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„Die Leute sind völlig überlastet“: Beschwerden über Helios-Kliniken in Kassel häufen sich

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Ehemaliges Rotes-Kreuz-Krankenhaus: die Helios-Kliniken Kassel in Wehlheiden. Unser Archivbild vom Haupteingang entstand im Januar.
Ehemaliges Rotes-Kreuz-Krankenhaus: die Helios-Kliniken Kassel in Wehlheiden. Unser Archivbild vom Haupteingang entstand im Januar. © Axel Schwarz

Es gibt Ärger in Kassels Krankenhauslandschaft: Die Beschwerden über die Helios-Kliniken häufen sich. Zwei Patientinnen und eine Mitarbeiterin äußern Kritik. Helios reagiert darauf.

Kassel – Der Fachkräftemangel beschäftigt unser gesamtes Gesundheitssystem. Überall fehlen vor allem Menschen, die in der Pflege arbeiten wollen. Einrichtungen der Altenhilfe sowie Krankenhäuser müssen damit umgehen und für ihre Bewohnenden sowie für ihre Patientinnen und Patienten eine Lösung finden. Das ist nicht einfach.

Es häufen sich Beschwerden in Kassel ganz speziell über ein Haus, das mit der Situation überfordert scheint: Über die Arbeitsabläufe der Helios-Kliniken, ehemals Rotes-Kreuz-Krankenhaus, haben uns schon mehrere Zuschriften erreicht. Auch Helios selbst äußert sich zu dem Fall auf HNA-Anfrage und bestreitet die Vorwürfe nicht.

„Die Leute dort sind völlig überlastet“, erzählt etwa eine Frau aus dem Landkreis Kassel, die kürzlich stationär in den Helios-Kliniken lag. „Ich bin jetzt zum Glück wieder da raus, es betrifft mich nicht mehr. Aber ich möchte nicht einfach nur wegschauen“, sagt sie. Die Zustände dort machen sie wütend:

„Meine Zimmernachbarin hatte die Schwester gefragt, ob sie sie waschen könne. Die meinte: Nein, dafür haben wir keine Zeit. Der Mann meiner Zimmernachbarin kam dann vorbei und hat das gemacht – aber was machen denn die, die keinen Mann und keine Familie haben?“, fragt sie sich. Die Frau möchte den Mitarbeitenden ausdrücklich keinen Vorwurf machen.

„Das Problem ist das System“, ist sie sich sicher. Die Frau, die in der Gemeinde Habichtswald lebt, habe lange nicht im Krankenhaus gelegen und sei „erschrocken über so wenige Fachkräfte“: „Man traut sich ja gar nicht zu klingeln, weil die Leute da eh schon so viel zu tun haben. Warum sie dann jetzt noch Leute entlassen, frage ich mich.“

Denn die Patientin habe beobachtet, wie eine langjährige Mitarbeiterin entlassen worden sei. Diese habe sich um die Essensbestellungen gekümmert und die Wünsche der Patientinnen und Patienten aufgenommen.

„Das sollen jetzt noch die Krankenschwestern mit übernehmen. Wie soll das gehen, wo sie doch so schon viel zu viel zu tun haben?“, fragt sich die Patientin. Sie sei während ihres Klinikaufenthalts nicht bettlägerig gewesen – „ein Glück. Ich weiß nicht, wie das dann dort funktionieren soll.“

Genau diese Erfahrung hat eine andere Patientin aus dem Landkreis Kassel machen müssen. Auch sie hat sich bei uns gemeldet, um sich über die bestehenden Verhältnisse in den Helios-Kliniken zu beschweren.

„Ich hatte zu dieser Zeit meinen Mann zu Hause gepflegt und mich dabei am Rücken verletzt. Deshalb lag ich zur Operation in der Vitos-Orthopädischen-Klinik. Dort habe ich dann aber Magen-Darm-Probleme bekommen“, erzählt sie ihre Vorgeschichte.

