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Klinikreform

Ein Jahr nach schmerzhaftem OSK–Beschluss hält die Krise an

Ravensburg / Lesedauer: 5 min

Vor genau einem Jahr fällte der Ravensburger Kreistag eine schmerzhafte Entscheidung. Doch ist die OSK dadurch dauerhaft gerettet?
Veröffentlicht:30.05.2023, 19:00

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Wann ist ein politischer Beschluss historisch? In der Regel, wenn er eine Art Zeitenwende einläutet. So gesehen war die Entscheidung des Ravensburger Kreistages zur Strukturreform der Oberschwabenklinik (OSK) vor genau einem Jahr zwar einschneidend, aber weder der Anfang noch wahrscheinlich das Ende eines Transformationsprozesses im Gesundheitswesen. Ein Rückblick und Ausblick.

Die Zeiten, in denen kommunale Krankenhäuser oder Klinikverbünde schwarze Zahlen schrieben, sind in den meisten Gegenden schon lange vorbei. Im Kreis Ravensburg begann die Krise im öffentlichen Gesundheitswesen schon recht früh. Die Ökonomisierung der Krankenhäuser im Fallpauschalensystem ab 2003/2004 führte dazu, dass Einnahmen nicht im gleichen Maße wuchsen wie die Ausgaben. Da Kliniken ihre Preise nicht selbst bestimmen, sondern mit den Krankenkassen aushandeln müssen, der Gesetzgeber — egal, welche Bundesregierung gerade am Ruder war — aber ein Interesse an stabilen Krankenkassenbeiträgen hatte, klaffte die Schere zwischen Kosten und Einnahmen immer weiter auseinander.

Geraune um Insolvenz im Jahr 2012

In den Jahren 2011/12 wurde das ersichtlich, als ein erschreckend hohes Defizit von 12 Millionen Euro im Raum stand, das der Kreistag nicht wie sonst achselzuckend aus der Portokasse begleichen wollte. Wenn nichts geschehen würde, drohte sogar die Insolvenz des kommunalen Klinikverbundes, der zu dem Zeitpunkt zu 95 Prozent dem Landkreis und zu 5 Prozent der Stadt Ravensburg gehörte. Allein der OSK–Standort Isny machte zu dem Zeitpunkt 2,5 Millionen Euro Miese pro Jahr. Ein Krankenhaus mit gerade mal 19 Betten. Im November 2012 erging daher der erste „historische“ Beschluss, wenn man an dem Begriff festhalten möchte: Die Standorte Leutkirch und Isny sollten geschlossen, das Krankenhaus Wangen dafür als einzig verbleibender Allgäu–Standort gestärkt werden.

Wenn auch nicht sofort. Die Stadt Isny zog einen alten Vertrag aus der Tasche, demzufolge das Krankenhaus ihrer Meinung nach Bestandsschutz genösse, und beklagte den Kreistagsbeschluss durch mehrere Instanzen. Das verhinderte die Schließung am Ende nicht, verzögerte sie aber bis 2014. Gleichzeitig wurde dem geschrumpften Klinikverbund, der noch aus dem Ravensburger Elisabethen–Krankenhaus, dem Westallgäuklinikum Wangen, dem Krankenhaus Bad Waldsee und dem Heilig–Geist–Spital, einer Fachklinik für geriatrische Rehabilitation, bestand, ein strenger Sparkurs verordnet. Nicht–medizinisches Personal verzichtete einige Jahre lang auf fünf Prozent Gehalt, Ärzte arbeiteten länger.

Pandemie verschärft Fachkräftemangel

Ein paar Jahre lang sah es so aus, als würden sich die Finanzen konsolidieren lassen, bis dann 2021 der nächste Schock kam. Wieder stand ein zweistelliges Millionen–Defizit im Raum, zusätzlich belastete die Corona–Pandemie das Personal und die Einnahmen–Situation, und wegen des Fachkräftemangels konnten viele Betten im Elisabethen–Krankenhaus mit seiner hochklassigen Medizin nicht betrieben werden. Bis zu 200 der 542 Planbetten standen dort leer. Ohne Patienten keine Einnahmen.

