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Klinik-Kooperation zwischen Wangen und Lindenberg kommt früher als gedacht

Wangen / Lesedauer: 7 min

Fachbereiche und Teile des Lindenberger Personals könnten schon bald nach Wangen verlegt werden. Grund ist der vor allem finanzieller Druck. Was die OSK davon hält.
Veröffentlicht:25.10.2023, 19:00

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Seit einigen Monaten ist eine Kooperation der Krankenhäuser in Wangen und Lindenberg im Gespräch. Bislang ging es dabei vor allem um langfristige Perspektiven, insbesondere was einen gemeinsamen Krankenhausneubau angeht. Jetzt könnte es eine Zusammenarbeit schon viel eher geben als gedacht. Denn an der insolventen Lindenberger Rotkreuzklinik ist der finanzielle Druck inzwischen offensichtlich so groß, dass es konkrete Gedanken gibt, medizinische Fachbereiche und Personal an das Westallgäu-Klinikum und damit nach Wangen zu verlagern ‐ möglicherweise noch in diesem Jahr.

Was ist zuletzt in Lindenberg passiert?

Im Sommer blies die Schwesternschaft München vom Bayerischen Roten Kreuz als Träger der Rotkreuzklinik erst den Start des lange geplanten Neubaus ab, dann rutschte das Haus in eine spezielle Art der Insolvenz. Inzwischen befindet es sich in einem regulären Insolvenzverfahren. Seither befürchtet man in Stadt und Umgebung sogar die Schließung der Rotkreuzklinik. Tausende zuletzt gesammelte Unterschriften für den Erhalt des Hauses zeugen davon.

Jetzt gab es an der Rotkreuzklinik überdies eine Mitarbeiterversammlung. Wie „Allgäuer Zeitung“ und „Westallgäuer Zeitung“ in ihrer Mittwochsausgabe berichten, haben die Sanierer dabei ihre Marschrichtung für die nähere Zukunft vorgestellt. Und die besagt: Lindenberg bleibt Krankenhausstandort, es wird aber Einschränkungen beim medizinischen Angebot geben. Deshalb will man künftig eng mit dem Wangener Krankenhaus und damit der Oberschwabenklinik (OSK) zusammenarbeiten.

Eine Sprecherin der Schwesternschaft bestätigt dies der „Schwäbischen Zeitung“. In einer Mail ist von erforderlichen, „umfassenden Veränderungen im stationären Leistungsspektrum“ die Rede. Das Sanierungsteam peile dabei eine „Kooperation mit den benachbarten Kliniken und insbesondere mit der Oberschwabenklinik in Wangen“ an. Die OSK bestätigt zudem, dass es bereits eine schriftliche Absichtserklärung zwischen beiden Seiten gibt.

Was bedeutet das konkret?

Zunächst noch nicht allzu viel, denn die OSK betont: Die Erklärung sei noch kein Vertrag. Und doch sind in dieser bereits die wichtigsten Themen der anstehenden Gespräche abgesteckt. „Es sind umfangreich und umfassend Felder beschrieben, über die wir miteinander sprechen“, so Sprecher Winfried Leiprecht. „Dies betrifft sowohl Medizin und Pflege als auch den sogenannten tertiären Bereich, also interne Dienstleistungen und Versorgungen.“ Jetzt gehe es darum, die Felder zu konkretisieren, auf denen man sich als Partner unterstützen und ergänzen könne.

Laut „Allgäuer Zeitung“ und „Westallgäuer Zeitung“ steckt dahinter vor allem, dass medizinische Versorgungsbereiche und entsprechendes Fachpersonal nach Wangen abgegeben werden sollen. Die Rotkreuzklinik äußert sich dazu nicht direkt, merkt wohl aber an, dass der Betriebsrat „umfassend einbezogen“ werde. Im Klartext: Es geht also (auch) um die Beschäftigten.

Etwas direkter wird die Oberschwabenklinik. Sie verweist zwar auf die Verantwortung der Geschäftsführung des Trägers in Lindenberg, gibt sich aber grundsätzlich sehr offen für die Übernahme von Bereichen und Personal: „Wir haben in Wangen Kapazitäten für weitere Leistungen. Welche es sein könnten, dafür gibt es eine ganze Reihe an Möglichkeiten.“ Ziel sei es, die Ressourcen, die man als Grund- und Notfallversorger rund um die Uhr vorhalte, besser auszulasten.

Dahinter steckt unter anderem, dass im Westallgäu-Klinikum längst nicht alle potenziellen Betten betrieben werden. Laut Plan gibt es 225, belegbar sind aber nur rund 160. „Es sind also räumliche Reserven vorhanden“, so Sprecher Leiprecht.

Wie sind die Krankenhäuser medizinisch aufgestellt?

Vor dem Einstieg in die konkreten Gespräche ist es für Spekulationen sicher noch zu früh, welche Fachbereiche von Lindenberg nach Wangen „wandern“ könnten. Zur Einordnung daher ein Überblick, was beide Grund- und Regelversorger laut ihrer Internetseiten anbieten. Das Leistungsspektrum am Westallgäu-Klinikum umfasst die Bereiche Anästhesie, Frauenklinik/Geburtshilfe, Hals/Nasen/Ohren, Innere Medizin, Intensivmedizin, Kardiologie, Onkologie, Orthopädie (inklusive einer Kooperation mit der Sportklinik Ravensburg), Palliativmedizin, Radiologie, Schmerzmedizin und Unfallchirurgie. Inzwischen in Ravensburg zentralisiert worden ist die Allgemeinchirurgie. In Lindenberg sind es Chirurgie, Anästhesie und Intensivmedizin, Innere Medizin, Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Kinderheilkunde (Pädiatrie), Radiologie und Urologie.

