark gemacht. Deshalb ist es auch so wichtig, dass die Krankenhausplanung bei den Ländern bleibt. Weil wir als Länder einen Blick darauf haben, wie die regionalen Verhältnisse sind.

Die Finanzierung ist also Bundes- und die Planung Ländersache?

Die Krankenhausfinanzierung in Deutschland ist in zwei Stränge geteilt. Die Länder übernehmen die Investitionskostenfinanzierung. Der Bund, sprich die Kassen, kommt für die Betriebskosten auf. Beides muss man gemeinsam anschauen, weil die Länder gleichzeitig für die Krankenhausplanung zuständig sind. Die Länder hatten in den letzten Jahren Nachholbedarf, was die Investitionskostenfinanzierung angeht. Wir waren da alle nicht gut. In Hessen haben wir aber seit dem Beginn dieser Legislaturperiode die Summe fast verdoppelt. Wir werden im nächsten Jahr pauschal fast 390 Millionen Euro zahlen und sind damit bundesweit spitze.

Sie sprachen zuvor von „Wegen, die sich verändern“ könnten. Gehen Sie also davon aus, dass manch ein Krankenhaus nicht mehr angefahren werden kann, weil es im Zuge der Umstrukturierung geschlossen werden muss?

Das ist nicht das Ziel. Der Bund stützt ja mit der Vorhaltefinanzierung auch die kleineren Häuser, die primär mit Finanzproblemen konfrontiert sind. Wir reden von einem Umbau. Ich kann mir vorstellen, dass über Verbundlösungen oder den Tausch von Versorgungsaufträgen Veränderungen stattfinden.

Mit Blick auf die hessische Krankenhauslandschaft – wie gut versorgt sind die Hessen?

Hessen ist gut, aber unterschiedlich versorgt. Im ländlichen Bereich ist die Herausforderung, die Notfallversorgung aufrechtzuerhalten. Im Rhein-Main-Gebiet haben wir hingegen die Situation, dass viele teils dicht beieinanderliegende Krankenhäuser die gleichen Leistungen anbieten. Krankenhäuser werden künftig stärker miteinander kooperieren und sich wechselseitig ergänzen müssen.

Das hört sich nach einem Rundumschlag an. Wie konkret sind die Pläne schon?

Ziel der Bundesregierung ist, nach der Sommerpause einen Gesetzentwurf vorzulegen. Minister Lauterbach hat erkennbar großes Interesse daran, das – anders als manches seiner Vorhaben bisher – gemeinsam mit den Ländern zu machen. Es handelt sich um einen eng abgestimmten, aber auch sehr ambitionierten Fahrplan. Auf hessischer Ebene habe ich, anknüpfend an die kooperative Arbeitsweise, die wir während Corona erfolgreich etabliert haben, eine Arbeitsgruppe des Landeskrankenhausausschusses gegründet, in der alle Player vertreten sind: Klinikvertreter, niedergelassene Ärzteschaft, aber auch die kommunalen Spitzenverbände und die Krankenkassen. Hier besprechen wir, wie sie die Pläne aus Sicht der Praxis bewerten. Ich greife also auf ein eingespieltes Bündnis zurück.

So ein Transformationsprozess benötigt Geld – woher soll das kommen?

Dieser Umbau wird nicht ohne zusätzliche Geldspritze des Bundes funktionieren, weil die Krankenhäuser dann auch Prozesse bei sich anstoßen müssen, die durchaus aufwendig sind. Es ist noch zu früh, Zahlen zu nennen, dazu ist das Konzept noch zu vage.

Zwänge und Ziele der Reform

Aktuelle Finanzierung: Das Geld für Kliniken stammt aus zwei Quellen. Die Kosten für Investitionen, beispielsweise in Gebäude, tragen die Länder. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft geht von einem Investitionsstau von sechs Milliarden Euro aus. Die laufenden Betriebskosten, etwa die Gehälter des Personals, übernehmen die Krankenkassen. Das Geld stammt aus den kritisierten Fallpauschalen.

Die Zukunft der Fallpauschale: Die Fallpauschalen sollen nicht ersatzlos gestrichen, sondern lediglich ergänzt werden. So sollen die Kliniken auch Geld dafür erhalten, dass sie gewisse Behandlungskapazitäten bereithalten. Das ist besonders in der Notfallmedizin, der Geburtshilfe oder bei der Behandlung von Neugeborenen notwendig.

Alle machen (nicht) mehr alles: Das Prinzip „Alle machen alles“ soll zerschlagen werden. Die Krankenhauslandschaft soll in Versorgungsstufen eingeteilt werden. Die Spitze bilden die Maximalversorger (Level III), also Universitätskliniken sowie ähnlich ausgestattete Krankenhäuser. Als Level-II-Häuser werden jene bezeichnet, die sich auf bestimmte Fachgebiete spezialisiert haben. Auf der Level-I-Ebene wird noch einmal differenziert in Kliniken, die eine Basisversorgung anbieten und auch über eine Notaufnahme verfügen. Und in Krankenhäuser, bei denen die Allgemeinmedizin und die Pflege im Vordergrund stehen. Gesetzlich soll strenger geregelt werden, welche personellen und technischen Mindestanforderungen für das Angebot bestimmter medizinischer Leistungen erfüllt werden müssen. mali.