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Krankenhäuser Weilheim und Schongau: Kreistag gegen eine Insolvenz

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Notruf
„Der Kreistag bittet den Aufsichtsrat und die Geschäftsführung der Krankenhaus GmbH zu prüfen, am Standort Schongau eine Notfallversorgung (24/7) einzurichten.“ So wurde es beschlossen. Das Aktionsbündnis hatte zuvor seine „Variante 6“ vorgestellt. © Symbolfoto: Panthermedia/Sabine Schaefer

Landkreis – Dass Kreistagssitzungen von Demonstrationen zum Thema Krankenhauszukunft begleitet werden, ist kein ungewohnter Anblick mehr. Neu war am heutigen Freitag in Hohenpeißenberg aber, was da auf den Schildern zu lesen war: „Variante 6 rettet Leben“, hielt das diesmal eher kleine Grüppchen des Aktionsbündnisses in die Luft. Die ungleich mehr Mitarbeiter der Krankenhaus GmbH skandierten hingegen: „keine Insolvenz!“.

Dieses Wort „Insolvenz“ fiel oft in den rund fünfeinhalb Stunden im Hohenpeißenberger Haus der Vereine. Wäre eine solche gangbar? Und welche Verfahrensart wäre dabei jene mit den besten Perspektiven? Darum drehte es sich immer wieder in den Wortmeldungen der Kreisräte, von denen einige ein Liebäugeln oder zumindest Inbetrachtziehen einer Insolvenz erkennen ließen. Dabei waren sich die geladenen Experten schon in ihren vorangehenden Erklärungen einig: „Vermeiden Sie ein Insolvenzverfahren“, empfahl Dr. Mark Boddenberg.

Klare Empfehlung

„Ihr Fall ist dafür gänzlich ungeeignet“, verwies der Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht bei der Kanzlei Eckert aus Hannover auf gegebenenfalls zu erwartende Kosten sowie Reibungs- und Kontrollverluste sowie Auflösungserscheinungen. Gehe die Mitarbeiterschaft verloren, „macht alles keinen Sinn mehr“. Abfangen lasse sich ein Abwandern manchmal durch geschickte Kommunikation – dieser Zug sei aber abgefahren.

Ein sogenanntes Schutzschirmverfahren bezeichnete Boddenberg als „brutal, schnell und effizient“ – überdies warte der ein oder andere Marktteilnehmer wohl nur darauf, sich etwas vom Weilheimer und Schongauer Kuchen unter den Nagel zu reißen; „ihr Fall ist bekannt“.

Dass etwas passieren muss, sei ganz klar, stimmte aber seine Kollegin Dorit Aurich zu. Sonst sei ein Insolvenzszenario in wenigen Monaten unabwendbare Realität. „Wenn Sie das heute nicht beschließen, muss die GmbH einen Insolvenzantrag stellen“, blickte sie auf die spätere Abstimmung.

Die Lage sei für Krankenhäuser in ganz Oberbayern schwierig, berichtete Paul Auer, Sachgebietsleiter bei der Regierung von Oberbayern. Im Landkreis stelle sie sich aber besonders dramatisch dar, weil hier schon länger ein beträchtliches strukturelles Problem vorliege. „Es ist erst das zweite Mal in 19 Jahren, dass ich bei einer Kreistagssitzung dabei bin“, verdeutlichte er. „Wir heben seit vielen Jahren mahnend den Finger.“

Die Gesamtsituation verschlechtere sich zusehends, fasste Landrätin Andrea Jochner-Weiß zusammen. „Wir brauchen heute eine klare Entscheidung für unser Krankenhaus und eine Durchfinanzierungszusage für die nächsten zwölf bis 24 Monate.“

Am Ende musste am Beschlussvorschlag noch an mehreren Stellen herumgeschraubt und ergänzt werden, am Ende stimmten aber 41:13 Räte zu.

Die Beschlüsse

Das Gremium beschloss, die Einleitung eines Insolvenzverfahrens für die Krankenhaus GmbH zu vermeiden. Darüber hinaus entschied es, die klinische Versorgung im Landkreis durch die Krankenhaus GmbH als Tochtergesellschaft des Landkreises fortzuführen und die nach einer Umstrukturierung notwendigen Betriebskostenzuschüsse zu übernehmen.

