Schlimme Erwartungen hat ein Urteil des Bundessozialgerichts zur Sozialversicherungspflicht von Pool-Ärzten vor etwa vier Wochen hervorgerufen. „Das ohnehin fragile System der Notfallversorgung im Landkreis Waldshut steht Dank dieses Urteils nunmehr kurz vor dem Zusammenbruch“, prognostizierte die Geschäftsführung des Klinikums Hochrhein die Folgen.

Denn als unmittelbare Konsequenz aus dem Urteil wurden die Notfallpraxen der Kassenärztlichen Vereinigung in Bad Säckingen und Schopfheim geschlossen. Aber wie schlimm kam es wirklich? Die Chefärzte Stefan Kortüm (Waldshut) und Samuel Hemmerling (Lörrach) geben Einblicke in ihren Alltag.

So sieht es aktuell in der Notaufnahme des Klinikums Hochrhein in Waldshut aus

In der Notaufnahme des Klinikums Hochrhein herrscht sehr oft Hochbetrieb. Nach Schließung der Notfallpraxis in Bad Säckingen fordert das ...
In der Notaufnahme des Klinikums Hochrhein herrscht sehr oft Hochbetrieb. Nach Schließung der Notfallpraxis in Bad Säckingen fordert das Krankenhaus tragfähige Alternativen und kündigt die Abweisung von Patienten an, die nicht als echte Notfälle eingestuft sind. | Bild: Klinikum Hochrhein

Nach nur wenigen Wochen lasse sich noch nicht vollends sagen, wie stark der Effekt der Schließung der Notfallpraxis in Bad Säckingen ist, oder inwiefern es sich bei der aktuellen Entwicklung um eine temporäre Erhöhung handle, räumt Kortüm als Chefarzt der Notaufnahme im Krankenhaus Waldshut ein.

Doch es kämen momentan deutlich mehr Patienten als gewöhnlich: „Aktuell haben wir einen Zuwachs von ungefähr 15 Prozent. Was jedoch auffällig ist, bei den fußläufigen Patienten liegen wir bei knapp 30 Prozent Zuwachs an den Wochenenden.“ Das ist die Zeit, die gemeinhin von den Notfallpraxen abgedeckt wird.

Als direkte Folge verlängern sich Wartezeiten verlängern deutlich, was zu Unmut seitens Patienten und Angehörigen führe, so Kortüm. Tageweise sei der Zustrom so groß gewesen, „dass wir keine Betten mehr im Haus zur Verfügung hatten, was dazu führte, dass Patienten länger als 24 Stunden in der Notaufnahme lagen – manche von ihnen auf dem Flur, weil uns schlichtweg die Ressourcen fehlten.“

Stefan Kortüm, Chefarzt der Notaufnahme im Klinikum Hochrhein.
Stefan Kortüm, Chefarzt der Notaufnahme im Klinikum Hochrhein. | Bild: Klinikum Hochrhein/tm

Darüber hinaus habe sich das Klinikum in den vergangenen Tagen zweimal vom Rettungsdienst abmelden müssen, weil keine Patienten mehr aufgenommen werden konnten. „Die Belastung für die Mitarbeiter ist entsprechend hoch“, so Kortüm.

Daneben habe es einen runden Tisch im Kreis zur Schließung der KV-Notfallpraxis gegeben. Das Klinikum prüfe jetzt die Ausschilderung der Notfallpraxis, die sich aktuell neben der Engel-Apotheke befindet, um Patienten direkt an die richtige Stelle zu lotsen.

So ist die Lage in der Klinik für Akut- und Notfallmedizin der Kliniken Lörrach

„In der Notaufnahme sehen wir einen deutlichen Anstieg an Patienten, die mit Erkrankungen die Zentrale Notaufnahme aufsuchen, welche in einer Hausarztpraxis behandelbar wären“, konstatiert Samuel Hemmerling.

