Krankenhäuser in Finanznot: Jede fünfte Klinik bedroht

Vor allem kleinen Kliniken fehlt Geld. Die Krankenhausreform soll sie entlasten. Doch für viele wird Lauterbachs Gesetz zu spät kommen.

Eine Pflegekraft in Schutzkleidung

Alarmstufe Rot: Vielen Krankenhäuser droht noch vor Lauterbachs Reform die Pleite Foto: Jörg Carstensen

BERLIN taz | Drei Krankenhäuser haben alleine im Juni in Deutschland endgültig ihre Türen geschlossen: das Hegau-Bodensee-Klinikum Radolfzell, die Paracelsus Klinik in Bad Ems und der Standort Annweiler des Klinikums Landau-Südliche Weinstraße. Was an diesen drei kleinen Standorten passierte – ein Krankenhaus oder einzelne Abteilungen schließen, weil das Geld fehlt –, droht zahlreichen Krankenhäusern. Von insgesamt 1.887 ist laut der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) etwa jedes vierte oder fünfte von Insolvenz bedroht.

Die Pleite dräut vor allem kleinen Häusern, die mit sinkenden Pa­ti­en­t*in­nen­zah­len kämpfen. Aber auch manche größeren Häuser sind in einer finanziell prekären Lage: Die Kosten aller Kliniken steigen durch Inflation und Energiekrise, während die Einnahmen stagnieren. Ein Ende der Schließungswelle ist mittelfristig nicht in Sicht, obwohl die am vergangenen Montag von den Ge­sund­heits­mi­nis­te­r:in­nen des Bundes und der Länder vereinbarte Krankenhausreform Verbesserung bringen soll. Denn sie wird für viele Kliniken zu spät kommen.

Trotzdem: Eine Krankenhausreform ist dringend notwendig. Darüber herrscht Einigkeit bei Politik, Krankenhäusern und Angestellten. Unbestritten ist: Deutschland gibt besonders viel Geld für Krankenhausbehandlungen aus, erreicht damit aber im europäischen Vergleich nur mittelmäßige Qualität. Doch das zu ändern, ist ein Mammutprojekt.

Die Krankenhausreform ist auch deswegen so kompliziert, weil sie sowohl die Kompetenzen des Bundes als auch der Länder berührt, die sich die Verantwortung für die Krankenhäuser teilen. Die Länder haben unter anderem die Pflicht, notwendige Investitionen, beispielsweise in Gebäude, Medizintechnik und Digitalisierung zu decken. Dieser kommen sie schon lange nicht mehr ausreichend nach, was für viele Kliniken zusätzliche Geldsorgen bedeutet.

Lauterbach verspricht Entökonomisierung

Nach zähem Ringen um Inhalte und Kompetenzen, rauften sich Bund und Länder am Montag zusammen und einigten sich auf ein Eckpunktepapier. Bei der Vorstellung sparte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) nicht mit großen Worten: „Das ist eine Revolution.“ Vor allem in Sachen Qualität solle es deutliche Verbesserungen geben. Die Reform solle außerdem Entökonomisierung bringen, versorgungsrelevante Häuser vor der Schließung schützen.

Mit manchem von dem, was im Eckpunktepapier steht, sind die Krankenhäuser nicht unzufrieden. Das neue Bezahlsystem würde sie tatsächlich von einem gewissen ökonomischen Druck befreien. Bislang decken die Krankenhäuser ihre Betriebskosten über Fallpauschalen. Grob funktioniert das System so: Je mehr Behandlungen und je komplexer die Eingriffe, desto mehr Geld erhält das Krankenhaus von den Krankenkassen. Das System gibt somit ökonomische Anreize, möglichst viele, bestenfalls teure Behandlungen durchzuführen.

Mit der Reform soll sich das ändern. Krankenhäuser sollen ihre Betriebskosten nur noch zu 40 Prozent durch Fallpauschalen bestreiten, die restlichen 60 Prozent sollen sie über Vorhaltepauschalen erhalten. Diese sollen Kliniken bekommen, wenn sie für die flächendeckende Versorgung der Bevölkerung notwendig sind – unabhängig von der Anzahl der Behandlungen, die sie durchführen. Das soll besonders kleinen Kliniken auf dem Land helfen.

Außerdem werden einheitliche Leistungsgruppen mit Mindestvoraussetzungen – wie Anzahl der jährlichen Behandlungen, technische und personelle Ausstattung – definiert und den Krankenhäusern zugewiesen. Mit der Einteilung in Leistungsgruppen soll die Qualität der medizinischen Versorgung steigen: Nicht mehr jedes Krankenhaus soll alles anbieten, komplexe Behandlungen sollen in besonders qualifizierten Krankenhäusern durchgeführt werden. Die kleineren Einrichtungen sollen sich künftig auf jene Eingriffe beschränken, die sie gut beherrschen.