Sie sei dann zur Magen- und Darmspiegelung in die Helios-Kliniken gebracht worden. „Da hat sich niemand um mich gekümmert. Ich hatte nichts zu trinken. Wenn ich geklingelt habe, kam ewig niemand. Und ich selbst konnte nicht aufstehen wegen meiner Verletzung.“

Als sie die Erlebnisse schildert, kämpft die 82-Jährige mit den Tränen. Dann, zur Vorbereitung auf eine Darmspiegelung, habe sie Abführmittel trinken müssen. „Und wenn man dann zur Toilette muss, kann man das ja gar nicht halten. Ich habe geklingelt, aber auch da kam niemand. Alles ist ins Bett gegangen. Ich habe mich so würdelos gefühlt.“

Einen Arzt oder eine Ärztin habe sie bei ihrem mehrtägigen Klinikaufenthalt nicht gesehen. Das wenige Pflegepersonal habe keinen geschulten Eindruck gemacht, etwa das Waschen nach dem geschilderten Vorfall sei der Patientin unangenehm gewesen.

Durch sprachliche Barrieren konnte sie die meisten Mitarbeitenden nicht verstehen. „Ich weiß, dass wir auf Fachkräfte aus dem Ausland angewiesen sind. Aber irgendwie muss man sich ja verständigen können“, sagt sie.

Mitarbeiterin bestätigt die Vorwürfe

Eine Mitarbeiterin der Helios-Kliniken Kassel, die anonym bleiben möchte, kann die Vorwürfe der beiden Frauen bestätigen. Sie berichtet, dass der Personalmangel gravierend sei:

„Schon vor Corona waren wir zu wenige Menschen in der Pflege. Aber es wird immer schlimmer – im gesamten Gesundheitssystem, aber bei uns besonders.“ Leider sei es deshalb normal, dass Schwestern nicht bei jedem Patienten oder jeder Patientin rechtzeitig am Bett sein können.

„Wir können nicht alle Anforderungen erfüllen. Da müssen wir schauen, was wichtiger, was mitunter sogar lebenswichtig ist. Niemand kommt mit Absicht nicht zur Klingel.“

Helios habe viele Menschen aus Indien geholt, um dem Personalmangel entgegenzuwirken. Auch nach Kassel. „Man hat ihnen viel versprochen, aber das meiste davon ist nicht eingelöst worden.“ Etwa Deutschkurse haben nur selten stattgefunden. Die indischen Fachkräfte haben hier noch eine Anerkennungsprüfung machen müssen.

Die Gesundheitssysteme unterscheiden sich enorm voneinander. „Durch die Prüfung sind viele durchgefallen. Sie wurden von deutschen Pflegekräften überhaupt nicht eingearbeitet und teils sogar diskriminiert“, sagt die Mitarbeiterin.

„Nur weil sie uns nicht verstehen, sind sie nicht nichts wert“, betont sie. Ein Großteil der indischen Schwestern, die die Prüfung bestanden haben, hätten sich in der Zwischenzeit einen anderen Job im Gesundheitswesen im Kasseler Umfeld gesucht.

Helios verspreche Besserung, aber: „Wir sehen Veränderungen eher im negativen Sinn“, sagt die Mitarbeiterin. Auch Renovierungen werden aufgeschoben: „Einige Ecken im Krankenhaus sind baufällig.“

Zum bestehenden Fachkräftemangel werde weiter Personal in Kassel abgebaut. „Es heißt, wir seien genug Personal. Aber wie kann das sein, wenn ich in einer 40-Stunden-Woche 50 Stunden arbeite?“

Das Problem gehe aber über Helios hinaus: „Es ist ein politisches Problem. Überall werden Fachkräfte aus dem Ausland geholt, die kaum integriert werden. Denn die Krankenkassen zahlen nicht, wenn es zu wenige Mitarbeitende auf Station gibt. Aber so hilft das niemandem.“

Das Ziel der Mitarbeiterin sei es, das Gesundheitswesen zu verlassen. „Das ist traurig, denn eigentlich mache ich meinen Beruf sehr gern.“ Doch ihr Alltag sei quälend, und die Motivation in der Pflege habe generell abgenommen. Außer Applaus habe sich seit Corona nichts getan.

