Leiharbeit in der Pflege

Fachkräfte wechseln zu Zeitarbeitsfirmen

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Eine Krankenpflegerin kontrolliert die Infusion eines Patienten.
In Krankenhäusern und Pflegeheimen fehlen schon jetzt 200.000 Pflegekräfte, hat das Institut der deutschen Wirtschaft berechnet. © picture alliance / dpa / Marijan Murat
Von Anja Nehls · 19.12.2022
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Immer mehr Pflegekräfte wechseln zu Zeitarbeitsfirmen. Die bieten höhere Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen als reguläre Arbeitgeber. Am Ende zahlen die Altenheime und Krankenhäuser drauf – und die Versicherten.
„Wenn es für mich das Leasing nicht geben würde, wäre ich raus beziehungsweise hätte ich mir etwas anderes gesucht. Aber ich mache meinen Job gerne“, sagt Stephan. Seit 20 Jahren pflegt er kranke oder alte Menschen – seit sechs Jahren ausschließlich über eine Zeitarbeitsfirma. Er ist examinierter Altenpfleger, hat eine Weiterbildung zum Wundmanager und arbeitet im Altenpflegeheim genauso wie im Krankenhaus, in der ambulanten Hauskrankenpflege oder im Hospiz.

Mehr Geld, bessere Arbeitszeiten

Eine Anstellung direkt in einer solchen Einrichtung kommt für den Vater eines fünfjährigen Sohnes aber nicht mehr infrage. „Man hatte ja schon Angst, frei zu haben, weil man ständig angerufen wurde. Urlaub mal zwölf Tage maximal am Stück, das war es“, erzählt er von den früheren Arbeitserfahrungen.
„Ich möchte meinen Sohn oder meine Familie erleben. Ich wollte nur noch im Frühdienst arbeiten, nur noch Montag bis Freitag.“ Das sei nirgendwo möglich, „auch nicht in dem Unternehmen, wo ich war“. Für die Leiharbeitsfirma arbeitet er jetzt an wechselnden Einsatzorten, mal für ein paar Tage oder auch mehrere Monate stets im Frühdienst, ohne klingelndes Telefon im Urlaub und für mehr Geld als vorher.
Ilona Hanuschke, die Pflegedirektorin der Caritas Klinik Maria Heimsuchung in Berlin Pankow sieht das kritisch. „Die alte Dame, der Patient, der alte Herr, der frisch Operierte möchte auch Freitagabend versorgt werden, Heiligabend, Sonntagvormittag und im Nachtdienst“, sagt sie. „Insofern haben wir einen Versorgungsaufrag 24/7. Da müssen sich alle dran beteiligen.“

Abwanderung zu Zeitarbeitsfirmen

Michaela Sommer, Stephans Chefin und Geschäftsführerin der Leasingfirma Pflegeagenten, sieht das ganz anders. Schließlich habe sie nicht nur Kräfte, die gerne früh arbeiten. „Wir haben genauso Mitarbeiter, die nur Spätdienste machen, und wir haben Mitarbeiter, die nur Nachtdienste machen“, sagt er. Seine Agentur könne beim Kunden also alle drei Schichten abdecken. „Wir bauen unserer Dienstpläne so, dass es für jeden passt.“
Deshalb wechseln immer mehr Pflegekräfte zu Zeitarbeitsfirmen. Die Pflegagenten sind in einem Jahr von 40 auf 80 Mitarbeiter gewachsen. Schuld an der Abwanderungswelle seien Personalmangel, schlechte Arbeitsbedingungen und geringe Bezahlung in den Pflegeeinrichtungen, sagt Marc Schreiner von der Berliner Krankenhausgesellschaft. „In der Tat ist der Anteil der Leiharbeit sowohl in der Krankenhauspflege mit deutlich über zehn Prozent sogar im Durchschnitt und in der Altenpflege mit 7,6 Prozent in beiden Bereichen wirklich relevant.“ Das betreffe Normalstationen genauso wie den Operationsraum und Intensivstationen – alle Bereiche.

Mangel an Pflegekräften

Nach Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft fehlen in Krankenhäusern und Pflegeheimen bereits jetzt 200.000 Pflegekräfte, Tendenz steigend. Die Lücken in den Dienstplänen füllen nun die Leasingkräfte, zum Beispiel von Michaela Sommers Pflegeagenten.
„Ohne die Zeitarbeit in der Pflege würde die Pflege nicht mehr existieren“, sagt er. Früher seien Agenturen wie seine „die Feuerwehr für zwei, drei Tage“ gewesen, wenn jemand vom regulären Pflegepersonal krank wurde. „Aber aufgrund der aktuellen Situation ist es so, dass Mitarbeiter langfristig eingesetzt werden, dass offene Stellen, die es schon monatelang teilweise jahrelang gibt, Planstellen, irgendwie kompensiert werden müssen.“
In der Caritas Klinik Maria Heimsuchung ist die Personalsituation noch vergleichsweise gut. Dennoch muss auch Ilona Hanuschke manchmal auf Leiharbeitskräfte zurückgreifen, um die Versorgung der Patienten sicherzustellen. Schließlich könne sie keine OPs absagen, Patienten verlegen oder ein Pflegemitarbeiter vier Intensivpatienten betreuen lassen. „Ich muss manchmal engpassorientiert dazu buchen. Schöner wäre es natürlich anders.“