Samuel Hemmerling, Chefarzt der Klinik für Akut- und Notfallmedizin der Kreiskliniken Lörrach.
Samuel Hemmerling, Chefarzt der Klinik für Akut- und Notfallmedizin der Kreiskliniken Lörrach. | Bild: Kliniken des Landkreises Lörrach

Das Patientenaufkommen bewege sich „momentan auf einem Rekordniveau“, dennoch lasse sich nicht konkret sagen, wie viele Patienten sonst die Bereitschaftsarztpraxis aufgesucht hätten. „Klar ist, dass es für viele Patienten, die grundsätzlich zur Notfall-Praxis gegangen wären, durch die Verfügbarkeitseinschränkung kaum realistische Alternativen zur Notaufnahme gibt“, bedauert Hemmerling.

In welchem Umfang mussten Patienten abgewiesen werden?

Laut Stefan Kortüm lasse sich das nicht prozentual belegen. „Aber die Fälle häufen sich.“ Patienten, die nicht notfallmäßig oder nicht zwingend im Krankenhaus behandlungsbedürftig seien, werden demnach an den Hausarzt oder die KV-Notfallpraxis in Waldshut verwiesen, so Kortüm.

Hemmerling betont derweil: „Hier werden keine Patienten abgewiesen, ohne dass sie von einem Arzt angesehen wurden.“ Die Notaufnahme sei allerdings „primär für schwere Erkrankungen und Verletzungen gedacht“, daher hätten Ärzte und Mitarbeiter für andere Fälle weniger Zeit.

Wie reagieren Patienten auf die Veränderungen?

Wie beide Chefärzte auf Nachfrage darstellen gebe es eine große Bandbreite von Reaktionen auf lange Wartezeiten, chaotische Zustände oder gar Abweisung.

„Mehrheitlich zwar genervt, aber verständnisvoll“, so schätzt Stefan Kortüm die Stimmung ein. Die Diskussionen drehten sich eher um die grundsätzliche Versorgung. „Bislang haben wir das Gefühl, dass die Patienten mehr und mehr verstehen, dass wir tun, was wir können.“

Vereinzelt gebe es aber auch „sehr fordernde Anspruchshaltungen bis hin zu lauten Beschimpfungen über die Notaufnahme“, so Samuel Hemmerlings Erfahrung. Das sei aber nicht neu: „Das Notaufnahmepersonal arbeitet schon immer mit einer hohen Arbeitsbelastung in einem Umfeld, welches für die meisten Patienten mit einer emotionalen Ausnahmesituation verbunden ist.“

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Wie gehen Ärzte und Pflegekräfte mit der veränderten Situation um?

In den letzten Jahren hätten sich die Rahmenbedingungen für Krankenhäuser stetig verschlechtert, stellt Stefan Kortüm dar: „Wir sind an Hiobsbotschaften gewöhnt und versuchen pragmatische Lösungen zu finden. So auch in diesem Fall.“

Patienten würden über einen Infoflyer über die Situation aufgeklärt. „Ansonsten machen wir unsere Arbeit. So wie in jeder Krise.“

Sein Lörracher Kollege Hemmerling schildert, dass die Arbeit in der Notaufnahme in den vergangenen Jahren wohl noch mehr ein Knochenjob gewesen sei als ohnehin schon. Viele Mitarbeiter hätten während der Corona-Pandemie die Notfallmedizin verlassen. Der Druck auf die Verbliebenen wachse.

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Wie sehen die Perspektiven aus?

Die daraus resultierende Forderung sei klar: „Die Politik wird schnell Wege finden müssen, um eine Entlastung der Notaufnahmen zugunsten ihrer Kernkompetenz mit der Versorgung schwer Erkrankter und Verletzter zu erreichen. Ansonsten droht das Personalproblem in der Notaufnahme weiter zuzunehmen“, betont Hemmerling und bringt damit ein generelles Problem der Kliniken in der Region auf den Punkt.

Denn während Bedarf und Anspruchshaltung gegenüber der klinischen Notfallversorgung allenthalben zunähmen, verringerten sich die personellen Ressourcen gerade rapide, so Hemmerling. „Es bedarf in meinen Augen einer ehrlichen politischen und gesellschaftlichen Debatte, was das Gesundheitssystem in Zukunft noch leisten kann und was nicht.“

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