StartseiteRegionalOberschwabenRavensburgNach Luchas Machtwort müssen Ravensburger Frühchen nicht nach Ulm

Quote nicht erfüllt

Nach Luchas Machtwort müssen Ravensburger Frühchen nicht nach Ulm

Ravensburg / Lesedauer: 4 min

Es hätte die medizinische Versorgung in der Region stark verschlechtert: Warum Gesundheitsminister Lucha bei der Frühchenversorgung ein Machtwort gesprochen hat.
Veröffentlicht:29.10.2023, 19:00
Aktualisiert:30.10.2023, 06:46

Artikel teilen:

Bei der Frühchenversorgung am Ravensburger Elisabethen-Krankenhaus (EK) der Oberschwabenklinik bleibt voraussichtlich alles beim Alten. Nachdem der baden-württembergische Gesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne) Ausnahmegenehmigungen in Aussicht gestellt hat, können dort weiterhin auch ganz leichte Neugeborene unter 1250 Gramm Geburtsgewicht versorgt werden. Chefarzt Andreas Artlich ist zufrieden.

Worum genau geht es? Der Gemeinsame Bundesausschuss von Ärztinnen und Ärzten, Kliniken und Krankenkassen (GBA) hat Mindestmengen für die Versorgung sehr leichter Frühchen beschlossen. Demnach müssen Kinderkliniken in ganz Deutschland ab 2024 pro Jahr mindestens 25 Frühgeborene unter 1250 Gramm Geburtsgewicht behandeln. Nur dann bekommen sie weiter die Versorgung der kleinen Patienten von den Krankenkassen bezahlt. Bislang lag die Mindestmenge bei 14 Frühgeborenen pro Jahr.

Ravensburg kommt nicht auf neue Mindestmenge

Da unter anderem Ravensburg nicht auf diese neue Mindestmenge kommt, hätte die Entscheidung bedeutet, dass die sehr leichten Frühchen aus den Landkreisen Ravensburg, Biberach, Sigmaringen und dem Bodenseekreis in Zukunft nach Ulm gekommen wären. Ein Unding, findet der Ravensburger Chefarzt für Kinder- und Jugendmedizin, Andreas Artlich. Artlich ist zugleich auch Vizepräsident des Verbandes der Leitenden Kinder- und Jugendärzte und Kinderchirurgen Deutschlands und hat daher einen guten Überblick über die Situation im Land.

Alle Perinatalzentren sind jetzt schon am Anschlag. Es gibt kaum freie Betten. Die Uniklinik Ulm könnte unsere Patienten von der Kapazität her schon gar nicht aufnehmen.

Andreas Artlich

Anders als in manchen Medien verlautet, seien die Frühchenstationen in Ravensburg, Reutlingen und Schwäbisch Hall durch die Entscheidung allerdings nicht von einer kompletten Schließung bedroht gewesen. In Ravensburg kämen pro Jahr fast 2000 Kinder zur Welt, davon um die 200 Frühchen, aber nur 15 Frühgeborene unter 1250 Gramm. Nur um die letztere, sehr kleine Gruppe, gehe die aktuelle Diskussion.

Auch Baby-Notarzt in Ravensburg wäre gefährdet gewesen

Ravensburg versorge diese Leichtgewichte schon seit 2002 sehr erfolgreich, meint Artlich. Von dort fährt auch ein Baby-Notarzt in die umliegenden Geburtskliniken wie Wangen, Tettnang, Biberach oder Sigmaringen, wenn es zu Komplikationen bei oder nach der Geburt kommt, um sie abzuholen und in die Ravensburger Kinderklinik zu bringen. „Auch bei reifen Kindern können ja gesundheitliche Probleme auftreten“, erklärt Artlich. Dieses Versorgungsangebot ist an die höchste Versorgungsstufe gekoppelt und kann nun voraussichtlich erhalten bleiben. „Ulm wäre viel zu weit weg, um all diese Kliniken im Notfall schnell zu erreichen.“

Daher ist der Chefarzt froh, dass der baden-württembergische Gesundheitsminister Manne Lucha „die Notbremse gezogen hat“, wie er sagt. „Er hat erkannt, dass sich die gesundheitliche Versorgung krass verschlechtert hätte, ohne dass ein wissenschaftlicher Nutzen erwiesen wäre. Und er macht von seinem Recht Gebrauch, Ausnahmegenehmigungen im Land zu erteilen.“ Eine solche hat die Oberschwabenklinik bereits beantragt.

Lucha will mit anderen Landesgesundheitsministern nach Karlsruhe

Zudem erwägt Lucha mit Kollegen aus anderen Bundesländern eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Man wolle das Vorgehen des GBA grundsätzlich überprüfen lassen. Während es ansonsten für Mindestmengen in der Medizin gute Gründe gebe ‐ wer will sich schon zum Beispiel am Herzen operieren lassen, wenn der entsprechende Chirurg nicht über genügend Erfahrung verfügt ‐ sei das bei der Frühchenversorgung nicht der Fall.

Zum einen seien solche Mindestmengen gar nicht planbar, weil die Zahlen stark schwanken könnten. Zum anderen solle der GBA Qualitätsvorgaben für Kliniken machen, aber nicht die Planungshoheit der Länder im Krankenhauswesen einschränken. Lucha:

Ich möchte, dass alle Kliniken weiter versorgen können. Dazu werden wir all unsere Handlungsspielräume ausschöpfen.

Manfred Lucha

Die Behandlung von Frühchen sei extrem sensibel, hier gehe es häufig nicht nur um Minuten, sondern um Leben und Tod, schreibt seine Pressesprecherin Claudia Krüger auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“. „Hier können wir nicht um Mindestzahlen feilschen, sondern wollen die bestmögliche Versorgung für jedes einzelne Frühgeborene im Land.“ Studien, die von einer höheren Sterblichkeit ausgehen, wenn die Mindestmenge nicht eingehalten werde, basierten „auf puren Annahmen“. Tatsache sei, dass noch nie sachlich begründete Anhaltspunkte vorgelegen hätten, die die Einführung dieses Mindestmengenwertes rechtfertigen würden.

Behandlungszahl bei Frühchen sei nicht so entscheidend

Die 21 Perinatalzentren im Land würden hervorragende Arbeit leisten, ob sie nun zehn oder 20 Kinder im Jahr behandeln. Ansonsten ist Lucha aber ein Befürworter von Mindestmengen in der Medizin: „Ich möchte, dass jemand, der komplizierte Operationen macht, darin geübt ist. Das ist wie im Leistungssport, das kann man nicht einmal im Jahr machen. Die Frühchenversorgung ist aber täglich dieselbe Tätigkeit, ob ich sechs Kinder auf der Station liegen habe oder eins.“