Wenig Informationen über die Leasingkräfte

Ilona Hanuschke setzt maximal eine Leasingkraft pro Schicht ein und arbeitet nur mit bewährten Anbietern.  Dennoch sei der Einsatz von Leiharbeitskräften für die Klinik eine Herausforderung. Für die Mitarbeiter ihrer Klinik bedeute das viel Mehraufwand. „Sie weisen den Mitarbeiter ein, sie kontrollieren ihn, dass der überhaupt einigermaßen sicher arbeiten kann.“
Grundsätzlich wisse sie nicht, was für ein Mitarbeiter die Leasingkraft sei. „Das ist für mich ein Riesenthema. Ich weiß nicht, was für Pflichtfortbildungen die besucht haben. Ich weiß nicht, ob die eine Arzneimittelunterweisung hatten. Ich kenne das polizeiliche Führungszeugnis nicht. Ich weiß nicht, welcher Mitarbeiter vielleicht ein Drogenproblem hat, auch das ist nicht selten.“

Diskussion über Qualität von Zeitarbeitskräften

Selbstverständlich gebe es bei Zeitarbeitsfirmen Fortbildungen. Examen und Prüfungszeugnisse aller Mitarbeiter würden vorgelegt, widerspricht Michaela Sommer. Die Firma habe eine Zulassung, die Agentur für Arbeit führe die Aufsicht, und schlechter als die Stammmitarbeiter seien ihre Leute keineswegs. „Es ist einfach so, dass die Zeitarbeiter aufgrund der Vielschichtigkeit, die die sehen und erleben, heute Kardiologie, morgen Onkologie, dann mal wieder ein Seniorenheim, dann Dekubitus, Demenz, Psychiatrie: Die sind voll von Dingen, die sie erleben, erlernen, auffrischen. Von daher kann ich dieses Argument Null unterstreichen.“
Die Qualität der Pflege verschlechtere sich deutlich, wenn mehr Zeitarbeitskräfte eingesetzt würden, sagt Marc Schreiner von der Berliner Krankenhausgesellschaft. Er will die Zeitarbeit nicht verbieten, aber doch stärker begrenzen und auf ein Maß drücken, welches unter dem Bundesdurchschnitt von zwei Prozent liegt. „Das ist auch eine Frage der Vergütung.“

Arbeit in Krankenhäusern muss attraktiver werden

Denn die Leasingkräfte sind für die Krankenhäuser ziemlich teuer, klagt Ilona Hanuschke. Der Dienst einer Krankenschwester an einem Feiertag koste 1000 bis 1300 Euro, „und die Leasingmitarbeiter kriegen einen Wagen gestellt, einen Dienstwagen und der ganze Verwaltungsapparat einer Leasingfirma, der muss ja auch gestemmt werden. Den bezahlen wir über unsere Krankenkassenbeiträge.“
Die Arbeit in Krankenhäusern und Pflegeheimen muss attraktiver werden, fordert auch Marc Schreiner von der Krankenhausgesellschaft. Eine bessere Bezahlung könnte helfen, noch wichtiger seien aber bessere Arbeitsbedingungen. „Was wir brauchen sind am Ende mehr Kräfte in der Pflege, um die Arbeit auf mehr Schultern verteilen zu können“, so Schreiner. „Darum arbeiten wir daran, die sogenannte stille Reserve – all diejenigen, die den Beruf in Unzufriedenheit verlassen haben – zurückzuholen. Aber es muss auch gelingen, die Kräfte in der Zeitarbeit wieder für eine Mitarbeit in der Stammbelegschaft zu gewinnen.“
Ganz einfach wird das nicht. Denn, so Schreiner weiter: „Pflege ist jetzt nicht der Beruf, wo man gnadenlos eigene Interessen durchsetzen kann.“ Ob das schon der Fall ist, wenn man verlässlich Zeit mit der eigenen Familie verbringen will? Stephan hat sich jedenfalls entschieden. Er bleibt in der Pflege – als Zeitarbeiter: „Ich lebe nicht, um zu arbeiten, sondern ich arbeite, um zu leben.“
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