„Und die Prämien sind lächerlich gewesen. Sie hatten viele Auflagen, nicht alle haben diese Prämien bekommen“, sagt sie. Die Gelegenheit möchte die Krankenschwester nutzen und bittet darum, nicht unnötig in Krankenhäuser zu gehen:

„Viele Menschen machen das, um etwa schneller einen Facharzttermin zu bekommen. So belastet man das System aber unnötig, und irgendwann ist es völlig überlastet.“

„Fälle sollen sich nicht wiederholen“: Helios-Kliniken zu den Beschwerden

Aus der Unternehmenskommunikation der Helios-Kliniken Kassel heißt es nach Schilderung der Vorwürfe: „Wir bedauern es sehr und entschuldigen uns in aller Form.“ Die geschilderten Beschwerden habe der Konzern zum Anlass genommen, die Vorkommnisse intern aufzuarbeiten, „damit sich solche Vorfälle nicht wiederholen.“ Weitere Fragen an Helios.

Wie viele nicht-besetzte Stellen gibt es in den Helios-Kliniken Kassel?

Nicht-besetzte Stellen gebe es laut Helios in Kassel nur wenige: Zwei ärztliche Stellen und zwölf (von 140) Vollzeit-Pflegefachstellen seien derzeit ausgeschrieben. „Erschwerend kommt ein hoher Krankenstand hinzu – ein vorübergehendes Phänomen, bedingt durch Atemwegsinfektionen, die zum Herbst hin vermehrt auftreten“, heißt es weiter.

Was will Helios dagegen tun?

Ein Springerpool aus Pflegekräften, die kurzfristig einspringen können, sowie die Absolventinnen und Absolventen der Pflegeausbildung trügen dazu bei, die Personalsituation mittel- bis langfristig stabil zu halten. „Zusätzlich haben wir in den vergangenen zwei Jahren examinierte Fachkräfte aus dem Ausland angeworben, die wir in unsere Teams und in das Leben in Kassel integrieren.“

Was wird unternommen, um diese Fachkräfte zu integrieren?

Eine Mitarbeiterin, die seit mehr als 25 Jahren im Haus tätig sei, begleite die ausländischen Pflegekräfte, die in ihrem Heimatland eine anerkannte Pflegefachausbildung abgeschlossen haben, als Praxisanleiterin wie auch als Integrationsbeauftragte, heißt es. I

n Einzel- und Gruppenanleitungen seien die indischen Kräfte in die Tätigkeiten der pflegerischen Versorgung im Krankenhaus eingearbeitet worden. „Insgesamt 23 Pflegefachkräfte aus Indien haben wir so für unser Haus gewinnen können.“ Kürzlich seien weitere sechs Pflegefachkräfte aus Tunesien dazugekommen.

Ermöglicht Helios die Teilnahme an Sprachkursen?

Die Fachkräfte aus dem Ausland durchlaufen ein Anerkennungsverfahren für den deutschen Abschluss. „Zu diesem Verfahren gehört auch ein Nachweis der Sprachkenntnisse. Wir unterstützen die ausländischen Fachkräfte im Rahmen dieses Anerkennungsverfahrens, in dem wir sie zur Durchführung der notwendigen Sprachkurse vom Dienst freistellen“, heißt es vom Unternehmen.

Und weiter: „Da sie sich aber teilweise noch im Anerkennungsverfahren befinden, wenn sie bereits zur Orientierung und Einarbeitung auf unseren Stationen arbeiten, bitten wir um Verständnis für etwaig bestehende Sprachbarrieren.“ Spätestens mit dem positiven Ausgang des Verfahrens werde den Fachkräften aus dem Ausland eine ausreichende Sprachkenntnis attestiert.

Was ist mit der Unterkunft der Pflegekräfte, die aus dem Ausland nach Kassel kommen?

Den in Anerkennung befindlichen Fachkräften aus dem Ausland biete Helios als Unterkunft voll ausgestattete Apartments in Kassel, heißt es.

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