Gerangel um medizinische Fachkräfte treibt Keil zwischen EU-Länder

Eine weitere Komplikation stelle die Beteiligung der Mitgliedsstaaten dar: "Wenn die Mitgliedstaaten nicht mitmachen, haben wir nichts zu tun", sagte De la Mata und fügte hinzu, dass die Rolle der Kommission darin bestehen werde, die Mitgliedstaaten dabei zu unterstützen, "die Arbeitskräfte im Gesundheitswesen zu bewahren und bessere Bedingungen zu bieten." [EPA-EFE/SALVATORE DI NOLFI]

Die Abwanderung medizinischer Fachkräfte von einem EU-Land ins andere stellt vielerorts die Gesundheitssysteme vor große Schwierigkeiten. Expert:innen fordern nun einen EU-weiten Lösungsansatz.

„Wir haben Länder, die Ärzt:innen an andere Länder abgeben“, sagte Antanas Montvila, Vizepräsident der European Junior Doctors Association (EJD), während einer Podiumsdiskussion beim Gasteiner Gesundheitsforum.

Seit 2010 ist der Anteil der im Ausland ausgebildeten Krankenpfleger:innen und Ärzte schneller gestiegen als jener der im Inland ausgebildeten Fachkräfte, wie Studien zeigen.

Diese Entwicklung wurde durch die erhöhte Mobilität wegen zunehmender Ost-West- und Süd-Nord-Migration innerhalb Europas, insbesondere innerhalb der Europäischen Union, angetrieben.

Die Abwanderung von Fachkräften im Gesundheitswesen führt dazu, dass einige Ursprungsländer mit „erheblichen Ungleichheiten bei der Verfügbarkeit von Fachkräften im Gesundheitswesen in der gesamten Region“ konfrontiert sind, betonte Tomas Zapata, Leiter des Referats Gesundheitspersonal bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO) für Europa, während der Podiumsdiskussion.

Besonders bei Krankenpfleger:innen seien die Disparitäten spürbar, fügte Zapata hinzu. Die Anzahl an Pflegekräften schwankt laut einem im September veröffentlichten Bericht der Weltgesundheitsorganisation zwischen dem Land mit den niedrigsten und dem mit den höchsten Zahlen um das Neunfache.

In Montvilas Heimatland Litauen fehlen dem Gesundheitssystem derzeit 2.000 Krankenpfleger:innen, obwohl die Ausbildungsprogramme voll besetzt sind – Hauptgrund für diese Disparität ist die Migration. Es wird geschätzt, dass die Zahl in den nächsten 10 Jahren auf 3.000 ansteigen wird.

Personenfreizügigkeit innerhalb der EU

Zu den Grundwerten der EU gehört die Freizügigkeit, die den Bürger:innen das Recht einräumt, sich innerhalb der Union frei zu bewegen und aufzuhalten. Daher „ist es sinnlos, darüber zu diskutieren“, sagte Isabel De la Mata, Hauptberaterin für Gesundheitsmanagement bei der Generaldirektion Gesundheit der Europäischen Kommission, während der Veranstaltung.

Natasha Azzopardi-Muscat, Direktorin der Abteilung für Gesundheitspolitik und -systeme der Länder bei der WHO Europa, versicherte gegenüber EURACTIV, dass „wir jungen Menschen nicht die Möglichkeit verwehren wollen, in ein anderes Land zu ziehen.“

Doch „wenn ein großes Land auch nur einen kleinen Teil der Krankenpfleger oder Ärzte aus einem kleinen Land nimmt, können die Auswirkungen unverhältnismäßig groß sein“, betonte Azzopardi-Muscat.

Matthias Wismar, Programmmanager beim Europäischen Observatorium für Gesundheitssysteme und Gesundheitspolitik, forderte die Mitgliedstaaten auf, sich mit dem „Elefanten im Raum“ auseinanderzusetzen.

„Die großen Mitgliedsstaaten müssen über eine eigenständige Ausbildung des Gesundheitspersonals nachdenken“, sagte er.

Wismar fügte hinzu, dass einzelne Länder zwar gleichzeitig Entsende- als auch Aufnahmeländer sein können, das Problem aber darin bestehe, „dass sie die falschen Fachkräfte erhalten und die falschen Fachkräfte entsenden.“

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Personalplanung

Für Montvila vom EJD liegen die Hauptprobleme in einem Mangel an Daten sowie an geeigneten Instrumenten zur Personalplanung im Gesundheitswesen begründet.

