Ärztetag gegen Gematik als staatliche Gesundheitsagentur

Der Ärztetag zeigt sich insgesamt unzufrieden mit der Digitalisierung des Gesundheitswesens und fordert unter anderem mehr Mitsprache und Praxistauglichkeit.

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127. Deutscher Ärztetag

(Bild: Bundesärztekammer)

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Der Ärztetag stimmt gegen die Entscheidung des Bundesgesundheitsministerium (BMG), die für die Digitalisierung zuständige Gematik vollständig zu verstaatlichen. Damit würde die Digitalstrategie des BMG "konterkariert". Sie fordert vom BMG, die Kostenträger- und Leistungserbringer-Organisationen weiterhin als Gesellschafter der Gematik "an den Prozessen teilhaben zu lassen". Mit einem Anteil von 51 Prozent hatte das BMG bisher den Mehrheitsanteil an der Gematik, "eine komplette Verstaatlichung" sei daher unnötig und würde "die Anwender der digitalen Prozesse im Gesundheitswesens" komplett ausschließen.

Den Delegierten des Ärztetags zufolge werde die "Umsetzung der avisierten partizipativen und am Wohle von Patientinnen und Patienten orientierten Digitalisierungsstrategie [...] ohne adäquate Mitwirkungs- und Entscheidungsrechte für die Bundesärztekammer" scheitern. Zudem stimmten die Ärzte für eine Stärkung der Selbstverwaltung, die Politik solle lediglich Rahmenvorgaben machen.

Laut Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach sei die Entscheidung, die Gematik zur nationalen Gesundheitsagentur zu machen, damals einvernehmlich erfolgt. Das äußerte er im April während einer Sitzung im Digitalausschuss. Doch schon zu dem Zeitpunkt hatten sich verschiedene Gesellschafter wie der Spitzenverband der gesellschaftlichen Krankenkassen überrascht über die Entscheidung gezeigt. Ebenfalls als ungerecht empfand der GKV-Spitzenverband, weiterhin einen erheblichen Teil – 93 Prozent – der Finanzierung der Gematik übernehmen zu müssen.

Insgesamt scheinen die Ärzte unzufrieden mit dem derzeit fehlenden Mehrwert der Digitalisierung des Gesundheitswesens. Bloße Ankündigen würden nicht ausreichen. Zudem sollten Fristen realistisch gesetzt werden. Das geht auch aus verschiedenen Beschlüssen des Ärztetags hervor. Deutschland sei in Europa Schlusslicht bei der Digitalisierung. "Sinnvolle Anwendungen wie der Notfalldatensatz (NFD), die elektronische Patientenakte (ePA), elektronische Medikationspläne und das Elektronische Rezept (E-Rezept) sind trotz mehrjähriger Einführungsphasen weiterhin weit von einer breiten Nutzung durch Ärztinnen und Ärzte entfernt".

Meist seien sie nicht vorhanden oder die Anwendungen seien schlecht verwirklicht – "mit völlig unzureichender Usability" – oder würden aktiv "durch kaum umsetzbare Auslegungen des europäischen Rechtsrahmens durch nationale Datenschutzbehörden" ausgebremst. Die Hersteller der Produkte sollen daher zu einer besseren Usability für die Anwender verpflichtet werden. Ebenso sollen Software-Hersteller gesetzlich zu IT-Standards verpflichtet werden, damit Abläufe in der Praxis entbürokratisiert werden und so etwa doppelte Dateneingaben obsolet machen. In Krankenhaus- und Praxisverwaltungssystemen seien die Standards so umzusetzen, dass beispielsweise Abläufe digital automatisiert sind und Daten innerhalb eines Systems nicht erneut eingegeben werden müssen und Subsysteme Schnittstellen einsetzen können.

Helfen soll auch die elektronische Identität (eID) "als Alternative zur elektronischen Gesundheitskarte" (eGK). Die aktuelle Umsetzung mit "wiederholten Abfragen der Login-Information" über den elektronischen Personalausweis oder der eGK mit PIN würde die Akzeptanz jedoch reduzieren. Daher seien Single-Sign-on-Möglichkeiten und biometrische Verfahren zur Anmeldung wichtig. Nach entsprechender Aufklärung sollen den Delegierten des Ärztetags zufolge Versicherte "eigenverantwortlich und nach individueller Abwägung" selbst über Verfahren mit niedrigerem Datenschutzniveau entscheiden dürfen.

Die Versicherten müssten zudem von den Krankenkassen – "die durch das enorme Einsparpotenzial beim Einsatz der TI profitieren" – über die digitalen Anwendungen aufgeklärt werden. Dazu sei eine "breite Öffentlichkeitskampagne" erforderlich. Bisher wüsste ein Großteil der Bevölkerung nichts über die Anwendungen der Telematikinfrastruktur (TI) – die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU), das E-Rezept, das NFD, der elektronischen Medikationsplan (eMP) und die ePA. Wichtig sei auch, dass mögliche Einschränkungen vulnerabler Gruppen beim Einsatz digitaler Anwendungen stärker mitgedacht werden.

Gerade ältere und multimorbide Menschen mit kognitiven Störungen seien damit überfordert. Ärzte hätten keine Zeit, den Patienten bei der Nutzung zu helfen. Zudem würden nicht alle Menschen über Smartphones, Tablets oder Computer verfügen oder sie "im erforderlichen Maße" nutzen können. Schon jetzt sei ein erhöhter "Beratungs- und Unterstützungsbedarf spürbar". Selbst bei digital affinen Patienten sei die Aufklärung zur ePA "sehr zeitaufwendig". Daher sollten "die hauptsächlichen Profiteure" ihren Versicherten Informationsmaterial und Schulungen anbieten.

Zudem soll auch der Vorstand der Bundesärztekammer den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) rechtlich prüfen und dazu eine Stellungnahme verfassen. Eine Stellungnahme des Deutschen Ethikrats hatte es dazu bereits gegeben. Für die Sicherheit der Patienten müssten ähnliche Aussagen getroffen werden wie bei der Zulassung von Medizinprodukten oder Arzneimitteln. Sie fordern daher eine gesetzliche Regelung, nach der für die verschiedenen "KI-Produkte" jeweils die Wirksamkeit bewiesen werden müsse. Ebenfalls müsse geprüft werden, wer anschließend haftet.

"Wir brauchen Antworten auf die Frage, wie wir digitale Anwendungen und künstliche Intelligenz im Sinne arztunterstützender Anwendungen wirklich praxistauglich und sicher für die Patientenversorgung machen können", sagte auch Bundesärztekammer-Präsident Klaus Reinhardt zur Eröffnung des Deutschen Ärztetags.

(mack)