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Klinik-Chef über Lauterbach-Reform: „Damit würde quasi über Nacht unser Gesundheitssystem zusammenbrechen“
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Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD).
Hannes P. Albert/dpa Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD).
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Andreas du Bois ist Ärztlicher Direktor des Klinikums Essen Mitte. Er hat sich ausführlich mit der anstehenden Krankenhausreform von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach beschäftigt. Sein Urteil: Die Reform „ist an der Realität vorbei entworfen“.

FOCUS online: Gesundheitsminister Lauterbach will das Krankenhaussystem reformieren. Eine gute Idee?

Andreas du Bois: Es ist unbestritten, dass wir Reformbedarf haben, denn wir haben wirklich kein sonderlich effizientes System. Es ist sehr teuer, und es scheint auf die demografische Entwicklung nur bedingt vorbereitet zu sein.

Woran liegt das ?

du Bois: Es gab nie einen Masterplan, sondern es hat sich ohne inhaltliche Vorgaben an Qualität und Struktur mehr oder weniger so vor sich hin entwickelt. Ursprünglich war unser Gesundheitssystem als Kostenerstattungssystem gedacht, dann kam in den 80er und 90er Jahren die Phase der Privatisierung. Mit einem Mal sollte in dem System Rendite erzielt werden, und diese Rendite wurde von Aktionären aus dem System entnommen - dafür war es aber nicht gedacht.

Ein rein marktwirtschaftliches System trifft dabei auf ein stark planungswirtschaftlich geprägtes System mit festgesetzten Budgets. Es hat wenig mit Marktwirtschaft zu tun, wenn erfolgreiche Kliniken Mehrerlöse weitgehend abgeben müssen und Mindererlöse bei weniger erfolgreichen Häusern ausgeglichen werden.

Sie sprechen von den Universitätskliniken?

du Bois: Ja, nehmen Sie die: Die produzieren hunderte von Millionen Defizite und das wird einfach vom Land ausgeglichen, das heißt die Geschäftsführer der Universitätskliniken verfügen über zig Millionen unserer Steuergelder – das ist einfach unglaublich, insbesondere wenn auf der anderen Seite andere Krankenhäuser, wie die freigemeinnützigen, jeden Euro selbst verdienen müssen.

„Das Risiko vom Wähler bestraft zu werden ist groß“

Warum hat die Politik bisher nicht eingegriffen?

du Bois: Kein Politiker traut sich, in seinem Wahlkreis ein Krankenhaus zuzumachen, oder im Rahmen notwendiger Strukturbereinigungen Häuser zur Zusammenarbeit zu verpflichten. Das Risiko, vom Wähler dafür bestraft zu werden, ist groß.

Jede Schließung eines Krankenhauses ruft sofort Protest und Demonstrationen hervor – obwohl die meisten der Protestierenden nie in das zur Schließung bereitstehende Krankenhaus gehen würden, wenn sie ernsthaft erkranken würden.

Und jetzt spitzt sich die Lage zu?

du Bois: Ja, denn über Jahre hinweg haben Kostenträger immer nur etwa die Hälfte der Kostensteigerungen bei den Krankenhäusern erstattet. Also: Wenn das Pflegepersonal vier Prozent mehr Lohn bekam und die Sachkosten in die Höhe gingen, schoss der Träger zwei Prozent mehr dazu.

Ähnlich lief es mit den Investitionskosten, für die die Länder zuständig waren. Hier wurde systematisch ein Investitionsstau aufgebaut, den die Kliniken nicht mehr ausgleichen können.

Das Ergebnis ist jetzt, dass geschätzt zwei von drei Kliniken wirtschaftlich nicht mehr gesund sind. Von daher muss dringend etwas passieren, weil sonst die Versorgung in ganzen Regionen zusammenbricht.

Hinzu kommt noch eine dramatische demografische Entwicklung: Babyboomer werden Rentner und Rentner werden Patienten. Unten kommen aber keine Fachkräfte mehr nach. Bis 2030 fehlen uns schätzungsweise 400.000 Pflegekräfte und 70.000 Ärzte. Das bedeutet, wir brauchen eine Reform, aber eine, die an den Bedürfnissen der Menschen und der Qualität der Behandlung orientiert ist.

Dann ist es doch aber gut, dass der Gesundheitsminister das endlich angeht.

du Bois: Ja, wenn Sie unseren Gesundheitsminister in Nordrhein-Westfalen meinen. Aber nein, wenn Sie den Bundesgesundheitsminister nennen. Was der Bund jetzt angekündigt hat, ist einfach nur schlecht durchdacht und an der Realität vorbei entworfen.

Andreas du Bois spricht sich deutlich gegen die geplante Krankenhausreform aus.
KEM | Evang. Kliniken Essen-Mitte gGmbH Andreas du Bois spricht sich deutlich gegen die geplante Krankenhausreform aus.

