WHO-Pläne: Big Data, KI und digitaler Imfpausweis gegen digitale Medizin-Kluft

Die Corona-Pandemie hat die Entwicklung und Nutzung digitaler Gesundheitsanwendungen beschleunigt. Laut WHO gibt es aber noch viele Lücken.​

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Digitaler Impfpass auf einem Smartphone

Konzeptbild des digitalen Impfpasses auf einem Smartphone

(Bild: Lazartivan/Shutterstock.com / Bearbeitung heise online)

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Inhaltsverzeichnis

Die Digitalisierung des Gesundheitswesens hat – vor allem aufgrund der Corona-Pandemie – in den vergangenen Jahren in Europa teils große Fortschritte gemacht. Dies gelte vor allem für Gesundheits-Apps und die Telemedizin, schreibt die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Sie hat am Dienstag in Porto auf einem Symposium zur Zukunft des Gesundheitssystems im digitalen Zeitalter einen Bericht mit Fokus auf die europäische Region vorgestellt. Die Autoren unterstreichen darin, "dass noch viel zu tun ist" und machen Verbesserungsvorschläge.

"Die Covid-19-Pandemie hat die entscheidende Rolle digitaler Technik deutlich in den Mittelpunkt gerückt", heißt es in der über 100 Seiten langen Analyse. Digitale Impfzertifikate seien besonders hilfreich: "Sie waren unsere Verbündeten bei der Aufrechterhaltung grundlegender Gesundheitsdienste sowie bei der Notfallvorsorge und -reaktion."

Vor allem 2022 werde – geprägt von den Nachwirkungen der Pandemie – ein "bedeutender Meilenstein auf dem Weg zu einer umfassenden digitalen Gesundheit in Erinnerung bleiben", schreibt der europäische Direktor der UN-Institution, Hans Kluge, im Vorwort. Voriges Jahr sei klar geworden, dass es dabei "nicht nur um Technik" gehe. Ziel sei auch, "Gesundheitssysteme zu stärken, die Zugänglichkeit zu verbessern und den kulturellen Wandel hin zu nachhaltiger Pflege und öffentlicher Gesundheit voranzutreiben".

"Ein Hauptrisiko besteht darin, dass aufgrund der ungleichmäßigen Bereitstellung [...] eine digitale Gesundheitskluft entsteht", warnt die WHO. Millionen von Menschen in der gesamten Region könnten bis jetzt nicht von digitaler Gesundheitstechnik profitieren. Dieser Ungleichheit müssten die europäischen Staaten dringend durch gezielte Investitionen und den Ausbau der Fähigkeiten und Kapazitäten von Gesundheitsdienstleistern begegnen.

"Es ist eine traurige Ironie, dass Menschen mit begrenzten [...] digitalen Fähigkeiten oft diejenigen sind, die am meisten von digitalen Gesundheitswerkzeugen profitieren", gibt Kluge zu bedenken. Er verweist beispielhaft auf ältere Menschen oder Bewohner ländlicher Gegenden. Die WHO wolle mit ihrem Digital-Health-Programm dafür sorgen, dass "alle davon profitieren und niemand zurückgelassen wird".

Dem Bericht ist zu entnehmen, dass die überwiegende Mehrheit der Länder in der Region – 44 von 53 WHO-Mitgliedsstaaten auf dem alten Kontinent – über eine nationale Strategie für digitale Gesundheit verfügt. In allen gebe es zudem Gesetze zum Schutz der Privatsphäre und personenbezogener Daten. Nur 19 Länder haben aber Leitlinien zur Bewertung digitaler Gesundheitsinterventionen entwickelt, obwohl das "von entscheidender Bedeutung" für Sicherheit und Wirksamkeit sei.

Etwas mehr als die Hälfte der Länder in der Region hat Richtlinien für digitale Gesundheitskompetenz und einen Plan zu digitaler Inklusion umgesetzt. Dreißig haben während der Coronakrise Gesetze zur Unterstützung telemedizinischer Anwendungen erlassen. Etwas mehr als die Hälfte der Staaten verfüge über eine Datenstrategie, die den Einsatz von Big Data und Analysen mithilfe Künstlicher Intelligenz (KI) im Gesundheitssektor regelt. Die deutsche Bundesregierung hat ihre einschlägige Agenda vorige Woche erneuert.

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Die Pandemie hat laut WHO "die Kosten unzureichender Investitionen in Daten und digitale Gesundheit deutlich gemacht". Die Mitgliedstaaten müssten mehr Anstrengungen unternehmen, "um nachhaltige Finanzierungsstrategien für die weitere Entwicklung und Umsetzung der digitalen Gesundheit zu entwickeln". Zusätzlich zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Finanzierung digitaler Gesundheitsprogramme sollten sie die öffentlich-private Zusammenarbeit stärken, um etwaige Geldprobleme zu überwinden.

Gezielt in den Blick nimmt die WHO Apps wie digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA). Aufgrund der pandemischen Notlage sei damit "der persönliche Kontakt zwischen Gesundheitspersonal und Patienten beeinträchtigt" worden. Es habe "eine erhebliche Verlagerung hin zu virtuellen Fernkonsultationen" stattgefunden. Ein Großteil davon sei über mobile Anwendungen alias mHealth vermittelt worden. Vor allem hätten die Staaten alle Hände voll damit zu tun gehabt, landesweite Dienste für Coronatests und Impfungen schnell einzurichten, Kontaktverfolgung einzuführen, um die Ausbreitung der Krankheit einzudämmen, und die Quarantäne zu überwachen.

Laut einer WHO-Umfrage entwickelten zwei Drittel der europäischen Mitgliedsländer Apps zur Kontaktverfolgung wie die Corona-Warn-App (CWA), 55 Prozent zum digitalen Impfnachweis. Letztere seien "zu den neuen Pässen für öffentliche Veranstaltungsorte und Reisen" avanciert. Erstaunlicherweise fehle in 72 Prozent der Mitgliedstaaten eine eigene Stelle, die für die regulatorische Aufsicht über Apps in Bezug auf Qualität, Sicherheit und Zuverlässigkeit zuständig ist. Nur 15 Prozent haben über Evaluierung staatlich geförderter mHealth-Programme berichtet.

Die WHO rät den Mitgliedsstaaten, "jedem Haushalt und jeder Gemeinde Zugang zu zuverlässigem, kostengünstigem Breitband" zu bieten. Um Vertrauen in digitale Gesundheitswerkzeuge aufzubauen, müssten die einfließenden Daten "sicher und geschützt" sein. Entscheidend sei ferner die Interoperabilität insbesondere elektronischer Patientenakten, wofür die EU den umstrittenen Europäischen Gesundheitsdatenraum vorantreibt.

Die EU-Kommission bekräftigte gerade, dass das globale digitale Netzwerk der WHO für Gesundheitszertifizierungen die Digitalisierung der gesamten gelben Impfausweise der Organisation plane. Zu diesem Zweck solle die WHO das System hinter dem EU-Impf- oder Rehabilitationszertifikat einschließlich seiner Grundsätze und Techniken übernehmen, heißt es in einer Antwort auf eine Anfrage des EU-Abgeordneten Peter Liese (CDU). Dieser unterstützt das Vorhaben, da die WHO-konformen Nachweise auf dem Handy die lästige Suche nach den gelben Büchlein erübrigten. Bisher war es nur möglich, den Corona-Impfnachweis über die CovPass-App oder die CWA digital vorzuzeigen.

(mack)