Große Summen, große Gier: Ein Augenarzt soll in der Corona-Pandemie die Gesundheitskarte von Begleitpersonen seiner Patienten eingelesen haben - unter dem Vorwand, Kontaktdaten zur Corona-Nachverfolgung zu erfassen. Nur: Er soll die Daten genutzt haben, um Behandlungen abzurechnen, die es nie gab. Das sei ein Beispiel für Abrechnungsbetrug, teilte die KKH Kaufmännische Krankenkasse am Mittwoch mit. Aber es summiert sich: Bewusste Falschabrechnungen verursachten bei der Kasse im vergangenen Jahr einen Schaden von mehr als einer Million Euro. Die KKH gehört mit mehr als 1,6 Millionen Versicherten bundesweit zu den größten gesetzlichen Krankenkassen.

Das Gesundheitswesen sei anfällig für Manipulation und Korruption, vor allem wegen der hohen Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung - von rund 289 Milliarden Euro allein im vergangenen Jahr, teilte die KKH mit. «Da scheint die Versuchung für die - wenn auch wenigen - schwarzen Schafe im Gesundheitswesen groß, sich unrechtmäßig hohe Summen abzuzweigen», sagte KKH-Chefermittlerin Dina Michels. Das geschehe mit gefälschten Rezepten, nicht erbrachten Vorsorgeuntersuchungen, gepanschten Arzneimitteln oder auch unqualifizierten Beschäftigten.

Michels nannte dies skrupellos, denn: «Zum einen fehlen die gesetzwidrig erschlichenen Gelder dem solidarischen Sozialsystem, beispielsweise für die Versorgung kranker Menschen. Zum anderen, und das wiegt noch schwerer, werden die Gesundheit und mitunter sogar das Leben von Versicherten aufs Spiel gesetzt, wenn zum Beispiel Pseudo-Pflegepersonal Ernährungssonden und Dauerkatheter setzt oder Insulin-Injektionen verabreicht.» Nach Angaben des Statistischen Bundesamts stiegen die gesamten Ausgaben im Gesundheitssektor im vergangenen Jahr geschätzt auf 498 Milliarden Euro - nach 466 Milliarden Euro ein Jahr zuvor.

2022 verursachten laut KKH Krankengymnasten- und Physiotherapiepraxen mit 428.800 Euro die höchste Schadenssumme bei der Krankenversicherung, gefolgt von Zahnärztinnen und Zahnärzten mit 122 900 Euro und Pflegeheimen mit 116.880 Euro. Ein Jahr zuvor war der KHH ein Schaden von 4,7 Millionen Euro durch Abrechnungsbetrug entstanden - so viel wie in keinem Jahr zuvor. 2020 hatte der Gesamtschaden bei dieser Kasse bei knapp 0,5 Millionen Euro und 2019 bei fast 1,0 Millionen Euro gelegen. Allerdings holte die Krankenkasse 2022 aus vergangenen Betrugsfällen auch mehr als 1,2 Millionen Euro zurück - damit wurde erstmals die Millionengrenze übertroffen.

Außerdem gab es im vergangenen Jahr bei der KKH 468 neue Hinweise auf Abrechnungsbetrug - und damit 100 mehr als noch 2021. Wie hoch der finanzielle Schaden sei, der sich aus diesen Hinweisen ergebe, müsse noch ermittelt werden, teilte die Krankenversicherung mit. Fest stehe aber, dass Pflegedienste mit 139 Fällen erneut den «traurigen Platz 1» belegten. Eine Verdoppelung gab es bei Krankengymnastik- und Physiotherapiepraxen - sie landeten mit 101 Fällen auf dem zweiten Rang, gefolgt von Pflegeheimen mit 77 Hinweisen. Die meisten Hinweise gab es in Nordrhein-Westfalen mit 137, gefolgt von Bayern (99), Niedersachsen (38) und Baden-Württemberg (33).

Entsprechende Schwerpunkt-Staatsanwaltschaften gebe es inzwischen in zwölf Bundesländern, sagte Michels: «Nur so kann ein engmaschiges Profi-Netzwerk geknüpft werden, das es Tätern erschwert, Schlupflöcher für ihre illegalen Machenschaften zu finden.»

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