L 9 KR 121/19

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 36 KR 2057/15
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 9 KR 121/19
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Eine Revision i. S. d. OPS 5-394 (Revision einer Blutgefäßoperation) stellt nach ihrem Wortlaut eine prüfende Wiederdurchsicht eines vorangegangenen Eingriffs mit dem Ziel/Zweck der Behebung/Beseitigung von Mängeln des vorangegangenen Eingriffs dar. Die reine zeitliche Aufeinanderfolge mehrerer Eingriffe bzw. ein Wiedereröffnen des Operationsgebietes reichen für sich genommen nicht für die Annahme des Vorliegens einer Revision aus.

  1. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 1. April 2019 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
  3. Die Revision wird nicht zugelassen.
  4. Der Streitwert wird auf 1.748,81 € festgesetzt.

 

Tatbestand

 

Die Beteiligten streiten über die Vergütung stationärer Krankenhausbehandlung.

 

Die Klägerin betreibt eine nach § 108 Nr. 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) in den Krankenhausplan des Freistaates Sachsen aufgenommenes Plankrankenhaus. In deren Klinik für Thorax-, Gefäß- und endovaskuläre Chirurgie war der 1937 geborene und bei der Klägerin gesetzlich krankenversicherte Y.... (nachfolgend: Versicherter) - vor dem streitigen vollstationären Aufenthalt - zuletzt vom 31. März 2010 bis 29. April 2010 vollstationär aufgenommen worden. Der Versicherte hatte vorrangig unter einer Arteriellen Verschlusskrankheit (AVK) vom Mehretagentyp beidseits, rechts im Stadium IV nach Fontaine mit Gangrän 3. Zehe rechts gelitten. Seinerzeit hatte man am 8. April 2010 eine offene Desobliteration der Aorta iliaca externa und der Aorta femoralis communis beidseits sowie der Aorta profunda femoris, die Implantation eines aorto-biprofundalen Prothesenbypasses (Gelsoft) sowie die Reinsertion der Aorta mesenterica inferios in die Prothese und am 22. April 2010 eine Exartikulation der 3. Zehe rechts im Grundgelenk durchgeführt. Im OP-Bericht vom 8. April 2010 war postoperativ ein guter Nachweis eines beidseitigen Leistenpulses bei tolerabler peripherer Durchblutungssituation dokumentiert worden, wobei das linke Bein kühler als das rechte erschienen war, beide Beine hatten jedoch den Nachweis einer guten Venenfüllung geboten. Im Entlassbericht vom 29. April 2010 war angegeben worden, dass der Versicherte unter Verordnung und Verwendung eines Verbandsschuhs zeitgerecht habe mobilisiert werden können. Bei reizlosen Wundverhältnissen sowie nach Entfernung des Klammermaterials war der Versicherte in die ambulante Betreuung entlassen worden.

 

Die streitgegenständliche vollstationäre Aufnahme erfolgte auf Grund einer Verordnung von Dr. X...., Facharzt für Innere Medizin, vom 9. September 2010 mit der Fragestellung/Hinweise "stationäre Diagnostik und Therapie". Die vollstationäre Aufnahme erfolgte sodann vom 13. September 2010 bis 18. Oktober 2010. Am 20. September 2010 wurde die Anlage eines femoro-cruralen-in-situ-Venenbypasses (prothero-crural auf die Aorta tibialis posterior rechts) durchgeführt, am 7. Oktober 2010 die Hämatomausräumung an der rechten Leiste durch Miniinzision und Drainage mit Sekundärnaht. Im OP-Bericht vom 7. Oktober 2010 wurde ein altes organisiertes Hämatom im Bereich der rechten Leiste/Oberschenkel nach Anlage eines femoro-cruralen Venenbypasses angegeben und der Eingriff u.a. wie folgt beschrieben: "Unterhalb der bereits verheilten Wunde erfolgt ein ca. 3 cm langer Schnitt mit Exzision der alten Narbe. Vorsichtiges stumpfes Präparieren Richtung tastbaren Hämatoms. Eröffnen der Hämatomhöhle. Nun wird das alte Hämatom abgesaugt. Ausgiebige Spülung der Hämatomhöhle [...] Die Prothese kommt nicht zur Darstellung. In der Tiefe ist der Venenbypass palpabel.". Im Entlassbericht vom 18. Oktober 2010 wurde diesbezüglich u. a. ausgeführt: "Die stationäre Aufnahme des Patienten erfolgte nach abgeschlossener angiologischer Diagnostik mit einer pAVK im Stadium IV vom Mehretagentyp. Am rechten Fuß bestand über dem Köpfchen des Metatarsale I medialseitig ein etwa 4 mm messendes grindig bedecktes Ulcus. Therapie und Verlauf: Nach entsprechender Vorbereitung führten wird am 20.09.2010 den o.g. operativen Eingriff durch. Im postoperativen Verlauf kam es zu einer diffusen Blutungsneigung, insbesondere im Bereich der rechten Leiste mit Ausbildung eines revisionsbedürftigen Hämatoms. Dies wurde am 07.10.2010 operativ ausgeräumt.".

