Panorama

Personalnotstand hat Folgen Team Wallraff erlebt Horror-Zustände in Kliniken

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In ihren Praktika spüren die Reporterinnen auch die Verzweiflung der Pflegekräfte.

In ihren Praktika spüren die Reporterinnen auch die Verzweiflung der Pflegekräfte.

(Foto: RTL)

Stationen, die wegen fehlender Pflegekräfte geschlossen werden müssen. Untersuchungen, die nicht gemacht werden können, weil das Labor schon geschlossen hat. Das sind nur einige der Missstände, die das Investigativteam um Günter Wallraff in drei Krankenhäusern aufdeckt.

In Deutschland gibt es etwa 1900 Krankenhäuser mit rund 488.000 Betten. Etwa ein Drittel der jährlichen Leistungsausgaben der Gesetzlichen Krankenkassen - mehr als 85 Milliarden Euro - gehen in Krankenhausbehandlungen. Gleichzeitig fehlen bundesweit mehr als 200.000 Pflegekräfte. Wenn man also ins Krankenhaus muss, wird man dort kompetent und schnell behandelt?

Reporter und Reporterinnen vom "Team Wallraff" haben in drei Krankenhäusern undercover recherchiert. Wie hoch ist der Spardruck dort wirklich? Wie wirkt sich der Personalmangel im Alltag aus? Als Pflegepraktikanten gewinnen sie investigativ einen Einblick. ntv zeigt die neue Folge "Team Wallraff - Reporter Undercover" mit dem Titel "Das kranke System: Undercover in Deutschlands Krankenhäusern" heute um 20.15 Uhr.

Einer Informantin zufolge kündigen im "Sankt Vincenz"-Krankenhaus Limburg in Hessen immer mehr Pflegekräfte. Durchschnittlich 28.000 Patientinnen und Patienten werden in der gemeinnützigen Einrichtung jährlich behandelt. Getarnt als Pflege-Praktikantin erlebt eine RTL-Reporterin bereits an ihrem ersten Arbeitstag, wie eine ganze Station aufgrund von Personalmangel und Krankheitsausfällen geschlossen werden muss - und das nicht zum ersten Mal. Hierzu erklärt das "Sankt Vincenz"-Krankenhaus gegenüber RTL: "Unter Umständen werden einzelne Stationen geschlossen und die Patienten auf einer Station zusammengelegt."

Auf Nachfragen erfährt die Reporterin, dass teilweise alle Betten des Krankenhauses vollständig belegt sind. Dann könnten nur noch Entlassungen Abhilfe schaffen, vertraut eine Pflegekraft der Reporterin an. Diese wird kurz darauf Zeugin, wie eine junge Frau nach einem schweren Autounfall vom Arzt dazu ermutigt wird, sich gegen ärztlichen Rat selbst zu entlassen. Laut der die Recherchen begleitenden Expertin Sâra Aytaç müsste die Patientin mit Polytrauma eigentlich 24 Stunden lang zur Beobachtung im Krankenhaus bleiben. Die junge Frau steht zudem unter Schmerzmitteln und macht auf die Reporterin einen desorientierten Eindruck. Trotzdem wirkt der Arzt so lange auf die Unfallpatientin ein, bis diese sich schließlich selbst eigenständig gegen ärztlichen Rat entlässt. In einer Stellungnahme an RTL erklärt sich das Krankenhaus wie folgt: "Gemäß den Leitlinien geschieht eine Entlassung dieser leicht oder gar nicht verletzten Patienten in jedem Fall nach einer ausführlichen Aufklärung über mögliche Risiken." Weiter heißt es, dass Patienten in ein anderes Krankenhaus verlegt würden, sollte einmal kein Bett frei sein.

Hilfe von ausländischen Fachkräften?

Fachkräfte aus dem Ausland gelten als eine gute Möglichkeit, den Mangel an Pflegepersonal aufzufangen. Die "Asklepios"-Klinik Nord-Heidberg in Hamburg erweckt den Eindruck, dass die Integration dieser Fachkräfte dort besonders gut gelingt. Rund zweimal im Jahr werden hier etwa 15 Pflegekräfte aus dem Ausland aufgenommen und auf die sogenannte Anerkennungsprüfung vorbereitet.

Eine RTL-Reporterin schaut sich das während eines zweiwöchigen Praktikums auf der Station der Inneren Medizin an. Im Stationsalltag beobachtet sie, dass die ausländischen Pflegerinnen und Pfleger häufig ohne Anleitung und eher nach dem System "learning by doing" arbeiten. Teilweise kümmern sich Auszubildende allein um eine Vielzahl von Patientinnen und Patienten. Klinikbetreiber "Asklepios" äußert sich zu diesem Vorwurf wie folgt: "Während einer Stationstätigkeit werden unsere Internationalen Pflegekräfte von einer ihnen spezifisch zugeordneten examinierten Pflegekraft betreut […], um menschliche Fehler, die im Alltag passieren können, zu erkennen und zu vermeiden." Mit den Vorgängen konfrontiert, sagt Gesundheitsminister Karl Lauterbach: "Wenn ich nicht genug Pflegekräfte habe, muss ich die Station schließen. Eine solche Station mit zwei Kräften und acht Patienten, einige schwer krank, dazu prekäre Sprachverhältnisse, das wäre nach dem neuen Gesetz nicht mehr möglich."

