Klinikreform :
Länder laufen Sturm gegen Lautersbachs Vorschlag

Von Christian Geinitz, Berlin
Lesezeit: 4 Min.
Neue Einteilung der Krankenhäuser geplant: Die Uniklinik in Frankfurt gehört zum „Level 3“.
Der Kompromiss des Gesundheitsministers sieht vor, dass zwei Drittel aller Krankenhäuser Grundversorger werden sollen. Die befürchtete Pleitewelle könnte gegen das Grundgesetz verstoßen.

In der bevorstehenden Krankenhausreform könnten nach Informationen der F.A.Z. fast zwei Drittel aller Kliniken Grundversorger im sogenannten Level 1 werden, 1111 von 1719 Standorten. Aber mehr als ein Viertel – 472 Häuser – sollen der Regel- und Schwerpunktversorgung dienen. Das ist mehr, als die Bundesländer, die Träger und die Krankenhausverbände befürchtet hatten. Diese Level 2 genannte Versorgungsstufe gilt als Rückgrat für die stationäre Behandlung.

Sie muss, gemäß vergleichbarer Qualitätsstandards im Personal und in der Ausstattung, zahlreiche „Leistungsgruppen“ anbieten: neben der Intensivmedizin auch je zwei internistische und chirurgische Gruppen sowie mindestens drei weitere. Oberhalb der Level-2-Einrichtungen rangieren nur noch Maximalversorger wie Unikliniken. Von diesen Level-3-Häusern sind 136 geplant, wie aus Verhandlungskreisen vor dem informellen Bund-Länder-Treffen zur Klinikreform am Dienstagabend in Berlin verlautete.

Bei dem Kamingespräch im Bundesgesundheitsministerium wollte Ressortchef Karl Lauterbach (SPD) mit seinen Länderkollegen über die strittigen Reformthemen beraten. Dazu gehört die Level-Einteilung, die viele Länder ablehnen. Sie sehen in der Kategorisierung einen Eingriff des Bundes in ihre Klinikplanung und fürchten, dass Patienten die niedrigeren Stufen als minderwertig ansehen und davor zurückschrecken könnten.

Kompromissvorschlag des Gesundheitsministers

Lauterbach ist den Ländern entgegengekommen, wie aus seinem jüngsten Eckpunktepapier zur Reform hervorgeht, das dieser Zeitung vorliegt. So dürfen sie bei den Leistungsgruppen mitentscheiden. Auch orientieren sich die neuen Planungen an einem Konzept aus Nordrhein-Westfalen sowie an den vorhandenen Notfallstufen des Gemeinsamen Bundesausschusses.

Der Minister besteht aber auf bundesweit gültigen Qualitätsvorgaben und auf der Leveleinteilung, um für die Patienten Transparenz herzustellen und eine einheitliche Versorgungsgüte zu garantieren. „Ohne Qualitätsverbesserung wird es keine Reform geben“, war in Berlin vor den Gesprächen zu hören.

Kleinere Häuser heißen künftig „Level 1i“ und „Level 1n“. Erstere stellen eine Grundversorgung mit integrierter ambulanter und stationärer Betreuung sicher, müssen sich aber nicht an der Notfallversorgung beteiligen. Die Anwesenheit von Ärzten ist nur tagsüber Pflicht, die Einrichtung kann von Pflegekräften geleitet werden. 1i-Häuser stellen künftig mit 689 Einrichtungen den Löwenanteil von 40 Prozent.

Verpflichtende Leistungsgruppe Intensivmedizin

Im „Level 1n“ mit 422 Standorten (25 Prozent) findet künftig ebenfalls eine Grundversorgung statt. Sie wird aber ergänzt von Angeboten der Notfallstufe I. Zudem ist die Leistungsgruppe Intensivmedizin verpflichtend, auch Allgemeine Innere Medizin und Allgemeine Chirurgie müssen vorgehalten werden.

Unterdessen schlägt die Wissenschaft Alarm, was die Überlebensfähigkeit der Krankenhäuser anbelangt. Wenn sich der Bund und die Länder nicht bald auf einen Rettungsweg für insolvenzgefährdete Häuser einigten, verstoße diese Untätigkeit gegen das Grundgesetz, heißt es in einem neuen Rechtsgutachten.

„Spätestens das Abwarten einer ,kalten Strukturbereinigung‘ verletzt die Berufsfreiheit beziehungsweise Unternehmerfreiheit von kirchlichen und privaten oder privat beherrschten Krankenhausträgern“, schreibt der Bochumer Rechtswissenschaftler Stefan Huster. „Staatliches Handeln zur Vermeidung einer Krankenhausinsolvenzwelle ist daher verfassungsrechtlich dringend geboten.“

Gleichheitsgerechter Zugang folgt aus dem Sozialstaatsprinzip

Auch aus dem Sozialstaatsprinzip ergebe sich das verfassungsrechtliche Gebot, die Pleitewelle abzuwenden. Denn die Vorgabe verlange „die Gewährleistung eines gleichheitsgerechten Zugangs der gesamten Bevölkerung zumindest zu einer das Existenzminimum wahrenden Krankenhausversorgung“. Das Gutachten ist im Auftrag der Deutschen Krankenhausgesellschaft DKG entstanden.

Deren Vorstandsvorsitzender, Gerald Gaß, forderte einen Ausgleich der inflationsbedingten Kosten: „Sonst wird nicht nur die verfassungsrechtlich gebotene unternehmerische Freiheit der Krankenhäuser verletzt, sondern auch die Sicherung der Patientenversorgung massiv gefährdet.“

Der Juraprofessor Huster argumentiert, die grundgesetzlich geschützte Berufsfreiheit garantiere zwar nicht den wirtschaftlichen Erfolg, wohl aber die Teilhabe am Wettbewerb. Man könne von den Krankenhausträgern eine vorausschauende wirtschaftliche Planung erwarten.

Finanzierungsminimum könnte unterschritten sein

Die Kumulation der vielen Krisen sei aber nicht voraussehbar gewesen, zumal den Betreibern „die im Wirtschaftsverkehr am nächsten liegende Lösung – die Vornahme von Preiserhöhungen – nicht offensteht“.

Deshalb spreche viel dafür, dass das aus der Berufsfreiheit abzuleitende Finanzierungsminimum inzwischen unterschritten werde. Die rechtlichen Regulierungen zur Vergütung könnten den Fortbestand der Häuser nicht länger gewährleisteten.

Das bringe es mit sich, dass „die Selbstkosten in der Gesamtschau unterschritten werden und sich die Situation dahingehend zugespitzt hat, dass das Erzielen von Gewinn von vorneherein ausgeschlossen ist“. Wie die Finanzierung konkret ausgestaltet gehöre, lege die Verfassung nicht fest, weshalb auch die Frage rechtlich unerheblich sei, woher die Unterfinanzierung rühre.