Gesetz wird erst in einigen Jahren wirken

Das Eckpunktepapier ist allerdings kein fertiges Gesetz, viele Details fehlen noch: Über den Sommer will das Gesundheitsministerium den Gesetzentwurf ausarbeiten. Ob die Länder dann immer noch mit im Boot sein werden, ist eine spannende wie offene Frage. Nach Lauterbachs Vorstellungen soll das neue Gesetz jedenfalls im Herbst von Bundestag und Bundesrat verabschiedet werden. Anfang kommenden Jahres könnte es in Kraft treten.

Bis die Reform dann ihre Wirkung zeigt, werden noch einige Jahre ins Land ziehen. Denn die Länder müssen das komplexe Gesetz zunächst in Landeskrankenhausgesetze übertragen – Op­ti­mis­t*in­nen gehen von 2025 aus, Pes­si­mis­t*in­nen rechnen eher mit 2028.

Lauterbach sagte am Montag, die Reform sei eine Existenzgarantie für ländliche Krankenhäuser. Eine allgemeine Existenzgarantie für Krankenhäuser ist sie aber nicht. So betont der Minister gleichfalls immer wieder, Überversorgung müsse abgebaut werden. Das bedeutet in der Konsequenz weitere Schließungen.

Unklar ist aber, wen es noch treffen wird. Bislang hat das Gesundheitsministerium noch nicht veröffentlicht, wie viele und welche Krankenhäuser schließen müssten, um auf der einen Seite die Überversorgung abzubauen, auf der anderen die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Ungewiss bleibt also, wie die Krankenhauslandschaft aussehen wird, wenn die Reform in einigen Jahren tatsächlich greift.

Für Bernadette Rümmelin, Geschäftsführerin des Katholischen Krankenhausverbandes Deutschland, läuft der Abbau schon jetzt zu unkontrolliert ab: „Es macht sprachlos, wie Minister Lauterbach schulterzuckend in Kauf nimmt, dass wahllos Krankenhäuser in die Insolvenz rutschen.“ Das beträfe auch Häuser, die für eine hochwertige, regionale Versorgung wichtig seien. Der Bund müsse den Kliniken jetzt schnell mit nachhaltigen Finanzhilfen unter die Arme greifen.

Kurzfristige Hilfen vom Bund sind aber unwahrscheinlich. Im Eckpunktepapier steht zwar, dass eine zusätzliche Unterstützung geprüft werde, Lauterbach macht aber wenig Hoffnung: Der Bund habe keinen Spielraum, das Geld sei zu knapp.

Die Linkspartei legt eigenes Konzept vor

„Diese Reform ist handwerklich so schlecht gemacht, dass sie den ganzen Sektor verunsichert“, kritisierte Tobias Schulze, gesundheitspolitischer Sprecher der Linken im Berliner Abgeordnetenhaus. Dringend benötigte Fachkräfte verließen schon jetzt den Gesundheitssektor, Ar­beit­neh­me­r*in­nen und Gewerkschaften seien nicht an der Gestaltung der Reform beteiligt gewesen. Diese sei explizit darauf ausgelegt, den Krankenhaussektor zu verschlanken, Entökonomisierung sei dabei nur ein Etikettenschwindel.

Die Linkspartei legte am Freitag ihr eigenes Konzept zur Krankenhausreform vor. Darin fordert sie unter anderem, die Fallpauschalen komplett abzuschaffen und stattdessen eine bedarfsgerechte kostendeckende Finanzierung einzuführen. Der Bund müsse den Ländern dabei helfen, den Investitionsstau der letzten Jahre auszuräumen. Ein neues Finanzierungssystem müsse dafür Sorge tragen, dass alle medizinischen Entscheidungen frei von jeglichem betriebswirtschaftlichem Kalkül wären.

Dazu sollten Krankenhäuser rekommunalisiert und gemeinwohl- statt profitorientiert geführt werden. Für die flächendeckende wohnortsnahe Versorgung sollen sektorenübergreifende kommunale Versorgungszentren aufgebaut werden. Um dem Fachkräftemangel zu begegnen, will die Linkspartei die Arbeitsbedingungen im Gesundheitssektor verbessern. Es sei „höchste Zeit für einen Systemwechsel in der Krankenhauspolitik, der sich am Gemeinwohl orientiert und den ökonomischen Druck von den Krankenhäusern nimmt“.

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