Kein Raum mehr für Rechtsfigur des „fiktiven wirtschaftlichen Alternativverhaltens“

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Nach wie vor kürzen Krankenkassen Abrechnungen von Krankenhäusern unter dem Stichwort des fiktiven wirtschaftlichen Alternativverhaltens bei Fallzusammenführungen, obwohl der Gesetzgeber durch die Regelung in § 8 Abs. 5 Satz 3 KHEntgG eine Fallzusammenführung allein unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten ab dem 01.01.2019 ausgeschlossen hatte.

Auch die Krankenkassen hatten wohl erwartet, dass das BSG die Rechtsfigur des fiktiven wirtschaftlichen Alternativverhaltens trotz der Anordnung des Gesetzgebers nicht oder zumindest nicht vollständig aufgeben würde.

Das BSG hat diesen Erwartungen der Krankenkassen allerdings nicht entsprochen und in der Entscheidung vom 11.05.2023 (- B 1 KR 10/22 -) klargestellt, dass für eine Fallzusammenführung unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten aufgrund der Regelung in § 8 Abs. 5 Satz 3 KHEntgG ausgeschlossen ist. Die Entscheidung liegt erst als Terminsbericht vor.

Einer Kürzung der Vergütung unter Zugrundelegung der vom BSG hierzu aus dem Wirtschaftlichkeitsgebot entwickelten Grundsätze des fiktiven wirtschaftlichen Alternativverhaltens steht seit dem 01.01.2019 auch nach Ansicht des BGH  § 8 Abs. 5 Satz 3 KHEntgG entgegen. Die Konkretisierung des Wirtschaftlichkeitsgebots imZusammenhang mit Entlassungen und Wiederaufnahmen in dasselbe Krankenhaus ist seither abschließend den Vertragsparteien der Fallpauschalenvereinbarung zugewiesen. Diesen steht ein weiter Gestaltungsspielraum zu, bei dem sie die Grundsätze des Wirtschaftlichkeitsgebots beachten müssen. Sie dürfen dabei auch aus Gründen der Vereinfachung und Praktikabilität Verallgemeinerungen in Form von Generalisierungen, Pauschalierungen oder Standardisierungen vornehmen. Die gerichtliche Prüfung beschränkt sich nach dem BSG darauf, ob die Zuständigkeits- und Verfahrensbestimmungen sowie die gesetzlichen Vorgaben nachvollziehbar und widerspruchsfrei Beachtung gefunden haben, um den Gestaltungsspielraum auszufüllen.

Im vorliegenden Fall hatten die Parteien der Fallpauschalenvereinbarung 2019 Ausnahmen vorgesehen, die im zu entscheidenden Fall einer Fallzusammenführung entgegenstehen (so bereits LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 07.04.2022 – L 5 KR 212/21 -). Unter Berücksichtigung des weiten Gestaltungsspielraums der Vertragsparteien begegnet dies auch nach Ansicht des BSG keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

Eine Ausnahme vom Grundsatz, dass die Wirtschaftlichkeit einer Entlassung und Wiederaufnahme im Einzelfall nicht zu überprüfen ist, gilt nach der neuen Rechtsprechung des BSG allein für Missbrauchsfälle. Ein solcher soll nach Ansicht der Richter in Kassel vorliegen, wenn für die Entlassung im konkreten Einzelfall überhaupt kein nachvollziehbarer sachlicher Grund ersichtlich ist und diese offensichtlich allein dazu dient, eine weitere Fallpauschale zu generieren.

Die Entscheidung ist aus Sicht der Krankenhäuser zu begrüßen und stärkt nach einigen kritisch zu bewerteten Entscheidungen des BSG zur Reichweite der gemeinsamen Selbstverwaltung im stationären Vergütungsbereich wieder die Position der Vertragspartner. Erfreulich ist auch, dass das BSG die klar Ablehnung der Rechtsfigur des fiktiven wirtschaftlichen Alternativverhaltens durch den Gesetzgeber klaglos umsetzt und sich nicht wie in anderen Entscheidungen zu einer Korrektur des Gesetzgebers hinreißen lässt. Es bleibt zu hoffen, dass das BSG diese Linie weiterverfolgt.

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Meinungen zu diesem Beitrag

  1. Dr. Florian Wölk am

    Sehr geehrter Herr Dr. Hambüchen,

    vielen Dank für Ihren Kommentar. Auch wir begrüßen die Tendenz der aktuellen Rechtsprechung des 1. Senates des BSG sehr und hoffen, dass sich diese durchsetzt. Dies wird aber abzuwarten bleiben. In den kommenden Monate stehen noch spannende Entscheidungen an, die zeigen werden, ob wir wieder zu einer ausgewogenen und interessengerechten Rechtsprechung zurückkommen, die insbesondere den Erfordernissen der Praxis gerecht wird. Eine „Rückkehr“ der Ihnen mitgeprägte damaligen Linie der Rechtsprechung des 3. Senates des BSG wäre von Seiten der Krankenhausseite sicher zu begrüßen.

    Die aktuellen Entscheidung sind dazu erste Hoffnungsschimmer.

    Mit freundlichen Grüßen

    Florian Wölk

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