S 32 KR 351/19

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
32
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 32 KR 351/19
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

  1. Apherese-Thrombozytenkonzentrate (ATK) und Pool-Thrombozytenkonzentrate (PTK) sind grundsätzlich gleichwertig im Sinne des Wirtschaftlichkeitsgebotes gemäß § 12 Abs. 1 SGB V. Es fehlt an prospektiv-randomisierten Studien, die eine Überlegenheit von ATK nachweisen.

 

  1. Gleichwohl kann sich im individuellen Einzelfall eine Überlegenheit von ATK gegenüber PTK ergeben. Im Rahmen dieser konkret-individuellen Prüfung sind Stellungnahmen von fachkundigen Stellen, wie dem Paul-Ehrlich-Institut, zu berücksichtigen.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.133,13 EUR nebst zwei Prozentpunkten Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 04.07.2017 zu zahlen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Kosten für eine stationäre Krankenhausbehandlung. Streitig ist dabei nur die Zahlung eines Zusatzentgeltes für die Transfusion von drei Apherese-Thrombozytenkonzentraten (ATK).

Der am 00.00.0000 geborene und bei der Beklagten gegen Krankheit L-I L (im Folgenden: Versicherter) wurde in der Zeit vom 11.11.2015 bis 30.11.2015 vollstationär im Krankenhaus der Klägerin behandelt. Die Aufnahme erfolgte als Notfallverlegung zur operativen Myokardrevaskularisation nach Nicht-ST-Streckenhebungs-Myokardinfarkt (NSTEMI). Es erfolgte eine operative Versorgung mit zweifach Bypass und der Anlage einer intraaortalen Ballonpumpe bei Linkherzversagen. Es wurde eine Herz-Lungen-Maschine eingesetzt. Im Rahmen des intensivmedizinischen Verlaufs erfolgte am 13.11.2015 die Transfusion von drei ATK. Bei dem Versicherten bestand ein Nierenversagen sowie eine akute Blutungsanämie.

Die Klägerin stellte der Beklagten für die stationäre Behandlung des Versicherten unter Zugrundelegung der DRG F36B und des Zusatzentgeltes ZE147.03 (Gabe von Apherese-Thrombozytenkonzentraten) am 03.12.2015 Kosten in Höhe von 59.600,48 EUR in Rechnung.

Die Beklagte beglich diese vollständig, leitete jedoch ein Prüfverfahren durch den Medizinischen Dienst (MD) ein. Dieser kam in seinem Gutachten vom 01.06.2016 durch Dr. H zu dem Ergebnis, dass die Gabe von ATK unwirtschaftlich und nicht notwendig gewesen sei. Die Versorgung mit Pool-Thrombozytenkonzentraten (PTK) wäre ausreichend gewesen.

Die Beklagte nahm unter Bezugnahme auf das Gutachten des MD mit Schreiben vom 30.06.2017 eine Aufrechnung in Höhe von 1.133,13 EUR gegen eine unstreitige Forderung der Klägerin aus der Behandlung ihres Versicherten E W (Rechnungsnummer 7216663) vor.

Dagegen richtet sich die am 18.02.2019 erhobene Klage. Die Klägerin meint, die Aufrechnung sei schon unzulässig aufgrund des in § 15 Abs. 4 des Landesvertrages vereinbarten Aufrechnungsverbotes. Jedenfalls aber bestehe ein Erstattungsanspruch der Beklagten aus dem Fall des Versicherten L nicht. Die Gabe von ATK sei nicht unwirtschaftlich. Es lägen keine gesicherten Daten vor, die belegen würden, dass ATK und PTK im operativ-herzchirurgischen Bereich gleich geeignet seien.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1.133,13 EUR nebst zwei Prozentpunkten Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 04.07.2017 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist auf die Ausführungen des MD.

