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Gesundheitswesen Kassen sehen ambulante Medizin als billige Ware

Solange Gesundheitspolitik von Gesunden gemacht wird und die Kassen Klischees vom Arztberuf bewusst aufrechterhalten, verschlechtern sich die Rahmenbedingungen der Versorgung, meint Gastautor Leo Trentmann.
21.10.2022, 18:30 Uhr
Lesedauer: 2 Min
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Von Leo Trentmann

Jedem sollte inzwischen klar sein, dass sich im deutschen Gesundheitswesen etwas verändert hat. Es gibt immer mehr Ärzte, aber die Zeit, die sie mit ihren Patienten und Patientinnen verbringen, wird immer weniger. Bei zunehmender Zahl Behandlungsbedürftiger und zunehmenden Möglichkeiten der Medizin wird das zu einem Problem.

Der legitime Anspruch, die Arbeitszeit auf durchschnittlich 40 Stunden zu begrenzen und die Vereinbarkeit von Arbeit und Familie sind ein Grund dafür. Diese Entwicklung ist seit Jahren bekannt. Neu ist die von den Kassen herbeigeführte Verschlechterung der Rahmenbedingungen im Gesundheitswesen, indem sie diese Entwicklung ignorieren mit dem Hinweis auf den Geldmangel.

Solange Gesundheitspolitik von Gesunden gemacht wird und nicht von Betroffenen oder gar chronisch Kranken, wird sich daran nichts ändern, denn die Konsequenz wäre eine zunehmende Belastung der Solidargemeinschaft. Diese bröckelt aber immer mehr. Auch das wird von den Kassen und der Politik eher gefördert als kritisiert. Nach Umfragen der Kassen bei ihren Mitgliedern gibt es keine Bedenken, die Berufsgruppe finanziell weiter zu belasten. Es wird den Ärzten schon nicht wehtun, etwas weniger zu verdienen.

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Kaum eine andere Berufsgruppe wird derart ins Visier genommen und dabei vergessen, dass hier systemrelevante Arbeit an der Gesellschaft geleistet wird. Wäre da nicht die Dankbarkeit vieler Kranker, würden zahlreiche Kollegen und Kolleginnen den Beruf an den Nagel hängen. Wie stark die Tendenz ist, sich nicht mehr für eine eigene Praxis zu engagieren, kann jeder an der Statistik ablesen. Bald wird es zu einer überwiegenden Zahl von nicht ärztlich geführten medizinischen Versorgungszentren kommen, die am Profit orientiert sind. Die sogenannte Zwei-Klassen-Medizin wird damit massiv vorangetrieben.

Eine Grundversorgung mit langen Wartezeiten und einer privaten Zusatzversorgung ist in vielen europäischen Ländern bereits Realität. Eine Reform des deutschen Gesundheitswesens ist nicht in Sicht. Die Vielzahl der Krankenkassen mit ihrem nicht unerheblichen Verwaltungsaufwand und das Buhlen um gesunde Versicherte sind nicht mehr zeitgemäß.

Der Spitzenverband der Krankenkassen forderte für die niedergelassenen Ärzte und Ärztinnen praktisch eine Minusrunde, da ja noch genug Rationalisierungsreserven vorhanden seien. Dies entbehrt jeder Realität in den Praxen. Die Kassen deklarieren ambulante Medizin zwar als nützlich, sehen in ihr aber nichts weiter als billige Ware. Die stationäre Leistung steht im Vordergrund. Das gilt auch für die ins Krankenhaus verschobene ambulante ­Versorgung mit ihrem enormen Verwaltungsaufwand, die für die niedergelassenen Kollegen keinen wesentlichen Benefit ergibt. Solange die Klischees vom Arztberuf bewusst aufrechterhalten werden, wird sich gesellschaftlich nichts ändern.

Zur Person

Unser Gastautor

ist Vorsitzender der Regionalgruppe Bremen des Berufsverbandes niedergelassenener Gastroenterologen und Fachgruppensprecher der Gastroenterologen bei der KV Bremen. 

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