S 223 KR 132/21

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 223 KR 132/21
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Die Vorgaben des § 105 Abs. 2 SGG hinsichtlich des Umfangs des Erstattungsanspruchs stehen nicht zu Disposition der am Erstattungsverfahren beteiligten Leistungsträger.

Bemerkung

ENTWURF

Sozialgericht Berlin

 

 

S 223 KR 132/21

 

(erste) Zustellung erfolgt

am                                                    

an                                                     

 

                                                         

als Urkundsbeamter/in der Geschäftsstelle

 

Im Namen des Volkes

Urteil

In dem Rechtsstreit

         BARMER,
Juristischer Dienstsitz 

Axel-Springer-Str. 44, 10969 Berlin,
 

in Sachen: M., K. geb. …1972

- Klägerin -

gegen

         AOK Hessen - Die Gesundheitskasse -,  

Battonnstr. 40-42, 60311 Frankfurt/Main,
 

- Beklagte -

 

 

hat die 223. Kammer des Sozialgerichts Berlin ohne mündliche Verhandlung am 26. April 2023 durch die Richterin am Sozialgericht … sowie den ehrenamtlichen Richter Herrn … und die ehrenamtliche Richterin Frau … für Recht erkannt:

 

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 11.869,53 Euro festgesetzt.

T a t b e s t a n d

Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Kosten für eine vollstationäre Krankenhausbehandlung i.H.v. 11.869,53 Euro.

Die bei der Beklagten versicherte Frau K. M. (im Folgenden: Versicherte) beantragte bei der Beklagten im Februar 2018 die Übernahme für eine „Institutsbehandlung“ in einem Privatkrankenhaus der I. GmbH (im Folgenden: I. GmbH). Dieses hatte die Versicherte mit Schreiben vom 09.02.2018 darauf hingewiesen, dass keine Versorgungsverträge mit den gesetzlichen Krankenkassen oder Ersatzkassen bestünden, weshalb das I. GmbH nicht der Pflegesatzverordnung unterliege. Es wurde der Versicherten deshalb empfohlen, einen vorherigen Antrag auf Kostenübernahme bei der Krankenkasse zu stellen. Dem damaligen Kostenvoranschlag des I. GmbH, der der Beklagten übersandt wurde, lag die Diagnose Q07.0 (Chiari Malformation) zugrunde, als geplanter Eingriff war eine operative Dekompression (OPS 5-012,0) angegeben. Die Kosten beliefen sich insgesamt auf 10.301,86 Euro.

Mit bestandkräftigem Bescheid vom 27.02.2018 lehnte die Beklagte den Antrag auf Kostenübernahme gegenüber der Versicherten ab und begründete dies damit, dass die beratende MDK-Ärztin zu dem Ergebnis gekommen sei, dass bei Erforderlichkeit einer Kraniotomie diese in einer neurochirurgischen Abteilung in einem im vertraglichen Rahmen befindlichen Krankenhaus erbracht werden könne.

Zum 31.12.2019 kündigte die Versicherte ihre Mitgliedschaft bei der Beklagten und wählte die Klägerin als neue Krankenkasse. Die Kündigung wurde nicht wirksam, sodass die Mitgliedschaft bei der Beklagten weiterhin bestehen blieb.

Im Februar 2020 übersandte das I. GmbH der Klägerin einen Erstantrag auf Kostenerstattung des Behandlungs- und Kostenplans zum Vertrag über Leistungen nicht zugelassener Leistungserbringer nach § 11 Abs. 6 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V). Der Kostenvoranschlag basierte auf der gleichen Diagnose (Q07.0) und der gleichen DRG wie der Kostenvoranschlag aus dem Jahr 2018. Beigefügt war eine ärztliche Verordnung von Krankenhausbehandlung vom 10.02.2020. Als Diagnose wurde in der Verordnung Q07.0 genannt. Weiter hieß es dort: „Bek. Arnold-Chiari Syndrom, Z.n. 1x OP und 2x Revision; Bitte erneute Revision“. Die Klägerin erklärte sich zur Kostenübernahme bereit. Die Operation wurde sodann im Rahmen eines stationären Aufenthalts vom 09.03.2020 bis 21.03.2020 durchgeführt. Die Klägerin beglich die Rechnung des I. GmbH i.H.v. 11.869,53 Euro.