Am Wangener Krankenhaus arbeiten derzeit 570 Menschen, inklusive externer Kräfte, zum Beispiel von der Sportklinik. Die Lindenberger Einrichtung hat aktuell 395 Beschäftigte. Wie viele von ihnen dort künftig verbleiben, ist laut „Allgäuer Zeitung“ und „Westallgäuer Zeitung“ noch nicht bekannt.

Ab wann könnte es zur Zusammenarbeit kommen?

OSK und Rotkreuzklinik peilen Gespräche in den kommenden Wochen an. Letztere spricht von einer „Konkretisierung des Zielbildes“ im November. Werden sich beide Träger einig, könnte alles ganz schnell gehen. Denn die Rotkreuzklinik will nach Angaben der Sprecherin mit dem „Umbau des Leistungsspektrums“ noch in diesem Jahr starten.

Was hätte die OSK von einer Kooperation?

Die Ausgangslage ist klar: Beide Häuser schreiben ‐ wie so viele Kliniken landauf, landab ‐ enorme Verluste. Der Druck in Lindenberg ist angesichts des laufenden Insolvenzverfahrens aber deutlich größer, während die roten Zahlen der OSK vom Landkreis Ravensburg ausgeglichen werden. Inzwischen stellt sich aber auch im hiesigen Kreistag die Frage, wie lange man das durchhält. Denn vor allem die Verluste der beiden Krankenhäuser in Ravensburg und Wangen haben inzwischen die Finanzlage des gesamten Kreises in Schieflage gebracht. Also liegt es auf der Hand, dass beide Seiten von einer Zusammenarbeit zunächst einmal wirtschaftlich profitieren sollen.

Das zweite Kernproblem ist das knappe Personal in der Medizin und bei der Pflege. Nicht von ungefähr stehen Betten am Westallgäu-Klinikum leer. Dazu sagt die OSK grundsätzlich: „Wir haben wie alle Kliniken Probleme, Fachkräfte in der notwendigen Zahl zu gewinnen.“ Künftig in Wangen beschäftigte Mitarbeiter des Lindenberger Krankenhauses könnten also den Personalnotstand lindern. Das ist umso wichtiger, da die Oberschwabenklinik viele Ärzte und Pflegekräfte auf Leiharbeitsbasis beschäftigt. Diese Leute aber sind sehr teuer ‐ und tragen daher in gehörigem Maße mit zu den Verlusten bei.

Zudem sieht die OSK Potenzial für die medizinische Versorgung der Bevölkerung in der Region: „Wir sind überzeugt davon, dass wir gemeinsam die heutigen Leistungen im Nahbereich sichern und durch Schwerpunkte sogar noch ausbauen können.“ Heißt: Die mögliche Kooperation könnte helfen, die stationäre medizinische Versorgung zu sichern. Eine Aussicht, die natürlich den Menschen im Allgäu besonders wichtig wäre. Angesichts aktuell herrschender Ängste um die Klinik in Lindenberg und dem nicht vergessenen, massiven Kampf um den Erhalt des Wangener Krankenhauses als Grund- und Regelversorger vor nicht einmal zwei Jahren sind sie dort wie hier gebrannte Kinder.

Wie nimmt die OSK-Belegschaft die Entwicklung auf?

Weder in Wangen noch in Ravensburg gab es bisher Betriebsversammlungen (oder ähnliches), die ein umfassendes Bild von der Stimmungslage zeichnen könnten. Am Mittwoch gab es unter den Beschäftigten des Westallgäu-Klinikums aber schon erste Signale ‐ und zwar sehr positive: Die Mitarbeiter aus Lindenberg würden „mit offenen Armen empfangen“, hieß es. Oder angesichts des Personalmangels auch: „Wir freuen uns über jeden, der da kommt.“

Genau deshalb herrscht aber ebenfalls eine kleine Portion Skepsis: Es sei nicht wahrscheinlich, dass jeder Beschäftigte aus Lindenberg nach Wangen wechseln wird, sagt ein OSK-Mitarbeiter, der namentlich nicht genannt werden will. Vielmehr bestehe die Gefahr, dass manche dort kündigen und anderswo oder als Leiharbeitskraft anheuern könnten.

Diese Befürchtung hat einen realen Hintergrund. Erst in der jüngsten Kreistagssitzung hatte sich SPD-Fraktionschef Rudolf Bindig erkundigt, wie viele Beschäftigte des inzwischen geschlossenen Bad Waldseer Krankenhauses nach wie vor bei der OSK beschäftigt sind. Die Antwort liegt der „Schwäbischen Zeitung“ vor: Von den 207 noch vor einem Jahr dort Beschäftigten hätten 65 gekündigt.

22 arbeiten indes mittlerweile am Westallgäu-Klinikum ‐ wobei klar ist: Die Entfernung zwischen Bad Waldsee und Wangen ist deutlich größer als die zwischen Lindenberg und Wangen. Das weiß auch die OSK. Denn ganz allgemein bemerkt sie zum von ihr ausgemachten Potenzial einer Kooperation: „Was liegt sprichwörtlich näher, als Lösungen gemeinsam mit einer Klinik anzustreben, die nur 15 Kilometer und eine Viertelstunde Fahrzeit vom Wangener OSK-Haus entfernt liegt?“