 

Mit Schlussrechnung vom 25. November 2010 kodierte die Klägerin die Hauptdiagnose I70.24 (Atherosklerose der Extremitätenarterien: Becken-Bein-Typ, mit Gangrän), mehrere Nebendiagnosen und OPS-Kodes, u. a. für den Eingriff am 20. September 2010 den OPS 5-393.55 (Anlegen eines anderen Shuntes und Bypasses an Blutgefäßen; A. femoralis: Femorocrural) und den OPS 5-394.2 (Revision einer Blutgefäßoperation: Revision eines vaskulären Implantates) sowie für den Eingriff am 7. Oktober 2010 den OPS 5-893.1e (Chirurgische Wundtoilette [Wunddebridement] und Entfernung von erkranktem Gewebe an Haut und Unterhaut; Großflächig; Oberschenkel und Knie) und stellte der Klägerin auf Grund der angesteuerten Diagnosis Related Group (DRG 2010) F08B (Rekonstruktive Gefäßeingriffe ohne Herz-Lungen-Maschine, ohne komplizierende Konstellation, ohne thorakoabdominales Aneurysma, mit komplexem Eingriff, mit Mehretagen- oder Aorteneingriff oder Reoperation, mit äußerst schweren CC) insgesamt einen Betrag von 12.024,06 € in Rechnung.

 

Die Beklagte beglich zunächst die Forderung und beauftragte den Medizinischen Dienst des Bundeseisenbahnvermögens (MD BEV) mit einer Prüfung der ordnungsgemäßen Abrechnung (konkret: einer gutachterlichen Stellungnahme zur Kodierung der Prozeduren 5-394.2 und 5-393.55). Mit Prüfanzeige vom 3. Januar 2011 bat dieser um Übersendung des Entlassberichts, der Pflegedokumentation sowie der Patientenkurve und des Operationsberichts. In ihrem Gutachten vom 29. Juli 2011 gab die Sachverständige im MD BEV Frau W.... an, beim Versicherten sei eine Revision der im April 2010 implantierten aorto-biprofundalen Prothese durchgeführt worden. Der Revisionskode OPS 5-394.2 bilde den durchgeführten Eingriff vollständig ab, so dass der OPS 5-393.55 nicht zusätzlich zu verschlüsseln sei. Mit Schreiben vom 13. Oktober 2011 teilte die Beklagte der Klägerin das Ergebnis der Begutachtung mit und forderte sie auf, den aus der korrigierten Kodierung (und danach angesteuerten DRG F59A) resultierenden Differenzbetrag von 3.362,91 € zurückzuzahlen.

