L 2 KR 8/22

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
SG Meiningen (FST)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
2.
1. Instanz
SG Meiningen (FST)
Aktenzeichen
S 22 KR 1154/19
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 2 KR 8/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Die Kodierung des OPS-Kodes 8-98f für eine aufwendige intensivmedizinische Komplexbehandlung setzte bis einschließlich 31. Dezember 2020 u. a. voraus, dass das Krankenhaus die Voraussetzung einer 24-stündigen Verfügbarkeit kontinuierlicher und (von vornherein als solcher erforderlicher) intermittierender Nierenersatzverfahren „im eigenen Klinikum“ im Sinne einer rechtlichen Trägerschaft und damit Verantwortung sowie Möglichkeit der Einflussnahme auf die insoweit tätigen Ärzte erfüllte.

2. Die vom DIMDI mit Wirkung vom 1. Januar 2021 vorgenommene Änderung des Wortlautes „im eigenen Klinikum“ zu „am Standort des Krankenhauses“ entfaltet keine Rückwirkung, weil es sich dabei nicht um eine Klarstellung im Sinne von § 301 Abs. 2 Satz 4 SGB V in der bis zum 31. Dezember 2019 geltenden Fassung handelt, obwohl eine solche rechtlich zulässig gewesen wäre.  

 

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Meiningen vom 7. Juli 2021 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird auf 12.545,42 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Höhe der Vergütung einer stationären Krankenhausbehandlung.

Die Klägerin betreibt ein in den Krankenhausplan des Freistaates Thüringen aufgenommenes Krankenhaus, in dem der im Juli 1960 geborene Versicherte der beklagten Krankenkasse vom 21. November 2018 bis 24. Januar 2019 wegen einer bakteriellen Lungenentzündung intensivmedizinisch behandelt wurde. Sie stellte der Beklagten dafür am 22. Februar 2019 insgesamt 95.089,34 € ausgehend von der Pauschale aus der Fallgruppe (German Diagnosis Related Group [DRG]) A09B (Beatmung > 499 Stunden oder > 249 Stunden mit int. Komplexbeh.
> 2352 / 1932 / 2208 P., mit angeb. Fehlbild. od. Tumorerkr., Alter < 3 J. oder mit hochkompl. Eingr. mit kompl. OR-Proz. oder int. Komplexbeh. > 1764 / 1932/ - P. und Alter < 16 Jahre) nebst Zuschlägen mit einem Zahlungsziel von 14 Tagen in Rechnung und kodierte dabei nach dem Operationen- und Prozedurenschlüssel (OPS) unter anderem den OPS-Kode 8-98f.51 (Aufwendige intensivmedizinische Komplexbehandlung [Basisprozedur], 2485 bis 2760 Aufwandspunkte). Die Beklagte teilte der Klägerin am 11. Juli 2019 elektronisch mit, ihr Krankenhaus erfülle die strukturellen Voraussetzungen für diesen OPS-Kode nicht, weshalb lediglich der OPS-Kode 8-980.51 (Intensivmedizinische Komplexbehandlung [Basisprozedur]: 2485 bis 2760 Aufwandspunkte) zugrunde gelegt und der sich daraus ergebende Zahlbetrag angewiesen werden könne. Dieser OPS-Kode führt in die DRG A09C (Beatmung > 499 Stunden oder > 249 Stunden mit intensivmedizinischer Komplexbeh. > 2352 / 1932 / 2208 P., mit komplexer OR-Prozedur oder Polytrauma oder int. Komplexbeh. > 1764 / 1656 / 2208 P. oder mit komplizierender Konstellation oder Alter < 16 Jahre) und damit zu einer um 12.545,42 € geringeren Vergütung. Die Beklagte hatte der Klägerin zuvor bereits mit E-Mail vom 13. Juni 2018 mitgeteilt, aufgrund der Feststellungen des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Thüringen e.V. (MDK) könnten die Strukturkriterien für den OPS 8-98f.- nicht anerkannt werden. Im Krankenhaus der Klägerin seien schon seit Jahren keine ICP-Sonden gelegt bzw. revidiert und betroffene Patienten in die nahegelegenen Kliniken mit neurochirurgischer Expertise verlegt worden. Das Mindestmerkmal der „24-stündigen Verfügbarkeit folgender Verfahren im eigenen Klinikum: Intrakranielle Druckmessung oder Hybrid-Operationssaal für kardiovaskuläre Eingriffe“ sei damit nicht erfüllt. Der MDK hatte in seinem Gutachten vom 8. März 2018 zur Strukturprüfung im Krankenhaus der Klägerin am 27. Februar 2018 dieses Mindestmerkmal verneint und zudem ausgeführt, es sei rechtlich zu klären, ob das Mindestmerkmal „24-stündige Verfügbarkeit kontinuierliche und intermittierende Nierenersatzverfahren“ erfüllt ist, da intermittierende Nierenersatzverfahren zwar jederzeit, jedoch lediglich in einer Dialysepraxis in den Räumlichkeiten des Krankenhauses durchgeführt werden können, die rechtlich selbständig ist und auch nicht von der Klägerin getragen wird.

