Kein Vergütungsanspruch bei Tod des Patienten „vor Aufnahme“?

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Derzeit werden viele Vergütungsansprüche des Krankenhauses in Behandlungskonstellationen zurückgewiesen, in denen der Patient zeitnah nach Ankunft im Krankenhaus verstirbt. Dabei verweisen die Krankenkasse auf die Entscheidung des BSG vom 18.05.2021 (- B 1 KR 11/20 R -), in denen aber eine Fallkonstellation betroffen war, in welcher der Patient nach Einleitung der Behandlung in der Notaufnahme zeitnah in ein anderes Krankenhaus verlegt worden ist.

Leider hat das Sozialgericht Aachen in einer Entscheidung vom 19.10.2021 (- S 13 KR 119/21 -) die Ansicht vertreten, dass eine „Aufnahme“ ins Krankenhaus auch dann nicht vorliege, wenn der Patient noch in der Notaufnahme verstirbt.

Das Gericht ging davon aus, dass in dieser alltäglichen Konstellation noch keine Aufnahme in das Krankenhaus erfolgt sei und daher allein eine ambulante Behandlung vorliege, die mit der Kassenärztlichen Vereinigung abzurechnen sei.

Der Beginn der vollstationären Behandlung Versicherter setzt nach Ansicht des Gerichts deren vorherige Aufnahme in das Krankenhaus voraus. Von einer vollstationären Krankenhausbehandlung ist jedenfalls dann auszugehen, wenn der Patient nach der Entscheidung des Krankenhausarztes mindestens einen Tag und eine Nacht ununterbrochen im Krankenhaus versorgt werden soll. Maßgeblich ist hierbei nicht die tatsächliche Behandlungsdauer im Krankenhaus, sondern die zur Zeit der Aufnahmeentscheidung auf Grundlage des hierbei getroffenen Behandlungsplans prognostizierte. Die Aufnahmeentscheidung des Krankenhausarztes auf der Basis eines entsprechenden Behandlungsplans wird nach außen regelmäßig durch die Einweisung auf eine bestimmte Station, die Zuweisung eines Bettes oder das Erstellen entsprechender Aufnahmeunterlagen und Ähnliches dokumentiert. Eine Aufnahmeentscheidung ist auch bei Einlieferung eines Patienten in das Krankenhaus durch den Rettungsdienst erforderlich. Die Aufnahmeentscheidung muss dabei weder ausdrücklich erklärt noch förmlich festgehalten werden. Sie kann sich auch aus der bereits eingeleiteten Behandlung selbst ergeben, etwa wenn ein Schwerverletzter bei seiner Einlieferung ins Krankenhaus sofort für eine Notoperation vorbereitet oder sofort auf die Intensivstation verbracht wird. Dennoch ist die nachfolgende stationäre Behandlung immer von der vorausgehenden Aufnahmeuntersuchung zu unterscheiden, die je nach Lage des Einzelfalls sehr kurz, aber auch sehr intensiv sein kann (BSG, Urteil vom 18.05.2021 – B 1 KR 11/20 R –).

Ambulante Notfallbehandlung auf der einen und Aufnahmeuntersuchung auf der anderen Seite lassen sich nicht trennscharf voneinander abgrenzen. Denn neben der akuten Erstversorgung hat der behandelnde Krankenhausarzt im Rahmen der Notfallbehandlung – wie bei jeder Aufnahmeuntersuchung – zu überprüfen, ob eine stationäre Krankenhausbehandlung erforderlich ist und in seinem Krankenhaus überhaupt durchgeführt werden kann.

Nach diesen vom BSG aufgestellten Grundsätzen wurde nach Ansicht des SG Aachen der Patient im Krankenhaus nicht stationär behandelt. Der Patient wurde unmittelbar nach der Einlieferung in den Schockraum gebracht. Auf dem Weg dorthin wurde er reanimationspflichtig und verstarb nach erfolgloser Reanimation. Die 19-minütige Reanimation mit zweimaliger Gabe von 1 mg Suprarenin begründete keine vollstationäre Behandlung.