 

Hiergegen legte die Klägerin am 21. Dezember 2011 "Widerspruch" ein und machte geltend, der Revisionscode werde nunmehr für den zweiten Eingriff am 7. Oktober 2010 geltend gemacht, und zwar der OPS 5-394.0 (Revision einer Blutgefäßoperation: Operative Behandlung einer Blutung nach Gefäßoperation), wodurch weiterhin die DRG F80B angesteuert werde. In ihrer weiteren gutachterlichen Stellungnahme vom 23. Mai 2012 gab die Sachverständige im MD BEV W.... nunmehr an, am 20. September 2010 sei ein femorocruraler Bypass angelegt und an den im April 2010 gelegten Bypass angeschlossen worden. Dies erfülle nicht die Definition einer Revision/Teilrevision (i. S. v. OPS 5-394.2). Für den Eingriff am 20. September 2010 sei vielmehr (allein) der OPS 5-393.55 zu verschlüsseln. Für die am 7. Oktober 2010 durchgeführte Hämatomausräumung sei ebenfalls kein Revisionskode (insbesondere nicht der von der Klägerin angeführte OPS 5-394.0) zu verwenden, sondern der OPS 5-892.1c (Andere Inzision an Haut und Unterhaut; Drainage: Leisten- und Genitalregion). Mit Schreiben vom 29. August 2012 teilte die Beklagte der Klägerin das Ergebnis der Begutachtung mit und forderte sie auf, den aus der korrigierten Kodierung (und danach angesteuerten DRG F80C) resultierenden Differenzbetrag von 1.944,81 € zurückzuzahlen. Am 30. Dezember 2014 nahm die Beklagte eine Verrechnung i. H. v. 1.748,81 € vor.

 

Am 27. August 2015 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Chemnitz (SG) erhoben und geltend gemacht, den eigentlichen Eingriff stelle die am 20. September 2010 erfolgte Anlage des femoro(protheo)cruralen Venenbypasses dar, welcher mit dem OPS 5-393.55 zu kodieren sei. Aufgrund eines revisionsbedürftigen Hämatoms habe sich am 7. Oktober 2010 ein erneuter Eingriff erforderlich gemacht, welcher mit dem OPS 5-394.0 zu kodieren sei. Entsprechend sei die Klägerin im Widerspruchsverfahren vorgegangen und habe damit die ursprüngliche Kodierung des OPS 5-394.2 einer Korrektur unterzogen.

 

Mit Gerichtsbescheid vom 1. April 2019 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, für die am 7. Oktober 2010 durchgeführte Hämatomausräumung sei der OPS 5-892.1c die zutreffende Prozedur, da dort die Hämatomausräumung ausdrücklich als Inklusivum erwähnt werde. Die Voraussetzungen für die Kodierung des OPS 5-394.0 lägen somit nicht vor.

 

Mit ihrer am 30. April 2019 eingelegten Berufung hat die Klägerin zunächst unter Hinweis auf die Kodierregel DKR (2010) P013d (Wiedereröffnung eines Operationsgebietes/Reoperation) geltend gemacht, bei der Wiedereröffnung eines Operationsgebietes sei zunächst zu prüfen, ob die durchgeführte Operation im OPS durch einen spezifischen Kode im betreffenden Organkapitel kodiert werden könne. Hier sei die Primär-OP dem OPS 5-39 (Operationen an Blutgefäßen) zu entnehmen, so dass auch für die Wiedereröffnung des Operationsgebietes der OPS aus diesem Organkapitel, nämlich der OPS 5-394.0, zu verwenden sei. Der OPS 5-892.1c entstamme hingegen der Gruppe der Operationen an Haut und Unterhaut. Die Hämatombildung sei auf den Ersteingriff am 20. September 2010 zurückzuführen. Der OPS 5-394.0 verlange keine aktive Blutung. Ausreichend sei, dass die Blutung unmittelbar nach dem Ersteingriff aufgetreten sei. Für eine "Wiedereröffnung des Operationsgebietes" i. S. d. DKR P013d sei nicht erforderlich, dass die bei der Erst-Operation freigelegten Strukturen sichtbar seien; es genüge vielmehr, dass diese - wie hier - palpabel gewesen seien.