Die Klägerin hat am 8. August 2019 vor dem Sozialgericht Meiningen Klage auf Zahlung des Differenzbetrages nebst Zinsen erhoben. Sie machte zur Begründung geltend, ihr Krankenhaus erfülle sämtliche Mindestmerkmale des verschlüsselten OPS-Kodes, und zwar auch die allein zwischen den Beteiligten streitigen Anforderungen der „24-stündigen Verfügbarkeit kontinuierlicher und intermittierender Nierenersatzverfahren“ sowie der „24-stündigen Verfügbarkeit einer intrakraniellen Druckmessung oder eines Hybrid-Operationssaales für kardiovaskuläre Eingriffe … im eigenen Klinikum“. Ein kontinuierliches Nierenersatzverfahren könne auf der Intensivstation ihres Krankenhauses jederzeit unterbrochen und dadurch intermittierend werden. Die Änderung des Wortlautes des umstrittenen OPS-Kodes von „Verfügbarkeit … im eigenen Klinikum“ in „Verfügbarkeit … am Standort des Krankenhauses“ mit Wirkung ab 1. Januar 2021 spreche davon abgesehen für einen räumlichen Bezug dieses Mindestmerkmales anstelle einer rechtlichen Zuordnung derjenigen Ärzte, die diese Verfahren durchführen können. Hinsichtlich einer intrakraniellen Druckmessung verfüge das Krankenhaus ebenfalls über die dafür erforderlichen personellen und sächlichen Mittel einschließlich der Hirndrucksonden. Eine tatsächliche Hirndruckmessung sei nach dem eindeutigen Wortlaut des OPS-Kodes nicht erforderlich und zudem bei einer zu erwartenden Hirndruckerhöhung gegenüber einer Verlegung in eine Neurochirurgie aus zeitlichen Gründen medizinisch nachrangig. Die Fachärzte für Neurologie bzw. Unfallchirurgie Chefarzt H, Oberarzt W, Chefarzt P, Oberarzt B, Chefarzt M und Chefarzt K seien jederzeit in der Lage, Notfallkraniotomien durchzuführen. Vor der Einführung des § 275d des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) mit Wirkung ab 1. Januar 2020 sei der MDK außerdem nicht befugt gewesen, OPS-Strukturmerkmale einer abstrakten Prüfung mit der möglichen Folge eines faktischen Leistungserbringungsverbotes vorzunehmen. Da die Beklagte kein Prüfverfahren im Einzelfall nach § 275 Abs. 1 SGB V eingeleitet hatte, sei sie im Übrigen mit anderweitigen Einwendungen medizinischer Art ausgeschlossen.

