Wahlkampf in Niedersachsen: Kliniken vor Amputation

Gerade erst schien Niedersachsen im Gesundheitssektor kleine Fortschritte zu machen. Doch bald wird es wohl um Standortschließungen gehen.

Krankenhauspersonal protestiert mit Bannern und Transparenten

Die Wut ist groß: Protest von Krankenhaus-Personal in Hannover Foto: Julian Stratenschulte/dpa

HANNOVER taz | An den Kliniken brennt es. In verschiedenen Bundesländern hat das Bündnis „Alarmstufe Rot – Krankenhäuser in Gefahr“ zu Protesten aufgerufen – jede Woche versammeln sich regionale Klinikmitarbeiter und Krankenhausfunktionäre an einem anderen Ort und demonstrieren.

In Hannover standen sie in der vergangenen Woche vor der Marktkirche – gezielt abgepasst zur letzten Sitzung des Landtages in dieser Legislaturperiode. Die Krankenhäuser fordern einen Inflationsausgleich und einen Rettungsschirm, weil sie die aktuellen Energiepreissteigerungen aus ihren kompliziert und mit langem Vorlauf ausgehandelten Budgets nicht abdecken können.

In Niedersachsen hatten Gesundheitsministerin Daniela Behrens und Energieminister Olaf Lies (beide SPD) schon Ende August zum Krisengipfel gerufen und den Krankenhäusern Unterstützung zugesagt. Viel passiert ist seitdem allerdings nicht, weil alle darauf warten, was dazu in Berlin zwischen Bund und Ländern ausgehandelt wird.

Aber für den Bund ist dies eben nicht die einzige Baustelle, auch die niedergelassenen Ärzte gehen auf die Barrikaden, gerade erst haben die Hamburger Kassenärzte einen Protest in der kommenden Woche angekündigt. Sie befürchten hinten runterzufallen. Vor allem die Streichung der Neupatientenregelung (mit der neue Patienten außerhalb des Budgets abgerechnet werden dürfen) hatte hier für Aufregung gesorgt.

Bundes- statt Landespolitik

So überlagert auch in diesem Themenfeld die Bundespolitik mal wieder die Landespolitik, die im niedersächsischen Wahlkampf ja eigentlich die Hauptrolle spielen sollte. Da hatte es zuletzt tatsächlich so etwas wie Bewegung in diesem festgefahrenen Gesundheitssektor gegeben: Mehr Medizinstudienplätze zum Beispiel, vor allem für Landärzte und höhere Investitionen.

Nun droht die aktuelle Lage aber selbst die kleinen Erfolge zu verschlingen, weil zum Beispiel die 150 Millionen Euro, um die man die Krankenhausinvestitionen in diesem Sommer aufgestockt hatte, von den davongaloppierenden Baukosten aufgefressen werden. Auch bei den Prestigeprojekten, wie etwa den Neubauten für die Uni-Kliniken in Göttingen, Hannover und Oldenburg und den Klinik-Großprojekte in Georgsheil, im Heidekreis und im Landkreis Diep­holz mit einem Volumen von bisher 1,4 Milliarden Euro, knirscht es.

Dabei hat Niedersachsen gerade noch ein Krankenhausgesetz verabschiedet, das von Experten als durchaus ambitioniert und wegweisend beschrieben wird.

Zwei Jahre lang hatte eine Enquetekommission mit Fachleuten aus dem Gesundheitswesen darüber gebrütet, wie die ärztliche Versorgung vor allem in strukturschwachen, ländlichen Gebieten gesichert werden könnte. Das daraus entstandene Krankenhausgesetz wurde kurz vor der Sommerpause mit den Stimmen von SPD, CDU und Grünen im Parlament verabschiedet.

Drei verschiedene Versorgungsstufen

Mit dem Gesetz werden Krankenhäuser künftig in drei verschiedene Versorgungsstufen eingeteilt: Krankenhäuser der Grund- und Regelversorgung, Schwerpunktkrankenhäuser mit Fachabteilungen (zu denen allerdings auch die Geburtshilfe zählen soll) und Maximalversorger wie Universitätskliniken. Das Land wird in acht Versorgungsregionen unterteilt, die jeweils einen Maximalversorger haben sollen. Krankenhäuser der Grund- und Regelversorgung müssen in 30 Minuten, Schwerpunkthäuser in 45 Minuten erreichbar sein.

Das Gesetz zielt darauf, dem Wildwuchs von „Alle machen irgendwie alles“ entgegen zu wirken, nimmt die Krankenhäuser aber auch sonst stärker an die Kandare: Vorgeschrieben werden etwa die Ernennung von Demenzbeauftragten und die Teilnahme am Ivena-System, mit dem Notfälle sinnvoll auf die Kliniken verteilt werden. Bei letzterem hatte es immer wieder Ärger gegeben, weil sich einzelne Kliniken – vor allem privater Betreiber – daraus abgemeldet hatten, obwohl sie im Krankenhausplan als Notfallversorger vorgesehen sind.

Für Krankenhäuser, die den Anforderungen des Gesetzes auf die Dauer nicht gewachsen sind, soll es einen Ausweg geben. Die neuen sogenannten „Regionalen Gesundheitszentren“ sollen vor allem im ländlichen Raum mehrere Hausärzte und Fachärzte, aber auch beispielsweise Physiotherapeuten und Pflegedienste zusammenschließen, die dann auch Betten für kleinere Operationen, Notfälle oder zu überwachende Patienten hätten. Damit soll eine wohnortnahe Grundversorgung gesichert werden, während gleichzeitig der ambulante und stationäre Sektor besser verzahnt wird.

Das ist eine Forderung, die sowohl Ärzteverbände als auch Patientenschützer schon lange erheben. Damit könnte zum Beispiel vielen älteren Patienten geholfen werden, für die Liegezeiten im Krankenhaus oft zu kurz bemessen sind, die aber auch nicht einfach so nach Hause entlassen werden können, weil eine angemessene pflegerische Versorgung so schnell oft nicht sicherzustellen ist.

Schließungen stehen bevor

Während diese Grundprinzipien auf verblüffend breite Zustimmung stoßen, setzt anderswo schon das bange Warten ein. Von den 168 Krankenhäusern in Niedersachsen könnten in den kommenden zehn Jahren 30 bis 40 schließen, hieß es aus der Enquetekommission. Proteste wird es erst geben, wenn klar ist, wen das trifft. Die genaue Definition der unterschiedlichen Versorgungsstufen und die Zuordnung der bestehenden Krankenhäuser dazu erfolgt über Erlasse, die derzeit im Gesundheitsministerium erarbeitet werden.

Dafür gerade stehen muss dann die neue Gesundheitsministerin, die aber vielleicht auch die alte bleibt. Die aktuelle Amtsinhaberin Daniela Behrens (SPD) hat jedenfalls durchblicken lassen, dass sie weder diese noch andere Herausforderungen scheut.

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