Die damalige Geschäftsführung entwickelte die Idee zu einer Strukturreform, die jedoch wie neun Jahre zuvor in Leutkirch und Isny wieder für große Unruhe in der Bevölkerung sorgte, diesmal in Bad Waldsee und Wangen: Beide Gebäude, über 100 Jahre alt, könnten ohnehin nicht saniert oder neu gebaut werden, argumentierten OSK und Landkreis. Bad Waldsee sollte daher geopfert werden, Wangen zur Fachklinik für Chirurgie und Orthopädie umfunktioniert. Das hätte aber gleichzeitig den Verlust von Geburtsabteilung beziehungsweise Gynäkologie und Notaufnahme bedeutet. Untermauert wurde die Idee später von einem unabhängigen Gutachter, den der Kreistag eigens beauftragte, um für mehr Akzeptanz zu sorgen.

Bürger auf den Barrikaden

In den Monaten vor der Entscheidung bildeten sich Bürgerinitiativen, deren Mitglieder für die jeweiligen Standorte kämpften, sei es bei Demos oder in Leserbriefspalten. Auch die Fraktionen im Kreistag waren sich uneins. Vor allem der SPD–Fraktionsvorsitzende Rudolf Bindig aus Weingarten machte sich für den Standort Bad Waldsee stark — was andere wiederum für populistisch hielten.

Unter dem Eindruck der Proteste bekamen dann auch die Verantwortlichen kalte Füße: Die Beschlussvorlage des Landratsamtes für die Sitzung am 31. Mai in Schlier–Wetzisreute wich in einigen Punkten vom ursprünglichen Plan ab. Zwar entschied sich der Kreistag dafür, Bad Waldsee zu schließen, aber frühestens zum 30. September 2023 und nur unter der Bedingung, dass dort eine ambulante Versorgung in einem Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) als Ersatz für das Akutkrankenhaus gewährleistet werden kann. Zudem bekamen Geburtshilfe, Notfallaufnahme und Unfallchirurgie in Wangen eine Bewährungsfrist von zwei Jahren, in denen gewisse Parameter, etwa eine Mindestanzahl von Geburten, erfüllt werden müssen.

Finanzloch kann dieses Jahr nicht gestopft werden

Mit der Umstrukturierung erhofften sich OSK und Landkreis eine Eindämmung der explodierenden Kosten. Bislang sieht es aber noch nicht danach aus, als hätte die radikale Operation den Patienten gerettet. In diesem Jahr steht ein Minus von 28 Millionen Euro im Raum — eine Summe, die alles Dagewesene in den Schatten stellt. Davon will der Landkreis — auch das gab’s vorher noch nie — nur zehn Millionen Euro im Jahr 2023 ausgleichen, den Rest erst im kommenden Jahr. Grund: Würde die Kreisumlage unterjährig erhöht, würde das viele der 39 Städte und Gemeinden vor große Probleme stellen, die dann auch wiederum ihre laufenden Etats über den Haufen schmeißen müssten.

Doch der Aufschub ist betriebswirtschaftlich heikel. Denn so sicher wie das Amen in der Kirche wird 2024 ein neuer Fehlbetrag hinzukommen. Die Hoffnung hinter dem ungewöhnlichen Vorgehen: Das Defizit der OSK könnte unter anderem wegen der dann vollzogenen Schließung des Standorts Bad Waldsee geringer ausfallen. Zudem bleibt den Kommunen so etwas Zeit, sich auf eine deutlich höhere Kreisumlage einzustellen und diese in ihre Haushalte für das kommende Jahr einzupreisen.

Privatisierung als letzter Ausweg

Sollte sich das jedoch als Trugschluss erweisen, bleibt am Ende vermutlich nur ein Weg, den Nachbarkreise wie Biberach schon vor Jahren beschritten haben: Der Kreis verkauft die OSK an einen privaten Klinikkonzern, der dann vermutlich nur das profitable Elisabethen–Krankenhaus weiter betreibt. Das wäre dann eine wirklich historische Entscheidung.