Die Beklagte hat im Gerichtsverfahren erneut den MD mit einer Begutachtung des Falles beauftragt. In seinem Gutachten vom 06.08.2021 kommt der MD durch Dr. C zu dem Ergebnis, dass das Zusatzentgelt aus wirtschaftlichen Gründen weiterhin nicht nachvollziehbar sei. Der Therapieeffekt für ATK und PTK sei gleich. Bei chirurgischer Indikation seien PTK die wirtschaftlichere Alternative.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines nach Aktenlage erstellten ärztlichen Gutachtens der Sachverständigen Dr. B, Institut für Transplantationsdiagnostik und Zelltherapeutika des Universitätsklinikums E. Die Sachverständige kommt in ihrem Gutachten vom 16.08.2022 zu dem Ergebnis, dass für bestimmte Patientengruppen, z.B. HLA-immunisierte Patienten, eine absolute Indikation für ATK statt PTK bestehe, dies im Umkehrschluss aber weitere Anwendungsgebiete nicht ausschließe. Es obliege dem behandelnden Arzt und Operateur die Entscheidung, ob im individuellen Fall ATK oder PTK einzusetzen seien. Hierbei spielten insbesondere die Vorerkrankungen und –therapien, die Dringlichkeit und die damit einhergehende Verfügbarkeit eine Rolle. ATK seien aufgrund der geringen Spenderexposition bezüglich einer potentiellen Infektionsgefahr den PTK überlegen. Die Gewinnung der PTK aus dem Blut von vier bis sechs Spendern gegenüber nur einem Spender für die ATK sei ursächlich für die erhöhte Gefahr der Übertragung von unbekannten Infektionen. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf das Sachverständigengutachten Bezug genommen.

Das Gericht hat darüber hinaus vier Stellungnahmen des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) zum Gegenstand des Verfahrens gemacht.

In seiner Stellungnahme vom 27.06.2022 führt das PEI aus, bei welchen Patientenkollektiven im Sinne der Prävention einer Refraktärität bevorzugt ATK verwendet werde. Das PEI verweist auf Patienten, die ein höheres Risiko hätten, eine Immunantwort zu entwickeln. Dies betreffe chronisch-transfusionspflichtige Patienten und transfusionspflichtige Kinder. Auch bestimmte Vorerkrankungen, die aktuelle Blutbildsituation oder bereits stattgefundene Transfusionen oder Transplantationen könnten Gründe für eine vorsorgliche Gabe von ATK statt PTK darstellen. Die Auswahl des geeigneten Produktes für den einzelnen Patienten solle dem behandelnden Arzt im Rahmen einer differenzierten Nutzen-Risiko-Abwägung obliegen.

In einer weiteren Stellungnahme vom 07.12.2022 hat das PEI ausgeführt, dass die Gabe von ATK bei einem Herz-Thorax-chirurgischen Eingriff schon aufgrund des OP-Risikos indiziert sein könne. Patienten-eigene Risikofaktoren müssten nicht vorliegen, könnten aber zusätzlich eine Rolle spielen und müssten dementsprechend berücksichtigt werden.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Stellungnahmen des PEI Bezug genommen.

Die Klägerin hat daraufhin eine ärztliche Stellungnahme von Prof. H, Direktor der Klinik für Thorax- und Kardiovaskularchirurgie, eingereicht. Demnach habe der Versicherte bereits im Jahr 1992 mit Einsatz der Herzlungenmaschine bei einer Myokardrevaskularisation mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Transfusionen erhalten, sodass das PEI Kriterium der Vortransfusionen vorliege. Aufgrund der akuten Niereninsuffizienz sei außerdem von einem chronischen Transfusionsbedarf auszugehen gewesen.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung der Kammer durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten, die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten sowie die ebenfalls beigezogenen Patientenunterlagen zum Behandlungsfall des Versicherten verwiesen. Der Inhalt dieser Akten war Gegenstand der Entscheidung.

Entscheidungsgründe

Die Kammer konnte den Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden, da die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt haben.

Streitgegenstand ist vorliegend nicht die Kostenübernahme für die stationäre Behandlung des Versicherten L in der Zeit vom 11.11.2015 bis 30.11.2015, weil dieser Anspruch durch Erfüllung erloschen ist. Gegenstand der Klage ist vielmehr die Frage, ob der Beklagten aus diesem Behandlungsfall ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch zusteht, den sie im Wege der Aufrechnung geltend gemacht hat. Bei der zu Grunde liegenden unstreitigen Hauptforderung, gegen die aufgerechnet wurde, handelt es sich um eine Vergütung aus dem Behandlungsfall des Versicherten W. Um die Vergütung aus diesem Behandlungsfall bis zur Höhe der Klageforderung geht es vorliegend.

Die Klage ist zulässig und begründet.

Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG unmittelbar zulässig, denn es geht bei einer auf Zahlung von Behandlungskosten für Versicherte gerichteten Klage eines Krankenhauses gegen eine Krankenkasse um einen so genannten Parteienstreit im Gleichordnungsverhältnis, in dem eine Regelung durch Verwaltungsakt nicht in Betracht kommt. Ein Vorverfahren war mithin nicht durchzuführen; die Einhaltung einer Klagefrist war nicht geboten (st. Rspr., vgl. etwa Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 23.07.2002 – B 3 KR 64/01 R – juris).

Die Klage ist auch begründet.

Die Klägerin kann von der Beklagten die Zahlung von 1.133,13 EUR nebst Zinsen in Höhe von zwei Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 04.07.2017 verlangen.

Es ist zwischen den Beteiligten nicht streitig, dass der Klägerin aufgrund stationärer Behandlungen des Versicherten W zunächst ein Vergütungsanspruch entstanden ist. Eine nähere Prüfung dieses Vergütungsanspruchs erübrigt sich insoweit (vgl. zur Zulässigkeit dieses Vorgehens z.B. BSG, Urteil vom 30.07.2019 – B 1 KR 31/18 R – juris).

Dieser Vergütungsanspruch erlosch nicht dadurch, dass die Beklagte mit einem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch wegen Überzahlung der Vergütung für die Krankenhausbehandlung des Versicherten L analog § 387 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) die Aufrechnung erklärte. Schulden nach dieser Norm zwei Personen einander Leistungen, die ihrem Gegenstand nach gleichartig sind, so kann jeder Teil seine Forderung gegen die Forderung des anderen Teils aufrechnen, sobald er die ihm gebührende Leistung fordern und die ihm obliegende Leistung bewirken kann. Die Aufrechnung darf nicht ausgeschlossen sein und muss wirksam erklärt werden.

Die Aufrechnung wurde am 30.06.2017 wirksam erklärt. Die Aufrechnung ist außerdem nicht durch ein gesetzliches oder vertraglich vereinbartes Verbot ausgeschlossen. Ein solches ergibt sich insbesondere nicht aus § 15 Abs. 4 des nordrhein-westfälischen Landesvertrages über die allgemeinen Bedingungen der Krankenhausbehandlung nach § 112 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB V (Landesvertrag NRW). Denn dieses Aufrechnungsverbot ergibt sich für Behandlungsfälle aus dem Jahr 2015 nur bei sachlich-rechnerischer Richtigkeitsprüfung (vgl. BSG, Urteil vom 23.05.2017 – B 1 KR 24/16 R – juris). Zwar handelt es sich vorliegend um einen Behandlungsfall aus dem Jahr 2015. Es liegt aber keine sachlich-rechnerische Richtigkeitsprüfung vor, sondern eine Auffälligkeitsprüfung vor, d.h. eine Wirtschaftlichkeitsprüfung mit dem Ziel der Verminderung der Vergütung. Denn auch wenn der MD nach der Korrektheit der Kodierung gefragt wurde, was für eine sachlich-rechnerische Richtigkeitsprüfung spricht, liegt dieser Kodierung die Frage zugrunde, ob die Gabe von ATK notwendig und wirtschaftlich war.

Es bestand jedoch keine Aufrechnungslage. Der von der Beklagten geltend gemachte öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch (Gegenforderung), mit dem gegen eine Vergütungsforderung der Klägerin (Hauptforderung) aufgerechnet wurde, besteht nicht. Die Beklagte hat das hier nur streitige und durch die Klägerin in Rechnung gestellte Zusatzentgelt ZE147.03, angesteuert über den OPS 8-800.f2, in Höhe von 1.133,13 EUR nicht ohne Rechtsgrund geleistet.

