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Insolvenzwelle bei Krankenhäusern: 25 Prozent deutscher Kliniken am Rande des Abgrunds

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Die finanzielle Krise in deutschen Krankenhäusern verschärft sich. Insolvenzen häufen sich, während Kommunen versuchen, die Situation zu retten.

Berlin – Die befürchtete Insolvenz-Welle rollt durch Deutschlands Krankenhäuser. Laut der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) haben seit November 2022 innerhalb von knapp einem Jahr 26 Träger mit insgesamt 34 Krankenhäusern Insolvenz beantragt. In mehreren Fällen konnten weitere Pleiten nur durch das Eingreifen der lokalen Kommunen verhindert werden.

„Die Frage ist, ob die Krankenhäuser die nächste Zeit überstehen, bis eine Reform in Kraft tritt“, sagt DKG-Vizepräsident Thomas Lemke, der auch Vorstandsvorsitzender der Sana-Kliniken in Ismaning bei München ist. Er fügt hinzu, dass sich die Situation weiter verschlechtert hat, da die Kostenerlösschere weiter auseinandergegangen ist. Am 25. Oktober werden Lemke und eine Reihe von Experten bei einem Forum der Unternehmensberatung RS Medical Consult in Berlin die angespannte Situation diskutieren.

Privatisierung der Kliniken steht womöglich bevor

Die Insolvenzen bedeuten in den meisten Fällen nicht die Schließung der Krankenhäuser. Dennoch sind viele Einrichtungen in Not. Eine Umfrage der Unternehmensberatung Roland Berger unter den 600 größten deutschen Kliniken aus dem Sommer zeigt, dass mehr als die Hälfte rote Zahlen schreibt.

Ein Beispiel ist der Klinikverbund Regiomed mit sieben Krankenhäusern in Oberfranken und Thüringen. Aufgrund der Insolvenzgefahr haben die Gesellschafter kürzlich beschlossen, die Kliniken an die jeweiligen Kommunen zu übergeben. „Mit allen finanziellen Folgen, denn jeder Euro der Kommunen kann - wie bei jedem Privaten auch - nur einmal ausgegeben werden“, sagt Christian Meißner (CSU), Landrat des Kreises Lichtenfels und Vorsitzender der Gesellschafterversammlung. Geld, das an die Krankenhäuser gehen muss, fehlt in anderen Bereichen wie Schulen oder Straßen.

„Im schlimmsten Fall findet eine Privatisierung der Krankenhauslandschaft durch Insolvenzen statt, wo sich die privaten Krankenhausbetreiber die Filetstücke, die Geld bringen, heraussuchen“, warnt der Kommunalpolitiker. „Der Rest - vermutlich hauptsächlich im ländlichen Raum - müsste dann abgewickelt werden.“

Krankenhausreform von Lauterbach kommt zu spät

Das Bundesgesundheitsministerium betont, dass kein Land in Europa außer Österreich pro Kopf mehr für Krankenhäuser ausgibt als Deutschland. Mit mehr als 1700 Kliniken ist die Krankenhausdichte in Deutschland größer als in jedem anderen europäischen Land.

„Da viele Krankenhäuser nicht mehr wirtschaftlich betrieben werden können, gehen viele Experten davon aus, dass ohne die Krankenhausreform bis zum Jahr 2030 25 Prozent der Kliniken in Insolvenz gehen würden“, heißt es in einer Stellungnahme des Ministeriums.

Krankenhaus
Krankenbetten stehen in einem Gang in einem Krankenhaus. © Lukas Barth/dpa/Symbolbild

Die letzte Reform fand 2003 statt. Aufgrund steigender Kosten führte der Bund damals Fallpauschalen ein, auch DRG („diagnosis related groups“) genannt. Vereinfacht gesagt: Für jede Diagnose und die entsprechende Therapie erhalten Kliniken Pauschalzahlungen, unabhängig von der Aufenthaltsdauer des Patienten. Dies sollte die Aufenthaltsdauer verkürzen und die Wirtschaftlichkeit erhöhen.

„Entökonomisierung“ der Kliniken geplant

Seitdem haben Kliniken einen finanziellen Anreiz, möglichst viele Patienten zu behandeln und zu operieren. 1991 verbrachte ein Patient im Durchschnitt zwei Wochen im Krankenhaus, 2022 war es laut Statistischem Bundesamt nur noch halb so lang.

Die Zahl der Krankenhausbetten ist seit 1991 um über ein Viertel auf 480.000 gesunken. Die jährliche „Fallzahl“ der Patienten stieg jedoch von 1991 bis 2019 von 14,5 auf über 19 Millionen. Die Pandemie führte dann zu einem Rückgang auf unter 17 Millionen, was die finanzielle Notlage erheblich verschärft hat.

Krankenkassen werfen den Kliniken seit Jahren vor, zu viele und teilweise unnötige Operationen durchzuführen. Nun plant die Bundesregierung eine erneute Änderung des Systems unter dem Stichwort „Entökonomisierung“. Die Kliniken sollen 60 Prozent ihrer Budgets als „Vorhaltevergütung“ erhalten, ohne Verbindung zu Operationen und Behandlungen.

Weitere Insolvenzen werden wohl folgen

In vielen Kliniken herrscht jedoch Existenzangst. „Wenn sich an den Eckpunkten nichts ändert, rutschen etwa 400 bis 500 Kliniken in die sogenannte Stufe der Polikliniken oder Ambulanzzentren“, warnt DKG-Vizepräsident Lemke. „Weitere 300 bis 400 Kliniken werden in ihren Versorgungsstufen herabgesetzt und stehen dann vor dem Aus“, fügt er hinzu. „Entscheidend dafür, wie viele Krankenhäuser in Deutschland überleben, ist die Frage, wie in der Krankenhausreform die Leistungsgruppen und Strukturmerkmale definiert werden.“

Die DKG befürchtet statt der „Entökonomisierung“ das Gegenteil: „Vierzig Prozent der Erlöse sollen weiter über das DRG-System erwirtschaftet werden“, sagt Lemke. Allerdings werde der Anteil der über die DRGs verteilten Gelder sinken und damit die einzelne Leistung weniger wert sein. „Die kleinen und mittleren Krankenhäuser auf dem Land, die wir eigentlich schützen wollen, müssen also im Hamsterrad noch schneller rennen, um zu überleben.“

Ländliche Kliniken bieten oft ein kleineres und weniger profitables Leistungsspektrum an als größere städtische Einrichtungen. Krankenhäuser in den Städten oder Universitätskliniken, die als „Maximalversorger“ eingestuft sind, würden mit dem neuen Finanzierungssystem einen überproportionalen Anteil der Mittel erhalten, prophezeit DKG-Vize Lemke. „Am Ende des Tages wird das in eine faktische Rationierung hineinführen, das ist die Logik.“

Das Gesundheitsministerium weist diesen Vorwurf ausdrücklich zurück: „Die Vorhaltevergütung senkt den wirtschaftlichen Druck auf die Krankenhäuser, Leistungen zu erbringen“, erklärt ein Sprecher. Minister Karl Lauterbach weist auf die Bundesländer hin. „Die Länder haben in den letzten zehn Jahren unstrittigerweise 30 Milliarden an Investitionskosten nicht bezahlt“, sagte der SPD-Politiker kürzlich im Bundestag. Derzeit scheint nur sicher zu sein, dass weitere Insolvenzen folgen werden. (wal/dpa)

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