Der Expertenstandpunkt der KU Gesundheitsmanagement
Länger und immer länger wird sie, die Kondolenzliste auf www.kliniksterben.de. Keine Woche vergeht ohne neue Trauerbekundungen über die geschlossenen und insolventen Bestandteile der deutschen Krankenhauslandschaft. Mögen sie in Frieden ruhen. Doch werfen wir einen Blick auf die Todesursachen.
Grundsätzlich kommen zwei Todesarten in Fragen: verhungern oder verdursten. Verhungern bedeutet, dass das Eigenkapital aufgezehrt ist, verdursten, dass keine liquiden Mittel mehr vorhanden sind. Liquiditätsprobleme hatten viele Krankenhäuser zuletzt nicht. Den Freihaltepauschalen sei Dank. Sie wurden nicht nur in mehr oder weniger angemessener Höhe überwiesen, sondern auch sehr kurzfristig, nämlich innerhalb von nur fünf Tagen und nicht innerhalb der sonst gemäß SGB V üblichen 14 Tagen. Auch die Reduzierung der MD-Prüfquote und die Streichung des Aufschlags für beanstandete Rechnungen wirkten sich positiv auf die Liquidität der Häuser aus. All das ist jetzt bis auf Weiteres vorbei.
Es ist müßig, den Staat an die gesetzliche Verpflichtung seiner Länder zur Finanzierung der in den Häusern bitter benötigten Investitionen zu erinnern. Dieser Hilferuf ist schon mehr als einmal unüberhörbar ertönt. Passiert ist nichts oder so gut wie nichts, sieht man beispielsweise von der digitalen Finanzspritze namens Krankenhauszukunftsgesetz ab, die zumindest für einen positiven Einmaleffekt sorgt, auch wenn die häufig maroden baulichen und technischen Infrastrukturen der hiesigen Krankenanstalten vom KHZG nicht profitieren.
Da Menschen wie Krankenhäuser schneller verdursten als verhungern, muss der Liquidität im dritten Pandemiejahr eine größere Bedeutung beigemessen werden als bislang. Wenn es aber um ihre Liquiditätsplanung geht, sind viele Kliniken im Blindflug unterwegs, wie die aktuelle Controllingstudie des Deutschen Vereins für Krankenhauscontrolling belegt. Ein Drittel der Kliniken nimmt bis heute keine Liquiditätsprognose vor und nur 30 Prozent planen ihre Liquidität sowohl operativ als auch strategisch. Das ist wenig verwunderlich, werden doch kommunale und freigemeinnützige Häuser seitens ihrer Träger zumeist nach einer einzigen zentralen Kennzahl gesteuert, nämlich dem Jahresergebnis. Cashflow ist für viele Krankenhausentscheider nach wie vor im wahrsten Sinne des Wortes ein Fremdwort.
Vor dem Hintergrund der knapper werdenden Mittel von Krankenkassen und Kommunen sowie den unklaren Auswirkungen, die das Pflegebudget und das MD-Management zukünftig haben werden, ist das als dramatisch anzusehen, zumal bereits 2019, im letzten Geschäftsjahr vor Corona, dem Krankenhaus Rating Report zufolge 13 Prozent der Kliniken eine erhöhte Insolvenzgefahr aufwiesen. Getreu dem Motto „vom Wiegen wird die Sau nicht fett“ reicht es freilich nicht, die Liquidität buchhalterisch sauber abzubilden und zu planen. Nein, die Liquidität muss auch aktiv gemanagt werden. Working Capital Optimierung nennen das die Experten. Hierzu gehört, Rechnungstellungsprozesse zu beschleunigen, Zahlungsziele zu strecken und Lagerbestände zu reduzieren. Das Krankenhauswesen ist übrigens die einzige Wirtschaftsbranche in Deutschland, in der die Forderungsreichweite deutlich länger ausfällt als die Lieferantenreichweite, Eingangsrechnungen ergo schneller bezahlt als Forderungen aus erbrachten Leistungen eingeholt werden. Das Ergebnis sind erhebliche Probleme in der Finanzierungsstruktur. „Da die Auslegung der Regelung des Pflegebudgets umstritten ist, gibt es bisher nur wenige Kliniken, die für 2022 schon einen Budgetabschluss haben“, sagt Manuel Berger, mein Vorstandskollege bei der HC&S. „Im Ergebnis müssen die Kliniken teils einen erheblichen Anteil ihrer Pflegekosten vorfinanzieren. Das können vor allem alleinstehende Kliniken kaum durchstehen. Sie sind daher erpressbar. Das muss sich ändern.“ Und zwar schnell. Ansonsten drohen viele Kliniken qualvoll zu verdursten. Und die auf kliniksterben. de versammelte Trauergemeinde würde weiter wachsen.
Autor: Dr. Nicolas Krämer, Vorstandsvorsitzender der HC&S AG
Quelle: KU Gesundheitsmanagement 7/2022