StartseiteRegionalOberschwabenRavensburgOhne Leihärzte wäre die OSK aufgeschmissen

Medizinische Versorgung

Ohne Leihärzte wäre die OSK aufgeschmissen

Ravensburg / Lesedauer: 6 min

Leiharbeitskräfte verdienen mehr als festangestellte Ärzte oder Pfleger. An der OSK ist der Betrieb ohne sie nicht denkbar. Das Modell ist Fluch und Segen zugleich.
Veröffentlicht:07.04.2023, 09:00

Artikel teilen:

Im Wangener Krankenhaus wird der Betrieb in der Frauenheilkunde aktuell mit dem Leihärztemodell gesichert: Mehrere Ärztinnen sind dort gleichzeitig ausgefallen. Leiharbeitskräfte in Ärzteschaft und Pflege, die also nicht fest bei der Klinik angestellt sind, übernehmen zeitweise die Arbeit. Sie verdienen mehr als ihre festangestellten Kollegen.

Und auch die Vermittlungsagenturen verdienen an dem Modell noch mit. „Das schmerzt betriebswirtschaftlich und medizinisch“, sagt der Ärztliche Direktor der OSK, Oliver Rentzsch. Doch ohne die Leihärzte und -pflegekräfte lässt sich der Betrieb des Krankenhauses nicht stemmen. Ein Einblick.

In Anästhesie, Unfallchirurgie und Gynäkologie fehlen Ärzte

Einer der führenden Personaldienstleister im Gesundheitsbereich ist die Berliner Firma Doctari — sie wirbt offensiv mit dem, was für festangestellte Ärzte an Kliniken nicht möglich ist: „Ein selbstbestimmter Dienstplan nach Ihren Anforderungen und mehr Gehalt — als Vertretungsarzt in der Zeitarbeit ist das möglich.“

Laut OSK–Betriebsrat verdient ein festangestellter Facharzt zwischen 76.800 und 98.688 Euro brutto im Jahr, Zuschläge kommen noch hinzu. Doctari nennt auf der Internetseite ein Gehalt, das mehr als doppelt so hoch liegt, eine Unterkunftspauschale kommt noch hinzu.

Laut Ärztlichem Direktor führt kein Weg an Leiharbeit vorbei

Die OSK beschäftigt aktuell nach eigenen Angaben in der Pflege Leihkräfte im Umfang von zirka 30 Vollkräften, bei den Ärzten 15 Vollkräfte. Bei den Ärzten gehe es darum, punktuell Stellen zu besetzen, für die die Klinik augenblicklich kein eigenes Personal gewinnen kann, teilt Pressesprecher Winfried Leiprecht mit. „Fächer mit solchen Engpässen sind unter anderem die Anästhesie, die Unfallchirurgie oder die Gynäkologie.“ In der Pflege fehlt Personal schon chronisch.

Die Oberschwabenklinik verfolgt laut Rentzsch die Philosophie, rund um die Uhr in allen medizinischen Bereichen Versorgung anbieten zu können. Das klappe nur mit Hilfe von Leihärzten. „Die Notversorgung einzustellen, wäre die Bankrotterklärung für das Krankenhaus“, sagt Rentzsch. Deshalb führe an der Arbeit mit Leihärzten und -pflegern kein Weg vorbei. Denn ohne Leihpfleger könnten aufgrund geltender Personaluntergrenzen weniger Betten in den Häusern der OSK belegt werden. „Es geht nicht anders, wir müssen in den sauren Apfel beißen.“

Wechsel in die Festanstellung nur selten

Das Modell ist für die Klinik Fluch und Segen zugleich. „Ich persönlich finde es falsch“, sagt Renzsch. „Da wird viel Geld ausgegeben und es verdienen Leute mit, die nicht in der Patientenversorgung arbeiten.“ Wenn Leiharbeit in Kliniken nicht erlaubt wäre, würden die Mediziner festangestellt arbeiten, mutmaßt Rentzsch. Der Einsatz von Leiharbeitskräften dürfe nicht zur Personalpolitik einer Klinik werden, wie er sagt. „Das darf nur die Notfalllösung sein.“ Zwar wechsle auch mal eine Honorarkraft in die Festanstellung — „aber nicht so häufig, wie wir uns das wünschen“, sagt Rentzsch.