Rechtsgrundlage für den Vergütungsanspruch eines zugelassenen Krankenhauses gegenüber einem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung ist nach ständiger Rechtsprechung des BSG, der sich die Kammer anschließt, § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V i.V.m. der Pflegesatzvereinbarung der Beteiligten. Der Behandlungspflicht des zugelassenen Krankenhauses nach § 109 Abs. 4 Satz 2 SGB V steht ein Vergütungsanspruch gegenüber, der nach Maßgabe des Krankenhausfinanzierungsgesetzes (KHG), des Krankenhausentgeltgesetzes (KHEntgG) und der Bundespflegesatzverordnung festgelegt wird (vgl. BSG, Urteil vom 25.11.2010 – B 3 KR 4/10 R –; BSG, Urteil vom 29.04.2010 – B 3 KR 11/09 R – jeweils juris). Die Zahlungsverpflichtung der Krankenkasse entsteht dabei unabhängig von einer Kostenzusage unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistung durch einen Versicherten. Der Vergütungsanspruch für die Krankenhausbehandlung eines gesetzlich Krankenversicherten und damit korrespondierend die Zahlungspflicht einer Krankenkasse entsteht - unabhängig von einer Kostenzusage - unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten kraft Gesetzes, wenn die Versorgung in einem zugelassenen Krankenhaus erfolgt und im Sinne § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V erforderlich und wirtschaftlich ist (ständige Rechtsprechung, z.B. BSG, Urteil vom 17.12.2019 – B 1 KR 19/19 – juris).

Bei dem Versicherten lagen bei Aufnahme in das nach § 108 Nr. 2 SGB V zugelassene Krankenhaus der Klägerin die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Krankenhausbehandlung vor. Während des gesamten genannten Zeitraums war er krankenhausbehandlungsbedürftig im Sinne von § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V. Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig.

Der Klägerin steht auch ein Anspruch auf die Vergütung des Zusatzentgeltes ZE147.03 zu. Dieses war abrechnungsfähig.

Die Vergütung für die Krankenhausbehandlung des Versicherten bemisst sich nach vertraglichen Fallpauschalen auf gesetzlicher Grundlage. Die Fallpauschalenvergütung ergibt sich aus § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V und § 17b KHG und wird auf Bundesebene durch Normsetzungsverträge konkretisiert. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und der Verband der privaten Krankenversicherung vereinbaren gemeinsam mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft mit Wirkung für die Vertragsparteien nach § 11 KHEntgG einen Fallpauschalenkatalog einschließlich der Bewertungsrelationen sowie Regelungen zur Grenzverweildauer und der in Abhängigkeit von diesen zusätzlich zu zahlenden Entgelten oder vorzunehmende Abschläge. Ferner vereinbaren sie insoweit Abrechnungsbestimmungen in den Fallpauschalenvereinbarungen auf Grundlage des § 9 Abs.1 Satz 1 Nr. 3 KHEntgG.

Der Anspruch auf Zahlung eines in einer Fallpauschalenvereinbarung vereinbarten Zusatzentgeltes setzt zum einen voraus, dass der Tatbestand des entsprechenden Zusatzentgeltes erfüllt ist. Darüber hinaus muss die Krankenhausbehandlung, für deren Vergütung das Zusatzentgelt gezahlt werden soll, nach Maßgabe der hierfür geltenden Vorschriften und Rechtsgrundsätze erforderlich sein. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

Der Tatbestand des Zusatzentgeltes ZE147.03 (Fallpauschalenkatalog Version 2015) ist erfüllt. Es sind unstreitig am 13.11.2015 drei ATK transfundiert worden. Darüber hinaus war die Gabe von drei ATK auch medizinisch erforderlich und entsprach dem Wirtschaftlichkeitsgebot gem. § 12 SGB V.

Aus dem Wirtschaftlichkeitsgebot folgt, dass ein Krankenhaus nur Anspruch auf die Vergütung einer wirtschaftlichen Krankenhausbehandlung hat. Die Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots verlangt, dass bei Existenz verschiedener gleich zweckmäßiger und notwendiger Behandlungsmöglichkeiten die Kosten für den gleichen zu erwartenden Erfolg geringer oder zumindest nicht höher sind. Das Wirtschaftlichkeitsgebot gilt uneingeschränkt auch im Leistungserbringungsrecht. Ein Krankenhaus hat stets, auch bei der Vergütung der Krankenhausbehandlung durch Fallpauschalen, einen Vergütungsanspruch gegen einen Träger der gesetzlichen Krankenversicherung nur für eine erforderliche, wirtschaftliche Krankenhausbehandlung. Nur jene Leistung ist wirtschaftlich, bei der das günstigste Verhältnis zwischen Aufwand und Wirkung besteht. Beide Gesichtspunkte sind in einem Kosten-Nutzen-Vergleich gegeneinander abzuwägen, wobei auf der Nutzenseite Art, Dauer und Nachhaltigkeit des Heilerfolgs einbezogen werden müssen. Sind die Leistungen als gleichwertig anzusehen, weil sie voraussichtlich gleich geeignet sind und mit gleicher Wahrscheinlichkeit den gleichen Behandlungserfolg bringen werden, ist die kostengünstigere zu wählen (BSG, Urteil vom 28.03.2017 – B 1 KR 29/16 R –; BSG, Urteil vom 10.03.2015 – B 1 KR 2/15 R –, jeweils juris; Roters in: Kasseler Kommentar, 118. EL März 2022, SGB V, § 12, Rn. 41).

