Rems-Murr-Kreis

Frühchen-Versorgung bedroht: Rems-Murr-Kreis kämpft gegen Mindestmengen-Plan

Ein Tag in der Kinderklinik
Blick in die Winnender Kinderklinik: Vater am Bett eines Frühchens. © ALEXANDRA PALMIZI

Eine geplante Verschärfung der sogenannten Mindestmengen-Regel bedroht die Existenz der Hälfte aller Perinatalzentren Level 1 im Land, die wohnortnah für hervorragende Frühchen-Medizin stehen. Auch der Standort Winnenden ist in Gefahr. Der Landkreistag Baden-Württemberg und der Rems-Murr-Kreis protestieren dagegen in dringlichen Botschaften: Man könne die Versorgung eines frühgeborenen Kindes nicht mit dem Austausch eines Knie- oder Hüftgelenks vergleichen ...

Worum es geht: Perinatalzentren und der Fluch der Mindestmenge

Perinatalzentren des Levels 1 sind spezialisiert darauf, auch Kindern einen guten Start ins Leben zu bahnen, die vor der Zeit und mit einem Geburtsgewicht von weniger als 1250 Gramm zur Welt kommen. Aber nur Einrichtungen, die eine jährliche Mindestmenge an Fällen betreuen, dürfen den Status beanspruchen und die Leistungen bei den Kassen abrechnen. Bis 2022 lag die Mindestmenge bei 14, für 2023 wurde sie auf 20 heraufgesetzt, ab 2024 soll sie weiter erhöht werden auf 25. Es ist fraglich, ob Winnenden dieses Kriterium noch erfüllen könnte. Insgesamt wären elf von 21 Perinatalzentren Level 1 in Baden-Württemberg in Gefahr.

Hier geht es nicht um Hüftgelenke: Der Landkreistag protestiert

Mit einer Resolution protestiert der Landkreistag Baden-Württemberg dagegen: Zwar könnten Mindestmengen „ein durchaus sinnvolles Mittel sein, um die Qualität etwa bei planbaren Eingriffen wie dem Ersatz von Knie- und Hüftgelenken zu steuern“. Doch wenn es darum gehe, „das Leben eines Kindes zu retten oder überhaupt erst zu ermöglichen, sollen und dürfen wir uns nicht an fixen Zahlen orientieren“.

Hinzu komme: Bei Frühgeborenen ist es aus Gründen der körperlichen und psychischen Reifung wichtig, die Kinder so lange im Bauch zu behalten wie möglich – die Zeit „für eine langwierige Verlegung zwischen Geburtsklinik und ausgedünntem Netz an Perinatalzentren Level 1“ aber bleibe im Notfall künftig nicht mehr.

Auch sei zu bezweifeln, ob es in den „verbleibenden zehn“ von bislang 21 Zentren „überhaupt eine ausreichende Kapazität für die zusätzlichen Geburten geben kann, zumal pro Frühgeborenem rund sieben bis zehn Schwangere mit Frühgeburtsbestrebungen stationär aufzunehmen sind“.

Rems-Murr-Kreis: "Die Gesundheit der Allerkleinsten und Schwächsten steht auf dem Spiel"

Wenn die neue Regel so umgesetzt werde, sei die „Gesundheitsversorgung der kleinsten Frühgeborenen in Gefahr“, schreibt der Rems-Murr-Kreis in einer Pressemitteilung. Betroffen sei vor allem der ländliche Raum – „die flächendeckende Versorgung der Risiko-Babys steht auf dem Spiel und damit die Gesundheit der Allerkleinsten und Schwächsten.“

Perinatalzentren „bündeln in modernen Kliniken die Fachkompetenzen aus Geburtsmedizin und Kinderintensivmedizin (Neonatologie). In Baden-Württemberg gibt es 21 Perinatalzentren mit Level 1, also Zentren der höchsten Versorgungsstufe. Auch am Rems-Murr-Klinikum Winnenden verfügen wir über ein Perinatalzentrum Level 1 – übrigens das einzige in Baden-Württemberg, welches von der unabhängigen Institution ‚Perizert’ zertifiziert und damit neutral qualitätsgeprüft wird“, sagt Landrat Dr. Richard Sigel, Aufsichtsratsvorsitzender der Rems-Murr-Kliniken. „Wir sind stolz auf das Team aus Ärzten, Hebammen, Pflegefachkräften und Therapeuten, das hier fachlich und menschlich Großartiges leistet. Viele Eltern sind sehr dankbar, dass wir ihren Kleinsten hier im Kreis wohnortnah einen gesunden Start ins Leben ermöglichen konnten. Deshalb appellieren wir dringend“, die Mindestmenge nicht auf 25 anzuheben. Eine derartige Verschärfung „konterkariert alle fachlichen Bemühungen in der Geburtsmedizin und setzt einen völlig falschen Anreiz. Das kann nicht Ziel der Gesundheitspolitik sein.“

Denn „belohnt würde mit einer solchen rigiden Mindestmengenregelung“, erklärt Klinik-Geschäftsführer André Mertel, „wer ‚Frühchen’ zugunsten der Quote früher zur Welt kommen lässt, als es medizinisch sinnvoll und möglich ist.“

"Es drohen dramatische Folgen für die empfindlichsten kleinen Babys"

Wie sinnvoll und engagiert im Winnender Perinatalzentrum pro Baby gearbeitet werde, zeige sich an vielen Projekten, die dem Wohl der Familien dienen. „Da ist zum Beispiel der Aufbau unserer Frauenmilchbank, die wir als drittes Klinikum in Baden-Württemberg geschaffen haben – eine Starthilfe für die gesunde Entwicklung Früh- und Neugeborener, die unser Team stetig ausbaut.“

Falls 53 Prozent der Perinatalzentren schließen, drohen dramatische gesundheitliche Folgen für die empfindlichsten kleinen Babys. „Sie brauchen bereits vor der Geburt bestmögliche medizinische Unterstützung für ihre körperliche und psychische Reifung. Es ist wichtig, dass sie eben nicht zu früh zur Welt kommen, sondern mit speziellen Techniken so lange wie möglich im schützenden Bauch der Mutter gehalten werden“, sagt Professor Dr. Ralf Rauch, Chefarzt der Winnender Kinder- und Jugendmedizin. „Dafür sind unsere örtlichen Spezialisten ausgebildet, und dafür braucht es ein stabiles, ausreichend dichtes Netz an Perinatalzentren dieser Güte.“

Eine geplante Verschärfung der sogenannten Mindestmengen-Regel bedroht die Existenz der Hälfte aller Perinatalzentren Level 1 im Land, die wohnortnah für hervorragende Frühchen-Medizin stehen. Auch der Standort Winnenden ist in Gefahr. Der Landkreistag Baden-Württemberg und der Rems-Murr-Kreis protestieren dagegen in dringlichen Botschaften: Man könne die Versorgung eines frühgeborenen Kindes nicht mit dem Austausch eines Knie- oder Hüftgelenks vergleichen ...

Worum es geht: