Behandlungskosten :
Wieso die Krankenkassen die Partikeltherapie honorieren sollten

Lesezeit: 5 Min.
Teuer, aber wegweisend: Anlage für die Partikeltherapie zur Krebsbehandlung am Klinikum Gießen/Marburg.
Das Uni-Klinikum in Gießen und Marburg bietet eine spezielle Partikeltherapie bei ­Tumoren – mit großem Erfolg. Aber wie es weitergeht, hängt an den Krankenkassen. Dabei geht es auch um klinische Studien.

Welche Rolle spielt ein Leuchtturm? Die Frage ist weniger gewöhnlich, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Denn dem Leuchtturm als Begriff kommt nicht nur eine Bedeutung zu. Am Meer ­handelt es sich historisch gesehen um einen Turm mit einem Feuer an der Spitze. Er soll Seefahrern mit seiner optischen Strahlkraft als Peilmarke dienen und sie zugleich vor Untiefen und anderen verborgenen Gefahren warnen. Das Bild solcher Leuchtfeuer als aus der Landschaft herausragende Gebäude hat sich die Politik längst zunutze gemacht und, um in der Seefahrersprache zu bleiben, den Begriff gekapert: Sie bezeichnet auch binnenländische Bauwerke als „Leuchttürme“, sofern sie als beispielhaft gelten können. Das gilt etwa für das Partikeltherapiezentrum neben dem Uniklinikum in Marburg. Einer von nur zwei Anlagen dieser Art in Deutschland.

Das Partikeltherapiezentrum zur Behandlung besonderer Tumore ist ein Kind der im Frühjahr 2006 von der hessischen Landesregierung unter Roland Koch (CDU) vollzogenen Privatisierung der zuvor fusionierten Unikliniken Gießen und Marburg. Seinerzeit ächzte der lahnabwärts gelegene Standort unter einem Investitionsstau. Es fehlte eine dreistellige Millionensumme aus der Landeskasse. Oder wie es der Ärztliche Geschäftsführer des mittelhessischen Großklinikums jüngst rückblickend formulierte: „Frankfurt war sa­krosankt, Marburg frisch saniert und Gießen dumm dran.“ Die Landesregierung suchte ihr Heil im Verkauf der Mehrheit der Anteile an einen privaten Klinikkonzern. Den Zuschlag bekam letztlich die börsennotierte Rhön-Klinikum AG. Sie hält seitdem 95 Prozent der Anteile, der Rest liegt beim Land. Im Gegenzug zum Verkauf sagte der fränkische Konzern einige Großbauvorhaben zu, darunter den Neubau des Klinikums in Gießen und eben das Partikeltherapiezentrum.

Dass dieser ironischerweise in einem Flachbau untergebrachte sogenannte Leuchtturm erst 2015 und damit Jahre später als geplant zu funken begann, mittlerweile verlässlich wirkt, nun aber wieder aus finanziellen Gründen ins Blickfeld gerät, fügt sich passgenau ein in seine wechselvolle Geschichte. Erfreulich ist dieser Umstand aber weder für das am Ort tätige Team aus Medizinern, Physikern und anderem Personal noch für die rund 350 Patienten im Jahr. Sie brauchen niemanden, der im Zweifel dem Betrieb notwendige Energie entzieht. Derzeit geht es um die Frage: Unter welchen Bedingungen kann das Team um den neuen jungen Chef Sebastian Adeberg weiter mit Schwerionen und anderen Ionen schwer kranke Menschen behandeln und im Idealfall heilen? Menschen, darunter Kinder, denen sonst kaum oder gar nicht geholfen werden kann. Diese Frage bildet den Kern der Verhandlungen zwischen dem Uniklinikum Gießen und Marburg sowie dem Betreiber der Partikeltherapie einerseits und den Krankenkassen andererseits.

Im Vergleich zu Orphan-Drug-Therapien fast ein Schnäppchen

Um diesen spannungsgeladenen Kern gruppieren sich einige Satelliten. Das sind, neben der mindestens bis ins nächste Jahr hinein gewährleisteten technischen Unterstützung durch den Medizintechnik-Hersteller Siemens Heathineers, vor allem die mit einer Behandlung verbundenen Kosten. Anders gesagt: Die Kassen interessieren sich für deren Begründung, wie Gunther Weiß als Chef des Uniklinikums sagt. Eine Behandlung kostet im Durchschnitt eine überschaubare fünfstellige Summe. Nun weiß der Klinikchef um die Milliardendefizite der gesetzlichen Krankenkassen. Sie erwarten für das laufende Jahr ein Minus von etwa 17 Milliarden Euro und im nächsten Jahr ein noch tieferes Loch. Da die Krankenkassen mit Versichertengeldern umgehen, sind solche Fragen so zulässig wie notwendig.

Allerdings sind sie schon Gegenstand der bisher letzten Verhandlungen zwischen beiden Seiten gewesen. Dass sie abermals auf der Tagesordnung stehen, macht die Mediziner nervös. Das erscheint verständlich. Zumal die Krankenkassen für seltene Erkrankungen im Zweifel je Patient einen namhaften sechsstelligen Betrag im Jahr ausgeben. Die Kosten für neu zugelassene Medikamente gegen solche Erkrankungen (Orphan-Drug-Therapien) haben sich seit 2011 auf durchschnittlich 540.000 Euro je Jahr und Patient verfünffacht, wie die DAK im Herbst meldete. Dagegen ist eine Behandlungsreihe in der Partikeltherapie fast ein Schnäppchen. Beide Fälle eint zudem eines: Sie gelten als Mittel der Wahl, weil keine andere Behandlung die therapeutisch möglichen Fortschritte verspricht.

Folgendes macht die Partikeltherapie so besonders: Die abgeschossenen Schwerionen schädigen im Gegensatz zu anderen Strahlentherapien auf dem Weg zum Ziel kaum das umliegende Gewebe und fächern sich dann im Tumor auf. Das Geschwür wird zuvor in 3-D gerastert. Weiß wählt als Vergleich das Bild einer Mandarine, die von Strahlen rundum Punkt für Punkt getroffen werde – und nicht nur von einer Seite.

Die Kassen sollten auch für klinische Studie zahlen

Geld bringen die guten Taten aber nicht in die Kasse des Uniklinikums: Vielmehr ist die Partikeltherapie ein Zuschussbetrieb. Sie verursacht jährlich eine kleine Millionensumme als Defizit. Vor diesem Hintergrund ist dem drittgrößten deutschen Uniklinikum und der Rhön-Klinikum AG das wiederholt verlautbarte Bekenntnis zum Partikeltherapiezentrum hoch anzurechnen. Es ist, anders als vor zehn Jahren, keine Rede mehr vom Abbau der Anlage mit einem 50 mal 90 Meter messenden ­Teilchenbeschleuniger als Herzstück. Als 2018 der damalige Betreiber mit einem Insolvenzantrag überraschte und das Licht des Leuchtturms aus­zugehen drohte, rettete Rhön das Projekt durch eine Übernahme. Dass ihr geistiger Vater das GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung in Darmstadt ist, zeigt nebenbei die segensreiche Wirkung öffentlicher Grundlagenforschung mit Großanlagen in Hessen.

Wie stehen nun die Krankenkassen zur weiteren Finanzierung? Die AOK etwa lässt sich nicht in die Karten schauen. Alles andere wäre auch verwunderlich. Wer gibt schon vorab seine Verhandlungslinie preis? Dessen ungeachtet haben nicht nur die Kassen ihre Vorstellungen – umgekehrt gilt das auch für das Uniklinikum. Seine Spitze greift den Wunsch nach einer besseren Datenlage zum klinischen Nutzen der Partikeltherapie auf und möchte von den Kassen ihrerseits Geld für weitere Studien. Was auf den ersten Blick etwas keck anmutet, hat Sinn. Denn gemeinhin kommen Hersteller von Gesundheitsprodukten für die Kosten dieser Art auf, also etwa Pharmakonzerne, die mit ihren Produkten dann entsprechend gutes Geld verdienen. Nun ist der Betreiber der Partikeltherapie weder deren Hersteller, noch eignet sich die Anlage als Profitcenter. Insofern ist der Fall anders gelagert.

Nach dem Motto „Wer bestellt, der bezahlt“ sollten sich die Kassen neue Studien etwas kosten lassen, so sie auf ihnen bestehen. Davon unabhängig sollten sie die Partikeltherapie in Marburg weiter finanzieren. Deutschland muss sich zwei solche Anlagen leisten können, zumal die andere in Heidelberg gut ausgelastet ist. Das Licht des Leuchtturms an der Lahn auch nur zu dimmen kann keine Option sein. Schiffbruch braucht niemand.