Arbeitszeit

Wie weit reicht die Mitbestimmung bei der Rufbereitschaft?

14. September 2023 Arbeitszeit, Rufbereitschaft
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Quelle: fotomek_Dollarphotoclub

Der Arbeitgeber kann nicht einseitig anordnen, dass Ärzte in Rufbereitschaft immer binnen 30 Minuten beim Patienten sein müssen, solange die einschlägige Betriebsvereinbarung keine feste Anrückzeit vorgibt. Es könne offenbleiben, ob die Anrückzeiten generell mitbestimmungspflichtig sind - so das LAG Berlin- Brandenburg.

Betriebsrat und Arbeitgeber streiten darüber, ob dieser für bestimmte Rufbereitschaftsdienste von Fachärzten einseitig festlegen kann, dass die Ärzte bei Abruf binnen max. 30 Minuten im Krankenhaus beim Patienten eingetroffen sein müssen. Der Betriebsrat meint, das dürfe der Arbeitgeber nicht.


Darum geht es

In einem Krankenhaus wird den Ärzten im Oktober 2021 per Dienstanweisung vorgegeben, sie müssten während der Rufbereitschaft binnen 30 Minuten beim Patienten verfügbar sein. Der Betriebsrat ist der Auffassung, dass diese Anweisung gegen die langjährig angewandte Betriebsvereinbarung verstößt. Das Gremium verlangt vom Arbeitgeber, die Anweisung zu unterlassen.

Für das Krankenhaus gilt seit Februar 2014 eine „Betriebsvereinbarung Dienstplangestaltung und Arbeitszeit Ärzte (BV Arbeitszeit Ärzte)“, die durch einen Spruch der Einigungsstelle zustande gekommen ist. In § 10 legt die BV Arbeitszeit Ärzte zur Rufbereitschaft fest, dass diese „telefonisch erreichbar“ müssen. Ebenso müssen sie in der Lage sein, „ihre Arbeitszeit innerhalb einer für die notwendige Patientenversorgung angemessenen Zeit aufzunehmen.“ Bereits am 22.7.2014 hatte das Arbeitsgericht Brandenburg an der Havel rechtskräftig festgestellt, dass die Betriebsvereinbarung wirksam ist.

Im neuen Verfahren wies das Arbeitsgericht Brandenburg an der Havel am 27.4.2022 den Unterlassungsantrag des Betriebsrats zurück. Die Begründung dafür: Das Mitbestimmungsrecht bei der Arbeitszeit umfasse zwar die Aufstellung von Rufbereitschaftsplänen, nicht aber die inhaltliche Ausgestaltung der Rufbereitschaft. Außerdem sei die Rufbereitschaft durch Tarifvorschrift abschließend geregelt.


Das sagt das Gericht

Das LAG ist anderer Meinung und gibt dem Unterlassungsantrag des Betriebsrats statt. Der Arbeitgeber müsse die Anweisung zu unterlassen, weil die einseitige Vorgabe einer Anrückzeit von 30 Minuten nicht für alle Anwendungsfälle gesichert angemessen sei. Dadurch werde der Anspruch des Betriebsrates auf Durchführung der Betriebsvereinbarung verletzt.

Die Betriebsvereinbarung regelt lediglich, dass die Ärzte während der Rufbereitschaft telefonisch erreichbar und in der Lage sein müssen, ihre Arbeitszeit innerhalb einer für die notwendige Patientenversorgung angemessenen Zeit aufzunehmen.

Ob Regelungen zur Anrückzeit letztlich in die Mitbestimmung fallen oder nicht, könne hier offenbleiben, da eben die rechtskräftige Entscheidung aus 2014 vorlag. Daher könnten, so das LAG, die Fragen nach einer Überschreitung des Mitbestimmungsrechts und einer Verletzung des Tarifvorrangs im vorliegenden Verfahren nicht neu aufgeworfen werden.

 Das muss der Betriebsrat wissen

Bei der Prüfung der Wirksamkeit von Betriebsvereinbarungen muss man aufpassen. Wenn einmal etwas rechtskräftig feststeht, kann das auch noch lange Zeit danach gravierende Auswirkungen haben.

Eigentlich hätten schon im ersten Streitverfahren 2014 alle rechtlichen Aspekte geklärt werden müssen, vor allem die naheliegende Frage nach dem Mitbestimmungsrecht bei den Anrückzeiten.

Hier hatte der Betriebsrat aber etwas Glück, da das LAG die Festlegung des Arbeitgebers selbst für unvereinbar mit der Betriebsvereinbarung gehalten hat.

© bund-verlag.de (fro)

Quelle

LAG Berlin-Brandenburg (23.06.2023)
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