Was Lauterbachs Krankenhaus-Reform bewirken soll

Stand: 24.10.2022, 21:58 Uhr

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) plant die seiner Meinung nach größte Krankenhaus-Reform seit 20 Jahren. Das wirft Fragen auf.

Von Frank Menke

Erneut steigende Coronazahlen und Personalnot machen den Kliniken zu schaffen. Vor diesem Hintergund will Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) eine umfassende Krankenhaus-Reform.

Im Zentrum seiner Entlastungspläne stehen die Reduzierung stationärer Behandlungen und Fallpauschalen. Aber was heißt das eigentlich?

Was bedeutet eigentlich ambulant und stationär?

Laut Kassenärztlicher Vereinigung Nordrhein (KVNO) verbringt ein Patient bei einer ambulanten Behandlung weder die Nacht vor noch nach der Behandlung in der Klinik. Bei einer stationären Behandlung hingegen übernachtet der Patient im Krankenhaus.

Zudem gibt es die teilstationäre Behandlung. Diese erfordert keine ununterbrochene Anwesenheit in der Klinik und kann unter Umständen auch in Intervallen erfolgen.

"Wir machen sehr viel stationär, was eigentlich ambulant gemacht werden könnte oder ohne Übernachtung der Patienten." Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach

Wie will Lauterbach die Kliniken entlasten?

Karl Lauterbach

Karl Lauterbach

Seit 2015 liegt die durchschnittliche Krankenhaus-Verweildauer von Patienten in Deutschland bei etwas mehr als sieben Tagen. Wann immer es medizinisch vertretbar ist, will Lauterbach alle dafür geeigneten Behandlungen als Tagesbehandlung durchführen lassen.

Dadurch sollen in den Kliniken Nachtdienste wegfallen und Pflegekräfte entlastet werden. "Wir machen sehr viel stationär, was eigentlich ambulant gemacht werden könnte oder ohne Übernachtung der Patienten. Diese Struktur ist eine uralte Struktur, die wollen wir jetzt überwinden", sagte er dem ZDF.

"Wir haben durchaus viele Pflegekräfte bezogen auf die Bevölkerung in Deutschland, aber nicht auf die Patientenzahlen." Wirtschaftswissenschaftler Prof. Boris Augurzky (RWI)

Das sieht auch Prof. Boris Augurzky so, Leiter des Kompetenzbereichs Gesundheit am Essener Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung (RWI). Der Wissenschaftler geht davon aus, dass 20 Prozent der heutigen Krankenhausfälle ambulant behandelt werden könnten.

"Wir haben durchaus viele Pflegekräfte bezogen auf die Bevölkerung in Deutschland, aber nicht auf die Patientenzahlen", sagte er dem WDR. Das Personal im Krankenhaus müsste eine geringere Patientenzahl versorgen und würde so entlastet werden.

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Reichen die Refompläne, um das Klinikpersonal tatsächlich zu entlasten?

Für die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) würde es durch den Wegfall nicht zwingend notwendiger Übernachtungen einen leichten Effekt geben.

Die stellvertretende DKG-Vorstandsvorsitzende Prof. Henriette Neumeyer sagte dem WDR aber auch: "Angesichts von 30.000 unbesetzten Stellen in der Krankenpflege dürfen wir keine Lösung des Fachkräftemangels erwarten. Hier muss die Politik tragfähige Konzepte liefern, wie wir mehr Menschen in die Ausbildung bekommen, wie sich die Arbeitsbedingungen verbessern lassen und vieles mehr."

Ein erster Schritt, der kurzfristig Entlastung bringen würde, sei laut Neumeyer eine konsequente Entbürokratisierung: "Würden wir von den rund drei Stunden, die eine Pflegekraft täglich mit häufig medizinisch unnötiger Dokumentationsarbeit verbringen muss, nur eine Stunde reduzieren, hätten wir die Arbeitszeit von rund 60.000 Vollzeitpflegekräften zur Verfügung."

Was hat es mit der Fallpauschale auf sich?

Krankenhäuser stehen unter starkem wirtschaftlichem Druck und sollen möglichst Gewinne erwirtschaften. Vor der Einführung der Fallpauschale 2003, an der Lauterbach beteiligt war, erhielten Kliniken Festbeträge für jeden Tag, an dem Patienten dort untergebracht waren - natürlich auch, wenn das aus medizinischer Sicht gar nicht nötig war.

Um den Krankenhäusern diesen "Anreiz" zu nehmen, wurde die Fallpauschale eingeführt. Mit den Pauschalen bekommen die Kliniken die durchschnittlichen Behandlungskosten erstattet. Weil Personalkosten einen großen Teil dieser Behandlungskosten ausmachen, wird es für die Krankenhäuser aus ökonomischer Sicht attraktiv, bei der Behandlung der Patienten am Pflegepersonal zu sparen. Außerdem entstehen mit den Pauschalen Anreize, Patienten zu früh zu entlassen. Denn in beiden Fällen bleibt von der Pauschale mehr Gewinn übrig.

Kritiker haben immer wieder bemängelt, dass das Vergütungssystem via Fallpauschale auch zur Folge habe, dass Krankenhäuser vermehrt Operationen in gewinnbringenden Bereichen durchführen und weniger umsatzträchtige Abteilungen wie etwa Kinder- und Jugendmedizin vernachlässigen.

Wird die Fallpauschale jetzt abgeschafft?

Zumindest soll sie wohl nicht in der bisherigen Form fortbestehen. Lauterbach sieht die Fallpauschale heute selbst kritisch: "Das hat sich jetzt so stark verselbständigt, dass der ökonomische Druck zu stark ist." Der Minister arbeitet nun mit dem Expertenrat der Regierung an einem System, das Vorhaltekosten berücksichtigt. Heißt: Die Klinik bekommt grundsätzlich Geld, um bestimmte Leistungen anbieten zu können - und nicht erst dann, wenn sie Menschen behandelt.

Wissenschaftlicher Leiter DIVI, Christian Karagiannidis

Christian Karagiannidis

Christian Karagiannidis, Wissenschaftlicher Leiter des Intensivregisters DIVI, sagte dazu dem WDR: "Dass nur dann Geld fließt, wenn eine Behandlung erbracht worden ist, das unterscheidet uns Mediziner ja ganz grundlegend zum Beispiel von der Feuerwehr, wo auch eine Vorhaltung, also einfach das Dasein eines Feuerwehrwagens und des Personals, bezahlt wird."

Wer reformiert konkret das System?

"Krankenhausplanung ist Ländersache und muss ohne Abstriche in Länderhand bleiben", heißt es in einem Beschluss der Gesundheitsminister der Bundesländer vor den anstehenden Gesprächen am Dienstag mit Lauterbach zur Reform. Der Bund müsse jedoch "die erforderlichen Voraussetzungen für eine Finanzierung des Betriebs" schaffen.

Plant auch NRW eine Reform?

Ja. Laut NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) ist das einer der Schwerpunkte der Politik der Landesregierung in den kommenden Jahren.

Über dieses Thema berichtete am 24.10.2022 auch die "Aktuelle Stunde" im WDR Fernsehen.