Gemma Williams, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Europäischen Observatoriums für Gesundheitssysteme und Gesundheitspolitik, betonte während der Veranstaltung, dass es „entscheidend“ sei, das Problem durch eine auf EU-Ebene koordinierte Planung anzugehen.

„Mit der Umsetzung einer EU-weiten Planung zu beginnen, ist [derzeit] eine Herausforderung, aber wenn wir dies als Priorität betrachten, könnte es auch helfen, die nationalen Überwachungssysteme zu stärken“, sagte sie.

In Bezug auf medizinische Prognosen betonte De le Mata, dass zahlreiche Hindernisse in der Praxis bestünden, da die Ausbildung medizinischer Fachkräfte bis zu 10 Jahre dauern könne. „Wir [müssten] heute die Daten für etwas finden, das viele Jahre dauern wird […], sodass es vielleicht nicht mehr so nützlich ist, wenn wir die Untersuchung abgeschlossen haben“, sagte sie.

Eine weitere Komplikation stelle die Beteiligung der Mitgliedsstaaten dar: „Wenn die Mitgliedstaaten nicht mitmachen, haben wir nichts zu tun“, sagte De la Mata und fügte hinzu, dass die Rolle der Kommission darin bestehen werde, die Mitgliedstaaten dabei zu unterstützen, „die Arbeitskräfte im Gesundheitswesen zu bewahren und bessere Bedingungen zu bieten.“

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Probleme über die EU hinaus

Das Problem gehe jedoch über die EU-Grenzen hinaus, betonte Svetlana Nicolaescu, Staatssekretärin des moldawischen Gesundheitsministeriums.

Während beispielsweise Moldau im regionalen Vergleich überdurchschnittlich viele medizinische Fachkräfte ausbildet, hat das Land laut dem WHO-Bericht eine der niedrigsten Dichten an Gesundheitspersonal in der gesamten Region.

„Wir stehen vor der großen Herausforderung, dass Hochschulabsolvent:innen nicht in das einheimische Gesundheitspersonal übernommen werden. Stattdessen verlassen sie das nationale Gesundheitssystem“, sagte Nicolaescu. Sie fügte hinzu, dass das Land auch mit einer großen Abwanderung von Gesundheitspersonal konfrontiert sei, das bereits im System arbeitet.

„Wir verwenden das Geld der Steuerzahler:innen, um Gesundheitspersonal auszubilden, das wir dann aber verlieren“, betonte Nicolaescu.

Azzopardi-Muscat von der WHO betonte, dass die Länder zwar ermutigt werden müssten, ihren Bedarf zu prognostizieren und zu bewerten, wenn das Land den Bedarf an Fachkräften nicht decken könne, dass aber eine ethische Anwerbung aus anderen Ländern gewährleistet werden müsse.

Dies bedeute, dass das Herkunftsland entschädigt werden müsse. „Wenn ein Herkunftsland viel Geld in die Ausbildung von Krankenpflegern und Medizinern steckt und 30 bis 40 Prozent seiner Absolventen verliert, dann muss man darüber reden“, sagte sie.

Derzeit bereitet die Generaldirektion Regionalpolitik der EU-Kommission eine Initiative zum Umgang mit Abwanderung von Fachkräften vor. Über eine öffentliche Konsultation sollen Informationen über das Ausmaß und die Dynamik der Abwanderung von Fachkräften sowie über die betroffenen Gebiete gesammelt werden.

Mehrere Interessenvertreter:innen des Gesundheitswesens haben in diesem Rahmen die Entwicklung eines Verhaltenskodexes zur Förderung ethischer Praktiken bei der grenzüberschreitenden Anwerbung von Gesundheitspersonal gefordert.

Der Globale Verhaltenskodex der WHO für die internationale Anwerbung von Gesundheitspersonal wurde bereits 2010 verabschiedet, um das Verständnis und den ethischen Umgang mit der internationalen Anwerbung von Gesundheitspersonal durch verbesserte Daten, Informationen und internationale Zusammenarbeit zu verbessern.

[Bearbeitet von Nathalie Weatherald]

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