 

Nachdem der Berichterstatter in der mündlichen Verhandlung am 26. Juli 2022 darauf hingewiesen hatte, dass für den Eingriff am 7. Oktober 2010 eine Verschlüsselung des OPS 5-394.0 eindeutig nicht in Betracht komme, da eine Blutung im Wort- und Rechtssinne dieses OPS nicht vorgelegen habe, sondern lediglich ein Hämatom als Ergebnis einer stattgehabten Blutung, hat die Klägerin erstmalig (seit Ende 2011) erneut die Auffassung vertreten, bereits für den Ersteingriff am 20. September 2010 sei ein Revisionskode zu verschlüsseln, nämlich der OPS 5-394.2. Es habe sich insoweit um eine Revisions-OP zu der am 8. April 2010 durchgeführten Implantation eines aorto-biprofundalen Venenbypasses gehandelt. Die Durchblutungsverhältnisse im rechten Bein/Fuß hätten durch den Eingriff am 8. April 2010 nicht ausreichend verbessert werden können. Das OP-Ergebnis habe verbessert und in das OP-Gebiet erneut eingegriffen werden müssen. An den bestehenden Bypass habe ein weiterer Bypass angeschlossen werden müssen, um eine zusätzliche und längere Überbrückung der körpereigenen, nicht suffizienten Gefäße zu erreichen. Mit dem OPS 5-393.55 werde nur die Implantation eines (weiteren) Bypasses angegeben, nicht jedoch der Umstand, dass zugleich eine Veränderung des vorangegangenen OP-Ergebnisses erfolgt sei. Hierfür sei der OPS 5-394.2 zu verschlüsseln.

 

Die Klägerin beantragt,

 

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 9. April 2019 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1.748,81 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 30. Dezember 2014 zu zahlen.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Mit dem im Termin zur mündlichen Verhandlung neuerlichen Vorbringen, der Eingriff am 20. September 2010 sei mit einem Revisionskode (OPS 5-394.0) zu verschlüsseln, sei die Klägerin nach den Grundsätzen der Verwirkung ausgeschlossen. Zudem habe es sich auch der Sache nach bei dem Eingriff am 20. September 2010 nicht um einen Revisionseingriff in Bezug auf den Eingriff am 8. April 2010 gehandelt, da der im April 2010 implantierte Bypass völlig intakt und funktionstüchtig gewesen sei. Zudem sei der Grundsatz der monokausalen Kodierung zu beachten.

 

Der Senat hat - auf den ursprünglichen Vortrag der Klägerin - zu der Frage, ob am 7. Oktober 2010 eine Blutung nach Gefäßoperation vorgelegen und es sich bei dem an diesem Tag durchgeführten Eingriff aus medizinischer Sicht um die Wiedereröffnung eines Operationsgebietes zur Revision einer Blutgefäßoperation gehandelt habe, Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens bei Prof. Dr. D...., Facharzt für Chirurgie und Gefäßchirurgie. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten vom 30. November 2021 ausgeführt, am 7. Oktober 2010 sei keine Wiedereröffnung des Operationsgebiets erfolgt, da die Prothese und der Venenbypass nicht zur Darstellung gekommen seien. Auch sei nicht die alte Wunde neu eröffnet worden, sondern unterhalb davon eine neue Wunde gesetzt worden. Unter der Revision einer Blutgefäßoperation verstehe man einen Eingriff in das Operationsgebiet, um ein unzulängliches Ergebnis des Ersteingriffs zu verbessern, z. B. eine akute Blutungsstillung bei unzureichend dichter Gefäßnaht. Am 7. Oktober 2010 habe keine "akute/aktive" Blutung vorgelegen, sondern ein Hämatom, d. h. eine mehr oder weniger geronnene Blutansammlung. Maßnahmen der Blutungsstillung seien auch nicht dokumentiert. Es habe ein Hämatom vorgelegen, welches i. S. d. des von der Beklagten angeführten OPS 5-982.1c ausgeräumt worden sei.

