eHealth: Digitalisierung wird teuer, Einsparpotenziale "nicht näher bezifferbar"

Das Gesundheitsministerium hat für die Digitalisierung des Gesundheitswesens teure Pläne, wie aus dem Referentenentwurf für das Digitalgesetz hervorgeht.

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(Bild: Chinnapong/Shutterstock.com)

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Die Digitalisierung des Gesundheitswesens soll mit dem "Gesetz zur Beschleunigung der Digitalisierung des Gesundheitswesens" möglichst bald durchstarten – im Zentrum steht dabei die elektronische Patientenakte (ePA) als zentrale "Austauschplattform zwischen Leistungserbringern und dem Versicherten sowie als digitales Gesundheitsmanagementsystem". Im Jahr 2025 sollen ungefähr 80 Prozent der Versicherten über eine ePA verfügen – ab dem 15. Januar 2025 erhalten Versicherte sie automatisch. Zu diesen und weiteren Vorhaben liegt inzwischen ein Entwurf zum Gesundheitsdatennutzungsgesetz ebenfalls der zum Digitalgesetz vor. Darin werden beispielsweise die Kosten für die Umsetzung des Digitalgesetzes benannt: "Mit dem Gesetz wird die Sozialversicherung ferner einmalig mit rund 809 Millionen Euro belastet, die sich unterschiedlich auf die Jahre bis 2027 verteilen", heißt es darin. Die laufenden, jährlich anfallenden Kosten liegen ebenfalls im dreistelligen Millionenbereich.

Allerdings erhofft sich das BMG im Gegenzug hohe, "derzeit noch nicht näher bezifferbare [...] Einsparpotenziale für die Sozialversicherung aufgrund der Steigerung der Arzneimitteltherapiesicherheit und der damit verbundenen deutlichen Verringerung von arzneimittelinduzierten ambulanten beziehungsweise stationären Behandlungskosten". Möglich werden soll das durch ein "digitalisiertes Medikationsmanagement" mithilfe des elektronischen Medikationsplans (eMP). Dieser soll nicht nur vom Arzt befüllt werden, sondern auch mit Daten aus der E-Rezept-App der Gematik. Diese Daten würden dann in die ePA übermittelt und in den künftig dort integrierten eMP bereitgestellt. Versicherten ist es zudem möglich, selbst "Daten zu freiverkäuflichen Arzneimitteln und Nahrungsergänzungsmitteln" zu hinterlegen. Später folgen gemäß Gesetzentwurf die elektronische Patientenkurzakte (ePKA) für die Versorgung der Versicherten in anderen EU-Mitgliedsstaaten und Labordaten-Befunde.

Die Krankenkassen müssen ihre Versicherten laut Referentenentwurf "umfassend" über die elektronische Patientenakte informieren. Damit möglichst viele Menschen sie nutzen, sollen sie alle bekommen, die nicht widersprechen. Aktuell schätzt das BMG die Zahl derer, die widersprechen werden, auf maximal 20 Prozent. Dafür sollen die Krankenkassen "einfache, barrierefreie Widerspruchsverfahren" ermöglichen – auf elektronischem oder schriftlichem Weg. Für die Umsetzung des Widerspruchsverfahrens sind etwa fünf Millionen Euro im Jahr eingeplant. Die Befüllung und Zugriffe auf die ePA soll bei denen, die nicht widersprechen, "weitestgehend automatisiert [...] mit strukturierten Daten" erfolgen.

Zweimal innerhalb von 24 Monaten ist es Versicherten laut Referentenentwurf möglich, je Antrag zehn Dokumente durch die Krankenkassen digitalisieren zu lassen. Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Spitzenverband) findet, dass erfolgreiche Digitalisierung anders aussieht, wie die Ärztezeitung berichtet. Damit würden die Ärzte und Kliniken digital vorliegende Befunde ausdrucken, "diese dann von den Versicherten stapelweise durch die Gegend tragen oder schicken [...] lassen, um sie dann bei den Krankenkassen wieder zu digitalisieren", zitiert die Ärztezeitung einen Sprecher des GKV-Spitzenverbands. Demnach würden 146 Millionen Papierdokumente anfallen, ein "Papierstapelproduktionsprojekt und keine moderne Digitalisierung". Zudem sei zu berücksichtigen, dass die Dokumente häufig aus mehreren Blättern bestünden, sagte der Sprecher.