Die Beklagte erwiderte, die Feststellung des MDK sei darauf zurückzuführen, dass nach der S1-Leitlinie „Intrakranieller Druck“ der Deutschen Gesellschaft für Neurologie die Hirndruckmessung mittels Sonden erfolgt, die in erster Linie intraventrikulär angelegt werden und deren Implantation deshalb einem Neurochirurgen vorbehalten bleiben sollte. Auch das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) habe dieses Mindestmerkmal nicht als erfüllt angesehen, wenn die Klinik zwar die Möglichkeit hat, eine intrakranielle Druckmessung durchzuführen, die Anlage der Drucksonde aber (rund um die Uhr gewährleistet) durch einen Kooperationspartner stattfindet. Dies gelte entsprechend für das Mindestmerkmal „24-stündige Verfügbarkeit kontinuierlicher und intermittierender Nierenersatzverfahren im eigenen Klinikum“. Die Beklagte beruft sich ergänzend auf das rechtskräftige Urteil des Hessischen Landessozialgerichts (LSG) vom 25. Februar 2021 zum Az. L 8 KR 722/18.

Das Sozialgericht Meiningen hat die Beklagte mit Urteil vom 7. Juli 2021 verurteilt, an die Klägerin den Differenzbetrag nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 14. März 2019 zu zahlen. Es hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, das Krankenhaus der Klägerin habe sämtliche Mindestmerkmale des abgerechneten OPS-Kodes erfüllt, weil die „24-stündige Verfügbarkeit einer intrakraniellen Druckmessung … im eigenen Klinikum“ durch den MDK bestätigt worden sei, der in seinem Gutachten ausgeführt habe, ein Monitoring des Hirndrucks sei auf der Intensivstation möglich. Das Urteil des Hessischen LSG zu dem weiteren Mindestmerkmal einer „24-stündigen Verfügbarkeit kontinuierlicher und intermittierender Nierenersatzverfahren … im eigenen Klinikum“ überzeuge nicht, weil angesichts der Klarstellung des OPS-Kodes 8-98f.- mit Wirkung ab 1. Januar 2021 von einem räumlichen Bezug anstelle einer rechtlichen Zuordnung auszugehen sei.

Die Beklagte hat gegen das ihr am 17. Dezember 2021 zugestellte Urteil am 4. Januar 2022 über das besondere elektronische Behördenpostfach Berufung unter anderem mit der Begründung eingelegt, der vom Sozialgericht herangezogene Begutachtungsleitfaden für OPS-Strukturmerkmale des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes in der Fassung aus dem Jahr 2021 sei auf die hier streitige Behandlung schon formell nicht anwendbar. Maßgeblich seien allein die Anforderungen für das streitige Kriterium aus den in 2018 vorliegenden Verlautbarungen. Hinsichtlich des Mindestmerkmales der „24-stündigen Verfügbarkeit einer intrakraniellen Druckmessung“ beruft sie sich ergänzend darauf, dass die Unfallchirurgen des Krankenhauses der Klägerin nach dem Strukturgutachten des MDK lediglich als Konsiliardienst verfügbar seien und dies ebenfalls einer „24-stündigen Verfügbarkeit“ entgegenstehe. Bezüglich der „24-stündigen Verfügbarkeit kontinuierlicher und intermittierender Nierenersatzverfahren“ sei gegebenenfalls die Kooperationsvereinbarung mit der Dialysepraxis konkret zu überprüfen. Die Klägerin habe sich, davon abgesehen, bisher lediglich auf das Vorhandensein eines Dialysegerätes berufen, welches ausschließlich für kontinuierliche Dialyseverfahren zugelassen ist. Die Indikationsstellung zu einem intermittierenden Nierenersatzverfahren sei zudem Nephrologen vorbehalten.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Meiningen vom 7. Juli 2021 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie wiederholt ihr erstinstanzliches Vorbringen und macht darüber hinaus geltend, die von der Beklagten zitierte S1-Leitlinie „Intrakranieller Druck“ der Deutschen Gesellschaft für Neurologie sei keine evidenzbasierte Leitlinie, sondern lediglich eine Handlungsempfehlung von Experten und Expertinnen. Auch den Bestrebungen der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie, eine nephrologische Intensivmedizin zu etablieren, sei angesichts deren politischer Motivation eine Absage zu erteilen. Denn es gehe im vorliegenden Fall nicht um eine nephrologische Behandlung, sondern um eine intensivmedizinische Behandlung und auch Intensivmediziner dürften entgegen der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie intermittierende Nierenersatzverfahren durchführen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Prozessakte und der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe

Die nach den §§ 143144 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte sowie form- und fristgerecht im Sinne der §§ 151 Abs. 1, 153 Abs. 1, 65a Abs. 1 und Abs. 4 Nr. 3 SGG eingelegte Berufung ist zulässig und im Ergebnis begründet; das Urteil des Sozialgerichts Meiningen ist aufzuheben. Die Klage ist zwar zulässig, jedoch unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf weitere Vergütung in Höhe der Klageforderung, weil sie im Zeitraum der streitigen Behandlung nicht sämtliche Mindestmerkmale des OPS-Kodes 8-98f.51 erfüllte.