Lauterbachs Krankenhausreform kommt im Hauruckverfahren - ohne Praxistauglichkeit

Wieso?

du Bois: Lauterbach kam Ende vergangenen Jahres mit einem seiner Schnellschüsse und wollte im Hauruckverfahren die Krankenhausorganisation umkrempeln. Er hatte 16 Wissenschaftler zusammengetrommelt, die in wenigen Wochen ein neues Konzept entwickeln sollten. Ausdrücklich, ohne die Praktiker aus den Ländern und die Betroffenen einzubinden. So entstand ein typisches Papier vom grünen Tisch – ohne Praxistauglichkeit. Die wurde nicht einmal überprüft.

Und das taugt nichts?

du Bois: In dem Lauterbach-Papier finden sich durchaus gute Aspekte, zum Beispiel eine nicht mehr den aktuellen Fallzahlen folgende Finanzierung der Notfallversorgung. Darüber hinaus sind aber viele Aspekte unsäglich realitätsfern und würden die Gesundheitsversorgung vieler Bevölkerungsgruppen gefährden.

Grundprinzip der Neuordnung im Lauterbach-Papier ist eine Einteilung aller Krankenhausstandorte in sogenannte Level I bis III. Diese orientieren sich vornehmlich an der Notfallversorgung. So kommt ein Krankenhaus von Level I auf Level II, wenn es unter anderem einen Kreißsaal, einen Herzkatheder-Messplatz und eine Schlaganfall-Einheit hat. Hier werden Strukturmerkmale verknüpft, die erst einmal nichts miteinander zu tun haben und sich auch gegenseitig nicht bedingen. Wie soll der Kreißsaal bei Schlaganfall helfen, wie der Herzkatheter bei einer Zwillingsgeburt?

Klingt unlogisch . . .

du Bois: Und es wird noch schlimmer: Den so kreierten Leveln werden Behandlungsgruppen zugeordnet. Hierzu wurde die Medizin in einen Katalog eingeteilt, der mehr als 120 Leistungsgruppen enthält, wie etwa Geburten, Behandlung von Diabetes, Schlaganfall, Brustkrebs- und Darmkrebs-Operationen usw..

Viele Operationen und Behandlungen sind nur ab einem bestimmten Level erlaubt, dem Level II zum Beispiel die Geburtshilfe, die Krebsbehandlung und die komplexe Bauchchirurgie.

Reform ist besonders für spezialisierte Häuser fatal

Warum ist das schlecht?

du Bois: Weil die Verknüpfung von Strukturmerkmalen aus der Notfallversorgung nichts mit den Anforderungen moderner Medizin in anderen Bereichen zu tun hat. Gerade in den urbanen Zentren haben sich Kliniken spezialisiert und Strukturen geschaffen, die dafür notwendig sind, spezifische Anforderungen besonders gut zu behandeln. Hier ist zum Beispiel die Behandlung von Krebs in dafür ausgewiesenen Zentren zu erwähnen oder Frühgeburten in Perinatalzentren oder Gelenkersatz in ausgewiesenen Endoprothetikzentren.

Viele dieser Häuser haben im Rahmen dieser Spezialisierung bewusst auf andere Fächer verzichtet, die dann im Nachbarkrankenhaus zu finden sind – so kam es zur Konzentration der Krebsmedizin, der Geburtshilfe und vieler anderer Teile der Medizin.

Sie konnten auf diese Weise Ressourcen bündeln und den gestiegenen Anforderungen der modernen Medizin nachkommen. Die Lauterbach-Reform ist eine Rolle rückwärts ins 20. Jahrhundert.

Jetzt muss ein Haus wieder alles vorhalten – zum Beispiel einen Kreißsaal, auch wenn die Anzahl der Geburten nicht ausreicht, um das Hebammenteam auszubilden.

Was bedeutet das praktisch?

du Bois: Nehmen Sie unser Haus in Essen. Wir sind an einem unserer Standorte sehr stark auf die Krebs-Behandlung spezialisiert und beherbergen unter anderem das größte Brustkrebszentrum Deutschlands.

Diese Art der Spezialisierung wurde in den letzten Dekaden sowohl von den Fachgesellschaften als auch den Patienten- und Patientinnen-Selbsthilfegruppen ausdrücklich gefordert und gefördert. In NRW sind in vielen Städten ähnliche Zentren entstanden. Die zwölf größten Brustkrebszentren in Nordrhein-Westfalen behandeln zusammen jährlich etwa 7000 Patientinnen mit Brustkrebs, das sind die Hälfte alle Patientinnen in NRW.

Käme jetzt die Lauterbach-Reform, so wie geplant, dürfen nur noch Krankenhäuser auf Level II Brustkrebs-Operationen machen. Das heißt – alle diese zwölf Brustkrebszentren bräuchten also zum Beispiel auch noch einen Kreißsaal, eine Schlaganfalleinheit. Ich frage mich, wozu ist das gut?

