Hände eines Arztes greifen nach Geldbündeln
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Milliardenschäden im Gesundheitssystem - Wie Gauner Kasse machen (Symbolbild)

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Milliardenschäden im Gesundheitssystem - Wie Gauner Kasse machen

Zwischen 16 und 18 Milliarden Euro – so hoch ist Schätzungen zufolge der Schaden, der den gesetzlichen Krankenkassen durch Betrug und Korruption jedes Jahr entsteht. Experten fordern mehr Aufmerksamkeit für das Thema.

Über dieses Thema berichtet: report MÜNCHEN am .

Felix Wallström vom Roten Kreuz in Kitzingen in Unterfranken erinnert sich noch genau an diesen Einsatz im vergangenen Herbst. Mit seinen Kollegen wurde er zu einer Pflegeeinrichtung für Senioren gerufen. Die Zustände dort – schockierend. Er ist noch heute überzeugt: Ohne das Eingreifen des Roten Kreuzes wäre es zu "Gesundheitsschäden, vielleicht bis hin zum Tod gekommen."

Schockierende Zustände

Mehrere Senioren muss das Rote Kreuz in stationäre Einrichtungen bringen. Den bedrohlichen Zustand einiger Bewohner belegen Unterlagen, die dem SWR und dem ARD-Politikmagazin report München vorliegen.

Die Behörden werfen den Betreibern gefährliche Körperverletzung und Betrug vor. Denn sie ließen die Senioren den Ermittlern zufolge verwahrlosen, rechneten aber eine Top-Pflege ab. Auch Leistungen, die sie nicht erbracht haben. Insgesamt sollen sie so fast fünf Millionen Euro erbeutet haben. Und einen luxuriösen Lebensstil finanziert haben.

Die Ermittlungen leitet eine Schwerpunktstaatsanwaltschaft in Nürnberg. 14 Staatsanwälte kümmern sich ausschließlich um Abrechnungsbetrug, also korrupte Ärzte, Pfleger und Apotheker. Für den Leiter der Abteilung, Oberstaatsanwalt Findl, kein ungewöhnlicher Fall. Es sei einfach "unglaublich viel Geld" im System, das viele Möglichkeiten eröffne, "sich zu bereichern".

Ausmaß unbekannt

Seit Jahren fordert er mehr Aufmerksamkeit für das Thema. Denn bis zu geschätzte 18 Milliarden Euro gehen den gesetzlichen Krankenkassen pro Jahr durch Betrug verloren. Wie groß die Summe genau ist, lässt sich in Deutschland jedenfalls nicht sagen. Anders als etwa in Großbritannien gibt es hierzulande keine sogenannte Dunkelfeldstudie. Sie würde mit wissenschaftlichen Methoden ermitteln, wie viele Taten unentdeckt bleiben – und so das Ausmaß des Betrugs enthüllen. Experten wie Oberstaatsanwalt Findl fordern sie seit Jahren.

Auf Anfrage von report München verweist das Bundesgesundheitsministerium bezüglich dieser Dunkelfeldstudie an das Bundesjustizministerium. Dort wiederum heißt es: Man stehe dazu in Austausch mit dem Gesundheitsministerium.

Gernot Kiefer vom Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen fordert die Bundesregierung auf, den Betrug im Gesundheitswesen ernster zu nehmen. Man könne sich diese "Langsamkeit in der Problemwahrnehmung und Problembekämpfung" nicht mehr leisten. Denn die Krankenkassen stünden unter Finanzdruck. Jeder Euro, der in dunkle Kanäle laufe, täte in dieser Situation besonders weh.

Milliardenverluste für Krankenkassen

Tatsächlich müssen die Krankenkassen im kommenden Jahr ihre Beiträge wohl erneut erhöhen. Mitte 2022 schätzte das Bundesgesundheitsministerium das Finanzloch der gesetzlichen Krankenkassen auf 17 Milliarden Euro – das entspricht in etwa dem Volumen, das den Kassen durch Betrug jährlich verloren geht.

Die größte Herausforderung für die Ermittler: Patienten merken oft gar nicht, wenn betrogen wird. Denn was passiere, nachdem eine Arzthelferin eine Karte eingelesen hat, sehe der Versicherte nicht, so Richard Findl von der Generalstaatsanwaltschaft in Nürnberg.

Um mehr schwarze Schafe zu entdecken, hat er mit seinem Team ein anonymes Hinweisgebersystem eingerichtet. Die Staatsanwälte können Nachfragen stellen und so Hintergründe zu den Vorwürfen klären, der Hinweisgeber bleibt dabei anonym.

Über dieses System kam auch den Hinweis auf die Pflegedienste im bayerischen Kitzingen, die mit Falschabrechnungen Millionen erbeutet haben sollen, zur Generalstaatsanwaltschaft nach Nürnberg. Drei Betreiber sitzen in Haft, demnächst beginnt ihr Prozess. Die Ermittlungen laufen weiter. Denn der mutmaßliche Haupttäter soll an einem ganzen Netzwerk von Pflegediensten in mehreren Bundesländern beteiligt sein oder mit ihnen in Verbindung stehen. Die Schadenssumme von fünf Millionen Euro könnte sich also noch erhöhen.

Mehr zum Thema "Milliardenschäden im Gesundheitssystem" in der Sendung report München vom 06.06.2023 oder in der ARD Mediathek.

Dieser Artikel ist erstmals am 6. Juni 2023 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.

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