 

Die Beteiligten haben übereinstimmend einer Entscheidung durch den Berichterstatter als Einzelrichter sowie ohne (weitere) mündliche Verhandlung zugestimmt (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten aus beiden Rechtszügen, die Patientenakte und die Akte der Beklagten Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

 

Die Berufung der Klägerin ist zulässig, aber unbegründet. Das SG hat im Ergebnis zu Recht einen Anspruch der Klägerin gegenüber der Beklagten auf Zahlung weiterer 1.748,81 € verneint. Die Behandlung war nicht nach DRG (2010) F08B sondern nach F08C abzurechnen; einen zur Ansteuerung von F08B erforderlichen Revisionskode - OPS (2010) 5-394.2 (für den Eingriff am 20. September 2010 - hierzu unter 1.) bzw. 5-394.0 (für den Eingriff am 7. Oktober 2010 – dazu unter 2.) - durfte die Klägerin jeweils nicht verwenden.

 

Rechtsgrundlage des von der Klägerin behaupteten Vergütungsanspruchs ist § 109 Abs. 4 Satz 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) in Verbindung mit § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) und § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KHEntgG sowie § 17b Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG; jeweils i. d. F. durch das Krankenhausfinanzierungsreformgesetz vom 17.03.2009, BGBl I S. 534), die Vereinbarung zum Fallpauschalensystem für Krankenhäuser für das Jahr 2010 vom 02.10.2009 (Fallpauschalenvereinbarung 2010 – FPV 2010) einschließlich der Anlagen 1 bis 6 und der zwischen der Krankenhausgesellschaft im Freistaat Sachsen sowie den Krankenkassen und Krankenkassenverbänden geschlossenen Vereinbarung zu den allgemeinen Bedingungen der Krankenhausbehandlung gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGB V. In seiner Höhe wird der Vergütungsanspruch durch Normsetzungsverträge konkretisiert. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und der Verband der privaten Krankenversicherung gemeinsam vereinbaren nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr.1 KHEntgG mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft als Vertragsparteien auf Bundesebene mit Wirkung für die Vertragsparteien nach § 11 KHEntgG einen Fallpauschalen-Katalog einschließlich der Bewertungsrelation sowie Regelungen zur Grenzverweildauer und der in Abhängigkeit von diesen zusätzlich zu zahlenden Entgelte oder vorzunehmenden Abschläge. Ferner vereinbaren sie insoweit Abrechnungsbestimmungen in der FPV auf der Grundlage des § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 KHEntgG. Der Fallpauschalenkatalog ist nach Fallgruppen (DRG = Diagnosis Related Groups) geordnet. Welche DRG-Position abzurechnen ist, ergibt sich rechtsverbindlich nicht aus einem schriftlich festgelegten abstrakten Tatbestand, sondern aus der Eingabe und Verarbeitung von Daten in einem automatischen Datenverarbeitungssystem, das auf einem zertifizierten Programm basiert. Nach § 1 Abs. 6 Satz 1 FPV sind in diesem Sinne zur Einstufung des Behandlungsfalles in die jeweils abzurechnende Fallpauschale Programme (Grouper) einzusetzen. Zugelassen sind nur solche Programme, die von der InEK GmbH - Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus, einer gemeinsamen Einrichtung der in § 17b Abs. 2 Satz 1 KHG und § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KHEntgG genannten Vertragspartner auf Bundesebene - zertifiziert worden sind. Das den Algorithmus enthaltende und ausführende Programm greift dabei auch auf Dateien zurück, die entweder als integrale Bestandteile des Programms mit vereinbart sind, z. B. die Zuordnung von ICD-10-Diagnosen und Prozeduren zu bestimmten Untergruppen im