Am 12.05.2020 machte die Klägerin gegenüber der Beklagten einen Erstattungsanspruch i.H.v. 11.869,53 Euro geltend. Mit Schreiben vom 18.06.2020 lehnte die Beklagte die Zahlung ab. Bei dem I. GmbH handele es sich um eine Privatklinik, für die keine Zulassung bzw. kein Versorgungsvertrag mit der Beklagten bestehe. Die Klägerin erwiderte daraufhin, dass sie einen Versorgungsvertrag mit dem I. GmbH abgeschlossen habe. Durch die vertragliche Regelung seien die Kosten der Behandlung günstiger als in einem Vertragskrankenhaus, für die 12.064,46 Euro hätten gezahlt werden müssen. Im weiteren Schriftverkehr betonte die Beklagte noch, die Versicherte schon im Jahr 2018 darauf hingewiesen zu haben, dass diesbezüglich kein Kostenerstattungsanspruch bestehe. Die Beklagte wiederum verwies auf das Besprechungsergebnis des GKV-Spitzenverbandes zum Leistungsrecht vom 21./22.12.2009 (TOP 10), in dem vereinbart worden sei, dass die vertraglichen Regelungen zwischen dem Leistungserbringer und der erstattungsbegehrenden Kasse von der erstattungsverpflichteten Krankenkasse anerkannt würden, auch wenn von der neuen Kasse mit dem betreffenden Leistungsträger keine oder andere Vereinbarungen bestünden.

Am 29.01.2021 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie ist der Auffassung, ihr stünde nach § 105 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) ein Erstattungsanspruch gegen die Beklagte zu. Die Erforderlichkeit der stationären Behandlungsbedürftigkeit stehe fest, bzw. sei zwischen den Beteiligten unstreitig. Soweit die Beklagte im Rahmen des Klageverfahrens dies nunmehr in Zweifel ziehe, sei darauf hinzuweisen, dass eine vertragsärztliche Verordnung für die Krankenhausbehandlung vorliege. Die Beklagte müsse der Klägerin somit zumindest den Betrag erstatten, der ihr bei einer Behandlung der Versicherten in einem Vertragskrankenhaus der Beklagten entstanden wäre. Dieser Betrag wäre nach Auffassung der Klägerin jedoch höher gewesen, als die Klageforderung. Soweit die Beklagte in der Klageerwiderung auf einen gegenüber der Versicherten erlassenen Bescheid aus dem Jahr 2018 verweise, spiele dies für die vorliegende Fallkonstellation keine Rolle.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie den Betrag in Höhe von 11.869,53 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinnsatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

            die Klage abzuweisen.

Ein Erstattungsanspruch bestehe nicht. Es habe mangels bestehender Mitgliedschaft für die Klägerin weder Grund noch Anlass bestanden, Leistungen an die Versicherte der Klägerin zu erbringen. Ein entsprechender Antrag der Versicherten durch die Beklagte auch mit Bescheid vom 27.02.2018 abgelehnt worden. Die Kostenübernahme der Behandlung durch die Klägerin sei zu Unrecht erfolgt. Die Klägerin unterliege als gesetzliche Krankenversicherung den Regeln des Sozialgesetzbuches. Die Kostenübernahme in einer Privatklinik entspreche nicht den Vorgaben des SGB V. Unabhängig davon sei die Klage auch in dieser Beziehung unsubstantiiert. Die Notwendigkeit der Krankenhausbehandlung sei nicht dargetan. Bereits im Zusammenhang mit der Antragstellung habe der Medizinische Dienst (MD) darauf hingewiesen, dass der Rückgriff auf eine Privatklinik aus sozialmedizinischer Sicht nicht nachvollziehbar sei. Auch zur Notwendigkeit der Krankenhausbehandlung sei nichts dargetan. Der MD habe ebenfalls darauf hingewiesen, dass auf der Basis der rudimentären medizinischen Informationen völlig unklar sei, ob hier eine medizinische Indikation zur Operation gegeben sei. Es sei ungeklärt, was in den zurückliegenden 45 Lebensjahren erfolgt sei.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung der Kammer ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beteiligten verwiesen, die dem Gericht vorgelegen hat und Gegenstand der Beratung geworden ist.

Entscheidungsgründe

Das Gericht konnte nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten hiermit ihr Einverständnis erklärt haben.

Die Klage ist gemäß § 54 Abs. 5 SGG als allgemeine Leistungsklage zulässig. Die Klägerin kann ihr Erstattungsbegehren nicht im Wege eines Verwaltungsaktes durchsetzen, da zwischen den Sozialleistungsträgern kein Über- und Unterordnungsverhältnis bei Erstattungsstreitigkeiten besteht. Die Träger stehen sich gleichrangig gegenüber, sodass Maßnahmen hoheitlicher Regelung in diesem Verhältnis nicht möglich sind.

Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Klägerin steht kein Erstattungsanspruch nach § 105 SGB X gegen die Beklagte zu. Dabei ist die Beklagte grundsätzlich als zuständiger Leistungsträger nach § 105 Abs. 1 SGB X zur Erstattung verpflichtet (vgl. hierzu unter 1.). Jedoch scheitert der Erstattungsanspruch an § 105 Abs. 2 SGB X, weil die Beklagte gegenüber der Versicherten nach den für sie geltenden gesetzlichen Regelungen hinsichtlich der streitgegenständlichen Operation nicht zur Kostenübernahme verpflichtet wäre (vgl. hierzu unter 2.).

1.) Nach § 105 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist in den Fällen, in denen ein unzuständiger Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat, ohne dass die Voraussetzungen von § 102 Abs. 1 SGB X vorliegen, der zuständige oder zuständig gewesene Leistungsträger erstattungspflichtig, soweit dieser nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat. Dabei ist zwischen den Beteiligten nicht streitig, dass die Versicherte während der durchgeführten stationären Behandlung Mitglied bei der Beklagten und nicht bei der Klägerin war. Die Klägerin war wohl zunächst aufgrund der Kündigung der Mitgliedschaft bei der Beklagten und der Wahl der Klägerin als Krankenversicherung ab dem 01.01.2020 der Auffassung, es bestehe eine Mitgliedschaft der Versicherten bei ihr. Zwar ist nicht ganz nachvollziehbar, aus welchen Grund dies nicht überprüft wurde. Jedoch ist es keine Voraussetzung für den Erstattungsanspruch, dass unverschuldet von der Zuständigkeit ausgegangen wurde. Nur bei bewusst unzuständiger Leistungserbringung scheidet ein Erstattungsanspruch aus, weil der Leistungsträger, der weiß, dass er unzuständig ist, und trotzdem leistet, auch keinen Vorteil daraus ziehen soll (vgl. hierzu Prange in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl., § 105 SGB X (Stand: 25.08.2022), Rn. 27, m.w.N.).

Die Beklagte kann sich auch nicht darauf berufen, gegenüber der Versicherten bereits im Jahr 2018 mit bestandkräftigem Bescheid die Kostenerstattung abgelehnt zu haben. Zwar ist ein in Anspruch genommener Leistungsträger nach der Rechtsprechung des BSG berechtigt, sich auf seine bindenden Verwaltungsakte, die er gegenüber dem Berechtigten erlassen hat, auch im Rahmen eines Erstattungsstreits zu berufen. Eine entsprechende Bindungswirkung im Erstattungsstreit besteht hierbei grundsätzlich selbst dann, wenn der Verwaltungsakt fehlerhaft ist. Der auf Erstattung in Anspruch genommene Leistungsträger ist nur dann nicht befugt, auf der Bindungswirkung seiner Entscheidung zu beharren, wenn diese sich als offensichtlich fehlerhaft erweist und sich dies zum Nachteil des anderen Leistungsträgers auswirkt (vgl. BSG, Urteil vom 13. Dezember 2016 – B 1 KR 29/15 R –, Rn. 13 m.w.N.). Vorliegend ist es nach Auffassung der Kammer jedoch unklar, ob mit dem Bescheid vom 27.02.2018 tatsächlich die Leistung gegenüber der Versicherten abgelehnt wurde, um deren Kostenerstattung es hier geht. Denn in der ärztlichen Verordnung vom 10.02.2020 wird als Diagnose erwähnt, dass ein Zustand nach einer Operation vorliegt („Z.n. 1x OP“). Es kann deshalb durchaus sein, dass es sich bei der im Jahr 2018 abgelehnten Operation um die bereits erfolgte Operation handelte. Die Beklagte kann nicht mit einem Bescheid alle Folgeoperationen ablehnen. Zumindest hätte dies ausdrücklich im Bescheid erwähnt werden müssen.

