Krankenhausreform :
Weniger Kliniken, mehr Qualität?

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In Notfällen muss es schnell gehen. Trotzdem ist das nächste Krankenhaus nicht immer die beste Lösung.
Die Krankenhausreform soll durch eine größere Spezialisierung bessere Behandlungen bringen. Doch Kritiker fürchten um die Grundversorgung.

Vor den Bund-Länder-Gesprächen über die geplante Klinikreform warnt der hessische Caritasverband vor „wilden Einschnitten in die Krankenhauslandschaft“. Gerade in Ballungsräumen wie dem Rhein-Main-Gebiet gebe es aber zu viele Krankenhäuser, sagte Professor Max Geraedts, Direktor des Instituts für Versorgungsforschung und Klinische Epidemiologie an der Universität Marburg, im Gespräch mit der F.A.Z. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will am Dienstag mit seinen Länderkollegen über die Reformpläne diskutieren.

Das Vorhaben zielt darauf ab, komplexe Behandlungen an darauf spezialisierte Krankenhäusern zu konzentrieren, um die Qualität zu verbessern. Dies hatte eine vom Bundesgesundheitsministerium eingesetzte Expertenkommission im Dezember empfohlen.

Die Umsetzung der Experten-Vorschläge würde laut einer im Februar von der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) veröffentlichten Analyse bedeuten, dass gut die Hälfte aller Kardiologie-Patienten nicht mehr in ihrem bisherigen Krankenhaus behandelt werden könnten. In der Urologie wären es 47 und in der Neurologie 39 Prozent.

Der kürzeste Weg ist nicht immer der beste

Allerdings kann die Einlieferung in eine spezialisierte Einrichtung trotz längerer Anfahrtswege sogar bei Patienten in Lebensgefahr Vorteile bringen. Das zeigt eine Untersuchung von Geraedts’ Marburger Institut am Beispiel von Schlaganfallpatienten: „In Deutschland könnten jedes Jahr mehr als 6000 Todesfälle innerhalb des ersten Jahres nach einem Schlaganfall vermieden werden, wenn alle Patienten sofort in ein Krankenhaus gebracht würden, das über eine dafür spezialisierte Abteilung (Stroke Unit) verfügt – selbst wenn das einen etwas längeren Anfahrtsweg bedeutet“, sagt der Mediziner.

Der Grund: „Wenn sie in der erstbesten Klinik landen und dort nicht fachgerecht behandelt werden können, dauert die Verlegung eine halbe Ewigkeit.“ Letztlich gehe damit viel mehr kostbare Zeit verloren, als wenn der Rettungsdienst direkt ein etwas weiter entferntes Krankenhaus mit Stroke Unit angesteuert hätte, sagte Geraedts. „Das ist mit Hubschraubern praktisch überall in Deutschland binnen 40 Minuten zu erreichen.“

Ausnahmen für ländliche Regionen sind möglich

Nun ist das kein Trost etwa für Schwangere, die zwar keine Risikopatientinnen sind, sich aber eine Entbindungsstation in ihrer Nähe wünschen. Allerdings hat Gesundheitsminister Lauterbach die ursprünglichen Reformpläne in dieser Hinsicht bereits entschärft: Geburtshilfe soll auch an kleinen Krankenhäusern auf dem Land weiter angeboten werden dürfen. Auch sonst sollen Ausnahmen möglich sein von dem Grundsatz, dass Krankenhäuser der untersten Versorgungsstufe (als Level bezeichnet) auf komplexere Behandlungen verzichten müssen: „Vor allem in ländlichen Regionen sollen die Länder flexibler planen können und die Möglichkeit bekommen, Leistungsgruppen, die eigentlich nur in Krankenhäusern der Level II und III erlaubt werden, auch in kleineren Level-I-Krankenhäusern anzubieten“, teilte das Gesundheitsministerium im März mit.

Die Hessische Krankenhausgesellschaft (HKG) stört sich indes weiterhin daran, dass sich die Klassifizierung der Kliniken vor allem nach der Größe richte. „Wir haben mittelgroße Häuser, die sich beispielsweise auf die Behandlung eines ganz bestimmten Tumors spezialisiert haben und diese Eingriffe häufiger machen als so manche Uniklinik“, sagte HKG-Geschäftsführer Steffen Gramminger. Deshalb müsse von der Ergebnisqualität abhängig gemacht werden, welche Krankenhäuser künftig noch welche Leistungen abrechnen könnten. Kriterien wie die Verfügbarkeit bestimmter Geräte und Fachkräfte reichten nicht aus. Eine Qualitätsmessung sei freilich kompliziert, räumt Gramminger ein.

Mehr Transparenz gefordert

Der Vorsitzende der Geschäftsführung der Helios-Kliniken, Robert Möller, kritisiert in diesem Zusammenhang, viele Krankenhäuser wollten sich „nicht in ihre Behandlungsergebnisse reingucken lassen“. Die privaten Helios-Kliniken täten das. „Jeder Mensch, der sich dafür interessiert, wie zum Beispiel die Überlebensquote bei Langzeitbeatmung in jedem unserer Häuser ist, kann sich darüber zu jeder Zeit informieren, das gilt auch bei anderen Eingriffen“, sagte Möller. Zahlen dazu sind auf der Website des Unternehmens abrufbar.

Auf die sieben Helios-Kliniken in Hessen wird die Krankenhausreform nach Möllers Einschätzung keine einschneidenden Auswirkungen haben. Zwar betreibt das Unternehmen allein in Wiesbaden drei Kliniken und ein weiteres Krankenhaus im nahe gelegenen Idstein. Diese vier Häuser seien aber bereits auf unterschiedliche Angebote spezialisiert, man betrachte sie als „eine Versorgungsstruktur“, sagt der Manager. „Ein Beleg dafür ist, dass wir nur noch eine Leitung für alle vier Kliniken haben.“

In vielen Großstädten gibt es indes Krankenhäuser, deren Leistungen sich stark überlappen. „Mitunter herrscht dort ein ruinöser Wettbewerb“, räumte HKG-Geschäftsführer Gramminger ein. Nach seiner Auffassung sollten die betroffenen Krankenhäuser aber Zeit bekommen, um zu einer neuen Rollenverteilung zu finden. Der Marburger Wissenschaftler Geraedts dagegen hält Krankenhausschließungen für unumgänglich: „Derzeit sind laut Statistischem Bundesamt durchschnittlich 30 Prozent der Krankenhausbetten nicht ausgelastet. Das ist nicht nur ineffizient, sondern bindet zum Teil auch Personal, das in stark ausgelasteten Kliniken dringend benötigt würde.“

Mit Blick auf Kliniken im ländlichen Raum weist Geraedts darauf hin, dass es schon heute einen sogenannten Sicherstellungszuschlag gibt, um eine Grundversorgung aufrechtzuerhalten. Außerdem will das Bundesgesundheitsministerium im Zuge der Reform die Krankenhausfinanzierung neu aufstellen. Neben den bekannten Fallpauschalen sollen die Kliniken künftig auch Geld dafür erhalten, dass sie gewisse Behandlungskapazitäten bereithalten.

Die Caritas sieht abseits der finanziellen Fragen aber noch ein weiteres Problem: Sie fürchtet, dass kleine Krankenhäuser auf dem Land durch die geplante Einschränkung des Behandlungsspektrums nicht nur für Patienten, sondern auch für Ärzte an Attraktivität verlieren.