Die von der Klägerin im Gleichordnungsverhältnis erhobene echte Leistungsklage ist nach § 54 Abs. 5 SGG zulässig. Die Klage eines Krankenhausträgers auf Zahlung der Behandlungskosten eines Versicherten gegen eine Krankenkasse ist ein Beteiligtenstreit im Gleichordnungsverhältnis, in dem eine Regelung durch Verwaltungsakt nicht in Betracht kommt, kein Vorverfahren durchzuführen und keine Klagefrist zu beachten ist (vgl. Urteil des Bundessozialgerichts [BSG] vom 16. Dezember 2008, Az. B 1 KN 3/08 KR R, Rn. 12 m.w.N., zitiert nach juris).

Das Sozialgericht hat die Beklagte zu Unrecht verurteilt, die mit der Klage geltend gemachte Vergütung in Höhe weiterer 12.545,42 € nebst Zinsen an die Klägerin zu zahlen. Deren Krankenhaus erfüllte im Zeitraum der streitigen Behandlung des Versicherten nicht sämtliche Merkmale des OPS-Kodes 8-98f.51, dessen Verschlüsselung Voraussetzung für die abgerechnete DRG A09B anstelle der bereits vergüteten DRG A09C ist.

Die Klägerin erfüllte zwar die Grundvoraussetzungen eines Anspruches auf Krankenhausvergütung, indem sie den Versicherten stationär behandelte und dazu als Plankrankenhaus nach § 108 Nr. 2 SGB V zugelassen war.

Nach ständiger Rechtsprechung des BSG entsteht die Zahlungsverpflichtung einer Krankenkasse unabhängig von einer Kostenzusage unmittelbar mit der Inanspruchnahme einer Leistung durch den Versicherten (vgl. Urteil vom 17. Mai 2000, Az. B 3 KR 33/99 R, Rn. 15, zitiert nach juris). Der sich aus § 109 Abs. 4 Satz 2 SGB V ergebenden Behandlungspflicht der nach § 108 SGB V zugelassenen Krankenhäuser steht ein Vergütungsanspruch gegenüber, der nach
Maßgabe des Krankenhausfinanzierungsgesetzes (KHG), des Krankenhausentgeltgesetzes (KHEntgG) und der Bundespflegesatzverordnung festgelegt wird (§ 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V).

Der Klägerin stand jedoch über die von der Beklagten bereits gezahlten 82.543,92 € hinaus kein weiterer Vergütungsanspruch und damit auch kein Zinsanspruch zu.

Rechtsgrundlage des Vergütungsanspruches des Krankenhauses ist § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V i.V.m. den §§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KHEntgG, 17b KHG. Der Anspruch wird auf Bundesebene durch Normsetzungsverträge (Normenverträge/Fallpauschalenvereinbarungen) konkretisiert. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und der Verband der privaten Krankenversicherung gemeinsam vereinbaren nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KHEntgG mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft als „Vertragsparteien auf Bundesebene“ mit Wirkung für die Vertragsparteien nach § 11 KHEntgG einen Fallpauschalen-Katalog einschließlich der Bewertungsrelationen sowie Regelungen zur Grenzverweildauer und der in Abhängigkeit davon zusätzlich zu zahlenden Entgelte oder vorzunehmenden Abschläge. Ferner vereinbarten sie insoweit Abrechnungsbestimmungen in den Fallpauschalenvereinbarungen auf der Grundlage des § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 KHEntgG (hier die Vereinbarung zum Fallpauschalensystem für Krankenhäuser für das Jahr 2018 [FPV 2018]).

