Frühchen-Versorgung: Drei Kliniken in OWL droht das Aus

Bielefeld. Die Überlebenschancen von Frühchen sind in den vergangenen Jahren gestiegen. Das gilt auch für Neugeborene, die an der Grenze zur Lebensfähigkeit zur Welt kommen. Doch die Versorgung solch extremer Frühchen mit einem Geburtsgewicht von unter 1.250 Gramm ist besonders komplex, weshalb sie ausschließlich in sogenannten Level-1-Perinatalzentren behandelt werden dürfen. In OWL gibt es fünf dieser Zentren in Bielefeld, Paderborn, Minden, Detmold und Herford. Wegen strengerer Vorgaben ist der Fortbestand aller Zentren jedoch nicht gesichert. Um die Versorgungsqualität auch bei schwierigen Behandlungen zu sichern, gibt der Gesetzgeber in Deutschland für neun solcher Eingriffe Mindestmengen vor. Ziel dieser Vorgaben ist, dass nur solche Kliniken die Eingriffe anbieten, deren Ärzte damit ausreichend Erfahrung haben. Dazu zählt neben Leber- und Nierentransplantationen, Eingriffen an Bauchspeicheldrüse und Speiseröhre, allogenen Stammzelltransplantationen, Kniegelenk-Totalendoprothesen, der chirurgischen Behandlung von Brust- und Lungenkrebs auch die Versorgung Neugeborener mit einem Geburtsgewicht von unter 1.250 Gramm. Bestimmt wird die Mindestmenge vom Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) als höchstes Gremium der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen, das mit Vertretern der Patienten, Ärzte, Kliniken und Krankenkassen besetzt ist. Für die Frühchenversorgung hat der GBA die Mindestmengen erhöht. Demnach dürfen ab 2024 Neugeborene mit einem Geburtsgewicht von unter 1.250 Gramm nur noch in Level-1-Perinatalzentren versorgt werden, die mindestens 25 dieser Kinder pro Jahr betreuen. Bund rechnet mit der Schließung von Perinatalzentren Der GBA geht davon aus, dass die neue Vorgabe zu Schließungen von Zentren führen wird, weil einige Kliniken deutlich weniger als 25 Kinder pro Jahr behandeln. Für die bestmögliche Versorgung von Frühchen müssen Eltern ab 2024 also wahrscheinlich längere Wege in Kauf nehmen. Risiken sieht das Gremium dadurch nicht. Das bestätigt auch das Bundesgesundheitsministerium. &bdquo;In den Einrichtungen mit mehr Erfahrung im Umgang mit Extrem-Frühchen reduziert sich die Sterbewahrscheinlichkeit der Kinder signifikant“, sagt Staatssekretär Edgar Franke (SPD). Die verbesserte Versorgungsqualität wiege längere Fahrzeiten mehr als auf. Auch in NRW und OWL könnte die neue Vorgabe zu Schließungen führen, denn die Mindestmengen-Transparenzliste der AOK für den Zeitraum Juli 2020 bis Juli 2021 zeigt, dass von den insgesamt 39 Kliniken in NRW lediglich 28 die neue Mindestmenge erfüllen. In OWL erfüllen nur zwei der fünf Kliniken die Vorgabe. In der Region werden die meisten extremen Frühchen im evangelischen Klinikum Bethel versorgt, in dem Zeitraum waren es 61 Kinder. Darauf folgen das St.-Vincenz-Krankenhaus Paderborn mit 28 Kindern, das Johannes-Wesling-Klinikum Minden mit 24 sowie das Klinikum Herford und das Klinikum Lippe in Detmold mit jeweils 22. Trotz zu geringer Zahlen rechnen Minden, Detmold und Herford nicht mit Schließungen Obwohl die drei Krankenhäuser die Vorgaben nicht erfüllen, rechnet keines mit der Schließung seiner Level-1-Perinatalzentren. Sicher ist das allerdings nicht. Im Klinikum Herford pendelt die Zahl der extremen Frühchen nach Angaben von Sprecherin Annika Vinzelberg zwischen 20 und 30 pro Jahr. Diese Spannweite bestätigt Sprecher Christian Busse auch für das Johannes-Wesling-Klinikum Minden, zuletzt waren es 2022 23 Fälle. Damit liege das Zentrum in der ab 2024 vorgeschriebenen Spanne, da der GBA Ausnahmen für den Fall vorsehe, dass in einzelnen Jahren eine Mindestmenge nicht erreicht werde, sagt Busse. &bdquo;Wir gehen aber davon aus, dass wir auch künftig die vorgeschriebene Mindestmenge erreichen werden.