Für die Kammer steht fest, dass ATK und PTK grundsätzlich gleichwertig im Sinne des Wirtschaftlichkeitsgebotes sind und kein genereller Vorrang zugunsten von ATK besteht. Es gibt keine prospektiv-randomisierten Studien zu einer gleichwertigen oder unterschiedlichen therapeutischen Wirksamkeit von ATK und PTK. Das PEI, das für die Aufbereitung und Einschätzung von Risiken der Blutprodukte ATK und PTK zuständig ist, hat in seiner Stellungnahme vom 27.06.2022 ausgeführt, dass das Sicherheitsprofil von beiden Präparaten-Gruppen prinzipiell vergleichbar ist. Der Arbeitskreis Blut, ein Expertengremium nach § 24 Transfusionsgesetz, das die zuständigen Behörden des Bundes und der Länder in Fragen der Sicherheit bei der Gewinnung und Anwendung von Blut und Blutprodukten berät, kommt in einer 2015 veröffentlichten Stellungnahme zu dem Ergebnis, dass beide Produkte als wirksam und sicher anzusehen sind (Bewertung von Apherese- und Pool-Thrombozytenkonzentraten, Bundesgesundheitsblatt 2015, S. 1126-1128, DOI 10.1007/s00103-015-2230-6). Auch die Sachverständige führt in ihrem Gutachten vom 16.08.2022 aus, dass es für PTK an Nichtunterlegenheitsstudien fehle und es keine ausreichende Evidenzlage gebe. Sie kommt sodann jedoch – für die Kammer nicht nachvollziehbar – zu dem Ergebnis, dass es sich bei ATK um den Goldstandard der Versorgung handele. Wenn es jedoch an Studien fehlt, die eine Überlegenheit von ATK bzw. eine Unterlegenheit von PTK beweisen, muss angenommen werden, dass ATK und PTK nach den derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnissen grundsätzlich gleichwertig sind und es sich bei ATK nicht um einen sogenannten Goldstandard handelt.

Gleichwohl kann sich im individuellen Einzelfall eine Überlegenheit von ATK gegenüber PTK ergeben. Das PEI hat in seiner Stellungnahme vom 07.12.2022 darauf hingewiesen, dass zwischen ATK und PTK Unterschiede aufgrund der Herstellungsweise im Hinblick auf die potentielle Generierung und/oder Verstärkung einer Immunantwort beim Patienten bestünden. Von daher sei die Möglichkeit einer Entstehung einer sog. Refraktärität bei der Gabe von PTK erhöht, weil diese nicht aus dem Blut eines einzelnen, sondern dem Blut von vier bis sechs Spendern gewonnen werden. Daher bestünden bestimmte Patientenkollektive, bei denen ATK verwendet werden sollten. Sowohl das PEI als auch der Arbeitskreis Blut weisen darüber hinaus darauf hin, dass es dem behandelnden Arzt im Rahmen einer differenzierten Nutzen-Risiko-Abwägung und im Rahmen seiner Therapieverantwortung obliege, das geeignete Produkt, d.h. ATK oder PTK, auszuwählen. Diese ärztliche Entscheidung ist auch gerichtlich voll überprüfbar. Es ist dabei von dem im Behandlungszeitpunkt verfügbaren Wissens- und Kenntnisstand des verantwortlichen Krankenhausarztes auszugehen.

Dies zugrunde gelegt steht für die Kammer nach einer konkret-individuellen Prüfung des vorliegenden Einzelfalles fest, dass die Gabe von ATK im Falle der Versicherten aufgrund der patientenindividuellen Verhältnisse medizinisch notwendig und damit auch wirtschaftlich war.