Welche Fallpauschale bzw. DRG abzurechnen ist, ergibt sich rechtsverbindlich aus der Eingabe und Verarbeitung von Daten in einem automatischen Datenverarbeitungssystem, das auf einem zertifizierten Programm basiert. Zugelassen sind nur solche Programme, die von der InEK GmbH (Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus), einer gemeinsamen Einrichtung der in § 17b Abs. 2 Satz 1 KHG und § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KHEntgG genannten Vertragspartner auf Bundesebene, zertifiziert worden sind. Das den Algorithmus enthaltende und ausführende Programm greift dabei auch auf Dateien zurück, die entweder als integrale Bestandteile des Programms mit vereinbart sind (z. B. die Zuordnung von ICD-10-Diagnosen und Prozeduren zu bestimmten Untergruppen im zu durchlaufenden Entscheidungsbaum) oder an anderer Stelle vereinbarte Regelungen wiedergeben. Zu letzteren gehören die Fallpauschalen selbst, aber auch die Internationale Klassifikation der Krankheiten (ICD-10) in der jeweiligen vom DIMDI im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) herausgegebenen deutschen Fassung (ICD-10-GM), die Klassifikation des vom DIMDI im Auftrag des BMG herausgegebenen OPS sowie die von den Vertragspartnern auf Bundesebene getroffene Vereinbarung zu den Deutschen Kodierrichtlinien (DKR), jeweils in der Fassung für das Jahr 2018 (vgl. Urteil des BSG vom 19. Juni 2018, Az. B 1 KR 39/17 R, Rn. 11, zitiert nach juris).

In Anwendung dieser Grundsätze wird die von der Klägerin abgerechnete DRG A09B nur dann von dem zertifizierten Programm angesteuert, wenn die Prozedur nach dem OPS-Kode 8-98f.51 anstelle der Prozedur nach dem OPS-Kode 8-980.51 zu kodieren ist.

Die Klägerin war dazu nicht berechtigt, denn das von ihr betriebene Krankenhaus erfüllte zu Beginn der hier streitigen intensivmedizinischen Behandlung des Versicherten der Beklagten jedenfalls nicht sämtliche Mindestmerkmale des OPS-Kodes 8-98f.

Dieser ist in der vorliegend maßgeblichen OPS-Version des Jahres 2018 wie folgt beschrieben:

8-98f Aufwendige intensivmedizinische Komplexbehandlung (Basisprozedur)

Exkl.:   Intensivüberwachung ohne akute Behandlung lebenswichtiger Organsysteme oder kurz-
            fristige (< 24 Stunden) Intensivbehandlung

Kurzfristige (< 24 Stunden) Stabilisierung von Patienten nach operativen Eingriffen
Hinw.: Mindestmerkmale:

    • Kontinuierliche, 24-stündige Überwachung und akute Behandlungsbereitschaft durch ein Team von Pflegepersonal und Ärzten, die in der Intensivmedizin erfahren sind und die aktuellen Probleme ihrer Patienten kennen
    • Behandlungsleitung durch einen Facharzt mit der Zusatzweiterbildung „Intensivmedizin“, der den überwiegenden Teil seiner ärztlichen Tätigkeit auf der Intensivstation ausübt
    • Ein Facharzt mit der Zusatzweiterbildung „Intensivmedizin“ (die Behandlungsleitung oder ein anderer Facharzt mit der Zusatzweiterbildung „Intensivmedizin“) muss werktags (Montag bis Freitag) zwischen 8 und 18 Uhr mindestens 7 Stunden auf der Intensivstation anwesend sein. Außerhalb dieser Anwesenheitszeit muss ein Facharzt mit der Zusatzweiterbildung „Intensivmedizin“ innerhalb von 30 Minuten am Patienten verfügbar sein
    • Ein Facharzt mit der Zusatzweiterbildung „Intensivmedizin“ (die Behandlungsleitung oder ein anderer Facharzt mit der Zusatzweiterbildung „Intensivmedizin“) muss täglich mindestens eine Visite durchführen
    • Eine ständige ärztliche Anwesenheit auf der Intensivstation muss gewährleistet sein. Der Arzt der Intensivstation kann zu einem kurzfristigen Notfalleinsatz innerhalb des Krankenhauses (z.B. Reanimation) hinzugezogen werden
    • 24-stündige Verfügbarkeit folgender Verfahren im eigenen Klinikum:
      • Apparative Beatmung
      • Nicht invasives und invasives Monitoring
      • Kontinuierliche und intermittierende Nierenersatzverfahren
      • Endoskopie des Gastrointestinaltraktes und des Tracheobronchialsystems
      • Intrakranielle Druckmessung oder Hybrid-Operationssaal für kardiovaskuläre Eingriffe
      • Transösophageale Echokardiographie
    • 24-stündige Verfügbarkeit von drei der folgenden vier Verfahren im eigenen Klinikum:
      • Radiologische Diagnostik mittels CT und MRT
      • Interventionelle Kardiologie mit Akut-PTCA
      • Interventionelle (Neuro)radiologie mit akuter endovaskulärer Therapie von Gefäß- und Organverletzungen und/oder zerebralen Gefäßverschlüssen
      • Laborleistungen
    • Mindestens 6 von den 8 folgenden Fachgebieten sind innerhalb von maximal 30 Minuten im Krankenhaus als klinische Konsiliardienste (klinikzugehörig oder aus benachbarten Kliniken) verfügbar: Kardiologie, Gastroenterologie, Neurologie, Anästhesiologie, Viszeralchirurgie, Unfallchirurgie, Gefäßchirurgie, Neurochirurgie
    • Tägliche Verfügbarkeit (auch am Wochenende) von Leistungen der Physiotherapie
    • Die Anzahl der Aufwandspunkte errechnet sich aus der Summe des täglichen SAPS II (ohne Glasgow Coma Scale) über die Verweildauer auf der Intensivstation (total SAPS II) plus der Summe von 10 täglich ermittelten aufwendigen Leistungen aus dem TISS-Katalog über die Verweildauer auf der Intensivstation
    • Die zu verwendenden Parameter des SAPS II und des TISS sind im Anhang zum OPS zu finden
    • Spezielle intensivmedizinische Prozeduren, wie Transfusion von Plasma und Plasmabestandteilen, Plasmapherese und Immunadsorption, Maßnahmen im Rahmen der Reanimation u.a. sind gesondert zu kodieren
    • Diese Kodes sind für Patienten, die bei stationärer Aufnahme das 14. Lebensjahr vollendet haben, anzugeben

Es folgen weitere Unter-Kodierungen in Abhängigkeit von den Aufwandspunkten, deren Anzahl zwischen den Beteiligten außer Streit steht.

Das Krankenhaus der Klägerin erfüllte bereits das Mindestmerkmal der „24-stündigen Verfügbarkeit kontinuierlicher und intermittierender Nierenersatzverfahren … im eigenen Klinikum“ nicht, weshalb es keiner Entscheidung bezüglich der zwischen den Beteiligten ebenfalls umstritten strukturellen Anforderung einer „24-stündigen Verfügbarkeit einer intrakraniellen Druckmessung … im eigenen Klinikum“ bedarf.

Zunächst entspricht es der nunmehr ständigen Rechtsprechung des BSG, dass es den gesetzlichen Krankenkassen bereits vor der Einführung der Regelung in § 275d SGB V frei stand, einen Vergütungsanspruch auf der Grundlage von aus abstrakten Strukturprüfungen des MDK gewonnenen Erkenntnissen zu bestreiten, an denen das Krankenhaus - wie hier - freiwillig mitgewirkt hat (vgl. Urteile des BSG vom 10. November 2021, Az. B 1 KR 36/20, Rn. 17 sowie vom 22. Juni 2022, Az. B 1 KR 19/21 R, Rn. 28, zitiert nach juris).

Die Feststellungen im Gutachten des MDK Thüringen vom 8. März 2018 sind somit verwertbar und der Entscheidung des Senates zugrunde zu legen. Danach konnten jedenfalls von vornherein als solche erforderliche intermittierende Nierenersatzverfahren allenfalls durch die in den Räumen des Krankenhauses der Klägerin ebenfalls ansässige, rechtlich jedoch selbständige Dialysepraxis erbracht werden.