In den Kreishaushalt 2024 sollen dafür zwölf Millionen Euro und ein Investitionskostenzuschuss von drei Millionen sowie Finanzmittel für den Transformationsprozess eingestellt werden. Bei letzteren handelt es sich nach aktuellem Stand um elf bis zwölf Millionen, hauptsächlich für den Sozialplan, weil die Mitarbeiterschaft gemäß Variante 5 geschrumpft wird (wir berichteten). Dass dieser Sozialplan durch Kredite finanziert wird, würde sie mittragen, hatte die Regierung von Oberbayern bereits geprüft. Außerdem, so Auer, würde sie 1,5 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung stellen.

Über 2024 hinaus, im Finanzplan 2025 bis 2027, sind die nach dem jeweiligen Stand der Umstrukturierung erforderlichen Betriebskostenzuschüsse einzuplanen, beschloss der Kreistag. Für 2025 sind das nochmals zwölf Millionen Euro. Ab 2026 sind die konkreten Beträge – derzeitiger Stand ist ein Betriebskostenzuschuss von sechs Millionen für Weilheim und zwei Millionen für Schongau – jeweils mit gesonderten Beschlüssen zu entscheiden.

Hierfür und für die Nennung konkreter Zahlen in diesem Teil des Beschlusses waren mehrere Kreisräte erfolgreich eingetreten. Andernfalls hatten unter anderem Susann Enders, Michael Marksteiner (beide Freie Wähler), Markus Kunzendorf (ÖDP), Rüdiger Imgart (AfD), Josef Taffertshofer und Franz Seidel (beide BfL) einen „Blankoscheck“ oder „Persilschein“ für die Geschäftsführung und den Aufsichtsrat befürchtet, dem gegenüber das ein oder andere Gremiumsmitglied einen Vertrauensverlust bekundete.

Die 45 Millionen Investitionen an beiden Standorten, um Weilheim gemäß Variante 5 zum Schwerpunktversorger und Schongau zum Ambulanzzentrum zu entwickeln, müssen nochmals eigens behandelt werden. Ein Gesellschafterdarlehen über 2,5 Millionen, das Ende 2024 fällig geworden wäre, wurde bis Ende 2027 verlängert und um 2,6 Millionen erhöht.

Damit ist die Kuh vorübergehend vom Eis. Wie dünn dieses mittlerweile war, verdeutlichte Thomas Lippmann, Geschäftsführer der Krankenhaus GmbH. In der Jahresabschlussprüfung zum Geschäftsjahr 2022 hatte die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft kein Testat ausgestellt, da ihr ohne die Zusage des Kreistags die gesicherte Fortführungsprognose fehlte. Nach einem coronabedingt auf vier Monate verkürzten Betrachtungszeitraum muss die Finanzierung von Gesellschaften nun wieder für mindestens zwölf Monate gesichert sein. „Diesen Ausblick hatten wir nicht“, so Lippmann.

Die Liquidität, ohnehin unter anderem von Inflation und Preissteigerungen beeinträchtigt, ist nun ebenfalls wieder gesichert. Beträgt das Zahlungsziel für die Krankenkassen seit Corona fünf Tage, könnte es zum Jahresende wieder zurück auf eine Frist von 21 Tagen. „Das würde über Nacht ein weiteres Finanzloch von drei bis vier Millionen Euro reißen“, so Lippmann. Für die Lage der Krankenhäuser in Deutschland hielt er fest: „Das ganze System ist kaputt.“ Ähnliche Beobachtungen macht Dr. Boddenberg. „Früher haben wir zwei bis drei Krankenhäuser pro Jahr gemacht“, so der Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht. „Jetzt machen wir seit fünf Monaten nichts anderes mehr.“

Gesundheit oder Bildung?

Pragmatisch unter den zahlreichen Wortmeldungen sah es Wolfgang Scholz (CSU): Man könne das Geld jetzt für Variante 5 oder für eine am Ende wohl nicht günstigere Insolvenz ausgeben. „Eine Insolvenz können wir uns gar nicht leisten“, befand sein Fraktionssprecher Peter Erhard.