zu durchlaufenden Entscheidungsbaum oder an anderer Stelle vereinbarte Regelungen wiedergeben. Zu letzteren gehören die Fallpauschalen selbst, aber auch die Internationale Klassifikation der Krankheiten (ICD-10) in der jeweiligen vom Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) herausgegebenen deutschen Fassung sowie die Klassifikation des vom DIMDI im Auftrag des BMG herausgegebenen Operationen- und Prozedurenschlüssels (OPS - hier in der Version 2010) sowie die von den Vertragspartnern auf Bundesebene getroffene Vereinbarung zu den Deutschen Kodierrichtlinien (DKR - Version 2010) für das G-DRG-System gemäß § 17b KHG. Die Anwendung der DKR- und der FPV- Abrechnungsbestimmungen einschließlich des ICD-10-GM und des OPS ist nicht automatisiert und unterliegt als Mitsteuerung der prozesshaften Tatbestandsbildung im Zusammenspiel mit den Vorgaben zertifizierter Grouper ihrerseits grundsätzlich den allgemeinen Auslegungsmethoden der Rechtswissenschaft. Die Abrechnungsbestimmungen sind gleichwohl wegen ihrer Funktion im Gefüge der Ermittlung des Vergütungstatbestandes innerhalb eines vorgegebenen Vergütungssystems eng am Wortlaut orientiert und unterstützt durch systematische Erwägungen auszulegen. Eine Vergütungsregelung, die für die routinemäßige Abwicklung von zahlreichen Behandlungsfällen vorgesehen ist, kann ihren Zweck nur erfüllen, wenn sie allgemein streng nach ihrem Wortlaut sowie den dazu vereinbarten Anwendungsregeln gehandhabt wird und keinen Spielraum für weitere Bewertungen sowie Abwägungen belässt. Demgemäß sind Vergütungsregelungen stets eng nach ihrem Wortlaut und allenfalls ergänzend nach ihrem systematischen Zusammenhang auszulegen; Bewertungen und Bewertungsrelationen bleiben außer Betracht. Da das DRG-basierte Vergütungssystem vom Gesetzgeber als jährlich weiter zu entwickelndes (§ 17b Abs. 2 Satz 1 KHG; s. ferner § 17 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 und 2 KHG) und damit als ein "lernendes" System angelegt ist, sind bei zutage tretenden Unrichtigkeiten oder Fehlsteuerungen in erster Linie die Vertragsparteien berufen, diese mit Wirkung für die Zukunft zu beseitigen. Dieser Anpassungsmechanismus betrifft auch die Begriffsbestimmungen im OPS. Der vom Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit herausgegebene OPS - und damit auch OPS (2009) - wird erst durch die jährlich abgeschlossene FPV für das Vergütungssystem verbindlich. Namentlich durch die in die FPV einbezogenen DKR ist es den Vertragsparteien möglich, die erlöswirksame Kodierung des OPS zu steuern. Ergeben sich bei der Abrechnung Wertungswidersprüche und sonstige Ungereimtheiten, haben es die zuständigen Stellen durch Änderung des Fallpauschalenkatalogs, der OPS-Kodes und der Kodierrichtlinien in der Hand, für die Zukunft Abhilfe zu schaffen. Eine systematische Interpretation der Vorschriften kann lediglich im Sinne einer Gesamtschau der im inneren Zusammenhang stehenden Bestimmungen des Regelungswerks erfolgen, um mit ihrer Hilfe den Wortlaut der Leistungslegende klarzustellen. Diese Auslegungs- und Anwendungsprinzipien für die vereinbarten Vergütungsregelungen gelten in vergleichbarer Weise auch für die vom DIMDI erteilten "Hinweise" zur Auslegung und Anwendung einzelner OPS-Kodes. Denn das DIMDI hat nach § 301 Abs. 2 SGB V die Pflicht, für eine sachgerechte Handhabung der Verschlüsselungshinweise zu sorgen. Dazu muss es die tägliche Praxis beobachten und durch regelmäßige Anpassung seiner Hinweise zu den diversen OPS-Kodes beobachtete Lücken und Unklarheiten beseitigen (zum Ganzen: BSG, Urteil vom 18.12.2018 – B 1 KR 40/17 R – juris Rn. 9 ff.).