Eine über Intubation und Beatmung hinausgehende organisatorische Eingliederung des Patienten in die Infrastruktur des Krankenhauses kann auch nicht allein daraus hergeleitet werden, dass die Behandlung in einem Schockraum erfolgte. Das Vorhandensein einer die Möglichkeit der Lebensgefahr einschließenden Indikation bei dem Versicherten und die Verwendung einzelner technischer Apparaturen, die auch in der Intensivmedizin zum Einsatz kommen, geben der Behandlung im Schockraum nicht bereits das Gepräge einer intensivmedizinischen Behandlung mit der Folge einer vollstationären Eingliederung. Vielmehr setzt die vollstationäre Behandlung auch im Fall der Intensivmedizin eine entsprechende Aufnahme in das behandelnde Krankenhaus voraus, das heißt die Entscheidung, den Versorgungsauftrag für Intensivmedizin wahrnehmen zu wollen. An einer solchen auch nur konkludenten Aufnahmeentscheidung fehlt es aber nach der Auffassung der Richter in Aachen im vorliegenden Fall.

Auch wenn das bei der Einlieferung eines Patienten in das Krankenhaus bereits erkennbare Ausmaß der Verletzungen seine stationäre Behandlung im Anschluss an die Notfallbehandlung nahelegt, genügt diese Annahme allein nicht, schon zu diesem frühen Zeitpunkt den Beginn einer stationären Krankenhausbehandlung anzunehmen. Denn eine nach der Notfallbehandlung noch – ausdrücklich oder konkludent – zu ergehende Aufnahmeentscheidung ist vom Ausgang der Notfallbehandlung im Schockraum abhängig. Dazu kam es im vorliegenden Fall nicht mehr, da der Patient unter der Notfallbehandlung im Schockraum verstarb.

Die Entscheidung zeigt die Problematiken der BSG-Entscheidung vom 18.05.2021 (- B 1 KR 11/20 R -), denn eine Abgrenzung zur Fallgruppe der „abgebrochenen Behandlung“, die auch vom BSG immer noch als stationäre Behandlung abzurechnen ist. Dabei ist hier immer noch zu betonen, dass entgegen der Entscheidung des BSG zur Behandlung im Schockraum eine Verlegung des Patienten nicht in Raum stand. Wenn aber nach der geplanten Behandlung eine Zuweisung des Patienten zur Intensivstation des Krankenhauses erfolgen sollte und damit gerade in entsprechenden Krankenhäusern der Maximalversorgung die weitere stationäre Behandlung im gleichen Krankenhaus nicht in Frage stand, stellt sich die Frage, warum der Tod des Patienten vergütungsrechtlich anders zu behandeln ist, als andere Ereignisse die nicht im Verantwortungsbereich des Krankenhauses liegen (wie etwa die vorzeitige Entlassung gegen ärztlichen Rat).

Für Rückfragen zu diesem oder einem anderen medizinrechtlichen Thema stehen wir Ihnen gerne telefonisch unter 0681-3836580 oder per E-Mail unter ra@ra-glw.de zur Verfügung. Besuchen Sie auch unsere Internetseite http://www.ra-glw.de

Meinungen zu diesem Beitrag

  1. Dr. Jan Helling am

    Das wäre ja alles gar nicht schlimm, wenn die Krankenhäuser dafür eine adäquate andere Vergütungsmöglichkeit hätten. Nur über die Notfallpauschale ist dieser Aufwand sicher nicht kostendeckend refinanziert…

    Viele Grüße, Jan Helling

  2. Dr. Florian Wölk am

    Sehr geehrter Herr Dr. Helling,

    Ihr Kommentar legt den Finger in die Wunde. Denn seit Jahren leisten die Krankenhäuser den Löwenanteil in der ambulanten Notfallversorgung, ohne dass die Leistungen adäquat vergütet werden.