„Damit würde quasi über Nacht unser gesamtes Gesundheitssystem zusammenbrechen“

Was wäre die Folge?

du Bois: Es blieben von den zwölf Brustkrebszentren nur zwei übrig, die Lauterbach-Level II Ausstattung haben und 90 Prozent der Patientinnen und Patienten würden nicht mehr versorgt werden können.

Da auch die Geburtshilfe an Level II gebunden wäre, müssten sich mehr als die Hälfte aller Schwangeren ein neues Krankenhaus suchen und könnten nicht mehr in der Klinik ihrer Wahl entbinden. Von den etwa 350 Krankenhäusern in NRW blieben 36 auf den Leveln II und III übrig, die Geburten, Krebsbehandlung und komplexe Bauchchirurgie machen dürften.

Damit würde quasi über Nacht unser gesamtes Gesundheitssystem zusammenbrechen. Und wozu? Wozu brauchen geburtshilfliche Kliniken zwingend eine Schlaganfall-Abteilung und ein Herzkatheder-Zentrum? 

Was hat das miteinander zu tun? Da wird ohne Diskussion mit den Betroffenen und ohne Bewusstsein, was es bedeutet, von der Lauterbach-Kommission so ein Papier im Schnellschuss rausgehauen, das nicht im Entfernten umsetzbar ist.

Wie ginge es denn besser?

du Bois: Die Gesundheitsversorgung ist primär Ländersache und in Nordrhein-Westfalen sitzt Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann bereits seit 2019 an dem Thema. Er hat alle Beteiligten an Bord geholt und ein Reformprojekt entwickelt, das sich an den Bedürfnissen der Menschen und den regionalen Gegebenheiten orientiert. Im Kern geht es da nach dem wirklichen Bedarf, also wie viele Fälle von welcher Krankheit gibt es. Für jede Leistungsgruppe …

… also für jede Art von Therapie . . .

du Bois: … ja, also für jede Leistungsgruppe wurden Qualifikationskriterien definiert, was Ausstattung, Ausbildung und Erfahrung anbelangt. Die Krankenhäuser können sich um die Leistungsgruppen bewerben, und die Leistungsgruppen werden dort abgebildet, wo die besten Strukturen und das größte Know-how liegt – bei Wahrung der regionalen Versorgung.

Wenn es in einer Region zu viele Bewerber um zu wenig Fälle gibt, kommen einige nicht zum Zug. Und zwar diejenigen mit der wenigsten Erfahrung oder der am wenigsten geeigneten Infrastruktur. So werden unnötige Doppelstrukturen abgebaut und es kommt zu einer Bereinigung, was dann hoffentlich auch den Fachpersonalmangel etwas lindern kann.

Die Zusammenarbeit von Bund und Ländern ist notwendig

Wenn ich auf dem Land wohne, habe ich dann das Nachsehen?

du Bois: Nein. Bei den Verteilungen der Leistungsgruppen spielte auch die Erreichbarkeit eine Rolle. Innerhalb von 30 Minuten soll ein Krankenhaus erreichbar sein.

Also Laumann statt Lauterbach?

du Bois: Laumann hat einen längst überfälligen und sinnvollen Prozess aufgesetzt. Am besten wäre Laumann und Lauterbach, das heißt NRW als Modellregion und ergänzt durch die positiven Aspekte vom Bund. Auf keinen Fall darf der Bund aus einem Elfenbeinturm und ohne Berücksichtigung der regionalen Verhältnisse den Ländern eine praxisferne Reform aufzwingen.

Daher ist es richtig, dass NRW gemeinsam mit Bayern und Schleswig-Holstein ein Gutachten in Auftrag gegeben hat, das im Ergebnis die Position der Länder bestätigt, die lautet: Lauterbach hat hier seine Kompetenzen überschritten. Das hat Lauterbach zumindest bis auf weiteres ausgebremst.

Ich hoffe sehr, dass wir in NRW nun in Ruhe unsere Arbeit fortsetzen können und in ein paar Jahren die Erfahrungen mit unserem Modell als Grundlage einer konstruktiven Diskussion mit den anderen Bundesländern und dem Bundesgesundheitsministerium dienen können – wer auch immer dann Bundesgesundheitsminister sein wird.

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Andreas du Bois ist Ärztlicher Direktor des Klinikums Essen Mitte. Er hat sich ausführlich mit der anstehenden Krankenhausreform von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach beschäftigt. Sein Urteil: Die Reform „ist an der Realität vorbei entworfen“.

Der Beitrag "„Damit würde quasi über Nacht unser Gesundheitssystem zusammenbrechen“" stammt von WirtschaftsKurier.

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