Nach der Notaufnahme: KI-Modell soll Aufenthalt im Krankenhaus ermitteln

Das Universitätsklinikum Schleswig-Holstein will gemeinsam mit dem DFKI und dem Unternehmen singularIT eine KI für die Notaufnahme entwickeln.

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(Bild: Deemerwha studio/Shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.

Seit Jahren steigt die Zahl der Patientinnen und Patienten in den Notaufnahmen kontinuierlich an. Das führt nicht nur immer wieder zu langen Wartezeiten und zur zeitweiligen Abmeldung von Krankenhäusern bei den Rettungsleitstellen. Es steigert auch das Risiko einer unzureichenden Patientenversorgung, die nicht den medizinischen Erfordernissen entspricht.

Das Universitätsklinikum Schleswig-Holstein will nun gemeinsam mit dem DFKI und dem Unternehmen singularIT eine KI-Unterstützung für die Krankenhaus-Notaufnahme entwickeln und testen. Das "Assistenzsystem zur Prozessoptimierung in der Notaufnahme" (APONA) soll bereits bei Einlieferung des Patienten aus den vorhandenen Daten eine Prognose über die benötigten Ressourcen zur Behandlung geben. Auf diese Weise können beispielsweise Stationen für bildgebende Verfahren oder ein Bett auf einer Station rechtzeitig reserviert werden. Das Land Schleswig-Holstein fördert das Projekt mit rund 560.000 Euro.

Die Entwicklung setzt auf Studien auf, bei denen Forschende vom DFKI, der Uni Leipzig und singularIT ein Modell entwickelt hatten, das nach der Entlassung aus der Notaufnahme eine Prognose über die weitere Aufenthaltsdauer im Krankenhaus erstellt. Mit einer Unsicherheit von etwa zwei Tagen lieferte das Modell vergleichbar gute Ergebnisse wie andere bisher bekannte Verfahren. Im Wesentlichen beruht es darauf, Patientendaten auszuwerten, die bei der Einlieferung bekannt sind, und daraus die relevanten Merkmale zu extrahieren, die am wichtigsten für die weiteren Prognosen sind.

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"Das waren Vorstudien", sagt Ralf Möller, Wissenschaftlicher Direktor des Forschungsbereichs Stochastische Relationale KI im Gesundheitswesen am DFKI und Direktor des Instituts für Informationssysteme der Universität zu Lübeck. "Welche Technik wir dann bei APONA einsetzen, müssen wir erst noch herausfinden". Wichtig sei in jedem Fall, "nicht einfach naiv ein Verfahren des maschinellen Lernens von der Stange einzusetzen". Denn Verfahren wie tiefe neuronale Netze seien zwar gut darin, aus Trainingsdaten relevante Merkmale herauszufiltern, die Menschen nicht unbedingt erkennen. Zahlreiche Beispiele aus der Bildverarbeitung würden aber zeigen, dass die Modelle dabei manchmal auch irrelevante Details wie Wasserzeichen, Artefakte in der Datei oder die Farbe des Himmels als wichtiges Feature identifizieren, die mit der eigentlichen Aufgabe nichts zu tun haben. Optimal sei vermutlich eine Kombination aus Merkmalen, die von Hand ausgewählt und solchen, die automatisch selektiert wurden. "Es geht darum, das Maximale aus den vorhandenen Daten herauszuholen", sagt Möller. "Aber was da nicht drin ist, kann man auch nicht hinein rechnen".

Wenn der Prototyp entwickelt ist, wollen Möller und seine Kollegen die Vorhersage der Aufenthaltsdauer der Patienten an realen Daten aus dem UKSH testen. Wenn das gut funktioniert, wird die Vorhersage erweitert auf eine "Abschätzung der benötigten Ressourcen". Ob und wann das System nicht nur die strukturierten Daten, sondern auch Freifeld-Informationen – beispielsweise über einen Unfall-Verlauf – auswerten kann, vermag Möller nicht zu sagen. "Das ist nur ein verhältnismäßig kleines Projekt", sagt er. "Wir haben nicht die Milliarden, die ein Unternehmen wie Google hier aufbringen kann".

Tatsächlich arbeitet der Konzern intensiv an einem großen Sprachmodell auf der Basis seiner Palm-Architektur, das "medizinische Fragen" beantworten kann, und so Medizinern als "Entscheidungshilfe" zur Verfügung steht, aber auch Fragen von Patientinnen und Patienten beantworten soll. Mitte Juli veröffentlichten Forschende von Google Einzelheiten dazu im Magazin "Nature". Med-PaLM ist ein an medizinische Fragen angepasstes Transformer-Modell mit 540 Milliarden Parametern aufbaut. Seit Ende April ist auch die Nachfolgeversion Med-PALM-2 für Kooperationspartner verfügbar.

Obwohl das Forschungsteam die Qualität der Antworten von Med-PaLM mit einer Technik namens "Instruction Prompt Tuning‟ weiter verbessern konnte, zeigt auch Med-PaLM noch die typischen Schwächen großer Sprachmodelle: Zum einen sind die Antworten stark kontextabhängig, zum anderen produziert auch dieses Modell halluzinierte Fakten. Das Ergebnis einer Bewertung durch menschliche Experten: 92,6 Prozent der detaillierten Antworten von Med-PaLM entsprechen dem "wissenschaftlichen Konsens‟. 5,8 Prozent der Antworten von Med-PaLM wurden aber als "potenziell schädlich" eingestuft.

Der Konzern wirbt intensiv um Kooperationspartner. Dass die renommierte Mayo-Klinik das Programm laut US-Medien bereits testet, muss aber keineswegs bedeuten, dass Google mit dem Projekt erfolgreich sein wird. Als warnendes Beispiel könnte hier vielmehr IBM dienen. Der Konzern hatte mit seinem Watson-System mehrere Kooperationen angestoßen, und wollte "maßgeschneiderte Krebstherapien" entwickeln. Das Vorhaben scheiterte spektakulär – unter anderem an der mangelhaften Qualität medizinischer Daten.

(wst)