“ Damit rechnet Geschäftsführer Johannes Hütte auch für das Klinikum Lippe. &bdquo;Die Zahl der extremen Frühchen schwankt bei uns immer um die Zahl 25. In diesem Jahr waren es bis Ende Mai bereits zwölf Kinder, weshalb wir uns keine Sorgen um eine Schließung machen.“ Ziel seien vielmehr Erhalt und Ausbau des Zentrums. Studie: Beste Versorgung in Kliniken mit 60 Kindern pro Jahr Die Festlegung von Mindestmengen zur Qualitätssicherung bewerten Hütte und Busse als richtig. &bdquo;Es ist in vielen Bereichen empirisch belegt, dass Routine zu einer besseren Behandlungsqualität führt“, sagt Hütte. &bdquo;Doch ob sich dieses Ziel nicht auch mit einer niedrigeren Mindestmenge erreichen lässt, darüber lässt sich streiten. Bislang lag die Zahl bei 14 Kindern pro Jahr.“ Busse verweist zudem darauf, dass sich Level-1-Perinatalzentren nicht nur durch Mindestmengen auszeichnen, sondern auch durch weitere Qualitätsanforderungen. Außerdem müsse bei der Entscheidung auch die flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit einfließen. Eine Analyse von mehr als 50.000 Geburten in Deutschland aus dem Jahr 2020 im Auftrag des Instituts für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen zeigt jedoch, dass die Aussichten für extreme Frühchen am besten in Kliniken mit mindestens 60 Fällen pro Jahr sind. Mit einer Erhöhung der Mindestmengen auf diese Zahl könnten laut der Studie bis zu 40 Todesfälle pro Jahr vermieden werden. In Deutschland erfüllt jedoch nur ein Viertel der Perinatalzentren diese Vorgabe. OWL-Vergleich: Sterblichkeit im Klinikum Lippe am höchsten Mediziner verweisen zudem auf eine positive Entwicklung: Die Verbesserung der Geburtshilfe habe dazu geführt, dass die Zahl extremer Frühchen insgesamt zurückgeht. &bdquo;Es gibt mehr Möglichkeiten, um Schwangerschaften fortzuführen. Denn jede weitere Schwangerschaftswoche verbessert die Prognose für Kinder“, erklärt Ulrich Wunderle, Leiter des Perinatalzentrums am Klinikum Lippe. &bdquo;Der beste Ort für einen Säugling unter 1.250 Gramm ist die Gebärmutter seiner Mutter. Insofern unternehmen wir Mediziner bei einer drohenden Frühgeburt alles, um die Geburt, so langes es medizinisch möglich ist, hinauszuzögern“, sagt Philipp Soergel, Direktor der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe am Johannes-Wesling-Klinikum. Ziel der neuen Mindestmengen ist die Senkung der Sterblichkeit extremer Frühchen. Im Auftrag des GBA untersucht das Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen die Sterblichkeit in den Perinatalzentren. Für OWL ergibt sich in der Auswertung der Durchschnittswerte der vergangenen fünf Jahre von 2022 die Auffälligkeit, dass die Sterblichkeit extremer Frühchen in OWL im Klinikum Lippe am höchsten ist. Wunderle begründet das unter anderem mit einem Fehler im Controlling. &bdquo;2018 wurden in der Statistik auch Spätaborte mitgezählt. Damit wurden auch Kinder, die bereits tot zur Welt gekommen oder wenige Stunden nach der Geburt gestorben sind, als normale Frühchen Teil der Statistik“, erklärt Wunderle. &bdquo;Der Fehler wurde abgestellt, aber da der Wert aus einem Mittel der vergangenen fünf Jahre errechnet wird, belastet er die Statistik weiter. Zudem handelt es sich um sehr kleine Zahlen, weshalb wenige Fälle gleich große Auswirkungen haben.“

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