    Ob das am 02.12.2022 verabschiedete Krankenhauspfelgeentlastungsgesetz dazu Fortschritte bringen wird, bleibt abzuwarten. Denn danach können Krankenhäuser mit Inkrafttreten des Gesetzes Patienten ohne Übernachtung tagesstationär behandeln. Ob sich dies auch auf die Frage der Aufnahmeentscheidung auswirken wird, bleibt abzuwarten.

    Mit freundlichen Grüßen

    Florian Wölk

  3. Dr. Matthias Brachmann am

    Vielen Dank, Herr Wölk, für die sehr gute Einordnung! Es bleibt zu hoffen, dass das LSG die von Ihnen geschilderten Feinheiten besser verarbeiten kann als das SG Aachen.

    Im Schlimmsten Fall droht uns der medizinische Rückfall in veraltete Versorgungsmuster und kritisch kranke Patienten werden wieder direkt auf die Intensivstation gebracht unter Umgehung der ZNA.

    Ich hoffe, dass es sich auch in der gesamten Rechtsprechung irgendwann mal durchsetzt: Intensivmedizin ist kein Ort sondern eine ärztliche, pflegerische und apparative Leistung. Sie wird regelmäßig auf der Intensivstation erbracht aber kann eben auch dezentral in einem Schockraum erfolgen.

    Leider fehlt mir aktuell der Glaube daran. Dem BSG war es so wichtig klar zu machen, dass es eben nicht der Ort ist, der für die Sektoreneinteilung wichtig ist (Schockraum ist nicht per se stationär), dass Sozialgerichte und Kostenträger nur verstanden zu haben scheinen „Aha, Schockraum ist nicht stationär, also muss er ambulant sein.“ Dass das reale Versorgungsfolgen haben kann, scheinen viele gerne auszublenden.

  4. Dr. Florian Wölk am

    Sehr geehrter Herr Dr. Bachmann,

    vielen Dank für Ihren Kommentar. Leider teile ich Ihre Befürchtungen. Das Problem wird sich wohl erst lösen, wenn ein vernünftiges Vergütungssystem für die Notfallversorgung geschaffen wird, dass den aktuellen Anforderungen gerecht wird. Solange die „Verschiebeproblematik“ zwischen ambulanter und stationärer Notfallbehandlung nicht anhand der realen Versorgungssituation (und den bestehenden Versorgungslücken) gelöst wird, steht zu erwarten, dass die Gerichte die problematische Versorgungssituation noch verschärfen werden.

    Mit freundlichen Grüßen

    Florian Wölk

  5. C. Hirschberg am

    … je nach örtlichen Begebenheiten gibt es weiteren Klarstellungsbedarf: z.B. wenn die internistische Intensivstation einen eigenen Erstversorgungsraum (Schockraum) räumlich direkt auf der internistischen Intensivstation besitzt und der Patient gerade nicht im Schockraum der ZNA behandelt wurde, sondern im Erstversorgungsraum der internistischen Intensivstation…

    Mit freundlichen Grüßen

    C.Hirschberg

  6. Dr. Florian Wölk am

    Sehr geehrter Herr Hirschberg,

    vielen Dank für die Anmerkung, die eigentlich die Absurdität der Argumentation zeigt. Denn kann es wirklich einen Unterschied für die Frage der stationären Behandlung machen, wie die Behandlung im Schockraum organisiert ist bzw. wo der Schockraum liegt?

    Einige Krankenhäuser sind nun dazu übergegangen, eine konkretes Formular mit der Aufnahmeentscheidung direkt bei Eintreffen des Patienten auszufüllen und damit eine „nach außen erkennbaren und dokumentierte“ Aufnahmeentscheidung nachzuweisen.

    Es bleibt spannend, wie die Gerichte damit umgehen werden, insbesondere wenn die stationäre Behandlung im Schockraum nur wenige Minuten dauert und der Patient dann verstirbt. Nach unseren Erfahrungen werden von vielen Krankenkasse diese Fälle gerade unter Hinweis auf die BSG-Rechtsprechung regressiert.

    Mit freundlichen Grüßen

    Florian Wölk

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