Bundessozialgericht

Verhandlung B 1 KR 22/22 R

Krankenversicherung - Medizinischer Dienst - Geschäftsführer - Amtsenthebung

Verhandlungstermin 19.10.2023 13:00 Uhr

Terminvorschau

G.Z. ./. Medizinischer Dienst Rheinland-Pfalz
Streitig ist die Rechtmäßigkeit der Amtsenthebung des Klägers als Geschäftsführer des vormaligen Medizinischen Dienstes des Krankenversicherung Rheinland-Pfalz. Beklagter ist jetzt der Medizinische Dienst Rheinland-Pfalz. Aufgrund verschiedener Vorwürfe gegen den Kläger in einer anonymen E-Mail beauftragte der Verwaltungsrat im Jahr 2013 den Landesprüfdienst der Kranken- und Pflegeversicherung Rheinland-Pfalz mit deren Prüfung. Nach Vorlage des Sonderprüfberichts luden die Vorsitzenden des Verwaltungsrats dessen Mitglieder zu einer außerordentlichen Sitzung am 16. Oktober 2013. In dieser nicht öffentlich durchgeführten Sitzung beschloss der Verwaltungsrat die Enthebung des Klägers vom Amt des Geschäftsführers, die Anordnung der sofortigen Vollziehung dieser Entscheidung sowie die außerordentliche fristlose Kündigung des Anstellungsvertrages. Die alternierenden Verwaltungsratsvorsitzenden übermittelten dem Kläger die Entscheidung über die Amtsenthebung in der Form eines Bescheides, gegen den der Kläger Widerspruch einlegte. In den Jahren 2015 und 2016 schob der Verwaltungsrat weitere Gründe für die Amtsenthebung nach. Gegen den ersten dieser Beschlüsse legte der Kläger ebenfalls Widerspruch ein.

Anfang 2018 hat der Kläger Klage erhoben, mit der er die Feststellung der Nichtigkeit der Amtsenthebung, hilfsweise der Beschlüsse zur Kündigung und die Aufhebung des Bescheides vom 16. Oktober 2013 und weiter hilfsweise die Bescheidung seiner Widersprüche beantragt hat. Das Sozialgericht hat den Beklagten zur Entscheidung über die Widersprüche des Klägers verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Der Beklagte wies die Widersprüche des Klägers daraufhin zurück.

Im Berufungsverfahren hat der Kläger sein Begehren umgestellt und beantragt festzustellen, dass der Bescheid über die Amtsenthebung sowie die Beschlüsse über das Nachschieben von Gründen in der Gestalt der Widerspruchsbescheide rechtswidrig gewesen sind. Das Landessozialgericht hat die Berufung als unbegründet zurückgewiesen. Die Beschlüsse über das Nachschieben von Gründen seien keine selbstständigen Verwaltungsakte, weshalb der hiergegen gerichtete Widerspruch zu Recht als unzulässig verworfen worden sei. Der Bescheid über die Amtsenthebung habe sich mit der Umstrukturierung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung zum nunmehr beklagten Medizinischen Dienst aufgrund des MDK-Reformgesetzes erledigt. Das berechtigte Interesse des Klägers an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts ergebe sich aus einem Rehabilitationsinteresse. In der Sache habe die Feststellungsklage jedoch keinen Erfolg. Der Amtsenthebungsbescheid sei formell rechtmäßig. Der Verwaltungsrat sei hierfür zuständig und auch beschlussfähig gewesen. Der Kläger sei ordnungsgemäß angehört worden, ein Anhörungsmangel wäre überdies im Widerspruchverfahren geheilt worden. Ein Verstoß gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz liege nicht vor. Bei der Abwahl des Geschäftsführers handele es sich um eine personelle Angelegenheit, bei der die Öffentlichkeit ausgeschlossen sei. Der angefochtene Bescheid sei ordnungsgemäß begründet worden und auch nicht wegen Befangenheit der damaligen stellvertretenden Geschäftsführerin des Beklagten formell rechtswidrig. Die fehlende vorherige Befassung des Pflegebeirats sei wegen der erfolgten Nachholung unbeachtlich. Der Bescheid sei auch materiell rechtmäßig. Der Kläger habe in vorwerfbarer Weise grob gegen seine Amtspflichten verstoßen, indem er unter Missachtung der beamtenrechtlichen Regelungen Leistungsprämien und -zulagen an Beamte gewährt habe. Die finanziellen Auswirkungen auf den Beklagten seien erheblich. Hinzu kämen weitere Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit der Beschaffung von Büchern über Geleitschirmfliegen, der Anschaffung eines Allradtraktors und Äußerungen gegenüber dem früheren stellvertretenden Geschäftsführer des Beklagten. Die Entscheidung über die Amtsenthebung sei eine gebundene Entscheidung. Jedenfalls in der Gesamtbetrachtung sei eine grobe Pflichtverletzung zu bejahen.

Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung von § 280 Absatz 1 Satz 1 SGB V in der Fassung vom 26. März 2007, § 279 Absatz 4 Satz 1 und 2, Absatz 6 SGB V in der Fassung vom 20. Dezember 1988 in Verbindung mit § 59 Absatz 3 Satz 1, § 63 Absatz 3 Satz 2 und 3 SGB IV, § 24 Absatz 1, §§ 31 und 35 Absatz 1 SGB X sowie § 128 SGG.

Verfahrensgang:
Sozialgericht Mainz, S 14 KR 35/18, 25.09.2019
Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, L 5 KR 224/19, 03.02.2022

Die Vorschau zu dem Verhandlungstermin des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 41/23.

Terminbericht

Die Revision des Klägers hatte keinen Erfolg. Das Landessozialgericht hat seine Berufung zu Recht zurückgewiesen. Die Amtsenthebung des Klägers vom Posten des Geschäftsführers des (ehemaligen) Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) durch den Verwaltungsrat ist rechtmäßig erfolgt. Der Kläger hat in grober Weise vorsätzlich gegen seine Amtspflichten als Geschäftsführer verstoßen.

Die Ermächtigung und die Zuständigkeit des Verwaltungsrates für die durch Verwaltungsakt erfolgte Amtsenthebung ergeben sich aus § 280 Absatz 1 Satz 1 Nummer 6 SGB V alte Fassung in Verbindung mit § 279 Absatz 6 SGB V alte Fassung in Verbindung mit § 59 Absatz 3 Satz 1 SGB IV. Danach hat der Verwaltungsrat den Geschäftsführer durch Beschluss seines Amtes zu entheben, wenn er in grober Weise gegen seine Amtspflichten verstößt. Der Kläger hat unter Zugrundelegung der bindenden Feststellungen des Landessozialgerichts unter Missachtung der beamtenrechtlichen Regelungen die Gewährung von zu vielen und teils überhöhten Leistungsprämien an Beamte mitverantwortet und dadurch einen erheblichen finanziellen Schaden verursacht. Dieser Amtspflichtverstoß ist für sich genommen bereits als grob zu werten und begründet verpflichtend die Amtsenthebung des Klägers. Insofern kann dahinstehen, ob auch die Feststellungen des Landessozialgerichts zu den von ihm darüber hinaus angenommenen Pflichtverletzungen und zu der vom Landessozialgericht vorgenommenen Gesamtbetrachtung tragen. Denn der Kläger hat trotz Hinweises des Landesprüfdienstes auf die Rechtswidrigkeit die Gewährung der Leistungsprämien an Beamte über Jahre fortgesetzt. Der Kläger ist als Geschäftsführer dafür verantwortlich, dass die beamtenrechtlichen Vorschriften eingehalten werden. Durch seine Verhaltensweise hat er in erheblichem Maße gegen besoldungsrechtliche Vorschriften sowie die Grundsätze der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit verstoßen. Entgegen der Ansicht des Klägers tragen die Feststellungen des Landessozialgerichts auch die subjektive Vorwerfbarkeit. Das Landessozialgericht hat im Zusammenhang mit dem Bericht des Landesprüfdienstes 2007 für den Senat bindend festgestellt, der Kläger habe spätestens zu diesem Zeitpunkt gewusst, dass die beamtenrechtlichen Vorschriften bei der Zahlung von Leistungsprämien zu beachten sind. Er habe sich darüber hinweggesetzt und die “Leistungszulagen“ als “innovativ und fortschrittlich“ bezeichnet.

Weder ein Entlastungsbeschluss des Kontrollorgans noch das bloße (passive) Nichteinschreiten der Aufsichtsbehörde führen zu einem abweichenden Ergebnis. Eine grobe Pflichtverletzung entfällt auch nicht deshalb, weil andere Beteiligte möglicherweise selbst grobe Pflichtverstöße begangen haben. Die Amtsenthebung ist eine gebundene Entscheidung. Der Verwaltungsrat hatte insofern kein Ermessen.

Die Amtsenthebung ist auch formell rechtmäßig erfolgt. Der Beklagte hat insbesondere nicht gegen den in § 63 Absatz 3 Satz 2 SGB IV in Verbindung mit § 279 Absatz 6 SGB V alte Fassung verankerten Öffentlichkeitsgrundsatz verstoßen, obwohl der Verwaltungsrat in nichtöffentlicher Sitzung tagte. Bei der Amtsenthebung eines Geschäftsführers eines MDK aufgrund eines groben Amtspflichtverstoßes handelt es sich um eine personelle Angelegenheit, bei der die Öffentlichkeit von Gesetzes wegen ausgeschlossen ist. Dies gilt sowohl für die Beratung des Verwaltungsrats als auch für die sich daran anschließende Beschlussfassung.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 41/23.

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