 

1. Die Klägerin durfte für den am 20. September 2010 durchgeführten Eingriff die Prozedur OPS (2010) 5-394.2 (Revision einer Blutgefäßoperation: Revision eines vaskulären Implantats) nicht kodieren.

 

Die Beklagte hat in diesem Zusammenhang zutreffend darauf hingewiesen, dass der Geltendmachung des eingeklagten Restzahlungsanspruchs mit dieser Argumentation bereits der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung (Verwirkung) entgegenstehen dürfte. Die Verwirkung als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) ist auch für das Sozialversicherungsrecht anerkannt. Sie setzt als Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung voraus, dass der Berechtigte die Ausübung seines Rechts während eines längeren Zeitraums unterlassen hat und weitere besondere Umstände hinzutreten, die nach den Besonderheiten des Einzelfalls und des in Betracht kommenden Rechtsgebietes das verspätete Geltendmachen des Rechts dem Verpflichteten gegenüber nach Treu und Glauben als illoyal erscheinen lassen. Solche, die Verwirkung auslösenden "besonderen Umstände" liegen vor, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten (Verwirkungsverhalten) darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage) und der Verpflichtete tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt wird (Vertrauenstatbestand) und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat (Vertrauensverhalten), dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil nicht entstehen würde (stRspr; vgl. BSG, Urteil vom 21. April 2015 - B 1 KR 7/15 R - juris Rn. 17).

 

So dürfte es hier liegen. Die Klägerin hat auf die Begutachtung durch den MD BEV am 29. Juli 2011 im Rahmen ihres "Widerspruchs" vom 21. Dezember 2011 ersichtlich ihre Argumentation umgestellt, für den Eingriff am 20. September 2010 die Verschlüsselung eines Revisionskodes (hier: OPS 5-394.2) fallengelassen - und stattdessen die abgerechnete DRG F08B nunmehr mit der Verschlüsselung eines Revisionskodes (hier: OPS 5-394.0) ausschließlich für den am 7. Oktober 2010 durchgeführten Eingriff begründet. Diese Begründung hat sie im Klage- und auch im Berufungsverfahren jeweils aufrechterhalten und vertieft. Hierauf hat sich die Beklagte eingestellt, ihre Argumentation und die erneute Beauftragung des MD BEV darauf ausgerichtet und insoweit auch erstinstanzlich Recht bekommen. Auch das erkennende Gericht hat sich auf dieses Vorbringen der Klägerin eingestellt und die weitere im Rahmen der Amtsermittlung durchgeführte Sachverhaltsaufklärung darauf abgestimmt. Die Beauftragung des Sachverständigen Prof. Dr. D.... war in dieser Konsequenz auf die medizinische Bewertung des Eingriffs am 7. Oktober 2010 beschränkt. Erst auf den im Termin zur mündlichen Verhandlung am 26. Juli 2022 erfolgten eindeutigen richterlichen Hinweis des erkennenden Gerichts hat die Klägerin - fast 11 Jahre später! - ihre Argumentation umgestellt und einen vorangegangenen, bisher nicht für die kodierrechtliche Bewertung relevanten stationären Aufenthalt des Versicherten für die Geltendmachung ihres behaupteten Vergütungsanspruchs herangezogen. Dies dürfte als rechtsmissbräuchlich anzusehen sein.

 

Es kann jedoch dahinstehen, ob die Heranziehung des OPS 5-394.2 (Revision einer Blutgefäßoperation: Revision eines vaskulären Implantats) für den Eingriff am 20. September 2010 als verwirkt zu betrachten ist, da der vorgenannte Kode bereits nach seinem Wortlaut nicht erfüllt ist. Eine Revision (mlat. revisio = prüfende Wiederdurchsicht/Änderung; lat. re- = zurück/wieder, videre = sehen/hinsehen; vgl. Duden, Das Herkunftswörterbuch, 3. Aufl., und Duden, Das Universalwörterbuch, 5. Aufl.) bezeichnet - auch - im Rahmen des hier streitigen OPS im medizinischen Sprachgebrauch ein Vorgehen zur Prüfung eines vorangegangenen Vorgehens mit dem Ziel/Zweck der Beseitigung von Früh- oder Spätkomplikationen, Nebenwirkungen oder Rezidiven. Die Wiederdurchsicht erfolgt damit zur Prüfung und ggf. Korrektur von Fehlern/Mängeln (ähnlich/parallel im juristischen Sprachgebrauch; vgl. § 160 Abs. 2 Nr. 2 und 3 SGG: Überprüfung eines vorangegangenen Urteils hinsichtlich einer behaupteten fehlerhaften Gesetzesanwendung oder hinsichtlich angeblicher Verfahrensmängel). Dieses Begriffsverständnis wird nicht zuletzt durch die weiteren Unterfälle des OPS 5-394 bestätigt, indem dort der Wechsel bzw. die Entfernung eines vaskulären Implantats (5-394.3 und 5-394.4), der Verschluss eines arteriovenösen Shuntes (5-394.6) oder der Ersatz eines kardialen Conduit (5-394.7). aufgeführt wird. Dieses Begriffsverständnis hat auch der Sachverständige Prof. Dr. D.... für den Bereich der Medizin seinen Ausführungen im Gutachten vom 30. November 2021 zu Grunde gelegt, indem er hierunter Eingriffe in ein OP-Gebiet versteht, um ein unzulängliches Ergebnis des Ersteingriffs zu verbessern.