Dies war auch nach Überzeugung des Senats zumindest in 2018 nicht ausreichend. Mit dem 8. Senat des Hessischen LSG ist aufgrund des damaligen eindeutigen Wortlautes „… im eigenen Klinikum…“ davon auszugehen, dass damit eine Trägerschaft bzw. rechtliche Verantwortlichkeit und damit eine Möglichkeit der Einflussnahme auf die insoweit tätigen Ärzte beabsichtigt war (vgl. dessen Urteil vom 25. Februar 2021, Az. L 8 KR 722/18, Rn. 49, zitiert nach juris).

Die normenvertraglichen Abrechnungsbestimmungen des jeweiligen OPS sind nach ebenfalls ständiger Rechtsprechung des BSG grundsätzlich eng am Wortlaut orientiert und unterstützt durch systematische Erwägungen auszulegen. Eine Vergütungsregelung, die für die routinemäßige Abwicklung von zahlreichen Behandlungsfällen vorgesehen ist, kann ihren Zweck nur erfüllen, wenn sie allgemein streng nach ihrem Wortlaut sowie den dazu vereinbarten Anwendungsregeln gehandhabt wird und keinen Spielraum für weitere Bewertungen sowie Abwägungen belässt. Demgemäß sind Vergütungsregelungen stets eng nach ihrem Wortlaut und allenfalls ergänzend nach ihrem systematischen Zusammenhang auszulegen; Bewertungen und Bewertungsrelationen bleiben außer Betracht (vgl. Urteil des BSG vom 17. Dezember 2019, Az. B 1 KR 19/19 R, Rn. 13, zitiert nach juris).

Aus der Entscheidung des Hessischen LSG ergibt sich schließlich in Übereinstimmung mit dem Vortrag der Beklagten eine dem eindeutigen Wortlaut entsprechende Vorstellung des dafür verantwortlichen DIMDI (vgl. Rn. 3, zitiert nach juris). Dieser Umstand erklärt zudem, weshalb die Änderung des Wortlautes in „… am Standort des Krankenhauses…“ trotz des mit Wirkung vom 1. Januar 2019 in Kraft getretenen § 301 Abs. 2 Satz 4 SGB V (seit dem 1. Januar 2020 § 301 Abs. 2 Satz 6 SGB V) anders als zum Beispiel bezüglich der OPS-Kodes 8-981 und
8-98b für eine neurologische Komplexbehandlung des akuten Schlaganfalls nicht rückwirkend tatsächlich im Sinne einer Klarstellung erfolgte, sondern ausdrücklich erst mit Wirkung vom 1. Januar 2021 und damit deutlich nach der hier streitgegenständlichen Behandlung.

Nach § 301 Abs. 2 Satz 4 SGB V a. F. konnte das DIMDI bei Auslegungsfragen zu den Diagnose- und Prozedurenschlüsseln Klarstellungen und Änderungen mit Wirkung auch für die Vergangenheit vornehmen, soweit diese nicht zu erweiterten Anforderungen an die Verschlüsselung erbrachter Leistungen führen. Es hatte von dieser Ermächtigung tatsächlich Gebrauch gemacht und zum Beispiel am 3. Dezember 2018 den Anhang zum OPS um eine Klarstellung mit folgendem Wortlaut ergänzt: „Die im OPS 2019 bei den Kodes 8-981 und 8-98b vorgenommenen und unten aufgeführten Änderungen der Mindestmerkmale entsprechen den mit der Einführung der bisherigen Formulierung in den OPS 2014 intendierten inhaltlichen Anforderungen. Die Textänderung ist daher rückwirkend gültig ab dem 1. Januar 2014.“

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 3. Halbsatz SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 197a Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz SGG, 47 Abs. 1, 52 Abs. 3 Satz 1, 63 Abs. 2 Satz 1 Gerichtskostengesetz und bemisst sich nach der Höhe der geltend gemachten Forderung. Insoweit ist die Entscheidung unanfechtbar.

Rechtskraft
Aus
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