Datenanalyse-Unternehmen Palantir wirft ein Auge auf Gesundheitswesen in Europa

Palantir hat seit Längerem einen Blick auf den Gesundheitssektor geworfen – nicht nur in den USA, sondern auch in Europa. England macht den Anfang.

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Künstlerische Darstellung: Ein Auge einer jungen Frau wird ausgewertet, wie diverse Einblendungen zeigen

(Bild: Who is Danny / Shutterstock.com)

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Von
  • Imke Stock
Inhaltsverzeichnis

Die US-Firma Palantir hat Zugriff auf Gesundheitsdaten aller Krankenhäuser in England. Und dieser Zugriff könnte demnächst noch umfassender werden. Der National Health Service England (NHS oder NHSE) arbeitet verstärkt mit dem umstrittenen Unternehmen zusammen. Palantir ist in Bereichen tätig, die für das Funktionieren der Gesellschaft kritisch sind und in denen zum Teil hochsensible Informationen eine Rolle spielen – sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor.

Das Unternehmen will mit seiner Software die eine zentrale Plattform sein, mit der die Integration, Analyse und Operationalisierung von Daten aus unterschiedlichsten Quellen und in unterschiedlichsten Zuständen erfolgt. Dienste und Softwareprodukte von Palantir werden in staatlichen und privatwirtschaftlichen Bereichen eingesetzt. Dazu gehören kritische Strukturen wie Sicherheit und Verteidigung (Geheimdienste, Polizei und Militär), Energie, Verkehr, Telekommunikation und Finanzen.

Palantir macht Angebote in den Bereichen "Federal Health", "Health & Life Sciences" und "Hospital Operations". Die Palantir Software "Foundry" werde laut eigenen Angaben schon in der "gesamten Wertschöpfungskette des Gesundheitswesens und der Biowissenschaften eingesetzt" – von der Grundlagenforschung bis zur translationalen Forschung, von der Entdeckung und Entwicklung von Arzneimitteln bis hin zu Herstellung, Marketing und Vertrieb. (Translationale Medizin bezeichnet die Umsetzung von Forschungsergebnissen, Anmerkung.)

Gesundheitsdaten sind hochsensible persönliche Daten, deren Wert nicht zu unterschätzen ist. Mit knapp über 56 Millionen Einwohnern gehört England zu den bevölkerungsreichsten Gebieten Europas. Und NHS England hat grundsätzlich zu praktisch jedem Einwohner (Gesundheits-)Daten gespeichert, weil es sich um den staatlichen Gesundheitsdienst handelt. (Daneben bestehen im Vereinigten Königreich noch NHS Scotland, NHS Wales und HSC Northern Ireland.)

In der Anfangszeit der Corona-Pandemie bot Palantir den USA und verschiedenen europäischen Ländern (Großbritannien, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Österreich und der Schweiz) seine Software Foundry als Datenmanagementplattform für die Pandemiebekämpfung an, wie die Nachrichtenagentur Bloomberg berichtete. Auch in Deutschland dachte etwa das Bundesland Hessen kurz über das Angebot nach, nahm es letztendlich jedoch nicht in Anspruch. Die britische Regierung vergab schließlich im Frühjahr 2020 für Aufbau und Betrieb eines "Covid-19 Data Store" Datenaustauschverträge an mehrere Unternehmen: Amazon, Microsoft, Google, Faculty und Palantir. Eine Ausschreibung oder einen Wettbewerb gab es damals nicht.

In der Folge wurden der "NHS Covid-19 Data Store" und die "NHS National Data Platform" unter Nutzung der Palantir-Software Foundry aufgebaut. Das Institute for Government zog später ein positives Fazit. Seitdem hat sich die Rolle von Palantir im englischen Gesundheitssystem erweitert. Im Juni 2022 startete das Pilot Faster Data Flow-Projekt, das tägliche Sammlungen von Patientendaten aus NHSE-Krankenhaussystemen extrahiert und zusammenführt.

Die gesammelten Patientendaten umfassen die NHS-Nummer des Patienten, das Geburtsdatum, die Postleitzahl der üblichen Wohnadresse beziehungsweise den Aufenthaltsort und Angaben zu Aufnahme, stationärem Aufenthalt und Entlassung aus dem Krankenhaus sowie zu ambulanten Terminen und Besuchen. Mithilfe der Daten sollen Probleme wie längere Wartezeiten bei der Aufnahme oder Verzögerungen bei der Entlassung von Patienten aus dem Krankenhaus erkannt und gelöst werden.