 

Eine Fehler- bzw. Mangelhaftigkeit des am 8. April 2010 durchgeführten Eingriffs (Desobliteration der Aorta iliaca externa und der Aorta femoralis communis beidseits sowie der Aorta profunda femoris, die Impantation eines aorto-biprofundalen Prothesenbypasses (Gelsoft) sowie die Reinsertion der Aorta mesenterica inferios in die Prothese) hat die Klägerin nicht geltend gemacht und ist auch nicht dokumentiert. Im OP-Bericht vom 8. April 2010 wird postoperativ ein guter Nachweis eines beidseitigen Leistenpulses bei tolerabler peripherer Durchblutungssituation beschrieben. Im Entlassbericht vom 29. April 2010 wird angegeben, dass der Versicherte unter Verordnung und Verwendung eines Verbandsschuhs zeitgerecht mobilisiert werden konnte und bei reizlosen Wundverhältnissen sowie nach Entfernung des Klammermaterials in die ambulante Betreuung entlassen wurde. Auch in der Verordnung zur Krankenhausbehandlung vom 9. September 2010, im OP-Bericht vom 20. September 2010 und im Entlassbericht vom 18. Oktober 2010 werden (Spät-)Komplikationen oder Mängel im vorstehend beschriebenen Sinne nicht aufgeführt. Der Umstand, dass ein Krankheitsbild aus medizinischer Sicht in zeitlicher Folge weitere Eingriffe erfordert, begründet für sich genommen aus den dargelegten Gründen nicht die Annahme, dass diese Folgeeingriffe als Revisionseingriffe zu klassifizieren sind. Allein die Implantation eines weiteren Bypasses (etwa zur Verlängerung eines vorbestehenden) reicht daher nicht aus (und ist überdies auch im OPS 5-394.2 nicht als Inklusivum aufgeführt).

 

2. Die Klägerin durfte schließlich für den am 7. Oktober 2010 durchgeführten Eingriff die Prozedur OPS (2010) 5-394.0 (Revision einer Blutgefäßoperation: Operation einer Blutung nach Gefäßoperation) nicht kodieren. Am 7. Oktober 2010 lag keine Blutung i. S. dieses OPS vor, sondern vielmehr das Ergebnis einer stattgehabten Blutung. Im OP-Bericht vom 7. Oktober 2010 wird dieses als "altes organisiertes Hämatom im Bereich der rechten Leiste/Oberschenkel" bezeichnet; im Entlassbericht vom 18. Oktober 2010 heißt es hierzu: "Im postoperativen Verlauf kam es zu einer diffusen Blutungsneigung, insbesondere im Bereich der rechten Leiste mit Ausbildung eines revisionsbedürftigen Hämatoms. Dies wurde am 07.10.2010 operativ ausgeräumt.". Das Gericht geht - mit dem Sachverständigen Prof. Dr. D.... - auf Grund des eindeutigen Wortlauts davon aus, dass der Begriff "Blutung" eine akute/aktive Blutung und dementsprechend Maßnahmen zur Blutungsstillung voraussetzt. Dies war hier am 7. Oktober 2010 eindeutig nicht der Fall.

 

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 S. 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs.1 und 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), die Streitwertfestsetzung aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit §§ 52 Abs. 3, 47 Abs. 1 Satz 1 Gerichtskostengesetz (GKG).

 

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG)

Rechtskraft
Aus
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