Allein der Personalvermittler Doctari, nach eigenen Angaben in Deutschland führender Personaldienstleister im Gesundheitsbereich, hat laut seiner Internetseite mehr als 50.000 Fachkräfte in seiner Kartei. Und die Pressestelle des Berliner Unternehmens nennt noch weitere Daten zur Branche: Man wisse von der Agentur für Arbeit, dass etwa 26.000 Pflegekräfte im Bereich Gesundheits– und Krankenpflege, Rettungsdienst und Geburtshilfe in Zeitarbeit tätig seien — das entspreche 3,2 Prozent aller Pflegekräfte.

Mal sucht eine Klinik für zwei Wochen, mal für zwei Monate

Die Einsatzzeiten variieren, aktuell wird ein Vertretungsarzt für den Fachbereich Anästhesiologie an einer Klinik in Baden–Württemberg gesucht, der nur sechs Tage gebraucht wird. Oder ein Oberarzt der Radiologie für knapp zwei Monate.

Unseren Mitarbeitern ist bewusst, dass es ohne Leiharbeitskräfte gar nicht geht.

Betriebsratschef Bernd Hofmann

OSK–Mitarbeiter, die mit Leihkräften zusammengearbeitet haben, berichten von vereinzelt sehr motivierten Ärzten und Pflegern. Aber es gibt auch Kritik. Nicht jeder Arzt bringe alle Qualifikationen mit, die für den modernen Klinikalltag benötigt werden. Wenn sich Leihkräfte zum Beispiel keine Mühe geben, sich in das örtliche Computersystem einzuarbeiten, bleibe zum Teil wichtige Schreibarbeit liegen, die festangestellte Kollegen dann nachholen müssten. Möglicherweise spüre auch mancher Patient mangelnde Motivation, mutmaßen festangestellte Ärzte.

Leihkräfte können sich ihre Dienste aussuchen

Und, was festangestellte Ärzte und Pfleger bemängeln: Die Leihärzte und Pfleger können sich ihre Dienste aussuchen. Häufig bleiben eher unbeliebte Nacht– und Wochenenddienste übrig.

Auch wegen des Gehaltsunterschiedes sei die Leiharbeit an der Klinik ein ambivalentes Thema, sagt Betriebsratschef Bernd Hofmann. „Es ist schwer erträglich, dass man außenstehenden Ärzten so viel Geld zahlen muss“, sagt er. Aber auch er verweist auf Personaluntergrenzen und sagt: „Unseren Mitarbeitern ist bewusst, dass es ohne Leiharbeitskräfte gar nicht geht.“

Ohne Einweisung zur Nachtschicht

In der Pflege hat aber so manche Fachkraft schon erlebt, dass jemand zur Nachtschicht auftaucht, der die Station noch nie gesehen hat. Die Einweisung kostet Zeit, die eigentlich niemand habe. Die Leihfirma bezahlt die Einarbeitungszeit nicht — „die hat daran kein Interesse, hier geht’s ums Geschäft“, sagt Betriebsratschef Hofmann.

Doctari–Chef Cai–Nicolas Ziegler hat das Geschäftsmodell in der Fachzeitschrift für das Management im Krankenhaus „f&w“ als „Feuerlöscher“ im Klinikalltag verteidigt. Zum hohen Verdienst sagte er: „Leiharbeiter müssen, wenn sie wie bei uns überregional tätig sind, viel flexibler sein. Sie wissen heute nicht, wo sie nächste Woche sein werden.“ Der Vermittler sagt außerdem, dass Fachkräfte nur vermittelt würden, wenn sie die für den Einsatz erforderlichen Qualifikationen mitbringen — diese gebe die Klinik selbst vor.

Ärztin fordert bessere Aufstiegsmöglichkeiten

Dass aus der Altenpflege und der Deutschen Krankenhausgesellschaft zuletzt der Wunsch geäußert wurde, Leiharbeit sollte verboten werden, weil sie auf Kosten der Solidargemeinschaft geht, hält Betriebsrat Hofmann indes im zunehmend marktliberal aufgestellten Gesundheitssystem für unlogisch. „Wer marktliberal unterwegs ist und denkt, alles regelt der Markt — dem muss man sagen, dann regelt der Markt auch den Preis der Arbeit“, sagt er. Seine Schlussfolgerung: „Die Mitarbeiter müssten besser bezahlt werden, dann würden sie nicht in Leiharbeit gehen.“

Eine Ärztin, die an der OSK festangestellt ist, sagt im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“, dass sie ihr Gehalt eigentlich angemessen finde, bei den Aufstiegsmöglichkeiten sieht sie noch Luft nach oben: „Man müsste die Arbeitsbedingungen im Krankenhaus so verändern, dass junge Ärzte wieder Bock haben, im Krankenhaus zu arbeiten.“