Dass Variante 5 aber auf Dauer nicht finanzierbar ist, befürchteten Armin Jabs (BfL) und Dr. Kerstin Engel (Grüne). Jabs sieht das Weilheimer Haus als Schwerpunktversorger angesichts der gegebenen Möglichkeiten überdimensioniert. Engel wähnte sich erneut ungenügend informiert: „Wir müssen immer wieder neue Schleifen drehen, weil wir hier nur halbscharige Beschlüsse fassen können.“

Er habe das Gefühl des Kontrollverlusts, gestand Marksteiner. „Ich bin nur noch im Kreistag um Millionen abzunicken – ich mag nimmer.“ Man werde zum Wackeldackel, pflichtete Elke Zehetner bei, das Krankenhaus sei ein Fass ohne Boden. Die Penzberger Ecke des Landkreises sei dabei eigentlich gut versorgt – und hänge doch mit drin. Der Preis sei hoch. „Bekennen wir uns zur Gesundheit, ist woanders Schicht im Schacht.“ Das Krankenhaus schnüre alle Möglichkeiten ab, andere Zukunftsthemen anzugehen, sagte Josef Taffertshofer. Die voraussichtlich weiter steigende Kreisumlage nehme den Gemeinden die Luft zum Atmen, befürchtete Schongaus Bürgermeister Falk Sluyterman (SPD) als einer von mehreren Kreisräten.

Die Entscheidung, das Krankenhaus am Leben zu erhalten, liege bei den Kreisräten, hatte Regierungsvertreter Auer vor der Abstimmung festgehalten. „Sie verzichten dann aber auf andere Gestaltungsmöglichkeiten“, nannte er unter anderem die Themen Schule und ÖPNV.

Variante 5: Schongau auf dem Weg zum regionalen Gesundheitszentrum

Landrätin Andrea Jochner-Weiß sieht in Variante 5 und der künftigen Rolle des Schongauer Hauses als regionales Gesundheitszentrum eine „sehr gute Lösung“.

Eine Variante 6 hatte zwischenzeitlich aber das Aktionsbündnis Pro Krankenhaus Schongau ausgearbeitet. Diese enthalte eine Notfallversorgung rund um die Uhr, erklärte dessen Sprecherin Daniela Puzzovio – von einer echten Notaufnahme ist längst keine Rede mehr. Machbar sein solle das über eine sogenannte Portalambulanz in Weilheim, die nachts und am Wochenende Dienste in Schongau übernimmt.

„Extrem schwer darstellbar“, gab Dr. Norbert Trapp, Stellvertreter des Chefarztes in Weilheim, seine Einschätzung dazu ab. Neben dem finanziellen Aspekt führte er an: „Sie werden kein Personal dafür finden.“ Dennoch wurde die Liste an Beschlüssen auf Drängen des Schongauer Bürgermeisters Falk Sluyterman noch um einen Punkt ergänzt: „Der Kreistag bittet den Aufsichtsrat und die Geschäftsführung der Krankenhaus GmbH zu prüfen, am Standort Schongau eine Notfallversorgung (24/7) einzurichten.“ Sie könne da nichts versprechen, schränkte Jochner-Weiß mehrfach ein.

Derweil werde der Standort immer mehr zu wirtschaftlichen finanziellen Belastung als ohnehin schon, schilderte Geschäftsführer Thomas Lippmann. Er sprach von einem „massivsten Einbruch“ an Patientenzahlen; die Belegung erreiche teils nur noch 50 Prozent – Tendenz weiter sinkend. Das Weilheimer Personal helfe in hohem Maße mit, Schongau überhaupt noch am Laufen zu halten. Zum Thema Notfallversorgung erklärte er, dass die noch bestehende Schongauer Notaufnahme derzeit pro Nacht durchschnittlich vier Fälle zwischen 20 Uhr und 0 Uhr und ab Mitternacht bis sechs Uhr derer zwei behandle. Die schweren Fälle werden ohnehin nach Weilheim geleitet.

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