Bundessozialgericht

Verhandlung B 1 KR 8/23 R

Krankenversicherung - Krankenhausvergütung - Abrechnungsprüfung - Aufschlagszahlung

Verhandlungstermin 19.10.2023 11:00 Uhr

Terminvorschau

In den Verfahren B 1 KR 8/23 R, B 1 KR 9/23 und B 1 KR 11/23 R streiten die Beteiligten jeweils über die Rechtmäßigkeit der Festsetzung einer Aufschlagszahlung für eine beanstandete Krankenhausabrechnung. Streitig ist dabei insbesondere die zeitliche Anwendbarkeit des § 275c Absatz 3 SGB V auf Behandlungsfälle vor dem 1. Januar 2022. In zwei dieser Verfahren (B 1 KR 8/23 R und B 1 KR 9/23) streiten die Beteiligten zudem über die formellen Anforderungen an die Anhörung und die Begründung des Festsetzungsbescheides.

S. Klinik GmbH ./. AOK Rheinland/Hamburg
Das klagende Krankenhaus behandelte vom 24. bis 26. September 2020 einen Versicherten der beklagten Krankenkasse stationär. Die Krankenkasse zahlte die in Rechnung gestellte Vergütung und beauftragte den Medizinischen Dienst am 10. Dezember 2020 mit einer Abrechnungsprüfung. Dieser gelangte in seinem Gutachten vom 1. Februar 2022 zu dem Ergebnis, es sei ein geringerer Betrag abzurechnen. Das Krankenhaus akzeptierte den daraufhin von der Krankenkasse geltend gemachten Erstattungsanspruch und korrigierte seine Abrechnung. Die Krankenkasse setzte gegen das Krankenhaus eine Aufschlagszahlung in Höhe von 300 Euro fest und wies den hiergegen gerichteten Widerspruch des Krankenhauses zurück. Das Sozialgericht hat den Bescheid aufgehoben. Dieser sei formell und materiell rechtswidrig. Es fehle an einer ausreichenden Begründung und der vorherigen Anhörung. Der Anhörungsmangel sei auch nicht geheilt worden. Die Krankenkasse sei nicht zur Aufschlagserhebung berechtigt gewesen. § 275c Absatz 3 SGB V sei auf den vorliegenden Abrechnungsfall zeitlich nicht anwendbar. Die Worte “ab dem Jahr 2022“ bezögen sich nicht auf die leistungsrechtliche Entscheidung der Krankenkasse, sondern auf den Zeitpunkt der Einleitung der Prüfung. 

Mit ihrer Revision rügt die Krankenkasse die Verletzung von § 35 Absatz 1 und 2, § 24 Absatz 1 und Absatz 2 Nummer 4, § 41 Absatz 1 Nummer 2 SGB X und § 275c Absatz 3 SGB V.

Verfahrensgang:
Sozialgericht Düsseldorf, S 30 KR 1356/22 KH, 12.01.2023

Die Vorschau zu dem Verhandlungstermin des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 41/23.

Terminbericht

Die Revision der Krankenkasse hatte keinen Erfolg. Das Sozialgericht hat der Klage des Krankenhauses zu Recht stattgegeben.

Ob der Bescheid insgesamt formell rechtmäßig war, bedarf keiner abschließenden Klärung, da die Krankenkasse keine Aufschlagszahlung hätte erheben dürfen. Eine formelle Rechtswidrigkeit ergibt sich jedenfalls weder aus der zunächst unterbliebenen Anhörung noch aus dem Umfang der Begründung im Bescheid. Die Krankenkasse hat die Aufschlagserhebung hinreichend begründet (§ 35 Absatz 1 Satz 2 SGB X). Das Krankenhaus verfügt über die nötige Sachkunde zum Verständnis des Bescheides. Die vor Erlass des Bescheides unterbliebene Anhörung war zwar nicht entbehrlich. Bescheide über Aufschlagszahlungen sind keine schematischen oder formularmäßigen Entscheidungen (§ 24 Absatz 2 Nummer 4 SGB X). Die Anhörung ist aber im Widerspruchsverfahren nachgeholt worden. Das Krankenhaus hatte hinreichende Gelegenheit zur Darlegung seiner abweichenden Rechtsauffassung zum zeitlichen Anwendungsbereich der Aufschlagszahlungen.

Die Erhebung der Aufschlagszahlung erfolgte allerdings materiell zu Unrecht: Nach § 275c Absatz 3 Satz 1 SGB V haben die Krankenhäuser ab dem Jahr 2022 neben der Rückzahlung der Rechnungsdifferenz einen Aufschlag an die Krankenkassen zu zahlen. Das Tatbestandsmerkmal “ab dem Jahr 2022“ knüpft - entgegen der Rechtsauffassung der Krankenkasse - nicht an das Datum der leistungsrechtlichen Entscheidung der Krankenkasse an, sondern an den Zeitpunkt der Einleitung der Rechnungsprüfung, der sich nach außen durch die Beauftragung des Medizinischen Dienstes manifestiert. Dieser Zeitpunkt lag hier vor dem 1. Januar 2022.

Bei offenem Wortlaut der Vorschrift folgt dies bereits aus systematischen Gründen: In den Absätzen 2 und 3 des § 275c SGB V hat der Gesetzgeber einen systematischen Zusammenhang zwischen Rechnungsprüfung, Prüfquote für das Krankenhaus und Aufschlagszahlung hergestellt. Die Berechnung des Aufschlags erfolgt nach der ab 1. Januar 2022 geltenden quartalsbezogenen Prüfquote des Krankenhauses (§ 275c Absatz 3 Satz 2 SGB V). Im Gegensatz zur ursprünglichen Fassung besteht in der maßgeblichen Fassung (vom 20. Dezember 2020) keine eigene Berechnungsregel für Zeiträume mit festen, nicht quartalsbezogenen Prüfquoten mehr, die in den Jahren 2020 und 2021 galten. Von Aufschlägen können daher nur solche Prüfungen betroffen sein, die ab 1. Januar 2022 innerhalb quartalsbezogener Prüfquoten durchgeführt wurden. Für die Zuordnung der Prüfung zur Prüfquote ist der Zeitpunkt der Einleitung der Prüfung maßgeblich (§ 275c Absatz 2 Satz 3 SGB V). Für die Erhebung der Aufschlagszahlung ist deshalb aus systematischen Gründen ebenfalls auf diesen Zeitpunkt abzustellen.

Dies steht auch im Einklang mit der Entstehungsgeschichte und dem Zweck des § 275c Absatz 3 SGB V. Mit der Einführung von Prüfquoten und Aufschlagszahlungen im Rahmen des MDK-Reformgesetzes hat der Gesetzgeber eine Anreizwirkung für die Krankenhäuser zur regelkonformen Rechnungsstellung bewirken wollen. Im Zuge der COVID-19-Pandemie hat der Gesetzgeber den Beginn von quartalsbezogener Prüfquote und Aufschlagszahlung auf 2022 verschoben und die Verschiebung mit den pandemiebedingten Belastungen und Liquiditätsengpässen der Krankenhäuser begründet. Diesem Zweck würde eine nachträgliche Erhebung von Aufschlägen für vor dem 1. Januar 2022 begonnene Prüfungen von Rechnungen der Jahre 2020 und 2021 zuwiderlaufen. Die bezweckte Anreizwirkung kann bei diesen Prüfungen ohnehin nicht mehr erreicht werden.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 41/23.

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