Die Reporterin sieht auch, wie eine ausländische Kollegin das Zimmer eines hochinfektiösen Patienten betritt, ohne, wie auf dem Türschild zu lesen ist, die erforderliche Schutzkleidung anzulegen. Michelle weist sie zudem noch rechtzeitig darauf hin, hochansteckende Abfälle nach Vorschrift direkt im Zimmer, statt auf der Station zu entsorgen. "Asklepios" schreibt hierzu, dass die Infektion nach einer erfolgreichen Behandlung nicht mehr bestanden hätte. Die Schutzmaßnahmen im Zimmer seien bereits aufgehoben gewesen. Lediglich die Entfernung des Warnhinweises an der Tür sei bedauerlicherweise vergessen worden.

Rechnen mit jedem Euro

Mit insgesamt 170 Einrichtungen ist "Asklepios" der zweitgrößte private Klinikbetreiber in Deutschland. 2021 hat das Unternehmen laut eigenem Geschäftsbericht mehr als 100 Millionen Euro Gewinn gemacht. Die Kinderklinik St. Augustin in Nordrhein-Westfalen zählt zu den großen des Landes. Presseartikeln zufolge wollte Asklepios die Klinik zeitweise schließen, da sie sich nicht mehr rentieren würde. Gleich am ersten Tag in der zentralen Notaufnahme entsteht bei der RTL-Reporterin, die hier als Praktikantin im Einsatz ist, der Eindruck, als müssten ihre Kolleginnen und Kollegen sehr auf das Geld achten.

Ein Junge und seine Mutter werden trotz akuter Symptome von den Krankenschwestern weggeschickt. Eine Kollegin erklärt, dass die Klinik den Jungen ohne ärztliche Überweisung über den Notfallschein hätte abrechnen müssen. Das wäre ein Minusgeschäft von zwei Euro. In einer Stellungnahme an RTL schreibt "Asklepios" dazu: "Notfallpatient:innen brauchen keine Überweisung eines Facharztes/einer Fachärztin und werden in Sankt Augustin jederzeit umfassend und bedarfsgerecht medizinisch und pflegerisch versorgt. Besteht keine stationäre Behandlungsnotwendigkeit, erfolgt eine eingehende Untersuchung und ambulante Notfallversorgung der Patient:innen und anschließend eine Rücküberweisung in die Praxen."

Während einer Nachtschicht werden gleich zwei Kinder mit Verdacht auf das hochansteckende RS-Virus eingeliefert. Da seit einiger Zeit das Labor der Klinik nachts nicht mehr besetzt ist, bleiben der Ärztin nur Schnelltests zur Diagnose. Dabei wäre eigentlich eine umfassende Laboruntersuchung nötig, um genau bestimmen zu können, was den Kindern fehlt. "Asklepios" erklärt dazu, dass die eingesetzten Schnelltests eine zuverlässige Diagnose erlaubten. Außerdem hätte das Krankenhaus seit Anfang des Jahres ein weiteres Analysegerät im Einsatz, um Infektionskrankheiten zu diagnostizieren. Und weiter: "Nur zeitlich nicht dringliche Untersuchungen werden von einem externen Labor übernommen."

Tod durch Sparmaßnahme?

Alle hier genannten Betreiber bestreiten die Vorwürfe, zur Gewinnmaximierung an Qualitätsaspekten und Fachpersonal zu sparen. Enthüllungsjournalist Günter Wallraff sieht durch die Undercover-Recherchen belegt, "wie viel in Deutschlands Krankenhäusern im Argen liegt". Es gebe Überlastung, Kostendruck und Mängel in der Ausbildung. "Wenn sich die Krankenhäuser weiterhin kaputtsparen, werden mehr Patienten zu Schaden kommen oder sogar sterben", so Wallraff.

Bundesgesundheitsminister Lauterbach hat bereits Pläne für eine Krankenhausreform vorgelegt, die am 1. Januar 2024 in Kraft treten soll. Damit sollen die Kliniken in die drei verschiedenen Versorgungsstufen Grundversorgung, Schwerpunktversorgung und Maximalversorgung aufgeteilt werden. Zudem soll das Vergütungssystem verändert werden. Das soll Lauterbach zufolge zu einer verlässlichen Finanzierung der Krankenhäuser führen.

Quelle: ntv.de, sba

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