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Frankreichs Botschafter klagt über Schweizer Löhne«Hochsavoyen schliesst Betten­abteilungen, weil Personal fehlt»

«Wir waren nicht wütend.» Der französische Botschafter Frédéric Journès über eine schwierige Phase in den Beziehungen zur Schweiz.

Herr Journès, die Beziehungen zwischen Frankreich und der Schweiz haben sich wegen des Entscheids für den amerikanischen Kampfflieger F-35 und gegen die französische Rafale markant abgekühlt. Weshalb waren Sie wütend?

Wir waren nicht wütend. Aber nach dem Entscheid des Bundesrates über das Rahmenabkommen und die Flugzeuge hatten wir keine Agenda, um uns anzunähern. Wenn sich Minister treffen, dann um Erfolge zu verkünden. Aber es gab keine gemeinsamen Projekte mehr.

Frankreich hatte im Vorfeld des Typenentscheids angeboten, Konzessionen bei der Besteuerung von Grenzgängern zu machen. Beim Entscheid für die F-35 spielte Ihr Angebot dann gar keine Rolle. Fühlten Sie sich deswegen verschaukelt?

Ja, der Prozess war ein Problem für uns – mehr als der Entscheid selbst. Denn das war eine souveräne Wahl der Schweiz. Aber wir sind schon lange weitergezogen, und diese Geschichte ist vorbei.

Die Folge?

Nichts. Es gab keine Bestrafung, wie man vielleicht sagen könnte, sondern nur die Feststellung, dass es kein gemeinsames Projekt gab und dass man es neu aufbauen musste.

Ist die Eiszeit also vorbei?

Wenn Sie es so formulieren wollen. Es ist eher so, dass wir jetzt Themen haben, bei denen wir vorankommen wollen.

«In Hochsavoyen haben wir 16 Pflegekräfte pro 1000 Einwohnerinnen und Einwohner, aber nur 8 arbeiten in Frankreich.»

Warum gerade jetzt?

Frankreich sieht neuen politischen Handlungsbedarf gegenüber der Schweiz. Es geht um einen institutionalisierten europäischen politischen Austausch mit Staaten, die nicht Mitglied der EU sind. Also über das Projekt der Europäischen Politischen Gemeinschaft. Ihr Aussenminister und Bundespräsident Ignazio Cassis hat in Prag unserem Präsidenten Emmanuel Macron bestätigt, dass die Schweiz an diesem Projekt interessiert ist. Darüber hinaus haben wir Themen, die das Leben der Menschen betreffen. Es geht um die grenzüberschreitende Bewirtschaftung der Rhone, die Telearbeit von Grenzgängern und den Gesundheitsbereich.

Was ist da das Problem?

Wir verzeichnen in unseren Grenzregionen einen Mangel an Fachkräften. Im Vergleich zu anderen Regionen Frankreichs verschärft er sich massiv. Die Auswirkungen sind für unser Gesundheitswesen sehr negativ. In Hochsavoyen haben wir 16 Pflegekräfte pro 1000 Einwohnerinnen und Einwohner, aber nur 8 arbeiten tatsächlich in Frankreich. Die anderen 8 arbeiten in der Schweiz. Zum Vergleich: In Genf gibt es 20 Pflegekräfte auf 1000 Personen. Heute schliesst Hochsavoyen ganze Bettenabteilungen, weil in unseren Spitälern und Pflegeheimen Fachkräfte fehlen. Im Dreiländereck und im Jura gibt es ähnliche Probleme.

Was wollen Sie dagegen tun?

Die Attraktivität der Schweiz hängt mit den viel höheren Gehältern zusammen. Wir sprechen mit den Kantonen und dem Bund, um Lösungen zu finden. Wir sind uns alle einig, dass wir uns nicht gegenseitig schaden wollen. Dabei müssen wir über die Ausbildung von Fachkräften und die Versorgung von Patientinnen und Patienten beiderseits der Grenze nachdenken. Darüber werden wir am 15. Dezember sprechen, wenn wir unsere Kommission für gemeinsame Gesundheitskooperation ins Leben rufen.

Wer mehr bezahlt, bekommt die besseren Leute. Wollen Sie den Markt und die wirtschaftlichen Freiheiten einschränken?