2.) Der Klägerin steht aber aus Gründen, die sich aus § 105 Abs. 2 SGB X ergeben, kein Erstattungsanspruch gegen die Beklagte zu. Danach richtet sich der Umfang des Erstattungsanspruchs nach den für den zuständigen Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften. Das leistungserbringende Krankenhaus (I. GmbH) war nicht nach den §§ 108, 109 SGB V zur Versorgung von gesetzlich Krankenversicherten zugelassen. Die Versicherte hätte gegenüber der Beklagten nach den für den zuständigen Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften deshalb keinen Anspruch auf Kostenübernahme der im I. GmbH durchgeführten Operation. Entsprechend besteht auch kein Erstattungsanspruch der Klägerin gegen die Beklagte.

a.) Dabei kann die Klägerin nicht einwenden, dass die Operation unstreitig medizinisch erforderlich gewesen sei und die Beklagten zumindest den Betrag zu erstatten habe, der bei Durchführung der Operation in einem zugelassenen Krankenhaus in Rechnung gestellt worden wäre. Ungeachtet dessen, dass die medizinische Notwendigkeit der Operation vorliegend nicht vollständig unstreitig ist – die Beklagte ist zutreffend der Auffassung, es lägen ihr diesbezüglich nicht alle Informationen vor und allein die ausgestellte ärztliche Verordnung genüge nicht –, kann im Rahmen der Erstattung nach § 105 SGB X nur auf die konkret erfolgte Leistung und nicht auf Alternativleistungen abgestellt werden. Die Versicherte wurde gerade nicht in einem zugelassenen Krankenhaus, sondern in einer Privatklinik operiert. Allein diese konkrete Leistung in der Privatklinik ist Gegenstand des Erstattungsanspruchs. Versicherte, die sich eine nicht zugelassene Leistung beschaffen, haben gegenüber ihrer Krankenkasse auch keinen Anspruch auf den – fiktiven – Anteil, der dann angefallen wäre, wenn sie sich die Leistung bei einem zugelassenen Leistungserbringer beschafft hätten. Der Grundsatz des fiktiven wirtschaftlichen Alternativerhaltens, den das BSG im Rahmen der Krankenhausvergütungsstreitigkeiten entwickelt hat (vgl. u.a. BSG, Urteil vom 26. April 2022 – B 1 KR 5/21 R, juris) ist vorliegend nach Auffassung der Kammer nicht anwendbar. Denn § 105 Abs. 2 SGB X macht deutlich, dass sich der Erstattungsanspruch allein an dem orientiert, was der zuständige Leistungserbringer gegenüber dem Versicherten hätte bewilligen bzw. erbringen müssen. Darüber hinaus bleibt es bei der Abrechnung nach dem Grundsatz des fiktiven wirtschaftlichen Alternativverhaltens dabei, dass der Leistungserbringer dieselbe Leistung abrechnet, nur anhand anderer Abrechnungsmodalitäten. Zudem wird als weitere Voraussetzung für eine Abrechnung auf der Grundlage eines fiktiven wirtschaftlichen Alternativverhaltens angesehen, dass das Krankenhaus berechtigt gewesen wäre, die fiktive wirtschaftliche Leistung selbst zu erbringen und unmittelbar gegenüber der Krankenkasse abzurechnen (BSG, Urteil vom 26. April 2022 – B 1 KR 5/21 R –, Rn. 24, juris). Auch diese Voraussetzung ist vorliegend nicht erfüllt. Mangels Zulassung wäre das I. GmbH gerade nicht berechtigt gewesen, die erbrachte Operation quasi als zugelassenes Krankenhaus zu erbringen und abzurechnen.

b.) Anderes ergibt sich auch nicht aus dem von der Klägerin zitierten Besprechungsergebnis der Verbände der Krankenkassen auf Bundesebene und des GKV-Spitzenverbandes zum Leistungsrecht vom 21./.22.12.2009. Zwar ist es zutreffend, dass dort unter TOP 01 § 105 SGB X Folgendes protokoliert wurde: „Sachstand: […] Da in der Praxis immer mehr Einzelverträge mit Leistungsanbietern (z.B. Ärzten, Therapeuten, Kliniken) vereinbart werden, stellt sich nun die Fragen, ob diese Kosten ebenfalls über § 105 SGB X mit dem zuständigen Träger abgerechnet werden können, wenn der zuständige Leistungsträger mit dem Leistungserbringer keine vertragliche Vereinbarung geschlossen hat“. Als Besprechungsergebnis wurde dann Folgendes festgehalten: „Ist dem Grunde nach ein Anspruch auf die jeweilige Leistung gegenüber dem zuständigen Leistungsträger gegeben, besteht nach Auffassung der Besprechungsteilnehmer ein Erstattungsanspruch nach § 105 SGB X auch dann, wenn eine vertragliche Vereinbarung zwischen dem Leistungserbringer und dem erstattungspflichtigen Leistungsträger nicht besteht. Der Umfang der Erstattung richtet sich nach dem Recht des zuständigen Trägers und ist auf die tatsächlich entstandenen Kosten begrenzt“.