Das E-Rezept soll zudem 2024 verbindlich starten. Darüber hinaus ist geplant, dass die E-Rezept-Anwendung der künftigen Digitalagentur Gematik auch mit der Anwendung für die elektronische Patientenakte genutzt werden kann. Digitale Identitäten sind ebenso als Alternative zur elektronischen Gesundheitskarte vorgesehen – deren Spezifikationen wurden im Februar 2023 veröffentlicht, die Umsetzung wurde für Mitte 2023 angepeilt. Künftig ist vorgesehen, dass sich elektronische Gesundheitskarten (eGK) und zugehörige PINs auch über die E-Rezept-App beantragen lassen. Zuvor war Letzteres erst nach einem Besuch bei der Krankenkassenfiliale oder mittels Postident möglich. Die Krankenkassen sind nach aktuellem Referentenentwurf außerdem verpflichtet, ihre Versicherten über das E-Rezept zu informieren. Ärzte und Apotheker hatten immer wieder bemängelt, dass sie keine Zeit dafür haben, die Versicherten über die Funktionsweisen des E-Rezepts aufzuklären.

Eine wesentliche Rolle bei der Gesundheitsversorgung soll zudem die Telemedizin spielen. Zwar gibt es Telekonsile und Videosprechstunden ebenso wie telefonische Arztkonsultationen schon lange, aber vor allem bei letzterer war der Einsatz bisher nur begrenzt möglich und wird erst seit 2018 vergütet. Bisher konnten Ärzte lediglich 30 Prozent ihrer während der Videosprechstunde erbrachten Leistungen vergüten. Diese 30-Prozent-Hürde soll in einem ersten Schritt flexibler werden und wie mit Lauterbachs Digitalstrategie angekündigt ganz entfallen. Ebenso soll es die Möglichkeit zur "assistierten Telemedizin in Apotheken" geben.

Darüber hinaus soll die Preisgestaltung der Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) künftig stärker an bisher nicht näher definierten Erfolgskriterien abhängig gemacht werden. Bisher wurden die hohen Kosten der DiGA und willkürliche Preiserhöhungen für einen vergleichsweise geringen Mehrwert, in denen es DiGA gab, immer wieder kritisiert. Ebenso soll ein "transparenter Qualitätswettbewerb etabliert" werden. Die Ergebnisse von Erfolgsmessungen der DiGA, werden demnach künftig im Verzeichnis des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) veröffentlicht.

Interoperabilitätsstandards sollen verbindlicher umgesetzt und durch "einen transparenten und marktbasierten Mechanismus sichergestellt" werden. Dadurch erhoffen sich die Verantwortlichen einen besseren Informationsaustausch im Gesundheitswesen und eine bessere Datenverfügbarkeit. Derzeit gibt es beispielsweise mehr als fünf Dateiformate – darunter auch PDF-Dateien –, mit denen die ePA befüllt werden kann. Das wurde vonseiten der Ärzte und der Software-Hersteller immer wieder kritisiert und als "digitale Alditüte bezeichnet". Erst kürzlich hatte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach zudem zu verstehen gegeben, die Hürden semantischer Interoperabilität mittels Künstlicher Intelligenz in den Griff bekommen zu wollen.

Für mehr Cybersicherheit sollen cloudbasierte Informationssysteme mit dem durch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) definierten "Kriterienkatalog Cloud Computing C5" (Cloud Computing Compliance Criteria Catalogue) Mindestanforderungen umsetzen. Der 2016 erstmalig durch das BSI veröffentlichte Kriterienkatalog richtet sich an Cloud-Kunden und soll diesen als Orientierung für die Auswahl eines Anbieters dienen. Zudem bildet er laut BSI eine Grundlage für die Durchführung eines Risikomanagements. Dazu sollen die gesetzlichen Krankenkassen mit dem "neu eingefügten § 390 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch bei der Verarbeitung von gesundheits- und beziehungsweise oder personenbezogenen Daten mithilfe von cloudbasierten Informationssystemen" verpflichtet werden, auch um Kosten einzusparen.

Unter anderem soll der Bundesbeauftragte für Sicherheit in der Informationstechnik laut Gesundheitsdatennutzungsgesetz in Zukunft über eine breitere Zuständigkeit verfügen. Zusätzlich zu dem bereits bestehenden Gematik-Beirat soll, wie bereits angekündigt, ein Digitalbeirat eingerichtet werden, in dem das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik und der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit ständige Mitglieder sein sollen. Weitere Mitglieder können demnach berufen werden – auch in Bezug auf die medizinischen und ethischen Perspektiven. Der Digitalbeirat soll die Gematik zu Datenschutz und -sicherheit beraten. Das klassische Vetorechte im Sinne eines Benehmens des BfDI und BSI wolle Lauterbach hingegen abschaffen.

Die Gematik soll zudem bis zum 1. Juli 2023 die Weichen dafür stellen, dass die nationale eHealth-Kontaktstelle den Betrieb aufnehmen kann. Von dort sollen Daten in den europäischen Gesundheitsdatenraum (EHDS) fließen. Versicherte sollen zudem spätestens zum 1. Juli 2024 ihre Daten aus der elektronischen Patientenakte zu Forschungszwecken freigeben können.

Update

Ergänzt, dass inzwischen das Gesetz zur Beschleunigung der Digitalisierung des Gesundheitswesens vorliegt.

(mack)