Wenn es um die Gesundheit von Hunderttausenden von Franzosen geht, können wir nicht tatenlos zusehen. Als ich 2019 in die Schweiz kam, verdiente eine Krankenschwester oder ein Krankenpfleger 6600 Schweizer Franken, das sind 6200 Euro. Und wenn der Schweizer Franken um 10 Prozent steigt, wird das Gehalt einer Krankenschwester zum Gehalt eines Direktors auf unserer Seite der Grenze. Wir sind nicht in der Lage, dieses Gehaltsniveau über Subventionen zu erreichen, also müssen wir uns etwas anderes überlegen, und das tun wir am besten gemeinsam.

«Es ist unsere Aufgabe, gute Rahmenbedingungen zu schaffen, auf beiden Seiten.»

Was tun?

Es gibt keine Patentlösungen. Wir müssen das, was jetzt bei uns im Gesundheitsbereich passiert, begleiten und die Personenfreizügigkeit beibehalten. Schliesslich muss man vor allem über die Patientinnen und Patienten nachdenken. Man könnte diskutieren, dass Frankreich bestimmte Dialysekapazitäten oder pädiatrische Infrastrukturen in der Schweiz nutzen kann. Umgekehrt gibt es auf unserer Seite der Grenze wunderbare Einrichtungen und Kapazitäten, die für Schweizer Patienten interessant sein könnten und weniger kosten.

Zeigt sich das Problem auch ausserhalb des Gesundheitswesens?

Seit einigen Monaten gibt es auf unserer Seite Unternehmen, die zögern, ihre Produktionsanlagen zu modernisieren. Sie bilden Mitarbeiter aus, die dann für ein viel besseres Gehalt in der Schweiz arbeiten. Diese Unternehmen erwägen nun, ihre Produktion ins Landesinnere zu verlegen. Das gehört zwar zur Wirtschaftsfreiheit, aber es schränkt das Gefüge und die grenzüberschreitenden Lieferketten ein.

Sie befürchten, dass Ihre Grenzregionen verarmen, obwohl die Grenzgänger hohe Löhne nach Hause bringen?

Dieses Risiko besteht, wenn man nicht aufpasst. Der wichtigste Partnerkanton Frankreichs ist Neuenburg. In der Schmuck- und Uhrenindustrie werden die Komponenten für die Bearbeitung mehrmals pro Woche über die Grenze transportiert – hin und zurück. Wenn das Problem, das wir in der Gesundheitsversorgung haben, vermehrt auf die Industrie überspringt, brächte dies für beide Seiten Probleme. Da die Wirtschaft aufgrund der globalen Lage einen Schock nach dem anderen erlebt, gilt es unser grenzübergreifendes System zu erhalten und weiterzuentwickeln.

Zeigt sich dasselbe Phänomen in Basel?

Ja, auch in Chemie und Pharma gibt es Produkte beidseits der Grenze, Fabriken und grenzüberschreitende Produktionsketten. Es gibt gegenseitige Abhängigkeiten. Es ist unsere Aufgabe, gute Rahmenbedingungen zu schaffen, auf beiden Seiten.

Geben Sie in Brüssel die Blockade der Schweizer Beteiligung am Forschungsabkommen Horizon auf?

Es gibt heute keine Bewegung einer vorherrschenden Gruppe von Europäern gegenüber der Kommission, um diese Angelegenheit unabhängig von Fortschritten bei den übrigen Problemen zu regeln. Horizon ist Teil des Forschungsabkommens im Rahmen des bilateralen Pakets I von 1999. Wir werden dieses Thema nicht vom Rest der Probleme trennen.

Sie bleiben ein Jahr länger als geplant Botschafter in der Schweiz. Weshalb?

Ich bin in Ihr Land verliebt, weil es so schön und unglaublich interessant ist. Frankreich und die Schweiz sind sich sehr nah, und trotzdem gibt es riesige Unterschiede in der politischen Kultur. Das ist faszinierend. Wenn immer möglich fahre ich ins Berner Oberland nach Kandersteg oder Lauterbrunnen. Und Bern ist eine Oase. Ich bin sehr froh, dass Paris meinen Antrag auf Verlängerung genehmigt hat, um an der Wiederbelebung unserer Beziehungen mitzuwirken.

Es ist also nicht so, dass keiner Ihrer Botschafterkollegen nach Bern wollte?

(lacht) Nein, ganz bestimmt nicht. Es gibt eine Warteliste. Alle Botschafter kommen hier an und fragen sich als Erstes, was es zu tun gibt. Und alle verlassen die Schweiz nach ein paar Jahren mit Tränen in den Augen. Mir wird es gleich gehen. Ich liebe dieses Land und die Arbeit mit den Menschen.