Die Daten würden auch genutzt, um Messung und Analyse von Leistungen innerhalb des NHS England durchzuführen. Für die Bereitstellung der Daten durch Foundry fungiere Palantir als "Auftragsverarbeiter". Palantir hätte laut NHSE keinen Zugriff auf die gesammelten identifizierbaren Daten.

Im Januar 2023 wurde im Rahmen einer Parlamentsanfrage zu den NSHE-Datenbanken bekannt, dass durch Palantir Foundry insgesamt 260 Dashboards für NHSE entwickelt und betrieben wurden. Palantir hat seit der Pandemie Erfahrungen im Gesundheitssystem des NHSE gewonnen und stellt seinen Foundry-Einsatz mit Erfolgsmeldungen dar.

Seit dem 10. Januar 2023 läuft ein Ausschreibungsverfahren für die "NHS Federated Data Platform and Associated Services" (FDP). Mithilfe dieser "föderierten" Plattform soll ein Datenaustausch zwischen den Plattformen jedes Krankenhauses und jedes integrierten Versorgungssystem möglich werden. Ziel der englischen NHS FDP sei es, "die Kraft der NHS-Daten freizusetzen, um Muster zu verstehen, Probleme zu lösen, Dienstleistungen für die lokale Bevölkerung zu planen und letztendlich die Gesundheit und Pflege der Menschen, denen sie dienen, zu verändern."

Die neue Datenplattform soll die bestehende COVID-19-Datenplattform ersetzen und eine Cloud-basierte Software as a Service (SaaS)-Lösung sein. Laut Forbes dürfte die neue Plattform die größte Datenplattform für das Gesundheitswesen weltweit werden. Informationen aus mehreren Hundert bisher separat geführten Systemen des NHSE würden zusammenfließen. Dies umfasse medizinische Daten, Patientendaten und Gesundheitsakten, klinische Daten und andere teils öffentliche Daten des NHSE. Es könnte ein Betriebssystem für das gesamte NHS entstehen, wie Forbes berichtet.

Um den Auftrag beworben hat sich unter anderem ein britisches Konsortium aus drei Firmen, das jedoch an der ersten Stufe des Ausschreibungsverfahrens des NHSE gescheitert ist. Palantir ist weiterhin im Rennen. Im Sommer 2023 soll das Ergebnis für das Ausschreibungsverfahren des FDR laut NHSE vorliegen.

Ein Wechsel des Auftragnehmers (Palantir) in diesem Stadium würde zu "erheblichen Unannehmlichkeiten" und einer "erheblichen Verdopplung der Kosten" führen, da für den ordnungsgemäßen Ersatz des Auftragnehmers dann zwei gleichzeitige Beschaffungsverfahren für dieselbe Dienstleistung erforderlich gewesen wären. Das wäre sowohl "unpraktisch als auch unwirtschaftlich" gewesen. Der Vertrag mit Palantir läuft nun bis 11. Juni 2023.

Palantir baut eigenen Angaben zufolge "langfristige Partnerschaften" auf. Die Firma möchte ihren Kunden "dabei helfen, den Wert ihrer Daten zu erkennen und ihre Arbeitsweise zu transformieren". Das Unternehmen investiert seit Jahren, um einen dauerhaften Zugang zum britischen Gesundheitswesen zu bekommen. Dieses Engagement wird seit längerem von verschiedenen Medien kritisch hinterfragt, wie auch von der Financial Times.

Widerstand regt sich auch von verschiedenen Organisationen – "No Palantir" fordert mit einer Petition das Ende von Palantir im NHS. Patientenvertretungen und andere Gruppen haben nach Informationen des Online-Magazins The Register rechtliche Schritte gegen den NHS wegen der geplanten FDR-Plattform angedroht, da Fragen zur Patientenberatung und zur Einhaltung des Datenschutzes nicht geklärt seien.

Palantir entgegnet Kritikern, dass sie selbst "eine Software-Firma und keine Daten-Firma" seien. "Wir kontrollieren, sammeln oder monetarisieren keine personenbezogenen Daten. Aber unsere Software verarbeitet Daten", schreibt Palantir in ihrem Blog. Es bleibt abzuwarten, ob Palantir den Zuschlag für das digitale Herzstück der Patientendaten und des Gesundheitswesens in England bekommt. Englands Gesundheitswesen ist vielleicht nur der Anfang in Europa. Palantir hat sich schon bei Gaia-X und der EU-Cloud in Stellung gebracht.

(mack)