Zu diesem Ergebnis kommt die Kammer zum einen aufgrund der Stellungnahme des PEI vom 07.12.2022. Das PEI hat darin ausgeführt, dass es sich bei Herz-Thorax-chirurgischen Eingriffen meist um langwierige und komplizierte Operationen – oft unter dem Einsatz einer Herz-Lungen-Maschine – handele, und von daher grundsätzlich mit einem sehr hohen Risiko für erhöhten Blutverlust und der Notwendigkeit, diesen durch mehrere Transfusionen kompensieren zu müssen, versehen sei. Die Gabe von ATK bei einem Herz-Thorax-chirurgischen Eingriff könne daher schon aufgrund des OP-Risikos indiziert sein. Patienten-eigene Risikofaktoren müssten nicht vorliegen, könnten aber zusätzlich eine Rolle spielen und müssten dementsprechend berücksichtigt werden.

Bei dem Versicherten wurde ein Herz-Thorax-chirurgischer Eingriff unter Einsatz einer Herz-Lungen-Maschine vorgenommen. Der Versicherte wurde als Notfallverlegung im Krankenhaus der Klägerin eingewiesen; noch am Aufnahmeabend erfolgte der operative, herzchirurgische Eingriff. Bei dem Versicherten traten nach der Operation Komplikationen, unter anderem im Form von akutem Nierenversagen, auf. Es bestand außerdem eine akute Blutungsanämie. Zur Vorbeugung einer Refraktärität war aus Sicht der Kammer daher schon aus diesen Gründen die Gabe von ATK anstelle von PTK medizinisch notwendig.

Der behandelnde Arzt ist außerdem davon ausgegangen, dass bei dem Versicherten bereits Vortransfusionen stattgefunden haben. Jedenfalls ist bereits 1992 mit Einsatz einer Herz-Lungen-Maschine eine Bypass-Operation durchgeführt worden. Der behandelnde Arzt ist aufgrund der akuten Niereninsuffizienz – für die Kammer nachvollziehbar – von einem chronischen Transfusionsbedarf ausgegangen. Sowohl die Vortransfusionen als auch der chronische Transfusionsbedarf begründen die Notwendigkeit der Gabe von ATK im hier vorliegenden Einzelfall.

Dass die Gabe von ATK im Fall des Versicherten medizinisch notwendig und damit wirtschaftlich war, schließt die Kammer außerdem aus dem Gutachten der Sachverständigen. Diese verweist aus Sicht der Kammer zunächst – ebenso wie das PEI – nachvollziehbar darauf, dass dem behandelnden Arzt und Operateur die Entscheidung obliege, ob im individuellen Fall ATK oder PTK einzusetzen seien. Hierbei würden insbesondere Vorerkrankungen und –therapien, die Dringlichkeit und die damit einhergehende Verfügbarkeit eine Rolle spielen. Insoweit stützen die Ausführungen der Sachverständigen die Stellungnahmen des PEI. Darüber hinaus verweist die Sachverständige auch auf die – wenn auch nur theoretische – erhöhte Spenderexposition durch die Gabe von ATK. Die Gewinnung der PTK aus dem Blut von vier bis sechs Spendern gegenüber nur einem Spender für die ATK sei ursächlich für die erhöhte Gefahr der Übertragung von unbekannten Infektionen. Aus Sicht der Kammer kann dieses – bisher nur theoretisch begründete – erhöhe Infektionsrisiko jedenfalls neben patientenindividuellen Verhältnissen ein Argument für die medizinische Notwendigkeit der Gabe von ATK darstellen. Da der Versicherte zum Zeitpunkt der Erkrankung bereits 80 Jahre alt war, unter Vorerkrankungen litt und bei ihm ein herzchirurgischer Eingriff unter Einsatz einer Herz-Lungen-Maschine vorgenommen wurde, ist die Kammer der Überzeugung, dass die Gabe von ATK daher auch medizinisch notwendig war, um ein – wenn auch nur theoretisches Infektionsrisiko – bei dem multimorbiden Versicherten so gering wie möglich zu halten.

Der Klägerin steht auch der geltend gemachte Zinsanspruch als akzessorischer Nebenanspruch zur bestehenden Hauptforderung gemäß entsprechender Anwendung des § 15 Abs. 1 Satz 4 Landesvertrag NRW i.V.m. § 286 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 3 BGB analog in Höhe von zwei Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz jedenfalls ab dem 04.07.2017 zu. Die Beklagte hat durch die Aufrechnung mit Schreiben vom 30.06.2017 die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung.

Rechtskraft
Aus
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