Die Krankenkassen können zwar nach § 11 Abs. 6 SGB V in ihrer Satzung u.a. Leistungen von nicht zugelassenen Leistungserbringern vorsehen. Von der eingeräumten Regelungsbefugnis hat die Klägerin durch § 28c ihrer Satzung Gebrauch gemacht. Danach übernimmt die Klägerin die Kosten für Leistungen in einem nicht nach § 108 SGB V zugelassenen Krankenhaus. Voraussetzungen dafür sind nach § 28c Abs. 2 der Satzung, dass 1. Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit gemäß § 39 SGB V vorliegt und von einer Ärztin / einem Arzt bescheinigt worden ist, 2. das Krankenhaus eine mindestens gleichwertige Versorgung wie in einem zugelassenen Krankenhaus gewährleistet, 3. die Leistung vom Gemeinsamen Bundesausschuss nicht ausgeschlossen worden ist, 4. Der Klägerin vor Leistungserbringung ein Kostenvoranschlag des Krankenhauses vorgelegt wird und 5. die Klägerin vor der Krankenhausaufnahme in die Versorgung eingewilligt hat. Dabei schließt die Klägerin nach der Satzung mit den Krankenhäusern eine Vereinbarung ab. Eine solche Vereinbarung hat die Klägerin nach ihrem Vortrag mit dem I. GmbH abgeschlossen.

Während § 11 Abs. 6 SGB V den Krankenkassen ausdrücklich einen weiten Gestaltungsspielraum einräumt (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 29. April 2022 – L 4 KR 1950/19 –, Rn. 45, juris, m.w.N.), stehen andere Regelungen des SGB V den Krankenkassen jedoch nicht in gleicher Weise zur Disposition. § 105 Abs. 2 SGB X liegt die gesetzgeberische Intention zugrunde, dass der zur Erstattung verpflichtete Leistungserbringer durch einen Dritten nicht weitergehend belastet werden soll, als seine Verpflichtung den Berechtigten gegenüber bestand (vgl. BT-Drucks. 9/95 S. 25 zu den Erstattungsansprüchen, § 110 Abs. 2 SGB X, gleichlautend zur heutigen Regelung in § 105 Abs. 2 SGB X). § 105 Abs. 2 SGB X sieht keine Regelung vor, nach der es den Krankenkassen gestattet ist, Modalitäten hinsichtlich der Erstattungsansprüche untereinander zu vereinbaren. Die Voraussetzungen des § 105 Abs. 2 SGB X sind im Rahmen des sozialgerichtlichen Verfahrens von Amts wegen zu beachten und unterliegen insoweit nicht der Disposition der Spitzenverbände (so auch SG München, Urteil vom 7. Mai 2002 – S 19 KR 603/99 –, Rn. 26, juris).

Es ist nach Auffassung der Kammer auch nicht davon auszugehen, dass über das o.g. Besprechungsergebnis die Satzungsregelung nach § 11 Abs. 6 SGB V und die entsprechende Vereinbarung der Klägerin mit dem I. GmbH als „für den zuständigen Leistungsträger geltende Rechtsvorschrift“ i.S.d. § 105 Abs. 2 SGB V anzusehen ist. Besprechungsergebnisse der Spitzenverbände haben keine Rechtsnormqualität, es sind letztlich lediglich Auslegungshilfen der Sozialversicherungsträger (vgl. BSG, Urteil vom 18. Dezember 2001 – B 12 KR 8/01 R –, Rn. 24 zum Besprechungsergebnis der Spitzenverbände zur versicherungsrechtlichen Beurteilung von Übungsleitern in Sportvereinen). Zumindest kann ein Besprechungsergebnis nicht dazu herangezogen werden, die gesetzlichen Regelungen, die für einen Leistungsträger gelten, zu ändern. Solche Besprechungsergebnisse können nach Auffassung der Kammer allenfalls als eine Verwaltungsrichtlinie angesehen werden, die allein im Bereich von Ermessensvorschriften zulässig sein kann, um bei der Ermessensausübung dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG Rechnung zu tragen (vgl. auch LSG NRW, Urteil vom 18. April 2012 – L 11 KR 380/10 –, Rn. 45, juris). Bei der Frage, ob und in welchem Umfang der zuständige Leistungsträger dem unzuständigen Leistungsträger zur Erstattung verpflichtet ist, handelt es sich jedoch nicht um einen Bereich der Ermessensleistungen, sondern um eine schon durch das Gesetz in § 105 Abs. 2 SGB X festgelegte Materie.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und folgt dem Ausgang des Verfahrens. Die Festsetzung des Streitwerts erfolgt nach den §§ 52 Abs. 1 und 3, 63 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG).

 

 

Rechtskraft
Aus
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