Stellen Sie sich vor, Sie sind Pflegekraft. Sie haben einen Job, für den Sie brennen. Wären da nicht die vielen Nachtdienste, unvereinbar mit dem Familienalltag. Wäre da nicht die geringe Anerkennung, der hohe Druck.

Dann aber ist da jemand, der buhlt um Sie. Der sagt: Bei uns können Sie selbst bestimmen, wie viel und wann Sie arbeiten. Dafür gibt es auch noch einen Willkommensbonus – "3.000 Euro für dein Vertrauen". Da gibt es einen Dienstwagen zur privaten Nutzung und Zuschüsse zur Kinderbetreuung. Mehr verdienen würden Sie auch. 5.600 Euro brutto im Monat als Krankenpfleger in Vollzeit, 6.400 Euro als Fachkraft auf der Intensivstation – Zulagen für Wochenenden, Feiertage und Nächte nicht eingerechnet.

Der einzige Unterschied: Sie wären nicht mehr direkt in einer Klinik oder einem Pflegeheim angestellt. Sondern bei einer Firma, die Sie an diese Einrichtungen ausleiht.

Leiharbeit nimmt zu

Es ist ein Deal, auf den sich immer mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einlassen. Mitte letzten Jahres waren laut Bundesagentur für Arbeit bereits 47.000 Leihkräfte in deutschen Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen beschäftigt. Das sind zwar nur gut zwei Prozent der Berufstätigen der Branche. Doch ihre Zahl ist seit 2013 um ein Drittel gestiegen. "Leiharbeit im Krankenhaus entwickelt sich von der Ausnahme zum Regelfall", schrieb Anfang des Jahres die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG), die die Interessen der deutschen Kliniken vertritt.

Für die Häuser wird das zum Problem – und zwar nicht nur aufgrund der höheren Kosten. "Wir registrieren, wie Belegschaften durch Leiharbeit mehr und mehr gespalten werden", schrieb die DKG weiter. Die Leiharbeiterinnen bekommen ihre Wunschschichten, während die Stammbelegschaft die Lücken im Dienstplan füllen muss. Noch dazu müssen die neuen Kräfte immer wieder aufs Neue vor Ort eingearbeitet werden.

Der Druck ist inzwischen so groß, dass ein großer Teil der Kliniken fordert, die Leiharbeit zu verbieten. Das zeigt eine Umfrage des Deutschen Krankenhaus-Instituts. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) geht vorerst einen anderen Weg. Er will die Leiharbeit zurückdrängen. Pflegeeinrichtungen können künftig zum Beispiel die Zusatzkosten nicht mehr abrechnen. Sie müssen sie selbst tragen – oder aber den Bewohnerinnen in Rechnung stellen.

Lauterbach löst das Problem nicht

Lauterbach geht damit ein wichtiges Problem an. Nur löst er es nicht.

Der Versuch, Leiharbeit finanziell unattraktiv zu machen, geht ebenso am Kern vorbei wie die Forderung nach einem Verbot. Denn der höhere Lohn ist nur ein Grund, warum sich Pflegekräfte für die Leiharbeit entscheiden. Das zeigt eine Umfrage des Instituts der deutschen Wirtschaft. Über die Hälfte gab dabei an, sie sei gewechselt, weil sie als Leiharbeiter mehr Wertschätzung erhielten. Für rund 64 Prozent war wichtig, mehr Einfluss auf den Dienstplan zu haben.

Auf beides könnten und müssten die Einrichtungen reagieren. Seit Corona ist klar, dass sich Pflegepersonal in den Kliniken und Pflegeheimen mehr Anerkennung wünscht. Geändert aber hat sich wenig. Auf den Wunsch nach flexibleren Arbeitszeiten wiederum könnten die Häuser eingehen, indem sie Springerpools aufbauen: Wer in diesem Team ist, kann selbst entscheiden, wann sie oder er arbeitet – dafür landet die Pflegekraft dann auf der Station, auf der Personal gebraucht wird. Gerade Angestellten mit Familie käme das sehr entgegen.

Am Ende leiden die Patienten

Wer hingegen ein Verbot der Leiharbeit fordert, geht davon aus, dass die Fachkräfte automatisch wieder in die Stammbelegschaft der Häuser wechseln würden. Das aber ist eher unwahrscheinlich. Der IW-Umfrage zufolge wären nur 18 Prozent von ihnen bereit, wieder fest in einer Klinik oder eine Pflegeeinrichtung zu arbeiten. Die Mehrheit (55 Prozent) würde sich hingegen einen anderen Job suchen.

Darauf muss die Branche reagieren. Sonst verliert sie noch mehr Fachkräfte. Darunter leiden nicht nur die Häuser, sondern auch die Patienten.